Kunstverein Germersheim / Zeughaus Germersheim
"vis à vis"
Martina Bothe (Objekte) und Michael Kaul (Malerei)
24.01.04 bis 15.02.04
Martina Bothe
Martina Bothe: "o.T." (1995), Lehm, Holzwolle, Wachs, Draht

Einführung von Dr. Matthias Brück

In Zeiten, die das Laute und Grelle gnadenlos bevorzugen, in denen unvermindert Anton Tschechows Diktum zu gelten scheint, die Leute liebten am meisten das Banale und längst Bekannte an der Kunst, das woran sie eben gewöhnt seien, gehen Kunstschaffende wie Martina Bothe und Michael Kaul ein hohes Risiko ein.

Denn sie bewegen sich in einer Situation, die der französische Philosoph Jean Baudrillard einmal sarkastisch analysiert hat: "Alles soll vorgeführt werden, soll in den Bereich des Realen, und der messbaren Effizienz treten (…) So funktioniert unsere ganze Kultur. Eine Kultur des Zeigens, des Vorzeigens, der produktiven Monstrosität".

Und gerade das Banale, das Mittelmäßige und Aufgeblasen-Pompöse scheint ja unaufhaltsam in eine Diktatur des Pseudo-Ästhetischen zu münden, die weit über den Bereich und Einfluss der Bildenden Künste hinausreicht. Letztlich wartet man nur noch auf eine weitere geniale Show von RTL mit dem Titel: "Ich bin ein Künstler - holt mich hier raus!"

Ich darf Sie beruhigen: Mit Martina Bothe und Michael Kaul betreten Sie eine gänzlich andere Welt. Die jeweiligen Exponate begegnen sich in heiterer Gelassenheit in einem zwanglosen "vis à vis". Entfalten ihre Wirkung nicht als aufdringliche Präsentation, vielmehr als indirektes Angebot an die Betrachter.

Die Objekte von Martina Bothe scheinen aus der Zeit, aus dem linearen Verlauf von Vergangenheit und Gegenwart herausgenommen zu sein. Ihre bevorzugten Materialien - Wachs, in Wachs getauchte, zerrissene Jutestücke, Draht, der stabilisierend und formgebend zugleich oft nur durchschimmernd wahrzunehmen ist.

Und dann natürlich die dornenbesetzten Rosenzweige, die ihre Jahrhunderte alte Tradition in Literatur und Kunst zwar nicht verleugnen, aber eigentlich nur peripher zitieren. Als Wandobjekte exakt gestapelt oder in kreisförmige Kompositionen gefasst, können sie ein breites Bedeutungsfeld öffnen: Assoziationen wie Brennholzvorrat, Feuer, vielleicht sogar eine Dornenkronen-Symbolik mögen die Wahrnehmung bestimmen, vielleicht aber auch dahingehend kanalisieren, dass der eigene, autark-ästhetische Reiz dieser Exponate ins Hintertreffen gerät.

Das werden Sie besonders im interpretierenden Umgang mit jenem Gefüge aus Rosenzweigen dort erfahren: Unwillkürlich denkt man Gatter, an nomadenhaften Schutz für Tiere, an Begriffe wie Abgrenzung, Abwehr und ähnliches mehr - und das wohl zu Recht. Löst man sich allerdings von diesem Vorverständnis, begegnet man einer anderen Qualität. Es ist, als hätten sich hier Begriffe wie Leichtigkeit, Bewegung und Biegsamkeit, Offenheit und Ausgrenzung materialisiert.

Erfahrungen, Deutungen auf zwei verschiedenen Ebenen, die sich nicht ausschließen, sondern gegenseitig aktivieren können. Diese Möglichkeiten des Entdeckens gelten sicherlich ebenso für die filigranen, dezent ornamental gewobenen Arbeiten aus Baumwollgarn, Wachs und Draht. Auf der einen Seite bestechen sie durch ihre faszinierende Struktur, die an Gewebe erinnern mag - auf der anderen Seite werden sie zu einer vorläufigen Erscheinung, zu einer Transformation schwebender Diffusität, die je nach Hintergrund im Begriff ist, zu verschwinden.

Angebote zur offenen Kontemplation, die sich beeindruckend quer zur zeitgemäßen Praxis nicht mit flüchtigem Hinsehen begnügen. Es ist wie so oft im richtigen Leben: der erste Blick täuscht. Denn aus einiger Distanz scheinen sich die Acryle von Michael Kaul in öder Farbflächigkeit zu erschöpfen.

Doch beim Näherkommen verwandeln sie sich Schritt für Schritt - geben gewissermaßen ihr Geheimnis, ihre zuerst noch verborgenen Schichten preis. Der Bildraum "lichtet" sich auf unergründliche Weise, gestattet ein Hineinsehen, ein Erfahren von Transparenz, die als Ergebnis eines langen Prozesses begriffen werden muss. Ein Prozess, der mit dem Auftrag einer sehr flüssigen Farbe beginnt, lange Bahnen in unbestimmter Richtung erstellt, die sich zuerst nicht berühren, sodass ein schmaler Streifen weiß grundierter Leinwand zwischen ihnen stehen bleibt.

Schicht folgt auf Schicht - und bewirkt, dass die transparente Farbe intensiver und dunkler wird. Oft sind nur einzelne Partien der Gesamtfläche davon betroffen, dann werden bisweilen auch die weiß belassenen Streifen zum Teil überschichtet. Resultat: eine überraschende, faszinierende Synthese - bestehend aus dem Dreiklang "Licht, Transparenz und Raum". Damit verharren die Exponate nicht in einer monotonen Monochromie, sondern erfahren im Vergehen wie Auftauchen von lichter Helligkeit ein ungeahntes Eigenleben.

Das bedeutet, dieser Künstler hat auf seinem prozessualen Weg nicht in mysteriöser Selbstversenkung ein Geheimnis entdeckt, das er Ihnen nun quasi wie eine "Erleuchtung" vorstellt. Im Gegenteil: er hat in seinem fortschreitenden Malen und Schichten etwas geschaffen, was schlicht noch nie existierte, was Züge des Geheimnisvollen trägt, jedoch jederzeit für den Betrachter nachzuvollziehen ist.

Dabei verlieren sich seine Exponate nicht in eine ferne Nicht-Gegenständlichkeit, gestatten Verweise auf abstrahierende Vorgänge, die immer wieder durch Titel wie "Korridor", "Säule blau" oder "Luxor" das Architektonische in seinem Werkprozess mitreflektieren. Bilder für den zweiten und dritten Blick!

Ich wünsche Ihnen ein bereicherndes Erleben durch die Werke von Martina Bothe und Michael Kaul! Eine Bitte zum Schluss: Wenn Sie den Ruf hören sollten: "Ich bin Künstler - holt mich hier raus …!" - dann ignorieren Sie ihn. Denn gerade unser "Kunstdschungel" braucht solche Künstlerinnen und Künstler.



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Martina Bothe
Martina Bothe: "o.T." (1995), Lehm, Holzwolle, Wachs, Draht
Martina Bothe
Martina Bothe: "o.T." (1996), Stoff, Wachs, Pigment, Draht, 20 x 12cm
Michael Kaul
Michael Kaul: "Hag" (1996), Acryl auf Nessel, 80 x 100 cm
vis á vis
Michael Kaul: "o.T." (1996), Acryl auf Papier, 42 x 52 cm