Kunstverein Germersheim / Zeughaus Germersheim
"Linie - Fläche - Raum"
Mit Karl-Heinz Bogner, Franziska Schemel und Rolf Urban
19.09.09 bis 11.10.09

Karl-Heinz Bogner

Der Stuttgarter Künstler Karl-Heinz Bogner bewegt sich im Grenzgebiet von Malerei, Skulptur und Architektur. Er bezieht sich in seinen Arbeiten auf Architektur, die er als Ausdrucksträger versteht und deren Formenvokabular er benutzt. Dabei geht er von der persönlichen Erfahrung mit Architektur sowie ihrem raum- und formbildenden Potential aus. Seine hierbei verwendeten Instrumente seiner künstlerischen Arbeit sind neben Zeichnung und Modell auch die Malerei. In seinen Objekten, die den Charakter von Architekturmodellen besitzen, setzt er sich mit verschiedenen Raumthemen, wie zum Beispiel "Rückzugsraum", "Schutzraum" oder "Zwischenraum" auseinander. Der Einfluss der Architektur ist in seiner Malerei spürbar, in der Formelemente auftauchen, die entfernt an Konstruktionen oder Gebäudefragmente erinnern.

Karl-Heinz Bogner studierte von 1989 bis 1995 Architektur und Design an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Er lebt und arbeitet als freischaffender Künstler in Stuttgart. Die in der Ausstellung zu sehenden Arbeiten umfassen Architekturobjekte, Einzelzeichnungen und Zeichnungsblöcke.


Franziska Schemel

Franziska Schemel beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit Themen des modernen Alltags, insbesondere im Lebensraum Stadt. Kennzeichnend für ihre Arbeiten ist die klare und reduzierte formale Gestaltung. Die Umsetzung dieser Themen ist frei und abstrakt gehalten. Die Werke sind sehr konzentriert und dicht angelegt. Das weckt Assoziationen an die architektonische Formensprache der Moderne.

Franziska Schemel verwendet verschiedenste Techniken und Materialien wie z.B. Acryl, Pigment, Graphit, Sand, Steinmehle, Rost, Metall und kombiniert sie mit eigenen Fotografien. Durch ihre individuelle Symbolik erinnern ihre Arbeiten an bestimmte Seheindrücke und Alltagserfahrungen - das gibt ihnen zusätzliche Ausdruckskraft. Im Jahre 1990 absolvierte Franziska Schemel das Studium für Malerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Sie arbeitet seitdem als freischaffende Künstlerin in Karlsruhe. Neben mehreren Kunstpreisen und Stipendien, u.a. für Freudenstadt und Barcelona, wurden ihre Werke auf zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen und Kunstmessen gezeigt.


Rolf Urban

Rolf Urban führt mit seinen Arbeiten auf subtile Weise physiologische Mechanismen des Sehens vor, indem er beim Betrachter das bewußte Wahrnehmen, die Aufmerksamkeit für räumliche Gegebenheiten fördert, die wie selbstverständlich in Erkenntnisse über den Raum umgewandelt werden können. Indem die Perspektive ihrer Täuschungsabsicht entkleidet und bewusst auf sie verzichtet wird, bleiben formale Fakten, bildliche Konstanten - in der Reduktion auf Linien und Flächen - bestehen, die mehr Aufschluß über die Art und Weise des Sehens geben als dies möglicherweise umfangreiche Untersuchungen zu leisten imstande sind.
(Dr. Eva-Marina Froitzheim, Stuttgart)


Einführung von Dr. Sabine Heilig

Schon einmal bin ich hier im Zeughaus von Germersheim gestanden und habe eine Ausstellung eröffnet. Es ist kaum zu glauben, aber das war vor 10 Jahren. Zu sehen war damals zeitgenössische Druckgrafik, Radierungen, von Eberhard Brügel, Jaroslav Kovar (leider verstorben), Herbert Maier und Katharina Neunzig-Schwind (sie ist übrigens dieses Jahr 80 Jahre alt geworden). Sicherlich kann sich der ein oder andere von Ihnen an diese Ausstellung erinnern. Meistens sind es wie auch immer geartete Gemeinsamkeiten der Ausstellungsteilnehmer, die zu einer Ausstellung führen, das ist hier im Kunstverein Germersheim sicher nicht anders als bei uns in Nördlingen. Bei der erwähnten Radierkunst war es das gemeinsame Medium, heute ist weder dieselbe Technik, noch Gattung, sondern es ist eine Wesensverwandtschaft anderer Art, die dieses Trio zusammengebracht hat.

Bei der Vorbereitung zu meiner Rede fiel mir auf, dass in Texten zur Kunst der drei ausstellenden Künstler immer wieder der Begriff der Architektur zur Sprache kommt: "Interesse an räumlichen Verhältnissen" und an "städtischen Raumstrukturen" heißt es über Rolf Urbans Werk; Bogner "bezieht sich auf Architektur" bzw. er "nutzt die Gebärden der architektonischen Form". Franziska Schemel gestaltet ein "Architekturbild mit Figur", darin sind "festgehaltene Architekturmomente" zu finden. Und im Germersheimer Ausstellungstitel "Linie - Fläche - Raum", mit dem diese Ausstellung von Karl-Heinz Bogner, Franziska Schemel und Rolf Urban vorgestellt wird, werden gestalterische Begriffe genannt, die sowohl in der Bildenden Kunst eine wichtige Funktion haben, wie auch als zentrale Architekturelemente von Bedeutung sind.

Greifen wir den letzten Begriff des Titels auf: der "Raum", das ist zunächst eine reale, messbare, physikalische Größe. Raum ist "der alleinige Träger der Realität", sagt Albert Einstein (Raumtheorien, 2006, S. 40), "weil alle anderen physikalischen Größen wie Zeit oder Materie für ihn Bestimmungsmomente ... sind." Und an anderer Stelle heißt es über den Raum: "Ich kann Körper durch sinnliche Merkmale wiedererkennen, ohne sie bereits räumlich zu erfassen. (...) Also: ohne Körperbegriff kein Begriff räumlicher Relationen zwischen Körpern und ohne den Begriff der räumlichen Relation kein Raumbegriff" (S. 94). Diese Auszüge aus Einsteins Raumtheorie beschreibt ganz gut, was auch auf das Werk der drei ausstellenden Künstler zutrifft. Es geht, allgemein gesagt, in ihren Werken um die räumliche Relation von Körpern und dem damit verbundenen Raumbegriff.

Karl-Heinz Bogner hat Architektur und Design an der Akademie in Stuttgart studiert, mit dem Diplom in Architektur abgeschlossen, aber schon immer freiberuflich als Künstler gearbeitet. Man spürt diese Herkunft natürlich auch in den Objekten, nicht nur in der Zeichnung. Die exakt austarierten Kompositionen, die Präzision seiner Arbeitsweise und die feine Ästhetik der Formensprache verraten einen geübten Blick und die handwerkliche Erfahrung. Man könne seine Objekte so aber nicht bauen, sie seien keine Modelle im verkleinerten Maßstab, wie es in der Architektur üblich ist, betont Bogner. Er gibt ihnen keine Titel, behilft sich selber aber mit Arbeitsbegriffen wie "Hochsitze", "Landschaften", "Plattformen" (gemeint sind die niedrigen, in die Fläche komponierten Werke) oder "Pylonen". Und er arbeitet gerne in Serien, was eine konzentrierte Auseinandersetzung mit einer bestimmten gestalterischen Idee und ihren Möglichkeiten zeigt. Die architektonischen Objekte entstehen aus Holz, Karton, MDF-Platten und schwarzer Acrylfarbe und erhalten im Prozess des Machens ihre Gestalt. Diesem prozesshaften Arbeiten gehen Skizzen und Fotografien städtebaulicher Situationen voraus.

Bogner interessieren vor allem architektonische Ereignisse, die sich noch im Werden oder bereits im Vergehen befinden, also: Baustellen mit Gerüsten, Stützkonstruktionen, versperrte Fenster- und Türöffnungen, offene Dachstühle usw. Er selektiert darüber hinaus das vorgefundene Motiv, in dem er es im Detail aufnimmt, und es so seine Eindeutigkeit verliert. Im Atelier entstehen aus diesen Anregungen ambivalente Konstruktionen, die der Künstler selbst als "Schutz- und Rückzugsräume" beschreibt. Bogner meint dies im übertragenen Sinne, denn wirklichen Schutz kann man in den offenen, provisorisch wirkenden Raumverschachtelungen nicht finden (Serie 2002/03 o.T.). Andere wirken in Teilen hermetischer, erfüllen diese Forderung aber nur scheinbar (dreiteilige Serie, 2006, o.T.). Losgelöst von jeglicher Funktion beziehen sie sich ganz auf sich selbst. In Gruppen aufgestellt wirken sie für mich wie Ideenskizzen, Gedankenfetzen, futuristische Konstruktionen mit fiktionalem Charakter wie z.B. im Bau befindliche Raumstationen. Die schwarze Farbe trägt zu diesem Eindruck bei. "Schwarz gibt dem Werk Schwere, macht es geheimnisvoll", sagt Karl-Heinz Bogner. An der Farbe Schwarz mag es auch liegen, dass manchem Betrachter Bogners Werk martialisch, bedrohlich und unheimlich vorkommt - dies vor allem auch in der Konzentration der Werkgruppen in regelrechten Installationen im Raum. Von Bedeutung sind dem Künstler die Sockelkonstruktionen, die exakt den Werken angepasst werden. Es gibt kompakte weiße Holzsockel und filigrane Stahlstelen und -tische, auf denen die Objekte wie kleine Versuchsanordnungen regelrecht vorgeführt werden. Vor weißen Wänden und hellen Hintergründen zeichnen sich die dreidimensionalen Körper scherenschnitthaft ab und wirken im Kontrast zwischen Flächenform, Linie und Raumkörper wie "gebaute Zeichnungen" (Bogner). Lattengerüsten oder Strebepfeilern gleich, die teilweise wie Antennen in den Raum stoßen, halten dünne Stäbe flache, bretterartige Teile, die sich zu leichten Wänden zusammenfügen. Vieles ist in der Schwebe, wirkt unfertig - wird hier noch weitergebaut? - mag man fragen. Die Zeichnung und seine Malerei (hier in Germersheim nicht ausgestellt) habe sich im Laufe der Zeit den Objekten formal angenähert, vermerkt Karl-Heinz Bogner.

Im Vergleich zu früheren Zeichnungen, in denen der Künstler sehr viel gestischer war (drei frühe Arbeiten von 1997 sind hier zu sehen), weisen die in Mischtechnik auf Papier ausgeführten Arbeiten dieselbe präzise Tektonik in Gestalt und Form auf. Über eine lasierend aufgetragene Acrylfarbe setzt Bogner mit Kohle und Graphitstift prägnante Flächenkörper und Lineaturen im Schwarz-Grau-Spektrum. Die darunter liegenden Flächen bleiben luzid, öffnen den Bildraum und versetzen die ausschnitthaft gesehenen Konstruktionen davor in einen Schwebezustand. Raum meint auch in der Zeichnung von Karl-Heinz Bogner einen Vorstellungsraum, der die freie Interpretation des Betrachters zulässt. Herbert Dellwig hat im Speyerer Katalog festgestellt, dass Karl-Heinz Bogners Werke weder Handlungsräume und noch Tatorte sind, sondern sie treffend als "Chiffren der Existenz" definiert, eine Existenz, die uns auch darüber nachdenken lässt, wie zerbrechlich und endlich dieses Leben ist.

"Way out" ("Ausweg") nennt Franziska Schemel, die an der Akademie in Stuttgart bei Dieter Groß und Erich Mansen studierte, einen ihrer Werkkataloge (2002). Gemeint sind natürlich ihre Bilder, die darin abgebildet sind, diese ungewöhnlichen Werke, die so ganz ohne Vorbilder auszukommen scheinen. Titel besitzen sie nicht, aber die Bezeichnung "ohne Titel" aktiviert ja, wie wir wissen, die Vorstellungskraft des Betrachters. Man kann sie vielleicht am ehesten als "architektonische Bildobjekte" (M. Heck 2002) bezeichnen, ohne jedoch damit ihren malerischen Anteil zu beschreiben. Sie sind vielschichtig in Inhalt und Form. Beginnen wir mit der äußeren Form: Die Malgründe bestehen aus Holz und/oder Leinwand und werden mit Acrylfarbe bemalt, in die Schemel plastische Füllstoffe wie Schiefer- oder Marmormehl, Torferde und Farbpigmente mischt. Die Künstlerin formt durch diese ungewöhnlichen Malmittel unterschiedlich beschaffene, körnige und grobe, weiche und glatte, matte oder glänzende Oberflächen von großer Körperhaftigkeit, die sich bis zur Dreidimensionalität entfalten können. Der Farbauftrag erfolgt in Schichten, und in diesem konstanten, langsamen Prozess entsteht eine Art plastische Haut von organischer Wirkung, die an Stoffe wie Schiefer, Lehm, Rost, Sand, Torf oder Holz erinnert. Hinzu tritt eine klare, ruhige Komposition, in der überwiegend horizontale und vertikale Strukturen den Bildraum gliedern.

In einigen Bildern findet man einen Halbkreis, ein Kreissegment oder die Ellipse (im vorderen Raum!) als dynamisierendes Element im Bild. In diese plastischen, malerischen Oberflächen sind kleinformatige Fotografien hineingesetzt, die auf Aludibond und unter Plexiglas aufgezogen sind. Die Positionierung erfolgt immer in zentralperspektivischer Ausrichtung auf der vertikalen Mittelachse des jeweiligen Bildes. Das Spiel mit der Räumlichkeit beginnt damit, dass Schemel die Fotografie vertieft ins Bild hineinmontiert hat und so real einen Raum im Raum schafft. Die brillanten Fotografien sind von ihr selbst aufgenommen worden. Sie zeigen architektonische Begebenheiten, öffentliche Orte, die einen Durchblick, einen Eingang oder Ausgang z.B. zeigen, Treppenaufgänge oder Gebäudeschluchten. Mal sind es menschenleere Räume, dann sind sie wieder mit Passantengruppen gefüllt. Umbaute städtische Räume und Wege haben für Franziska Schemel eine besondere Atmosphäre, vor allem dann, wenn es sich um Gegenlichtsituationen handelt. Im Atelier greift sie auf diese Ansichten zurück, zu denen sie sich vor Ort auch Notizen zur Stimmung gemacht hat. Beim nachträglichen Betrachten der Fotografien laufen die erlebten Sinneseindrücke wie ein Film wieder ab und formulieren so die Stimmung des Bildes mit. Erstaunlicherweise sind es nicht die Farben der Städte, die wir in der Malerei finden, sondern im Gegenteil organische Töne (braun, grau, ocker, orange-rot ...), die an das Draußen, an die Natur erinnern - natürlich auch wegen ihrer Farbbeimengungen.

Franziska Schemel bleibt in der Farbigkeit verhalten. In wenigen Werken tritt eine farbige Fläche z.B. aus leuchtend roter oder blauer Farbe kontrastreich hinzu. Die starke Kontrastwirkung ihrer Bilder ergibt sich vor allem aus der Verbindung der kleinformatigen realen Szene mit der körperhaften Malerei, deren Komposition, wie gesagt, auf die Binnenarchitektur des jeweiligen Fotos reagiert. So greift Franziska Schemel beispielsweise Treppenstufen auf, wiederholt Fensterausblicke, reagiert auf Säulengänge oder verlängert Raumfluchten, immer, um den Blick des Betrachters wie in einem Sog in die fotografierte Welt hinein zu führen. Die Künstlerin bemalt häufig die rückseitigen Bildkanten ihrer Werke mit Leuchtfarbe. Es gibt auch vormontierte Bildteile, deren Rückseiten ebenfalls mit dieser orangefarbenen oder grünen Farbe bestrichen sind. Die Bilder oder die Teile wirken wie rückseitig beleuchtet, sie strahlen eine ungewöhnliche Lichtstimmung aus, ein Effekt, der sie wie von einer geheimnisvollen Aura umgeben wirken lässt. Die Bilder der Karlsruher Malerin strahlen eine feierliche Strenge und Erhabenheit aus. Harald Siebenmorgen hat sie mit Prozessionswegen und Tempelgängen verglichen und treffend von der Metapher einer "Reise ins Innere der Erde" gesprochen (Katalog 2008). Das Licht in ihrem Werk ist ein handelndes Licht, das Bildelemente betont, hervorhebt, unterstützt. Es ist Teil der Eigenwilligkeit ihrer sublimen Bildfindungen; und - es bleibt in ihnen immer ein Stück Unerklärbares, etwas, was nachdenklich macht, was die Neugierde des Betrachters weckt. Die Künstlerin selbst weiß genau um ihren Standpunkt: "Das in der Mitte ist die Kamera", sagt sie, " - das bin ich". Sie hat uns damit etwas Entscheidendes voraus: Sie weiß, wohin sie der Weg geführt hat.

Über Rolf Urbans Werke wird gesagt, sie seien "materialisierte Zeit" und "Angebote zur Entdeckung der Langsamkeit" (E.Claus, Kat. 2002). Diese Einschätzung impliziert, dass Urbans Arbeiten auf Holz und seine Zeichnungen jenen Akt des Innehaltens des Betrachters herausfordern, der ein genaues Sehen und Erforschen der Bildräume erst ermöglicht. "Meine Bilder sollen nicht nur einen Blick haben, sondern viele Blicke enthalten; sie sollen sich im Blick des Betrachters über die Zeit entwickeln", sagt der Künstler selbst dazu (Kat. 2002, S.7). Die Architektur, der vom Menschen gebaute und umbaute Raum, ist das Grundgerüst seiner künstlerischen Arbeit ("das Unterfutter"). Diese Lebenswelt, die er mit dem Fotoapparat erkundet (hier wieder die Parallelen zur Arbeit der beiden anderen Künstler) inspiriert ihn auch durch ihre atmosphärischen Momente. Konzentrat der Seherfahrungen ist die Umsetzung der Bildflächen in kompositorisch ausgeklügelte Raumgefüge. Urbans langjährige Erfahrung im Hochdruck, den er nach dem Studium bei Markus Lüpertz an der Karlsruher Akademie als folgerichtige Reaktion auf die Malwut der 1980er Jahre für sich entdeckte, war für das, was heute geschieht, eine wichtige Grundlage.

Die Arbeiten auf Holz, auf 6 bis 8 Millimeter starke Sperrholzplatten, erhalten ihre charakteristische Zeichnung durch ein Einschneiden mit dem Hohleisen wie es beim Holzschneiden passiert. Um präzise Formen wie Kreise, Ellipsen oder rechte Winkel zu erhalten, müssen diese mit dem Cutter zunächst umrissen werden. Das Holz gibt sich spröde und sperrig, bietet der Hand genügend Widerstand, um die Arbeit als einen handwerklichen Akt von großer Präzision zu empfinden. Urban streicht mit dem Pinsel die bearbeitete Holzfläche mit schwarzer Acrylfarbe an, so dass auch die geschnittenen Vertiefungen eingefärbt werden. In einem zweiten Schritt wird helle Ölfarbe durchscheinend aufgewalzt. Die Wirkung dieser Farbe ist schwer zu kalkulieren, aber auch für Überraschungen gut. Zur genauen Bestimmung der Komposition verwendet Urban auch vorgeschnittene Papierformen, die er auf der Fläche probeweise hin- und herrücken kann - so entwickelt sich das abstrakte Bildgeschehen dann wie selbstverständlich. Striche, Balken, Winkel, Hakenformen wandern über die Fläche; elliptische Strukturen dynamisieren den Raum. "Weniges, was die Leere anregen kann; Elemente, die Verbindungen eingehen und Strecken abstecken können... Es geht mir um ein ruhiges 'Dazwischen', um offene Felder der Betrachtung", konstatierte der Künstler darüber (Text zur Stuttgarter Ausstellung 2009).

Die Ruhe, die Rolf Urbans Bilder ausstrahlen, wird von einer zurückhaltenden Farbigkeit getragen, helle, grau-beige, weißliche Farben, manchmal etwas Gelb oder Blau finden sich, diese in Flächen gesetzt, die die Balance halten. Die Betrachtungsweise der extremen Querformate, die Urban herstellt (hier: Nr. 18, dreiteilig, sonst bis zu 220 Meter Länge), ist mit einem langsamen Abschreiten eines Weges zu vergleichen. Das Auge des Betrachters folgt unwillkürlich der gewohnten Leserichtung von links nach rechts und greift im Rhythmus der Setzungen die grafischen Zeichen auf. Zeichnungen entstehen mit Kohle und Bleistift auf Papier und MDF Platten. Deutlich sichtbar sind in ihnen die Verwendung von Schablonen, die es übrigens auch in den großen Arbeiten gibt. Die Kohle wird durch die geöffnete Schablone gerieben, wieder ausgewischt, Formen überlagert, feine Linien mit dem Bleistift kommen ganz intuitiv dazu. Durch das Einreiben verteilt sich das Kohlepulver auch unter den Schablonenrand - so entstehen die Unschärfen an den Konturen, die die Formen in einen Schwebezustand versetzen.

In einigen Arbeiten empfinde ich starke Analogien zur Musik in Rolf Urbans Werk, nicht nur in Zeichnungen, die den Titel "Tonaufzeichnungen" tragen und grafische Linien wie Amplitudenmodulationen von Schallwellen assoziieren (Kat. 2008). Obwohl der Künstler einen direkten Einfluss einer bestimmten Musik nicht sieht, empfindet er das rhythmische Anordnen von Kompositionselementen auf der Bildfläche ganz ähnlich einem Schreiben eines musikalischen Arrangements. Wir vergleichen das Abtasten des Bildes mit den Augen mit dem Lesen einer Partitur oder eines Musikstückes. Gemeinsam ist beiden: es benötigt Zeit. Diese "Verzeitlichung des Bildes" analog einer "Verräumlichung der Musik" eröffnet dem Betrachter eine weitere Dimension in der Wahrnehmung.

Noch zum Schluss: "Die Möglichkeit zur sinnlichen Grenzüberschreitung hat wie ein Wunder überlebt", schrieb der Leiter des Museums für Neue Kunst in Freiburg, Jochen Ludwig, in einem Katalog (über die Auseinandersetzungen zeitgenössischer bildender Künstler mit der Musik: Ausst.Kat. Tonspur, 1998). Das ist geblieben: es geht um ein Hineinhorchen, -lauschen, um die individuelle Erkundung von Bezugssystemen, um die Verführung, um Wahrnehmungsverschiebungen. In den allermeisten Fällen geschieht dies auf dem Weg von außen nach innen, genauso wie es unsere drei künstlerischen Positionen hier im Kunstverein Germersheim auch vorstellen. Wie auch immer geartete Grenzgänge und Grenzüberschreitungen, sei es von der Architektur zur Bildenden Kunst, von der Fotografie zur Malerei oder der Druckkunst zum objekthaften Bild oder sogar zwischen Bildender Kunst und Musik: Dies alles macht das "Abenteuer Kunst" spannend und erkenntnisreich. In diesem Sinne darf ich Ihnen nun einen anregenden Gang durch die Ausstellung wünschen und natürlich viele gute Gespräche über die Kunst. Den Künstlern weiterhin viel Erfolg, dem Kunstverein Germersheim Danke für die wunderschöne Ausstellung und Ihnen allen danke für Ihre lange Aufmerksamkeit.
© Dr. Sabine Heilig, Nördlingen, im September 2009





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