Kunstverein Villa Streccius Landau / Villa Streccius Landau
"Luft-Stücke und Stadt-Teile - Italienbilder heute"
Ausstellung zum Kultursommer Rheinland-Pfalz
22.05.04 bis 11.07.04
Karlheinz Zwick
Karlheinz Zwick: "Venedig" (Installation)

Mit Arbeiten von Ines Fontenla, Melanie Wiora, Joachim Kreiensiek und Karlheinz Zwick

Für unseren deutschen Kulturraum ist die Sehnsucht nach dem milden Klima und klaren Licht Italiens, nach dem Ursprung westlicher Kultur und Staatlichkeit, eine der prägendsten Phänomene überhaupt geblieben. Seit dem 18. Jahrhundert gehörte es zum zentralen Erlebnis jeder "Grand tour" der Nordeuropäer, zumindest bis zum "ewigen Rom" vorzustoßen. Unser Italienbild als "Arkadien" und Land klassischer Schönheit wird seit über zweihundert Jahren von unserem berühmtesten deutschen Italienreisenden, Johann Wolfgang von Goethe, mitbestimmt. Nicht zuletzt auch unter dem Einfluß seiner italienischen Reise von 1786 entstand die literarische Klassik als einmaliger Höhepunkt der deutschen Literatur. Doch war diese Idealform menschlicher Existenz auch zu Goethes Zeiten weit von der Realität entfernt, zur Wirklichkeit gehörten schlechte Straßen, Ruinen und Straßenräuber ebenso wie der strahlend blaue Himmel über allem.

Karlheinz Zwick und seine Tochter Judith sind für die Kunstvereinsausstellung 12 Tage auf den Spuren Goethes vom Brenner über Bozen, Verona, Bologna, Venedig, Florenz bis nach Rom gereist. Doch der künstlerische Blick der heutigen Reisenden galt nicht den touristischen Attraktionen, sondern in perspektivischer Brechung und Distanzierung dem Himmel darüber, der malerisch festgehalten wurde, sowie dem Nachdenken über die Diskrepanzen von Vorstellung und Erleben, Klischeebildern und Chancen individueller Reiseerfahrung.

Karlheinz Zwick wird im lockeren Gespräch seine Reise Revue passieren lassen und seine Installationen vorführen, etwa die Himmelssäulen Roms, riesige handgemalte Himmelsbilder, die zu Säulen gedreht wurden.

Kunsthistoriker Jörg Katerndahl wird die Werke von Ines Fontenla, Melanie Wiora und Joachim Kreiensieck vorstellen. Alle drei Künstler desavouieren die gängigen Italienklischees, fordern die intellektuelle und visuelle aktive Wahrnehmung des Betrachters. Keine Sache zum schnellen Abhaken: Unaufmerksamkeit, etwa gegenüber den riesigen Leinwänden Kreiensiecks, verfehlt die stupende Ästhetik von dessen akribisch gemalten Stadtplänen, welche zwischen Relief und monochromem Lichterlebnis changieren. Verführerisch und mystisch zugleich sind die "Eyescapes" von Melanie Wiora, welche italienische Landschaften direkt von der betrachtenden Netzhaut abfotografierte. Und Ines Fontenla, welche als Römerin die klassischen Ruinenlandschaft täglich vor Augen hat, führt den Glauben an die großen Staatsutopien durch ihre Installationen symbolisch ad absurdum.
Ein Rundgang voller Entdeckungsmöglichkeiten und ungewohnten Seherlebnissen!

Das Projekt des Kunstvereins Villa Streccius zum Kultursommer 2004 zielt auf eine Erfahrung, welche wie kaum eine andere unsere westliche moderne Kultur- und Kunstgeschichte geprägt hat: Reisen nach Italien als spirituelle Expansion sowie Initiation und Steigerung künstlerischer Wahrnehmung. Die Entwicklungsgeschichte der Menschheit ist durch Wandern und Nomadentum geprägt, womit Topoi wie: "das Leben ist eine Reise", kaum mehr eine spezifische Aussage beinhalten.

Kulturgeschichtlich bedeutsame Reisen wie die des Odysseus oder Marco Polo waren von Kriegen oder Handelszielen initiiert und die Fahrten der Kreuzritter und großen Pilgerzüge des Mittelalters waren religiös wie wirtschaftlich begründet. Erst seit der Epoche der Aufklärung ist das Reisen zur Form kultureller Bewusstseinserfahrung gesteigert worden. Auch wenngleich etwa Kant nie sein Königsberg verlassen hatte, so wurde doch die Erfahrung des "Erhabenen" in der Natur und im Handeln in der "Kritik der Urteilskraft" mitbestimmt durch Reiseberichte von der Mont Blanc-Besteigung Horace-Bénédictine de Saussures. Reiseerfahrung wird zu einem Fundament ästhetischen Empfindens.

Reisen wird im 18. Jahrhundert so zur Erfahrung von Freiheit, innerer Verwandlung und interkultureller ästhetischer Energie. Für unseren deutschen Kulturraum ist die Sehnsucht nach dem milden Klima und klaren Licht Italiens, nach dem Ursprung westlicher Kultur und Staatlichkeit, eines der prägendsten Phänomene überhaupt geblieben.

Rom, die "ewige Stadt", Stadt des Heils wurde zum Modellfall überhaupt für universale Stadtgeschichte und -entwicklung. Landschaft, Klima und Architektur wurden so auch für den "nebligen Norden" zu zentralen Koordinaten eines Geschichtsbildes, welches der Vorstellung von klassischer Schönheit am ehesten entsprach. Ohne die Italienreisen hätten wohl westliche Kunst und Ästhetik eine andere Entwicklung genommen, dies umso mehr, als die Quelle der europäischen Kultur, Griechenland, durch die türkische Besetzung über Jahrhunderte unerreichbar war.

Der wohl bedeutendste Italien- und Romreisende, Johann Wolfgang von Goethe, schrieb so am 20.12.1786 in Rom, dass ihn die "Wiedergeburt" des Italienerlebens von "innen heraus umarbeite". Was er in Rom erfährt, ist das "Wirken des Schicksals" selbst, das unter dem stets gleichen italienischen Himmel eine Kultur nach der anderen entstehen und wieder Ruine werden ließ (7.11.1786) und dennoch eine ästhetische Erfahrung ohnegleichen ermögliche. Italien war nicht nur das Sehnsuchtsziel, das mit Deutschrömern und Nazarenern sogar Epochen festlegte, es wurde zu dem eigentlichen Komplementär unserer eigenen Wirklichkeit, bis hin zu den heutigen Massenreiseströmen nach Italien. Die Wahrnehmung römischer Urbanität als Verschmelzung von Tradition und Gegenwart wird zu einer zentralen Erfahrung europäischer Kulturgeschichte. In diesen Wahrnehmungspolen zwischen Kunst und urbanem städtebaulichen Wandel in Italien soll auch das Ausstellungsprojekt des Kunstvereins angesiedelt werden.

Die heutige Situation ist höchst komplex: Das individuelle Reisen wie zu Goethes Zeiten wurde weitgehend vom Tourismus abgelöst, das Wort vom italienischen "Teutonengrill" ist sprechend.
Für viele Kulturologen geriet der Tourismus als "Symptom des Kulturimperialismus", der kulturelle Bedeutung vernichte, statt aufzubauen, selbst in Verruf. (Vgl. Hakim Bey: Zen des Reisens. Jenseits des Tourismus ... In: Kunstforum International, Bd. 136, Mai-Juni 1997, S.198 - 211).
Zudem haben die technischen Entwicklungen der neuen Medien in den letzten Jahrzehnten, bis hin zur Cyberspace-Reise, einen radikal neuen Diskurs eingeleitet, der das physische Reisen zunehmend überflüssig zu machen droht.

Das "Ankommen", bei Goethe noch enthusiastisch gefeiert, sei zur Illusion geworden, durch die allgemeine Verfügbarkeit der Informationen werde es zunehmend unwichtiger, wo ich mich physisch aufhalte. (Aurel Schmidt: Reisen. Raum. Körper. Deplatzierungen am Ende bzw. am Anfang des Milleniums oder: Die Reise bin ich. In: Kunstforum a.a.O. S. 86). Für Italienreisen würde das etwa bedeuten, dass ein virtueller Rundgang durch die Sixtinische Kapelle dem Akt der realen Besichtigung überlegen wären.

Doch gerade die Kunst hält vehement gegen die Bedeutungserosion des Reisens: Reisen erfordert gesteigerte Konzentration und Wahrnehmungsbereitschaft, womit der Begriff "Aufmerksamkeit" zu den "Ressourcen" moderner Kunsterfahrung wurde, die Erfahrung der Fremdheit, kultureller Solidarität und der interkulturellen Synergien sind somit am ehesten in der Kunst zu erfahren. Wer auf diese Weise reist, verändert sich, denn er sucht nicht die Bestätigung eines vorgegebenen Bildes oder ein Bild-Medium als Reproduktion, sondern den Lebens-Eindruck als Energiefeld eigenen Schaffens.

Diese Lebenseindrücke sollen durch vier verschiedene Künstlerinnen und Künstler im Zentrum des Kunstvereinsprojektes stehen.

Geplant ist durch den Konzeptkünstler Karlheinz Zwick der Nachvollzug der Goetheschen Italienreise unter dem Titel "Ein Stück vom Himmel für jedermann - Goethe lässt grüßen". Die Reise geschieht "umgebrochen" in eine zeitgenössische Kommunikationssituation, welche nicht etwa die Sehenswürdigkeiten in den Vordergrund stellt, sondern den Himmel darüber: Das Projekt gibt Anstoß zu einer besonderen perspektivischen Wahrnehmung der "Luft-Objekte" die den Faktor Zeit, Raumerfahrung und die Welt der Vorstellung einbringt. Von der eigentlichen Reise, die er zusammen mit seiner Tochter Judith Zwick Ende April 2004 auf den Spuren von Goethes Reiseroute unternehmen wird, werden um das Eröffnungswochenende des Kultursommers am 7./8. Mai 2004 täglich Postkarten aus Italien an öffentliche und private Adressen in Rheinland-Pfalz gesendet werden. Die gesamte Aktion, mit einem neu entstandenen Reisetagebuch, Interviews, zehn großformatigen Grafiken vom italienischen Himmel und Reaktionen aus der Öffentlichkeit in Rheinland-Pfalz, soll dann ab dem 21. Mai im Obergeschoss der Villa Streccius in drei Ausstellungsräumen dokumentiert werden.

Ines Fontenla, die in Rom lebt und zum ersten Mal in Deutschland ausstellen wird, zeigt zwei für die Ausstellung in Landau neu konzipierte Installationen in den beiden Rotunden der Villa Streccius. Im Obergeschoss, in Nachbarschaft zu den Arbeiten von Judith und Karlheinz Zwick, wird von ihr eine Rauminstallation zum Thema "Himmel" zu sehen sein.
Ines Fontenla verwendet in ihren Arbeiten oft Landkarten, Atlanten und Globen und wird den Blick im Zusammenhang der Ausstellung auch auf die europäischen und globalen Dimensionen richten. Ihre zweite Installation im Untergeschoss beschäftigt sich mit dem Thema "Erde". In den Motiven der Säulen, Tempel- und Ruinenformen sind die lebendige Antikenrezeption in Italien zur Goethezeit und bis heute präsent.

In Nachbarschaft zur Rauminstallation in der Untergeschoss-Rotunde, zeigt Joachim Kreiensiek großformatige Gemälde denen die heutigen Stadtgrundrisse von Florenz, Venedig, Siena, Rom und Palermo zugrunde liegen. Die Ansicht aus der Vogelperspektive lenkt die Blicke der Betrachter nur scheinbar planmäßig und zielgerichtet. In monochromen Farbtönen ausgeführt, sind die Straßenzüge und Häuserblocks auf den einzelnen Gemälden zwar äußerst detailliert wiedergegeben, zugleich erscheinen bestimmte Informationen, welche auf den Plänen notwendig waren, in der Malerei ausgeblendet und überarbeitet. Neben seinen von den konkreten Grundrissen ausgehenden, jedoch in ihren minimalen Schattierungen und Farbflächengestaltungen abstrakt erscheinenden Gemälden, zeigt Joachim Kreiensiek als Gegenpol auch klassische Architektur- und Landschaftszeichnungen, die er auf seinen Italienreisen 1995-98 u.a. in Florenz und Rom angefertigt hat, und deren Darstellung die gewöhnliche Perspektive von Städtereisenden markiert.

Die Fotografien der Serie "Eyescapes" wurden von Melanie Wiora 2002/03 größtenteils in den Dolomiten, Südtirol und Norditalien aufgenommen. Die Künstlerin bemerkt dazu: "Die Fotografien sollen vertraute Landschaften in einer Art Traumsequenz wiedergeben. Eine veränderte Sicht des Ortes wird geschaffen. Rückblicke in die Vergangenheit und Ausblicke in die Zukunft können gleichzeitig assoziiert werden. Die Bilder entstehen durch Spiegelung auf dem Auge und werden im Moment des Sehens mit der Kamera aufgenommen. Sie werden digital nachbearbeitet und teilweise retouchiert. Durch die Form des Auges werden die Bilder verzerrt und in ihrer Räumlichkeit verändert. Es spiegeln sich nicht nur die Landschaften sondern auch die Wimpern und Lider des Auges. Die Farben der Iris und der Pupille überlagern teilweise das Gesehene. Diese Fragmente des Körpers stellen Bezüge zu einzelnen Landschaftssegmenten her und lassen die Bilder zu Einblicken in eine veränderte Welt werden." Etwa sechzehn Bilder aus der Serie werden in den Vorhallen im Unter- und Obergeschoss und im Treppenhaus gezeigt. Das Medium Fotografie scheint die alltägliche Wahrnehmung von Natureindrücken am unmittelbarsten wiederzugeben. In den verfremdeten und digital bearbeiteten Fotografien, die Spiegelungen von Natur- und Architekturmotiven auf der Pupille der Künstlerin zeigen, vermischen sich die Darstellung unmittelbarer Wahrnehmung und die medial vermittelten Ausdrucksleistungen zu vielschichtig
verwobenen Bildern.

Finissage: Sonntag, 11.07.04, ab 15.00 Uhr
Führung: Karlheinz Zwick und Kunsthistoriker Jörg Katerndahl, Kurator der Ausstellung



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Karlheinz Zwick
Karlheinz Zwick: "Venedig" (Installation)
Karlheinz Zwick
Karlheinz Zwick: "Himmel über Venedig" (2004) Arbeitsprobe, Öl auf Karton, 105 x 150 cm Teilstück (10,5 x 15 cm) von 100 Teilen
Melanie Wiora
Melanie Wiora: "Abgrund" (2002) aus der Fotoserie "Eyescapes", Lambda-Print, 63 x 76,5 cm
Joachim Kreiensiek
Joachim Kreiensiek: "Stadtkarte Venedig" (2000) (dunkelgrün und hellblau), Öl auf Leinwand, je 200 x 150 cm Ausstellungsansicht im Palazzo Albrizzi, Venedig
Ines Fontenla
Ines Fontenla: "Alla fine delle Utopie" (2002)
Ausstellungsplakat
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