Kulturzentrum Herrenhof Mußbach / Herrenhof Mußbach
Harald-Alexander Klimek: "Tradition in Dekonstruktion"
Zeichnungen, Druckgrafik, Malerei
09.04.06 bis 30.04.06
Harald-Alexander Klimek
Harald-Alexander Klimek: "Blumen der Liebe" (2004) Fünffarbsiebdruck, 22 x 31cm

Tradition in der Dekonstruktion

von Dr. Ulrike Oppelt (ArtInFlow - Zeitgenössische Kunst)

Mit seiner subversiv-ironischen Kunst nimmt der Maler und Grafiker Harald-Alexander Klimek (geb. 1959) ein weites Themenspektrum aufs Korn. In seinen semi-gesellschaftskritischen Arbeiten versteht er es, auf provozierende Weise den Betrachter auf eigene und fremde Befindlichkeiten aufmerksam zu machen. Die gegenständlichen Werke zeichnen sich durch seine witzige, hintergründige und kaleidoskopartige Bildsprache aus. Klimeks Ästhetik kombiniert avantgardistische Positionen der klassischen Moderne.

Variabilität, Dekonstruktion sowie eine prozess- und materialorientierte Arbeitsweise verbinden das Werk des Künstlers; seine Techniken umfassen Zeichnungen, druckgrafische Arbeiten, Assemblagen, Ölbilder und Künstlerbücher. Durch seine integrative Persönlichkeit und aktive Vermittlungstätigkeit ist der Künstler laufend in Ausstellungen vertreten. Er lebt und arbeitet in Berlin, Frankenthal und Speyer.

Etliche seiner Werke sind in nationalen und internationalen Sammlungen und Museen zu finden, z.B. in der Akademie der Künste (Berlin), im Gutenberg-Museum (Mainz), im Landesmuseum (Mainz), in der Public Library (New York) oder im Germanischen Nationalmuseum (Nürnberg).

In der Ausstellung im Herrenhof liegt der Schwerpunkt auf neuen Arbeiten mit Blumen- und Blütenmotiven, beispielsweise auch Illustrationen zu der Erzählreihe "Herzklopfen" der Rheinpfalz, erschienen 2005 mit Texten u.a. von Wilhelm Genazino, Julia Schoch und Erhard Stern und Druckgrafiken aus dem jüngst erschienen Künstlerbuch "Argonauten/argonauts" zu Texten von Hasan Özdemir und Jürgen K. Hultenreich.

Harald-Alexander Klimek demonstriert mittels klassischer Maltechniken eine dekonstruktivistische Bildgestaltung seiner Collagen. Max Ernst definierte einst die Collage-Technik als "die systematische Ausbeutung des zufälligen oder künstlich provozierten Zusammentreffens von zwei oder mehr wesensfremden Realitäten auf einer augenscheinlich dazu ungeeigneten Ebene - und der Funke Poesie, welcher bei der Annäherung dieser Realitäten überspringt".

Die reine Provokation durch Zerstörung in der Kunst war schon immer eine Domäne der Subkultur, die versuchte, akzeptierten Originalen neuen Sinn zu geben. Gesellschaftliche Normen und Traditionen, überlieferte Sehgewohnheiten aber auch normale Gebrauchsgegenstände werden verfremdet und in Frage gestellt. Klimek besitzt eine besondere Vorliebe für Geschichte und Archäologie, jedoch auch Lifestyleindustrie und Werbung bieten zahlreiche Angriffsflächen und sind beliebte Opfer des Dekonstrukteurs Klimek.

"Without Schwitters nobody of us": Dieser Ausspruch von Edward Ruscha über die Collage verweist auf ihr Anliegen, Bruchstücke dieser Welt zusammenhängend ins Werk zu setzen. Verschiedene Materialien sollen mit Absicht nicht nur die Spuren ihrer Herkunft im Bild bewahren, sondern jegliche sequenzielle Entwicklung verletzen, narrative Linien unterbrechen und systematische Vorstellungen unterminieren. Diese eigenen ästhetischen Prämissen sollen die Imagination des Betrachters in künstlerische Produktionsprozesse miteinbeziehen.

Bewahrt in der klassischen Collagetechnik das Material mit Absicht die Spuren seiner Herkunft, zeigen Klimeks Bilder ein scheinbares Motiv, das jedoch bei einer tiefergehenden Analyse von Widersprüchlichkeiten konterkariert wird. Die faktische Ausgangsebene des Werkes wird von collagierten Schnipseln als Basis-Informationseinheit bestimmt, die einen hermeneutischen Prozess in Gang setzen. Das Konzept der Collage ist nunmehr nicht nur an eine Technik gebunden, sondern verbindet eine Vielzahl von Komponenten miteinander, die aus unterschiedlichen intellektuellen oder perzeptiven Kategorien stammen.


Die Verschwörung des Zukünftigen


von Jürgen K. Hultenreich

Wir können Harald-Alexander Klimek kaum vorwerfen, nicht auf einen Schlag die Malerei an sich neu erfunden zu haben. Er geriet in eine Zeit, die auf diesem Gebiet - was das Technische anbetrifft - längst ein Arsenal von Möglichkeiten vorzuweisen vermochte. Gleichwohl erlernte er die Grundlagen seines Handwerks von der Picke auf - ohne Schwierigkeiten.

Angesichts einer schier unglaublichen Souveränität in der Anwendung dieser Mittel und Möglichkeiten können wir ihm das glauben, obwohl hartnäckiges Ausprobieren, sicher auch - wie könnte es anders sein bei einem suchenden Talent - Mißlungenes dahinter stecken dürfte. Wir wollen uns aber gern erinnern, dass er als Bauzeichner begann, bevor das Künstlerische entscheidend durchschlug.

Auf dem neuesten Stand und in der Lage zu sein, einzubeziehen, was notwendig erscheint, ist ihm heute Gebot. Wobei nicht mit dem "Technischen" kokettiert wird, eher ist es der umgekehrte, mit einer Frage beginnende Weg: Was dient der Komposition? Wie entkomme ich Floskeln, Plattitüden, reiner Formalität? - wo doch die gesamte Unordnung auf der Welt ohnehin nur von Formalitäten herrührt.

Der hart an sich arbeitende Könner Klimek, mit dem raren Mut ausgestattet, nicht jederzeit und auf jedem Blatt alles zu offenbaren, weicht Nebensächlichen konsequent aus. Was bei ihm wie barocke Fülle erscheinen mag, ist in Wahrheit immer schon Reduktion, harmonisch bis zum letzten Punkt. Wo er ausspart, gehört auch dies zum guten Ton. Das Klimeksche Harmonieverständnis grenzt, ich kann es nicht anders sagen, an Gnade. Belehren könnte man ihn lediglich im Fach Disharmonie.

Wenn ein Kunstwerk, wie man in übertragenen Sinne sagt, in erster Linie vielleicht das Portrait seines Schöpfers ist, dann stimmt Harald-Alexander Klimek, dieser leidenschaftliche Diskutant, Geschichts- und Geschichtenkenner, vergnüglicher Beobachter, hinter dessen Burschikosität sich ein zurückhaltender, möglicherweise sogar hochsensibler Zeitgenosse verbirgt, mit seiner Malerei komplett überein. Nur wenige Oeuvre wirken so verschiedenartig und dennoch durchgehend persönlich.

In unserer Zeit, wo über den meisten Malern der Banner der Abstraktion oder der Performance oder sonst etwas knattert, wo zum Angriff geblasen wird auf Teufel komm raus, wo der so genannte Zeitgeist seinen mordsmäßigen Rundumschlag zelebriert, scheint kaum etwas altmodischer zu sein als das Bekenntnis eines Künstlers zu verhaltenem Realismus, schwarzhumoriger Erfrischung und sicher auch von abgründiger Traurigkeit.

Dieses überraschende, geniale Beisammensein von ausgefeiltester Technik, sprudelnder Fantasie und pfälzisch-nüchterner Wirklichkeitsbetrachtung erinnert mich immer wieder, ohne pathetisch werden zu wollen, an große Meister vergangener Tage. Und in der Tat wäre Harald-Alexander Klimek, durchaus auch in früherer Zeit denkbar, hineingeraten in mittelalterliche oder spätere Malschulen.

Als ich, vermittelt durch Thomas Günther, den Verleger, zum ersten Mal Blätter von ihm sah, wusste ich nicht mehr, wohin mit meinem Grinsen. Ihm muss es mit meinen Texten ähnlich ergangen sein, sonst hätte er nicht diese wundervollen Sachen machen können, die in unserem gemeinsamen Buch "Ich heb ein Bein und bin auf einmal Hund" nun die Zeiten überdauern werden, dessen bin ich mir sicher. Als Gewährsmann gilt mir mein bei weitem nicht unberühmter Berliner Malerfreund Hans-Hendrik Grimmling, der selten etwas lobt, lebende Maler fast gar nicht, sich selbst kaum ausgenommen, und der gelegentlich von jener Laune getragen wird, die seinem Nachnamen Ehre macht. Er sagte, verblüfft, Klimeks Serigrafien andächtig durchblätternd: "Ach, sind die aber schön!" und freute sich, fremde Leistung anerkennend, wie über Eigenes.

Bilder ohne Geist, oder besser gesagt, ohne erkennbares Wunschziel, sind nichts anderes als technische Studien. Unser Protagonist weiß das. Allerdings weiß er ebenso, dass das Packende, Ergreifende eines Bildes nicht allein vom besinnlichen Sujet abhängt - ein großes Missverständnis vieler malender Heulsusen, die ihre Leiden an die Wand nageln und alle nicht zum Mitleiden bereiten Ausstellungseröffnungsgäste verfluchen.

Bezeichnen wir, von der Stilrichtung her, diese Blätter und Bilder wie wir wollen. In ihnen steckt, ich erwähnte es, Tradiertes genauso wie die beispiellose Anwendung neuerer Techniken. Wir wissen, was für ein Feuerwerk Harald-Alexander Klimek auf seiner Palette entzünden kann - zu Ehren jeglicher Form. Auf geheimnisvolle Weise trügt, wer solches vermag, den Entwurf vieler, wenn nicht gar aller menschlichen Zustände in sich und darf von Anfängen träumen, als wären sie schon vollendet.

Wen von uns, Klimeks heiter-düstere Welt mit Vergnügen sichtend, beschlich nicht dennoch wenigstens ein einziges Mal das schreckenerregende Gefühl der unheimlichen Bedrohung - in allen Ecken des begrenzten Bildraumes lauernd, hinter oder in an sich harmlosen Details versteckt? Allein die beiden druckgrafischen Blätter zu den Gedichten "Hundertneunzig Weinbergschnecken" sowie "Es schwingt ein Rüssel durch die Gassen" (zu "Der Rüsselmann") sind hierfür Beweis, Augenweide, Drohung.

Wer jemals zwei schönere Bösewichter gesehen haben will, der trete vor! Wobei jeder dieser Tunichtgute die apokalyptische Ergänzung des andern zu sein scheint; gebändigt (jedenfalls vom Äußeren her) nur durch den verhältnismäßig humanen Text, der ergo Übleres (oder wollen wir statt dessen sagen: ausufernde Handgreiflichkeiten des Künstlers?) verhinderte. So gestaltet nur einer, dem es vor der Verschwörung des Zukünftigen graust.

Und wer je den Prozess der Vergänglichkeit, der zum Künftigen unausweichlich gehört, aufmerksam beobachtete, der darf ihm auch mal, wie auf vielen dieser Blätter geschehen, gänzlich ohne Ironie und Angst den Rücken kehren, um ihn rückzudatieren, denn nichts ist rührender, als in den Dingen das ursprüngliche Sein wiederzufinden.

Mit seiner Unabhhängigkeit, ja in gewisser Weise Freiheit des Ausdrucks, und dem Wissen darüber, dass schön und hässlich bei bedeutenden Malern nie zum Gegensatzpaar reiften, rückt Harald-Alexander Klimek in die Reihe derer vor, die ohne irdische oder gar symbolische Truggebilde auszukommen wußten, und die mit Geduld, meist auch vieles erdulden müssend, ihr prächtiges Werk schufen - allen Widrigkeiten zum Trotz, fleißig bis hin zum Exzess, immer um eine neue Deutung des Augenblicks bemüht.




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Harald-Alexander Klimek
Harald-Alexander Klimek: "Blumen der Liebe" (2004) Fünffarbsiebdruck, 22 x 31cm