Stadt Landau in der Pfalz / Stadtbibliothek Landau
Lesung mit Annegret Held und Gregor Hens (marebuchverlag, Hamburg)
Moderation: Dr. Matthias Brück
20.10.03

Annegret Held: "Das Zimmermädchen"

"(...) sehr komisch, sehr traurig und holterdipolter übers Romantische, Ironische mitten hinein ins irdische Vergnügen." Ulrich Greiner, "Die Zeit"

Als Zimmermädchen musste Carla tagein, tagaus Betten beziehen und aufschütteln, Flure saugen, Treppen wischen und Fenster putzen. In ihrer Freizeit lag sie in den Dünen und ereiferte sich mit anderen Zimmermädchen über den Mangel an attraktiven Männern. Doch eines Tages reisten die Teilnehmer des Ärztekongresses an, plötzlich bevölkerten lauter gut aussehende Doktoren die Friesenpension «Zum Deichgrafen» ...
Annegret Held ist eine Meisterin der literarischen Gratwanderung zwischen Komik und Tristesse, zwischen Banalität und Raffinesse - in Das Zimmermädchen stellt sie dieses Können erneut unter Beweis.

«So, dann konnte ich ja jetzt endlich in die Neunzehn. Ich nahm mir Eimerchen und rosa Gummihandschuhe und frische Handtücher und meinen allgewaltigen Schlüsselbund. Dieses Geräusch liebte ich am meisten, das Geräusch des drehenden Schlüssels im friesischen Schloss, das Klacken, die Tür öffnete sich. Sesam, Sesam. Ich sah erst mal nicht viel. Es war alles dunkel, und eine eigenartige Schwüle lag in dem Zimmer. Es roch nach schwerem Parfüm und Räucherwerk und Körperausdünstungen und schwersten menschlichen Gefechten. Aber wie sollte der Doktor Wüller das alleine hinbringen, in der ersten Nacht auf Langeoog, eine solche Geruchsintensität und gleichzeitig schwüle Schwingungen wie nach einer schweren, arabischen Nacht? Ich stieß die Fensterläden auf und ließ Licht herein und sah die Verwüstung.»


Annegret Held, geboren 1962, war als gelernte Polizeihauptwachtmeisterin einige Jahre auf Streife, ehe sie Ethnologie und Kunstgeschichte studierte.Bekannt wurde sie mit ihrem Roman "Die Baumfresserin", den Robert Gernhardt als "einzigartig" lobte. Annegret Held lebt in Pottum bei Koblenz. -


Gregor Hens, Transfer Lounge

Nach seinem Roman Himmelssturz (2002), der als "das beste Debüt des Jahres" (Die Welt) gefeiert wurde, hat Gregor Hens mit Transfer Lounge jetzt deutsch-amerikanische Geschichten geschrieben.Mit scharfer Beobachtungsgabe vermisst Gregor Hens die Grenzen zwischen Vertrautem und Unbekanntem. Etwa in der Geschichte vom deutschen Übersetzer Jan, der seine amerikanische Lektorin Melanie in New York in der Central Station trifft, wo sich die beiden unter einem künstlichen Sternenhimmel wie Planeten umkreisen. Sie begrüßen sich mit Versen aus einem Gedicht von Ingeborg Bachmann und ziehen kreuz und quer durch Manhattan. Und während ihnen allmählich das Geld ausgeht, bringen die Preise der Hotels das Paar mit jedem Umzug dem Himmel ein Stück näher. Denn seit dem 11. September sind die Zimmer ganz oben am billigsten. Mit der ihm eigenen Sprache von bestechender Klarheit und souveräner Eleganz hat Gregor Hens ein feines Netz transatlantischer Geschichten gewoben, in denen er von Menschen erzählt, die den Ozean überqueren, zwei zuverlässige Begleiter im Gepäck: die Liebe und den Tod.

"Jan, flüsterte sie, es waren die ersten Worte, die sie an ihn richtete, wir sind aufgestiegen von einem Hafen, wo Wiederkehr nicht zählt. Und nicht Fracht und nicht Fang, sagte Jan, und trat einen halben Schritt zurück. Da standen sie, ohne loszulassen, und um sie herum erlahmte die Stadt und der krumme Mann klappte seinen Besen zusammen und stellte ihn hinter eine Holztür. Ein Reisender kam vorbei und zog eine Abendzeitung aus dem Papierkorb. Ein Irrer lief durch den Saal, sah die beiden oder sah durch sie hindurch und schimpfte fuck und why und fuck und why und why."


Die marebibliothek


Seit Homers Zeiten ist das Meer eine Projektionsfläche für Sehnsüchte, Alpträume, Wunschvorstellungen und Zuschreibungen aller Art. Das Meer ist das ganz Andere, das Gegenteil der terra firma unserer Konventionen und sicher gewähnten Glaubenssätze, ein Ort des Ausgeliefertseins an die Elemente und der existenziellen Bewährung, aber auch ein Ort des Massentourismus und der industriellen Nutzung.

Am Anfang der abendländischen Literatur standen Geschichten vom Meer: ob in der Odyssee, im Gilgamesch-Epos oder in den Büchern der Bibel. Das Meer hat uns mit Wassermännern und Seejungfrauen vertraut gemacht und so faszinierende Charaktere beschert wie Kirke, Jonas, Robinson Crusoe, Kapitän Ahab, Long John Silver, Lord Jim oder Kapitän Nemo. Alle diese Geschichten vom Meer wollen neu und anders erzählt werden, in eine Gegenwart übersetzt, für die das Meer scheinbar keine Überraschungen mehr bietet, obwohl uns der Grund des Meeres immer noch fremder ist als die Krater des Mondes.

Die marebibliothek bietet zeitgenössischen Autoren ein Forum, über das Meer zu schreiben. Dabei ist der Begriff "Meer" so weit gefasst, dass Shakespeares Bild von Böhmen am Meer ebenso darin Platz finden könnte wie Rimbauds Poème de la Mer oder Kafkas Vorstellung vom gefrorenen Meer in uns. David Foster Wallace unternimmt zusammen mit seinem deutschen Übersetzer Marcus Ingendaay eine hoch komische Kreuzfahrt des Schreckens, und Robert Gernhardt geht mit der Wünschelroute durch sein bisheriges Oeuvre.
Jon Fosse nimmt uns mit auf einen Fjord, Kirsty Gunn erzählt vom Meer in uns, Björn Larsson unternimmt eine Segelreise zwischen Schottland und Spanien und Gregor Hens erzählt deutsch-amerikanische Geschichten. Antje Rávic Strubel, die 2001 in Klagenfurt ausgezeichnet wurde, schreibt eine Kriminalgeschichte vom Meer und einem alten Mann. Janice Deaner und Susanna Moore halten ihre Geschichten noch geheim, während Alban Nikolai Herbst eine radikale Liebesgeschichte in der Kampfzone geschrieben hat und Annegret Held die Geschichte eines Zimmermädchens auf Langeoog erzählt.
Ob Stewart O'Nan von einer Arbeiterin in einer amerikanischen Zulieferfabrik für U-Boot-Werften im Zweiten Weltkrieg erzählt, Colum McCann von deutschen Seeleuten in Irland oder Nicholas Shakespeare von den Küsten Tasmaniens, alle als Welterstveröffentlichungen in der marebibliothek erscheinenden Bücher lassen sich auf das Abenteuer ein, neue Geschichten vom Meer zu erfinden.

Die Konzeption von Nikolaus Hansen, Verleger des marebuchverlags, und Denis Scheck, Herausgeber der marebibliothek, wendet sich an eine breite Leserschaft und nicht an ein Fachpublikum. Die jährlich sechs bis acht in der marebibliothek erscheinenden Titel ragen nicht nur inhaltlich, sondern auch durch ihre äußere Gestaltung aus der Bücherflut heraus. Ebenso große Sorgfalt wird auf die Qualität der Übersetzungen verwendet, weshalb die Namen der literarischen Übersetzer (wie in anderen europäischen Ländern längst üblich) in der marebibliothek dort stehen, wo sie hingehören: auf dem Umschlag. Zudem ist die marebibliothek offen für sämtliche literarischen Formen. Neben Romanen, Novellen und Erzählungen können auch jene semidokumentarischen Schreibweisen anzutreffen sein, die für die Gegenwartsliteratur mehr und mehr an Reiz gewinnen: sei es die Collage, der literarische Reisebericht, das Tagebuch und nicht zuletzt der klassische Essay - und so gibt es naturgemäß keinerlei Umfangsbeschränkung für die Texte.



Die Autoren der marebibliothek (Stand Juni 2002):

Louis Begley
Janice Deaner
John von Düffel
Jon Fosse
Robert Gernhardt
Kirsty Gunn
Axel Hacke
Annegret Held
Gregor Hens
Alban Nikolai Herbst
Thomas Hettche
Rolf Hochhuth
Felicitas Hoppe
Björn Larsson
Colum McCann
Susanna Moore
Sten Nadolny
Stewart O'Nan
Peter Rühmkorf
Nicholas Shakespeare
Hanan al-Shaykh
Antje Rávic Strubel
Uwe Timm
Dragan Velikic
William T. Vollmann
David Foster Wallace
Julia Whitty
Ulrich Wickert


Der Herausgeber

Denis Scheck, geboren 1964 in Stuttgart, lebt in Köln. Studium der Germanistik, Zeitgeschichte und Politikwissenschaft in Tübingen, Düsseldorf und Dallas. Arbeitete als literarischer Agent, Übersetzer und freier Kritiker, seit 1997 Literaturredakteur im Deutschlandfunk. Journalistenpreis des Deutschen Anglistentages 2000. Übersetzungen Englisch schreibender Autoren, u.a. Michael Chabon, Ruth Rendell, Robert Stone, Michael o­ndaatje, Herausgabe mehrerer Lyrikanthologien, zuletzt Erzählungen von David Foster Wallace "Kleines Mädchen mit komischen Haaren" (Kiepenheuer & Witsch, 2001). Seit 2000 Mitglied der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises.


Der Verleger

Nikolaus Hansen, geboren 1951, lebt in Hamburg. Nach einer zweijährigen Weltumsegelung Studium der Philosophie, Anglistik und Geschichte in Konstanz und Hamburg. Arbeitete als Übersetzer, wurde dann verlegerischer Geschäftsführer zunächst des Weismann Verlags (heute Antje Kunstmann Verlag), dann des Verlags Rogner & Bernhard und später des Rowohlt Verlags. Seit 2001 Verleger des neu gegründeten marebuchverlags.


Der Verlag

Das Programm des marebuchverlags - 15 bis 20 Titel pro Jahr - umfaßt neben der Belletristik verschiedene Formen des Sachbuchs (Kulturgeschichte, populäre Wissenschaft, Biographie, Reise, Entdeckung, Abenteuer), wobei es darum geht, das Meer in seiner konkreten, aber auch in seiner symbolischen und metaphorischen, seiner mythischen und mythologischen, seiner historischen und nicht zuletzt auch seiner ökologischen Bedeutung für die Erde und den Menschen in den Blick des Lesers zu rücken.
Derselbe Geist von Faszination und Respekt, von Verständnisinteresse, aber auch von Sehnsucht und Sympathie, mit dem sich die preisgekrönte Zeitschrift mare (seit 1997, 2001 zum Lead Magazine Deutschlands gewählt) und die Fernsehsendung mare TV seit dem Jahr 2000 in Heften und Sendungen dem Meer widmen, findet nun also im Buch seine Entsprechung.
Die marebibliothek ist das Kernstück des belletristischen Programms des Verlags, dessen erste Titel im Herbst 2002 erschienen sind.


Anlässlich der Lesung präsentiert Dirk Kirchmann Aspekte seiner Leuchtturmsammlung



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