Landkreis Südliche Weinstraße / Kreisverwaltung Südliche Weinstraße
15. Kulturtage des Landkreises Südliche Weinstraße
"Unterwelt"
09.10.04 bis 10.10.04
Chawwerusch Theater
Chawwerusch Theater: "Orpheus, Eurydike und wir - ein Ausflug in die Unterwelt"

Chawwerusch Theater: "Orpheus, Eurydike und wir - ein Ausflug in die Unterwelt"

An diesem Wochenende öffnet sich die "Unterwelt". In der ehemaligen Traubenannahme-
stelle am Deutschen Weintor in Schweigen-Rechtenbach veranstaltet das Chawwerusch Theater das Stationstheater-Experiment mit über 100 Amateurschauspielerinnen und -schauspielern anlässlich der 15. Kulturtage des Landkreises Südliche Weinstraße.

In "Orpheus, Eurydike und wir - ein Ausflug in die Unterwelt" werden Gruppen zu 50 Personen an fünf Stationen Schauspiel, Musik, Tanz und Film erleben und der Spur des berühmten Sängers Orpheus folgen, der seine geliebte Eurydike aus dem Hades zurückholen will. Dieser Weg ist gespickt mit ernsten und komischen Elementen und mit Gestalten, die weniger antik sind, sondern vielmehr der heutigen Zeit entspringen. Neben den fünf Ensembles vor und in der "Unterwelt" gestaltet eine Straßentheatergruppe Aktionen, Bilder und Szenen am Deutschen Weintor für alle Wartenden, Zurückgekehrten und Durchreisenden. Hier gibt es auch an beiden Tage ein buntes Rahmenprogramm mit viel Musik, Straßentheater, Speisen und Getränken.

Einlass (je 50 Zuschauer) zum Stationstheater:
von 10.00 bis 13.00 Uhr und 14.00 bis 17.00 Uhr, alle halbe Stunde

Karten sind nur am Weintor erhältlich (zu 7 Euro und 5 Euro ermäßigt). Der Rundgang dauert etwa 1 Stunde und 20 Minuten. Es gibt keine Sitzplätze. Die Aufführungen in der Trauben-Annahmestelle sind für Kinder unter 12 Jahren nicht geeignet. Kein Vorverkauf oder tel. Vorbestellung. Musik, Aktionen, Theater am Weintor kostenlos.


Besprechung von Gabriele Weingartner, Sonntag Aktuell vom 10.10.04

Im Hades der deutschen Geschichte

Zugegeben: Bei Elfriede Jelinek, der frisch gekürten und dauer-gehassten Literatur-Nobelpreisträgerin, geht es heftiger zu in ihren Dramen. Ihre Angriffe auf Österreich enden nicht selten mit einem Skandal. Aber auch dem Chawwerusch-Theater, das gestern am Weintor und in der alten Traubenannahmestelle in Schweigen-Rechtenbach mit seinem Stationentheater "Orpheus, Eurydike und wir" begann, kann man Geschichtsvergessenheit nicht unbedingt vorwerfen. Und trotzdem wird es geliebt für fast alles, was es in den letzten Jahren inszeniert hat, vor allem dann, wenn es seine pädagogische Kompetenz in die Arbeit mit Laien investiert. Nicht zuletzt darüber könnte man nachdenken nach dem Gang in die Unterwelt, in die man so unnachsichtig von diversen Ordnern mit gelben Helmen und blauen Mänteln geschickt wurde.

Deutschlands Geschichte jedenfalls, dem üblen Teil vor allem, begegnete man dort immer mal wieder. Direkt vor dem Eingang in den Orkus zum Beispiel, wo eine junge Punkerin, zusammen mit anderen Frauen, deren Männer verloren gingen, ihrem Opa nachtrauert, der ein jüdischer Weinhändler war. Oder am Ende der sich in Etappen vollziehenden Handlung, wo in einer Phalanx von Gestorbenen auch ein junger Wehrmachtssoldat auftaucht, der schluchzend bekennt, "doch an den Endsieg geglaubt" zu haben. Man hat in dieser großen, von Ben Hergl und Ro Tritschler, Michael Bauer, Monika Kleebauer, Walter Menzlaw, Esther Steinbrecher und Felix S. Felix arbeitsteilig geleiteten Inszenierung auch nicht vergessen, darauf hinzuweisen, dass es Gauleiter Bürkel persönlich war, der das Deutsche Weintor installierte.

Aber anders als Jelinek, deren Furor niemals erlahmt, verdirbt es sich Chawwerusch nie mit dem Publikum und wagt es trotzdem, ihm die Wahrheit zu sagen. Vielleicht ja auch nur, indem es sich gleichsam mit dessen aufklärerischen Sedimenten solidarisiert. Es ist aber auch weit davon entfernt, aus der Tatsache, dass sein "Hauptquartier" in der Pfalz liegt, die Berechtigung abzuleiten, in Pfalztümelei zu verfallen. Im Gegenteil. Wer auf dem Gang in die Tiefe in die "Letzte Weinstube vor der Unterwelt" gerät, mag erschrecken über die Wollust, wie hier - mit typisch Michael Bauer'scher Verve - ein Pfalz-Klischee nach dem anderen unterlaufen wird. Und mit welcher Inbrunst pfälzisch sprechende Darsteller daran mitarbeiten, den geliebten Pfalzwein bloß nicht zu einem Trunk des Vergessens zu machen.

Dennoch: "Orpheus, Eurydike und wir" ist mitnichten ein Stück, das nur die jüngste Vergangenheit abarbeitet. Mit allen Techniken - dem Sketch, dem Film, dem Mini-Drama, dem Gruselschocker - spielt es locker und kundig mit allen historischen und mythologischen Versatzstücken, die das Thema hergibt. Und es gibt natürlich eine ganze Menge her! Frauen-, Männer-, Kindergeschichten, die Geschichten all jener Verlorenen eben, die auf einander warten und sich suchen, in Gedanken oder in der Tat. Da wird mit Symbolen gearbeitet, wie bei "Sisyphos & Co", wo seltsam müde Bürokraten dafür sorgen, dass durch stete Wiederholung bloß keine Revolution eintritt. Da springt man filmisch mitten in die Jetztzeit und lässt Eurydike von einem Auto überfahren werden, nur damit ihr Orpheus mit dem gläsernen Fahrstuhl der Landauer Stadtbibliothek in die Unterwelt folgen kann. Und baut am Ende ein brutal realistisches, nichtsdestoweniger hinreißendes Spalier von Toten aus allen Jahrhunderten auf, die dem Publikum im Vorübergehen ihre Geschichte erzählen. Paulinchen, - ja, dem aus dem Struwwelpeter - wabern dabei die Flammen um den Rock, der besagte arme Nazi steht direkt neben dem Widerstandskämpfer. Sokrates hält immer noch den Schierlingsbecher in Händen, ihm gegenüber verharren ein Bungee-Springer, ein Guillotine-Opfer mit geschundenem Hals, eine verlassene Braut mit vertrocknetem Strauß.

In jeder Szene taucht ein anderer Orpheus auf, nur Glucks Arie wird kontinuierlich gesungen. Tatsache ist, dass es diese Musik immer wieder schafft, die Zuschauer wie an einem roten Faden aus Tönen treppauf-treppab zu führen, mit den Stimmen der gerade erst erlebten Szene im Ohr, empfangen von anderen Stimmen und neuen Bildern, die an der nächsten Ecke warten. Auch wenn der Hall-Effekt des labyrinthischen Gebäudes womöglich nicht einkalkuliert war, er passte zu der von raffinierten Logistikern gelenkten Reise ins Innere der Erde, wie überhaupt alle poetischen Funken, die die aufgelassene Fabrik versprühte, von Chawwerusch systematisch genutzt und von den über sich selbst hinauswachsenden Laiendarstellern solange am Leben gehalten wurde, wie die Scheinwerfer auf ihnen ruhten.

Warm anziehen und unbedingt hingehen also! Nicht umsonst hat Elfriede Jelinek - um den im Grunde nicht statthaften Vergleich noch einmal aufzunehmen - den Roman "Die Kinder der Toten" als ihr "Opus Magnum" bezeichnet. Auch für Chawwerusch und sein jüngstes Laien-Projekt könnte man dies sagen. Und komisch: Hier wie dort geht es ab in die Tiefe.




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