Kunstverein Speyer / Kulturhof Flachsgasse
"Neuland 6"
Malerei
08.07.07 bis 19.08.07
Lutz Kasper
Lutz Kasper

Mit Lutz Kasper, Dirk Klose und Oliver Schollenberger

Lutz Kasper

Lutz Kasper, 1961 in Speyer geboren, lebt und arbeitet in Köln als freischaffender Künstler, Illustrator und Grafikdesigner und ist Mitglied im BBK Köln. Von 1981 bis 1987 studierte er Grafikdesign und Illustration an der FH für Gestaltung Mannheim, von 1987 bis 1991 Freie Kunst an der FH Köln. Seine Landschaften sind Fenster in eine lebendige Unwirklichkeit. Der Ort wird zu einer Hülle, einem Gefäß, in das er seine Farben gießt. Dabei entstehen ein neuer Raum, eine neue Atmosphäre, ein neues Licht.


Dirk Klose

Dirk Klose, 1965 geboren in Frankenthal. 1995 bis 1999 Studium an der Akademie der Bildenden Künste in München und Promotion in Kunstgeschichte. Seit 2000 Atelier in München, 2001 und 2004 Gastaufenthalte in der Villa Romana, Florenz. Seit ist er 2005 Mitglied der Neuen Münchner Künstlergenossenschaft. Ausgehend von der Faszination des Panoramas in verschiedenen Facetten weiten sich seit 2004 die Bildformate in die Länge. In der Darstellung von Landschaft verknüpfen sich nun persönliche, historische und zeitgeschichtliche Anspielungen. Das überdimensionierte Bildformat findet seine Entsprechung in der historischen Weite, die dann doch wieder auf das Selbst zurückfällt. Die Folge sind ironische oder provokante Assoziationen.


Oliver Schollenberger

Oliver Schollenberger, 1961 in Ludwigshafen geboren. Studium der Malerei in Mainz von 1984 bis 1990. Seit 1984 regelmäßige Ausstellungen und Beteiligungen. Mitglied im BBK und in der apk. In den letzten beiden Jahren in München tätig und viel auf Reisen: London, Graz, Budapest, Brüssel, Köln, Hamburg, Paris, Chartres, Nizza, Verona, Rom, Montepulciano und Kreta waren einige seiner Reiseziele in dieser Zeit. Überall hat er skizziert, notiert und Ideen gesammelt. Und immer wieder kehrte er gern nach Speyer und Dudenhofen zurück, wo er lebt und arbeitet. Entsprechend nehmen seine Serien "Voyages" und "Choses vraies de Bruxelles - Echte Dinge aus Brüssel" den Schwerpunkt seiner Malereien und Collagen ein, die er im Kunstverein zeigt.


Einführung von Hans Jürgen Herschel


Im Zustand der Erlösung, sagte ein jüdischer Gelehrter, werden die Dinge so sein, wie sie jetzt sind, nur ein wenig verrückt.

Wenn Ihr Blick schon über die Bilder dieser "Neuland"-Ausstellung schweifen konnte, haben Sie vielleicht den Eindruck, dieser Zustand der Erlösung sei möglicherweise bereits eingetreten. Freilich, wie sich das für eine hochindividualisierte Gesellschaft gehört, auf höchst unterschiedliche Art und Weise. Dabei stammen doch alle drei hier vertretenen Künstler aus nahezu derselben Raum/Zeit-Koordinate. Lutz Kasper ist 1961 in Speyer, Dirk Klose 1965 in Frankenthal und Oliver Schollenberger 1961 in Ludwigshafen geboren. Und doch wird niemand auch nur eines ihrer Werke falsch zuordnen, zu eigenartig ist die eigene Handschrift. Verbunden aber sind sie durch jene die Erlösung näherrückende Verrücktheit, welche - überflüssig zu sagen - unter Künstlern ein Ehrentitel ist.

Schauen Sie sich die extremen Breitformate des promovierten Kunsthistorikers Dirk Klose an. In einer üblichen Entfernung stehend, sehen Sie gar nicht das ganze Bild; kein Mensch verfügt über ein Sehfeld, das diesen Formaten entspricht (und vermutlich auch sonst kein kunstinteressiertes Lebewesen). Wenn man den rechten Teil der triptychenartigen Werke ins Auge fasst, hat man den linken schon aus dem Auge verloren; hat man den Kopf geneigt, um eine um 90 Grad gedrehte Figur zu erkennen, muss man feststellen, dass eine andere Figur eine 90 Grad Drehung in entgegen gesetzter Richtung erfordert; kaum hat sich das Sehzentrum an eine Perspektive von unten gewöhnt, sieht es sich mit einer Vogelperspektive konfrontiert. Der Betrachter eines Bildes von Dirk Klose muss sich vorkommen wie ein Cocktail: geschüttelt, nicht gerührt. Es sind Bilder, die meisterhaft geschützt sind gegen den flüchtigen Blick, sie wollen nicht rühren, sie wollen reflektiert gesehen, sehend reflektiert werden. Es sind visuelle Denkanstöße. Trotz dieser Sperrigkeit geht von Ihnen eine unerklärliche Attraktivität aus, vielleicht deswegen, weil der Mensch nun einmal mit besonderem Eifer nach dem strebt, was sich ihm widerspenstig verweigert.

Die Landschaftspanoramen, mit denen Dirk Klose schon länger experimentiert, entwachsen mehr und mehr ihrer Funktion als Anschauungsform und schlagen zunehmend um in Denkformen, vor allem des antithetischen Typs. Klose arbeitet dabei mit der Konfrontation von Polen, die im Bild in maximaler Entfernung an den Bildrändern erscheinen und lässt im Zentrum Personen auftauchen - manchmal sich selbst -, die dem Spannungsfeld der polaren Kräfte ausgesetzt sind.
In "Big Ball", anspielend auf "Big Bang" und so ironisch den Anfang der Welt als Anstoß eines Fußballspiels evozierend, sehen wir links die Kämpfenden, rechts den Geschlagenen (konkret: den geschlagenen Torhüter, unschwer zu erkennen als Trauer-Kahn …), in der Mitte eine nackte Figur, die gleich vom Fußball des Schicksals getroffen werden wird oder vielleicht auch gleich dem Schicksal mittels Kopfstoß eine Richtungsänderung verpasst. Die Figur ist nackt, weil in den wirklichen Kämpfen eben kein Eisenhemd, kein Trikot, auch kein Anzug mit Krawatte uns schützt, weil der fußballspielende Kämpfer und der geschlagene Torhüter nur austauschbare, von der Aktualität ins Bild gespülte Beispiele sind. Man mag die Wahl der Beispiele, mag auch die Titelgebung ironisch nennen, im Zentrum des Bildes ist die Uneigentlichkeit der Ironie am Ende, hier schlägt die Stunde der Wahrheit.

In "Du bist Deutschland. Wir sind Papst" provoziert das gemeinsame Auftauchen Hitlers und Benedikt XVI. auf einer Leinwand auch dann, wenn sie im größten Abstand und in entgegen gesetzter Perspektive erscheinen. Angedeutet wird eine nicht geografische, sondern politische Landschaft, eine zur Reflexion auffordernde Topologie. Dies unterstützend übt der Titel Sprach- und Medienkritik. Der Slogan der ideologischen Werbekampagne "Du bist Deutschland" berührt angesichts der optisch präsenten Hitler-Figur ebenso peinlich wie das euphorisch-unsinnige, gleichwohl der vox populi abgelauschte "Wir sind Papst". In die polar aufgespannte Geschichte trägt Klose ein Selbstporträt und - in anderer Perspektive - ein Bild der Mutter ein, vielleicht um die Spiegelung des Politischen im Privaten sichtbar zu machen. Gerade die Wiederholung der formalen Strukturen lässt die Beschäftigung mit seinen Bildern vom Sehen ins Denken hinübergleiten.

Auch bei Oliver Schollenberger müssen wir auf das achten, was nicht zusehen ist. Seine Bilder sind einem fortschreitenden Abstraktionsprozess ausgesetzt. Abstraktion bedeutet hier aber nicht das Verschwindenlassen, sondern das Entschlacken der Form, das Absehen von allem Zufälligen, Akzidentiellem, die Bewegung auf eine Ur-Form, auf ein Ur-Bild zu, das Platon bekanntlich die Idee nennt. Die Idee ist aber nichts, was wir mit den Augen erkennen, sie gehört dem mundus intelligibilis an, der Kraft unseres Intellekts erkennbaren Welt. Die nach immer größerer Einfachheit und Armut hinstrebenden Symbole Schollenbergers weisen damit über sich selbst und ihre eigene Sphäre des sinnlich Wahrnehmbaren hinaus. Mit dem Wort "platonisch" ist nun allerdings die Assoziation des Erdenthobenen, Körperlosen verknüpft, ein etwas asketischer Geschmack. Damit darf man Schollenberger nicht kommen. Seine ursprünglichen Formen vereinen sich zu erdnahen Festen, an ihrem Ja zum Leben ist nicht zu zweifeln, es sind auch Archetypen des Lebendigen.
Das Boot etwa als Sinnbild von mutigem Aufbruch, von Überfahrt und Rettung, formal so nahe dem Fisch verwandt: Ist ein Boot nicht ein halber Fisch, verkleiden wir uns nicht als Fisch, wenn wir in ein Boot steigen, gaukeln wir dem Wasser nicht vor, wir seien heimgekehrt in eine frühere evolutionäre Form, wir seien irgendwie heimgekommen? Und tauchen doch ins Ur-Element nicht ein, gleiten nur auf seiner Oberfläche dahin. Wir: die Kopfwesen - weshalb sonst taucht immer wieder das Gesicht auf? Wir: die Kampfwesen - die gegen den Stier kämpfen, gegen die Natur … auch die Natur in uns. Wir: die Hoffenden, die das grüne Reis in der Hand halten, wie einst Noah, als die Flut zurückging. Dies ist das eine Anliegen Schollenbergers: eine Art Semantik des Elementaren zu entwerfen, ein Bild-Wörterbuch der Ur-Formen zusammenzustellen. Am "Potpourri" von Formulierungsversuchen (an der rechten Wand) ist das abzulesen, sie wirkt wie eine Sammlung von Einzelblättern für ein Lexikon.
In den größeren Werken fügen sich die Zeichen, um in der Metaphorik der Sprache zu bleiben, zu Sätzen, manchmal in der Weise, dass die einzelnen Symbole doch für sich bleiben, in "Accorden" in der zugewiesenen Farbparzelle. Im Bild "Victoria" zeigen sich neue Zusammenhänge, die umliegenden Parzellen lösen sich auf, die Elemente ordnen sich zu einer Räumlichkeit. Allerdings ist dieser Raum kein abgebildeter realer, sondern ein Bedeutungsraum, aufgespannt durch die Elemente, durch ihre Rhythmisierung, ihre Variation. In diesem Bedeutungsraum schwingen, schweben Botschaften von Gefährdung und Rettung - immer wieder die Boote - da wirft ein Fisch einen Schatten, als sei er zum Bewusstsein seiner dunklen Seite gelangt, da erzählt ein Zweig von Wiederkehr und Immerwiederkehr.

Auch bei Lutz Kasper wachsen die Bilder nicht primär aus dem Gesehenen, sie sind nicht Fixierungen des Augen-Blickes, sondern zielen auf die Sichtbarmachung von etwas, das vor dem Akt des Malens noch gar nicht existiert. Bei der Befreiung von der Diktatur des sich dem Auge Aufdrängenden leistet die Veränderung der Perspektive entscheidende Dienste. Sie führt bei dem Bild "Trichterstraße" zu einem ganz unwirklich, teilweise fast abstrakt wirkenden Bild, sie transformiert beim Werk "Hof II" das realistisch Scheinende in einen abstrakten, spiralförmigen Mikrokosmos, der kaum noch seine Verwandtschaft mit der Figuration verrät. Oft ist es der Schwung einer Straßenlaterne, der die Perspektive und damit das Bild dynamisiert, gleichsam den Takt angibt für die lustvolle Vertreibung von allem Lotrechten. Mit der Perspektive verschiebt Lutz Kasper auch den Farb-Raum, er sieht sich als "Farb-Tonsetzer", der mit den Farben musiziert und zum munteren Tanz einer alternativen Wirklichkeit anspielt. Wie lichttrunken wirken manche seiner Bilder und in dieser Atmosphäre entspringen übermütige Titel: "Parkverbot mit Fichte" etwa, ein wohl nur in deutscher Kunst vorstellbare Kombination. Das Verbotsschild dominiert die Mitte des Bildes, aber am linken hinteren Rand sieht man ein Betonhaus über die vorne stehenden schönen alten Häuser hinauswachsen. Man möchte ihm zurufen, auch für Betonklötze gelte das erwähnte Parkverbot, doch wer deutsche Städte kennt, weiß, dass dort, wo es zählt, Verbotsschilder sich die Farbe aus den Lungen schreien können …
Solch leichtsinnige Lustigkeit ist jedoch nur eine Seite Lutz Kaspers. Es finden sich auch Bilder, die eine große Stille ausstrahlen, und zwar eine, die nicht unhörbar in oberen Gefilden schwebt, sondern gleichsam in tiefen Tönen schweigt, anders gesagt: die geradezu von einer wahrhaften Stille sind. Wohl nicht zufällig bleiben diese Bilder ohne Verschiebung der Perspektive und des Farbraums, bleiben die Linien hier senkrecht. Diese Werke lassen sich als Brücke nutzen zu der Serie "ashes to ashes - colours to colours". Es ist die Auseinandersetzung mit dem Tod. Was aber der Titel behauptet, nämlich die klare Ordnung, die sichere Abgrenzung, von Staub einerseits und Farbe andererseits, wird von jedem einzelnen Werk in Frage gestellt. So wird das tote Antlitz eben nicht aschgrau, sondern bleibt bunt, während umgekehrt das Bunte der Bedrohung des Vergehens nicht zu entfliehen vermag. Ein Sterben schon im Leben. Ein Leben noch im Tod.

Darauf antwortet in dieser Ausstellung so unterschiedlicher Künstler ein kleines Bild Oliver Schollenbergers, das in grauem Weiß und Schwarz lediglich die Umrisse eines Bootes zeigt, über dem die Worte zu lesen sind "see me later" - als habe da jemand, an der Ablegestelle des mythologischen Fährmanns Charon, eine kleine, Hoffnung machende Botschaft hinterlassen wollen.
Und der verschwommene Himmel Dirk Klose stimmt ein in dieses kleine Konzert. "Wer auf dem Kopf steht", sagt Paul Celan mit Blick auf Bücher von Lenz, "Wer auf dem Kopf steht, hat den Himmel als Abgrund unter sich". Die Verschwommenheit dieses Himmels, der übrigens formal ähnlich der Erde zur Seite tritt, ist freilich medial vielfach vermittelt. Sie könnte sich genealogisch herleiten aus einem klaren Himmel, dessen Fotografie eingescannt und bearbeitet wurde, um schließlich als gemalte Deutung dieser Computer-Bearbeitung zu erscheinen. So abgründig ist in den Zeiten der technischen Reproduzierbarkeit des Augenblicks das, was auf dem Bild dem Augenblick sich darbietet.
Versteht man da nicht die Sehnsucht nach den elementaren Formen bei Oliver Schollenberger, die aber, wie ein genauer Blick zeigt, oft erst nach mehrfacher Übermalungen in differenzierten Farbgebungen entstehen? Oder die nach den stillen Bildern Lutz Kaspers?

Kunst kann die Welt nicht verändern. Aber sie kann den Blick verändern, den wir auf die Welt werfen, sie kann den Standpunkt verschieben, von dem aus wir sie betrachten, so dass sie in neuer Perspektive erscheint. Und wer die Welt mit neuen Augen sieht, wird sie dann vielleicht verändern. Möglicherweise nur wenig, doch das könnte genügen. Im Zustand der Erlösung nämlich - Sie wissen es bereits - werden die Dinge so sein, wie sie jetzt sind - nur ein wenig verrückt.




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