Irmgard Weber und Matthias Strugalla: "Beziehungsebenen Natur-Mensch" - Malerei, Zeichnung
07.04.24 bis 05.05.24
Dahn, Kreisgalerie Dahn
Landkreis Südwestpfalz | Zeitgenössische Kunst


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Erinnerte Landschaften: Irmgard Weber im Porträt
28.05.23 | SWR Kultur ∙ SWR

[Link zum Video in der SWR/ARD Mediatheck]

Video verfügbar bis 25.05.24 | 16:44 Uhr

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Anderswo - Malerei
Städtische Galerie Kloster Karthaus im Oktober 2014
Einführung von Matthias Strugalla

Sehnsuchtsorte - wer kennt sie nicht? Die Akropolis besichtigen, den Kilimandscharo besteigen oder auf den Spuren der Maler August Macke und Paul Klee einen orientalischen Basar durchstreifen. Nicht, dass sie das nicht auch manchmal gerne tun würde. Aber viel weniger spektakulär, weniger turbulent und vor allem wesentlich einsamer gestalten sich die Visionen von Irmgard Weber.

Ihre Wunschvorstellungen, die Wunschvorstellungen der Malerin, entzünden sich an der Farbe, nicht an den abstrakten Orten. Das sind dennoch die Farben der realen Landschaften, die gedachten Farben der Länder. Zunächst als Projektion, dann als Obsession. Skandinavien ist hier eines der Schlüsselwörter.
Damit einhergehend auch Veränderungen in den Bildern, zum Beispiel das sich ein wenig Wegbewegen von den oft ausschließlich vorherrschenden Grüntönen der letzten Jahre hin zu neuen komplexeren Farbklängen und wieder ein realistischerer Umgang mit den Strukturen und Motiven der Natur. Beides, Farben und Formen der Natur, sie sind ihr wohl tief drinnen eingebrannt seit ihrer Kindheit.
Erst Norwegen also mit dem beeindruckenden Oslofjord und dem menschenleeren Hinterland Mittelnorwegens. Dann Island, und zwischendurch immer noch das Mittelmeer mit der Provence und Mallorca, wie schon seit vielen Jahren. Aber nichts vermochte tatsächlich intensivere Farbströme zu entfesseln wie die stillen, vegetationslosen, zivilisationsfernen, kargen und widerständigen Landschaften Islands in den vergangenen zwei Jahren.

Eine ganze Kaskade von Blau-, Grau-, Lila-, Blauweiß-, Gelb-Tönen, so wuchtig wie der Gullfoss (einer der größten Wasserfälle Europas), ergießt sich über die Leinwände. Oder die schwarzblauen Basaltkegel, die mitten im leuchtenden Grün der von Flechten und Moosen belegten Schotterhängen sitzen.
Dazwischen manchmal versteckt die weißen Schneefelder oder die mächtigen Gletscherzungen, die in der Realität so unwirklich erscheinen, weil sie in Proportion und Dimension jeden vergleichenden Maßstab sprengen. (Immerhin besitzt Island die drittgrößte Gletscherfläche der Erde mit einer Stärke von durchschnittlich 600 bis 900 Metern.)
So entstanden zahllose kleinformatige Leinwände und Aquarelle (hier als Reihe im Kabinett nebenan) vor Ort südöstlich des Vatnajökull und in Landmannalaugar, gerade noch unterzubringen im Rollkoffer für den Rückflug. Und später im Atelier dann die größeren Formate wie "Die Landgängerin" von 2014 und "Landmannalaugar" hinten an der Stirnwand vom letzten Jahr.

Blau und Grün stehen natürlich auch hier für Wasser und Vegetation im imaginierten oder tatsächlich so vorgefundenen wie im Entstehen begriffenen, jungen Land, das so ursprünglich-unschuldig, noch nicht von Zivilisationsmüll und -Kultur geschändet ist. Oder das Schwarz der Basaltberge und Lavafelder, die von roher Naturgewalt aus dem Erdinneren erzählen. Hier gerade zeigt Irmgard Weber, dass Malerei weit mehr ist als bloße Reproduktion von noch so faszinierenden Landschaftseindrücken.
Landschaften haben ihre Geschichte, bergen Geheimnisse, sind umwoben von Mythen und mythologischen Gestalten. In Island leben diese Traditionen auf ganz besondere Weise. Die Anwesenheit der unsichtbaren Trolle ist für die meisten Isländer Fakt, für uns Nicht-Isländer aber durchaus vorstellbar. Und auch die stillen, wortkargen Inselbewohner geben wenig preis von ihren Geheimnissen, bleiben rätselhaft.

Das "Lesen zwischen den Zeilen" beim ganz realen Durchwandern dieser einsamen Landschaften und das "Lesen zwischen den Zeilen" in den danach entstandenen Bildern Irmgard Webers eröffnet so ganz neue Bedeutungsebenen. Äußere und innere Landschaften verschmelzen da und werden zu Sinnbildern von Beständigkeit / Dauer und stetigem Wandel der Natur sowie für die menschliche Existenz. Beides, das Beharrende und das Flüchtige / sich Wandelnde findet sich ja im Erfahrungsschatz eines jeden Menschen und erleichtert das "Lesen" der Bilder. Hier ist der Erfahrungsschatz Antrieb und Motivation der Künstlerin für das immer wieder neue, ästhetisch möglichst gültige Festhalten mit den Mitteln der Malerei auf der Leinwand.
Natur gibt es nicht in einem einzigen Aggregatzustand. Und in der Kunst gibt es nicht nur eine Wahrheit.
"Wanderer, es gibt keine Wege, also: geh!" forderte der Komponist Luigi Nono in seiner von Monteverdi inspirierten Odyssé.

Neugierde und die Bereitschaft sich auf "woanders" einzulassen sind Voraussetzung in noch unbestimmte Richtungen, zu noch nicht klar umrissenen Orten aufzubrechen, um dort vorübergehend sesshaft und tätig zu werden. "Anderswo" fündig und erfinderisch zu werden, das ist wohl die ständige und aufregende Aufgabe des Künstlers.
In den Arbeiten von Irmgard Weber, gleich ob in den südlich-anderswo inspirierten Bildern (wie hier gleich gegenüber dem Eingang mit "Sommerland" von 2012) oder in denen aus dem Norden (die meisten der ausgestellten Arbeiten) oder in denen, die in der Eifel oder im Pfälzer Wald entstanden sind, in all ihren Arbeiten finden wir nicht oberflächlich diese anderen Orte, nur weil sie "anderswo" gemalt wurden oder "anderswo" spielen.

Bei aller Beharrlichkeit in der Anwendung ihrer stilistischen und handwerklichen Mittel, Weber konfrontiert uns mit jedem ihrer Bilder mit einer eigenen, energetisch hoch aufgeladenen und so noch nicht wahrgenommenen Welt. Eine Welt, in der unerwartet geheimnisvolle Figuren wie unbestimmte, ferne Erinnerungen auftauchen - menschliche Figuren oder Pflanzenfiguren. Und die voller atmosphärischer und inhaltlicher Zwischentöne ist.
"Zwischen den Zeilen lesen" oder sich einfach von der Wucht der Farben entführen lassen, das wünsche ich Ihnen jetzt.