Landkreis Südwestpfalz / Kreisgalerie Dahn
Charlotte Litzenburger
07.09.03 bis 05.10.03
Charlotte Litzenburger
Charlotte Litzenburger: "Schachnovelle" (2002), Öl auf Leinwand, 70 x 70 cm

Einführung von Clemens Jöckle

"Grafik und Malerei zu Themen aus der Literatur"

Charlotte Litzenburger baut mit ihrem reflexiven Ansatz bei räumlichen Durchdringungen, in ihren oftmals vom Figurativen bis zu "Payssage abstraits" vorangetriebenen Farbradierungen eine rätselhafte Spannung von Drinnen und Draußen auf. Sie gestaltet bei ihrer Motivwahl der von literarischen Texten ausgehenden Bildwelt, die bei ihr keine Paraphrase, sondern in sehr wörtlichem Sinn Illustration wird, Erleuchtungen gegenüber den Textvorlagen. Dafür können die Farbradierungen zu Hermann Brochs Novelle, Ein Abend Angst, geschaffen und eingereicht bei dem Wettbewerb zum Otto-Ditscher-Preis, ein gutes Beispiel geben.

"Knäuel der Stimmen - drinnen" und "Im Spiegel - draußen" sind zwei Blätter der vierteiligen Radierungsfolge betitelt, gefolgt von "Rücklaufende Zeit - Innen" und schließlich "Im Spiegel - Reflexion". Bestimmte Zeichen kehren in allen drei Blättern immer wieder, sie sind die bildnerischen Metaphern, durch die der literarischen Vorlage eine adäquate Ausdrucksform gegeben wird:

- das Schachbrettmuster als Boden, schräge Ebene, Wand, geschlossen, angeschnitten oder aufgelöst, je nachdem aus welcher Ebene die Künstlerin ihre literarische Vorlage betrachtet. Damit setzt sie den literarischen Vorgang der unterschiedlichen Erzählperspektiven in die bildnerische Projektion der Betrachtungsebenen fort, die eben nicht mehr Flucht- und Zentralperspektive darstellen. Dennoch ist ein Schachbrett durch seine regelmäßige Rasterung Ordnungsfaktor und vielfältiger Spielort nach festen Regeln.

- Die Spirale als Signet des Geistigen und Metapher einer gedanklichen Durchdringung, zugleich aber auch des Strudelns in gefährlichen Abgründen, manchmal beiläufig wie aus dem Auge geraten, dann wieder bedrohlich nahe und alle anderen Zeichen in seinem Sog erfassend oder klärender Mittelpunkt im Zentrum des Bildes. Zugleich suggeriert die darin enthaltene Bewegung die Spiegelung des Faktors Zeit, der subjektiv ganz unterschiedlich erlebt werden kann, nämlich je nach Relativität als eilende und weilende Zeit. Es ist Sache des Standpunktes, ob die Zeit von draußen, drinnen oder aus der Rückschau erfahren wird. Aber kann überhaupt in diesen Blättern ein Standpunkt gewonnen werden?

- Das deiktische Zeichen der Welle als Verankerung der Bildwelten in dem Novellenstoff.

Die bereits erwähnte Innen- Außen- Spannung durchzieht die drei Blätter, zumal rätselhaft offen bleibt, ob das Drinnen sich als ein gespiegelter Reflex, eine Art trompe l'oeil erweist, die Innenseite von der Außenseite einer Innenwelt bildet und umgekehrt oder wirklich außen ist. Ortlosigkeit und Raumlosigkeit in dem Bildraum schaffen einen eigentümlichen Kontrast zwischen den abstrakten Zeichen und den scheinbar real existierenden Elementen, wie einem Mäuerchen oder einem archaisch umwickelten Weidenzaun, der selbst schon wieder ins Ungegenständliche sich verwandelt. Diese Blätter bleiben so unergründlich offen wie die literarische Vorlage.

Charlotte Litzenburger verwendet auch in den Illustrationen zu Stefan Zweigs Schachnovelle geometrische Quadrate in der aus dem Geist von Neuromantik geschaffenen und von dem gleichzeitigen Bewusstsein des Verfalls der bürgerlichen Kultur geprägten Erzählung "Schachnovelle" von Stefan Zweig (1881-1941). Diesmal nähert sie sich von beim Lesen aufgekommenen subjektiven Ideen her. Dies bedeutet für sie, als Leserin des beginnenden 2. Jahrtausends, das in der Novelle spürbare Rätsel dämonischer Schöpferkräfte aus der bildhaften Gestalt der neuen Medien in ihren Radierungen zu illustrieren. Dies erweist sich als Verfahren, aus der Vorstellung der elektronischen Verdichtung der Form, mit Hilfe der Radierplatte das Rätselhafte dieses Weltbildes zum Bildgegenstand zu machen; der Inhalt der Novelle erhält lediglich einen offenen Hinweischarakter für die Illustrationen. Das unterscheidet ihre Illustrationen zu Zweig von denen zu Hermann Broch, wo das Schachbrettmuster als Betrachtungsebene der literarischen Vorlage diente. Ferner hat bei den Illustrationen zu Zweig das Schachbrett seine Rolle durch die Rasterung als Ordnungsfaktor und vielfältigen Spielort nach festen Regeln verloren. Bei Zweig dominiert das Moment des Zerfalls der Kultur, was er in die Metapher der Spielkultur als Existenzspiel kleidet.

Dafür zitiert Charlotte Litzenburger die digitalisierte Auflösung des menschlichen Gesichtes der Spieler in geometrische Quadrate in der wie ein Schachbrett mit seiner markanten Aufteilung gebildeten Projektionsfläche. Solche Auflösungen sind aus Quizspielen bekannt, wenn das menschliche Antlitz, das zu erraten ist, hinter einem geometrischen Raster versteckt wird und somit Rätsel aufgibt. Doch statt das Gesicht nun plastisch hervortreten zu lassen, damit abbildhaft zu werden und somit eine Auflösung des Rätsels zu bringen, wird der Begriff "Auflösung des Rätsels" plötzlich wörtlich genommen und die Gestalt wie die Projektionsfläche selbst aufgelöst. Entsprechend verbleibt das Rätsel als solches wie das Gesicht verborgen ...





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Charlotte Litzenburger
Charlotte Litzenburger: "Schachnovelle" (2002), Öl auf Leinwand, 70 x 70 cm