Martin Schöneich
000_blank
Rotation, von lateinisch rotatio, bedeutet zunächst ganz allgemein Drehung. Bei Wikipedia lesen wir etwas genauer eine "Rotation" sei die Bewegung eines Punktes oder Körpers auf einer kreisförmigen Bahn um eine Achse.
"Rotation" ist aber auch der markante Titel, den Martin Schöneich für diesen vorzüglich bebilderten Katalog gewählt hat. Der Katalog enthält eine exquisite Auswahl aus seinem Schaffen zwischen 1989 und 2010. Schöneich bezieht "Rotation" unmittelbar auf seine Kunstwerke, denn sie sind latent voller Spannkraft und Dynamik und der Betrachter vermag sie in seiner Vorstellung um ihre imaginierte Achse rotieren zu lassen. Die kompositorisch präzise austarierten Arbeiten entsprechen einer Rationalität, wie wir sie auch im Bereich exakter Wissenschaften antreffen können. Darüber hinaus vermitteln sie große poetische Ausstrahlung und entfalten eine faszinierende ästhetische Qualität.

Die Arbeiten ruhen oft nur auf wenigen Punkten und bekommen dadurch eine Leichtigkeit und Eleganz. Sie berühren den Boden, einem Tänzer vergleichbar, der mit seinen Füßen hier und da auftippt, um gleich wieder schwebend in den freien Raum abzuheben.

Die kleinen wie auch die monumentalen Kunstwerke von Martin Schöneich haben keinen Inhalt im klassischen Sinn. Sie erzählen nichts, sondern sie wirken elementar auf unser sinnliches Empfinden von Gewicht und Gegengewicht, Lasten und Schwingen. Metaphorisch gedeutet, vermögen sie uns Gesetzmäßigkeiten des Lebens vor Augen zu führen, denn in unserem Dasein erleben wir Zeiten der Ruhe sowie Zeiten der Bewegung und des Wandels.

Als ausgeprägte Künstlerpersönlichkeit hat Martin Schöneich seinen Stil gefunden. Eine stetige Reduktion der Formen bestimmt seine konsequente bildhauerische Entwicklung. Ein zentrales Anliegen seiner Kunst ist der Ausdruck der dialektischen Spannung von Ruhe und Bewegung, Rhythmus und Gegenrhythmus. Der erfahrene Bildhauer vermag dies mit den einfachen Mitteln eines raumgeometrischen Formvokabulars außerordentlich überzeugend umzusetzen. Bei der Auswahl konzentriert er sich auf wenige Elemente. Kreissegmente, Kugeln, Kuben, Würfel oder Zylindern werden zu geometrischen Formzeichen, die er in stets neuen Varianten in den realen Raum überträgt. Das charakteristische Merkmal seiner genau kalkulierten Arbeiten ist große kompositorische und formale Klarheit.

Einen besonderen Reiz erhalten die Werke durch die einheitlich bearbeiteten Oberflächen. Hier stört kein wilder Gestus und keine expressive und ungestüme Handschriftlichkeit durchbricht den Eindruck von homogener Glätte.

Bereits als junger Mann nutzt Martin Schöneich seine Begabung zu exaktem Arbeiten in drei Dimensionen, denn er beginnt die berufliche Ausbildung mit einer Lehre als Modellschreiner in Frankenthal. Modelle sind kleine Entwürfe, die später in großem Maßstab ausgeführt werden sollen. Da muss alles stimmen und so erfordert der Modellbau genaue Planung, Vertrautheit mit den Materialien und großes handwerkliches Geschick in der Verwirklichung. Aber Schöneichs beruflichen Ziele sind weiter gesteckt und so wechselt er nach der Gesellenprüfung an eine Bildhauerklasse der Kunstakademie in München. Die im Modellbau erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse dienen ihm als ausgezeichnetes Fundament für die weitere Arbeit. "Wenn ich Modelle baue, dann sind die perfekt", betont der Künstler noch heute.

Schöneichs Werk zeigt in den Anfängen keineswegs die knappen raumgeometrischen Formen, die inzwischen zu seinem Markenzeichen geworden sind. Sein Lehrer in München, Professor Erich Koch, ist ein großer Könner im Bereich der figürlichen Kunst. In seinen Bronzen gelingt dem Plastiker eine moderne, auf das Wesentliche verknappte und zugleich treffende Darstellung von Mensch und Tier. Koch ist ein genauer Naturbeobachter und Schöneich wird sein Meisterschüler. Der Student untersucht in seinen Kleinbronzen die Spezifika der menschlichen Figur. Künstlerische Herausforderungen sind dabei Fragen der Ponderation, der Proportion und des Ausdrucks. Eine gewisse Zeit interessiert ihn das Verhältnis von organischer Figur und Architektur.
Als freischaffender Künstler verlagert Schöneich seinen Schwerpunkt allmählich weg von der Figur und hin zu der reinen Form. Die menschliche Gestalt verschwindet völlig aus seinem Werk und er entwickelt den bis in die Gegenwart gültigen Stil.

Wie der Katalog an treffenden Beispielen einprägsam vor Augen führt, verwendet Martin Schöneich vielfältige Techniken und Materialien. Er kombiniert Stahl mit Sandstein und ist als Bildhauer bei der Arbeit am Stein ebenso versiert wie mit dem Schweißgerät. Schöneich ist damit auf der Höhe der Zeit, denn die Verbindung unterschiedlicher Materialien ist ein zentrales Merkmal in der gegenwärtigen dreidimensionalen Kunst.

In seinen kleinformatigen Arbeiten kombiniert er manchmal Holz mit Stahl. Meist bestehen diese jedoch ganz aus Holz. Nach einem vorgegebenen Entwurf drechselt Schöneich sorgsam die einzelnen Elemente und baut sie anschließend zusammen. "Wenn ich das Holz belasse, bleibt es sehr unruhig - aber es soll ganz gleichmäßig und einheitlich aussehen", erklärt er sein Vorgehen. Und deshalb besprüht der Künstler seine Werke mit Farbe, wodurch sich die Teile endgültig zu einem homogenen Ganzen fügen. Beim farbigen Fassen der Oberflächen beschränkt er sich im Wesentlichen auf das Rot und das Schwarz. Die roten Kleinformate leuchten vital und beanspruchen selbstbewusst ihren Raum. Dagegen wirken die in mattem Schwarz gefassten Werke eher klassisch und zurückhaltend vornehm.

Schon seit etwa zwölf Jahren entwickelt Martin Schöneich seine Modellentwürfe am Computer. Auf Papier entstehen erste Ideenskizzen: "Da erfinde ich", erläutert er den Beginn eines Werkprozesses. Und mit Hilfe eines 3D Programmes baut er schließlich die virtuellen Kunstwerke zusammen. Er dreht und wendet sie am Bildschirm und prüft ihre Präsenz von allen Seiten ganz so, als ober er sie bereits als fertige Objekte in den Händen hielte. Zu allen Epochen und Zeiten haben Künstler die neuesten technischen Möglichkeiten verwendet und damit die Kunstgeschichte immer wieder vorangetrieben und bereichert. Dies ist auch aktuell eine vielgeübte Praxis.
Bereits die virtuellen Entwürfe von Martin Schöneich zeigen seine charakteristischen Formen aus der vielgestaltigen Welt der konstruktiven Kunst. "Konstruktiv" meint hier aber keineswegs ein steriles mathematisches Konstrukt. Denn während der Entwurfsphase spielt für Schöneich die Intuition eine wesentliche Rolle und die spontane Eingebung ist maßgeblich für die Gestaltung verantwortlich. Sein Oeuvre ist somit ein ausgezeichnetes Beispiel für die gelungene Verbindung von planendem Intellekt und subjektivem künstlerischem Empfinden.
In der Grafik nutzt Martin Schöneich den Formenschatz seiner dreidimensionalen Kunst, den er mittels mehrerer Druckstöcke in die Fläche überträgt. Auch hier erkennen wir augenfällig das dialektische Anliegen des Künstlers: Rundes kontrastiert mit Kanten und Winkeln, einander entgegen gesetzte Partien erzeugen Spannung, sich ergänzende schaffen Harmonien.

Die konstruktiven Formen lassen uns an die strukturierte Welt der Technik und der Maschinen denken, bilden sie aber keineswegs direkt ab. Als Material für die Druckstöcke verwendet der Künstler gemasertes Holz oder glattes Linoleum, experimentiert mit Holzplatten, die bereits mit einer Lackschicht versehen sind. Martin Schöneich erläutert dazu: "Das Herausschneiden hat etwas ausgesprochen Bildhauerisches - die Arbeit bleibt in der Fläche, aber du denkst dabei anders."
Beim Betrachten der kraftvollen Drucke spürt man die gestalterische Handschrift eines Künstlers, der dreidimensionales Arbeiten gewohnt ist. Es ist Bildhauergrafik par exellence, denn - obwohl flächengebunden - hat sie ungemein plastische Qualitäten.

Dr. Barbara Clemens
Ausstellungskatalog zur Ausstellung "Rotation" im Kunsthaus Frankenthal, 2010