Kunstverein Germersheim / Zeughaus Germersheim
"Bildzitat"
Gloria del Mazo, Silvia Christina Händel, Beate Kuhn und Veronika Olma
04.09.04 bis 26.09.04
Bildzitat
Beate Kuhn: "Moostierchentetracoralla" (2001), Eitempera auf Leinwand

Sylvia Christina Händel

Sylvia Christina Händels Arbeiten könnte man als Papierobjekte, Papierreliefs oder auch Papiermosaike bezeichnen. Sie sind ihrem formalen Charakter nach äußerst ungewöhnlich: geometrisch gefaltete Papiere, bedruckt mit dem Schwarz-Weiß-Kopierer, gefärbt mit Pastellkreiden und zu Bildteppichen und meterlangen Wand-Friesen zusammengefügt, erwecken sie im Betrachter beispielsweise Assoziationen von "Jungfernhauben, weißen Kreuzen und gleichzeitig auch Blütenformen".

Die Künstlerin arbeitet im Spannungsfeld von Figur und Umraum. Sie konfrontiert das menschliche Porträt mit geometrischen Elementen, fragmentiert es und agiert psychologisch subtil, indem sie in Gegensätzen nach Verwandtschaften fahndet. Ihre Subjekte findet sie unter archetypischen Darstellungen aus der Kunstgeschichte, Werbewelt und dem Alltag, wie z.B. die Mutter, Gefährtin, Muse, der Soldat etc. Ihre Porträt-Fragmente zeigen u.a. Dinge des täglichen Gebrauchs wie das Automobil, welches sie in süffisanter Weise mit dem menschlichen Körper kombiniert und in Titeln wie "Ich - Automobil" pointiert.

Papier ist das Äquivalent zu Haut. "Papier spürt sich für mich wie Haut an. Es ist äußerst empfindlich in Bezug auf Feuchtigkeit, Wasser, Hitze, Licht und Pigment. Und Haut umkleidet jeden einzelnen von uns, ist die Hülle der eigenen Identität, ist die körperliche Grenze zwischen Innen und Außen" (Sylvia Christina Händel).


Gloria del Mazo

Gloria del Mazo hat eine Reihe von Verpackungslabels für bekannte, auch traditionsreiche Parfums mit akribischer Exaktheit auf die Leinwand übertragen. Ihnen zur Seite stellt sie die Reproduktionen berühmter Frauengestalten der Kunstgeschichte, eine "Odaliske" von Ingres oder die "Leda" von Leonardo da Vinci. Die auf die Leinwand oder auf Holztafeln projizierten Fotokopien der Bildvorlagen sind meist ruppig übermalt, sodass sie nur schemenhaft unter Farbschlieren, Streifen und Blasen hervortreten. Die Übermalung übernimmt Elemente der Parfumverpackung, variiert sie und übersetzt sie in tachistisch aufgelockerte Strukturen.

Die dargestellten Frauen verkörpern, in unterschiedlicher Erscheinung und dem modischen Zeitgeschmack angepasst, den Typus der antiken Göttin Venus. Sinn und Ziel ihrer Existenz ist es, das Idealbild einer makellosen Schönheit zu erfüllen, die verführerisch und gefährlich ist, weil sie den unvollkommenen, nach Erfüllung strebenden Menschen um Urteilskraft und Verstand bringen kann. Zugleich bedeutet sie eine Herausforderung an den Künstler, ihr Bild in ebensolcher Makellosigkeit wiederzugeben.

Subtil spielt Gloria del Mazo mit den standardisierten Abziehbilder einstiger und gegenwärtiger Schönheitsnormen. Die Konfrontation der Idole erfolgt ironisch ambivalent zwischen den Polen von individueller Malerei und technoider Reproduktion. Zu behaupten, dass Gloria del Mazo eine kämpferische Aussage zum ewigweiblichen Problem der Anpassung und gesellschaftlich indoktrinierten Unterwerfung trifft, wäre jedoch verfehlt. Ihre Botschaft ist ungleich gelassener und in der schmeichelnden Sinnlichkeit der Bildzitate fast ein wenig subversiv (Beatrix Nobis).


Beate Kuhn

Beate Kuhns neue Bilder sind Teil eines künstlerischen Prozesses, der sich entlang der Versinnlichung des Geistigen entwickelt. Was sie mit ihren früheren Installationen (etwa im Projekt "Hafermagazin", Landau 1997) begann, nimmt seine Fortsetzung nun in der zweidimensionalen Fläche des Bildes.

In den jüngsten Arbeiten finden sich inmitten flächig strukturierter Farbräume immer wieder nahezu abstrakt erscheinende, dennoch deutlich erkennbare Natur- bzw. Pflanzenformen. Die stilisierten naturalistischen Elemente wirken wie monumentale Fremdkörper in einer malerisch aufgebauten Umgebung, die weitgehend durch lasierend aufgetragene Farbschichten vertikal und horizontal organisiert wird.

Der Begriff "Urform" oder auch "Zeichen" stellt sich ein - denn nicht üppig wucherndes Wachstum, sondern reduzierte, dennoch organische Beschaffenheit prägt die stilisierten Anklänge an die berühmten Pflanzenfotografien eines Karl Blossfeld oder Erich Häckel. In "Dutch Rushpiece" etwa verleiht der obere Teil eines seitlich leicht angeschnittenen Schachtelhalms am linken Bildrand der Arbeit einen beinahe surrealen Charakter durch die ungewohnte Nahsicht eines in der Natur nur wenige Zentimeter hohen Pflanzenstengels.

Der überraschende Anblick des aus einer dünnen, senkrechten Grundform stockwerkartig aufgebauten Halms macht zugleich das konstruktive Prinzip der Naturform bewusst, das sich in der ebenfalls vertikal angelegten Abfolge der Farbfelder des übrigen Bildes fortsetzt. Dieses wie auch weitere illusionistisch gemalte Zitate nach der Natur heben sich ab von ihrer Umgebung aus sich überlagernden, partiell transparenten Farbflächen, die eine eigene Tiefenwirkung entfalten durch die Art und Weise, wie Beate Kuhn mit der Farbe umgeht. So malt sie auf die Leinwand mit teilweise in Wachs gelösten Pigmenten. Diese Technik, die gleichberechtigt neben dem Einsatz von Temperafarben steht, verleiht den Arbeiten einen ganz besonderen Oberflächenreiz, der sich aus dem Wechsel von lichtabsorbierenden, stumpfen Partien und durchschimmernden, tiefer gelegenen Farbschichten ergibt.

Auch in ihren kleinformatigen Bildern spielt das Verhältnis von Naturform und Abstraktion eine wesentliche Rolle. Hier erzielt die Malerin durch den Einsatz verschiedener Stempel ornamentale Wirkungen, indem sie die Farbe mit vorgefertigten oder selbstgeschnittenen Stempeln musterartig in Spiralen oder Reihen, zentriert oder gleichmäßig über den andersfarbigen Bildgrund verteilt. Manche Stempelformen erweisen sich dabei als lesbare Zeichen, so erscheinen in einigen Bildern z.B. Ziffern ornamenthaft in die Fläche gesetzt. Besonders auffallend ist die horizontal eingefügte Acht, die zugleich das Symbol für Unendlichkeit bildet und damit als Form und Idee die denkbare, ebenso unendliche Wiederholung berührt, die dem Ornament als gestalterischem Prinzip innewohnt.

Das Spiel der Muster, in das auch einzelne Worte miteinbezogen sein können, wird noch gesteigert, wenn der Bildgrund seinerseits ein erst auf den zweiten Blick erkennbares, eigenes "Muster" freigibt: Beate Kuhn verwendet in einigen Bildern Landkartenausschnitte, deren grafische Gestaltung aus verschiedenfarbigen Linien, Kreisen und Zeichen die Wirklichkeit einer Landschaft mit Straßen, Flüssen und Orten in ein abstraktes Orientierungssystem übersetzt. Die malerische Bearbeitung des Kartenmaterials, durch die der spezifisch ornamenthafte Aspekt der topografischen Abstraktion sinnfällig wird, umschließt zugleich die Möglichkeit einer ästhetisch aufgehobenen, persönlichen Erinnerung an die reale Landschaft, die durch die Karte zeichenhaft verkürzt wird.

Das Miteinander aus reinen Ornamenten, sinnhaften Zeichen und formal abstrakter Farbfeldmalerei zielt auf eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Möglichkeiten der Abstraktion, die sich immer wieder aus dekorativen Funktionen, wie sie im Ornament zweifellos vorhanden sind, zu lösen vermag, um stattdessen autonomen Ausdruckscharakter zu erlangen. Die Ansätze zu dieser Auseinandersetzung liegen bekanntlich am Beginn des 20. Jahrhunderts, doch hat die Fragestellung als künstlerisches Problem bis heute nichts von ihrer Bedeutung verloren (Dr. Dorothee Höfert, Kunsthistorikerin (Karlsruhe)).


Veronika Olma

[...] Im malerischen Werk der letzten acht Jahre verfeinert Veronika Olma den Dialog zwischen Bild und Betrachter in hintersinniger Weise mittels Bild-Zitaten, deren Herkunft der in Kunst- und Kulturgeschichte Bewanderte unschwer erkennen mag. Die Irritation des Bekannten ist genauso beabsichtigt wie das Überraschungsmoment der neuen Kombinationen sowie deren Rätselhaftigkeit.

[...] Seit Adam und Eva gleicht die Beziehung zwischen den Geschlechtern einem Balanceakt, dem Veronika Olma mit künstlerischer Inspiration und wachsamer Zuversicht begegnet. Vielfältige Auseinandersetzungen mit den Errungenschaften unserer Zivilisation, mit Kunst und Alltag und zwischenmenschlichen Befindlichkeiten sind spielerisch intendiert. Wege zur Entschlüsselung werden aktiviert, keinesfalls vorgeschrieben, Neugierde regt sich. (Dr. Susanne Liehr, Berlin, Auszug aus Katalogvorwort)

Einführung von Dr. Matthias Brück

Zitate haben es nicht leicht. Sie werden gebraucht, missbraucht, oft aus dem Zusammenhang gerissen oder ihre Quelle wird verschwiegen. Gerade bei politischen oder Vernissage-Reden dienen sie vornehmlich der Absicherung beziehungsweise der Vereinnahmung eines originalen Denkens. Sie kennen diese bedeutenden Floskeln: Hier stimme ich dem jungen Picasso zu - oder: schon Cézanne hatte damals Recht.

Das Zitat als ausgebeutete Fundgrube für Denkfaule! Dabei kann der richtige Umgang mit Zitaten zu einer faszinierenden Bereicherung führen. Möglicherweise werden sie ja zum Ausgangspunkt einer eigenen kreativen Entwicklung. Möglicherweise eröffnen sie eine indirekte Kommunikation über die Zeiten hinweg. Das kann sich zur kritischen Aneignung, zur ästhetischen Überhöhung wie zur sinnvollen Auseinandersetzung entwickeln - wobei das Ganze schließlich mehr ist als die Summe seiner zitierten Teile.

Die heutige Ausstellung mit Exponaten von Sylvia Händel, Beate Kuhn, Gloria del Mazo und Veronika Olma ist demnach mehr als ein beliebiges Aufgreifen von gewesenem und gegenwärtigem Kunstschaffenden. Vielleicht kommen Sie nach dem Betrachten zu dem etwas kühnen Schluss, die gesamte Welt sei ein einziges Zitat.

Nun, man könnte glauben, unsere Vorstellungen, Wünsche, und Hoffnungen seien im Reich der Düfte bestens repräsentiert. Genügen doch - wenn man der Werbung vertrauen darf - nur ein paar Tropfen jener edlen Wässerchen, um sich jenen Idealen zu nähern, von denen man eigentlich weiß, dass man sie doch nie auch nur annähernd erreichen wird. Dennoch: Gloria del Mazo spielt mit der Scheinwelt vieler internationaler Parfum-Hersteller, indem sie deren Hochglanz-Original-Verpackungen akribisch kopiert - und jenen zum Klischee gewordenen Flair von Sinnlichkeit, Verführung wie makelloser Schönheit zusätzlich überzeitlich erhöht.

Werden doch plötzlich Idealfiguren aus der Kunstgeschichte zu Garanten des Unerfüllbaren, werden für etwas in Anspruch genommen, für das sie wohl nie "den Kopf hingehalten" hätten. Das einstige individuelle "Unikat" floriert als Signum einer Massenindustrie, als millionenfaches Zitat - und zitiert per Duft sogar die "Anwenderin", selbst wenn sie längst verschwunden ist.

Allerdings verschreibt sich Gloria del Mazo damit nicht einer platten Konsum- und Werbe-Kritik. Sie entlarvt elegant das Diktat und die Manipulation der Duftwässerchen-Gurus und die daraus eigentlich doch selbstverschuldete Abhängigkeit der Anwenderinnen - auch Männer tappen zunehmend in diese "wohlriechenden" Fallen. Doch die jeweiligen Exponate dieser Künstlerin verlagern die angedeuteten Inhalte gleichzeitig raffiniert-subversiv auf eine Ebene ästhetischer Distanz! Das je Zitierte wird zum faszinierenden Original.

Veronika Olma dokumentiert auf höchst eigene, hintergründige Weise die Kommunikation des Zitates, des Bildzitates zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Da verbinden sich beispielsweise Dürers wohlbekannter "Adam und Eva"-Kupferstich mit aktuellen Themen quer durch die Zeit. Da mag das erste Menschenpaar sich gerade noch vor dem Verrührt-Werden schützen, wenn ein aus der Unterwelt drohender Quirl ihre einzigartige Existenz, ihre Individualität anonym manipulatorisch möglicherweise in einem Gen-Pool auflösen möchte.

Da sorgen nicht nur - wie häufig - Stilgegensätze für eine anhaltende kompositorische Spannung, nein, da treffen gänzlich unterschiedliche Inhaltsebenen aufeinander, deren Verbindung eigentlich erst über eine ironische Brücke stattfinden kann.

Vom Titel her "Adam und Eva - Wir bauen uns ein Häuschen" mag man erheitert an ein "Wüstenrot"-Zitat denken. Doch sogleich schiebt sich mit dem konventionell-korrekt gekleideten Pärchen ein ganz anderer Aspekt in die Interpretation: Das auf Linienfragmente reduzierte "Traumhaus" mutiert zum Sehnsuchtssymbol für Schutz, Geborgenheit und erhoffte Normalität. Und wenn sich anderswo Adam und Eva trotz schwarzer Balken politisch korrekt ihrer Nacktheit schämen, wenn sie fast geschlechtslos mit der Raumsonde "Pioneer 10" durch die unendliche Weite des Raumes treiben, um mögliche Aliens von der Harmlosigkeit der Menschen zu überzeugen, dann mag man sich zwischendurch erinnern, wie schön und absichtsvoll man auch falsch zitieren kann. Bei Veronika Olma wird auch diese Praxis genial-provokativ richtig gestellt, richtig zitiert.

Noch vor knapp 100 Jahren hätte man Beate Kuhn möglicherweise ins Gefängnis gesteckt. Denn damals veröffentlichte der radikale Purist Adolf Loos seine berüchtigte Schrift "Ornament ist Verbrechen". Vielleicht hätte ihn diese Künstlerin eines Besseren belehren können, denn ihr Verständnis des Ornamentalen verschreibt sich nicht dem Gedanken des Schmückens, des ausufernden Ergänzens. Die mit selbstgeschnittenen Stempeln musterartig in Reihen oder Spiralen aufgetragenen Formen werden zu einer bewegungslosen, zeitlosen Sphäre.

In flächig-strukturierten Farbräumen, in denen sich immer wieder nahezu abstrakt erscheinende Natur- und Pflanzenformen manifestieren, mögen von einer gleitenden Versinnlichung einzelner Urformen sprechen. Verweisende Formen einer indirekt anwesenden Natur steigern sich zu Zitaten ewiger Ideen. Platon hätte wohl zustimmend genickt. Und wenn Sie später einmal in die kleinen Kästchen schauen, werden Sie erstaunt die konservierende Möglichkeit des Zitierens entdecken: "Drei Minuten ihrer Lebenszeit".

Sylvia Händel ist immer wieder auf der Suche nach Identitäten in einer Zeit digitaler Entwürfe und konsum-orientierter Vervielfältigungen. Grundlage ihrer Arbeiten bilden Schwarz-Weiß-Kopien von historischen Werken und eigenen Fotografien, die durch Farbgebung und Faltung zu installierten Reliefs beziehungsweise zu dicht gestaffelten, papierenen Origami-Skulpturen werden können.

Eigentlich haben diese Exponate eine Reihe von Zitat-Stadien durchlaufen: Originale (häufig archetypische Darstellungen aus der Kunstgeschichte oder Alltags-Momente), dann die Kopien in unterschiedlicher Ausführung bis hin zu der jeweiligen Segmentierung und Installation. Das mag indirekt schon auf ein fortschreitendes Generieren von Scheinwelten verweisen, führt jedoch noch einen Schritt weiter, wenn diese Künstlerin in den Exponaten "Multiplicity" zitierte Abbildungen renommierter Personen als Ersatzformen eigener Existenz entlarvt.

Das Zitat gewinnt bei Sylvia Händel so eine doppelte Funktion: einmal dokumentiert es eine Bedeutungslinie quer durch die Zeit, zum anderen wird es zum Lieferant multipler Existenzmodelle ohne Gewähr - Zitieren als philosophische Daseins-Interpretation.

Links:
Olma Veronika (Rubrik KÃœNSTLER)
Bildzitat
Gloria del Mazo: "La poudre libre" (1996), Fotokopie, Acryl, Öl auf Leinwand
Bildzitat
Sylvia Christina Händel: "Diagonale Dialoge" (1999), Papierrelief auf Leinwand
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Veronika Olma: "Ein Nashorn betrachtet die Welt" (1998), Eitempera auf Leinwand



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