Kunstverein Speyer / Kulturhof Flachsgasse
"Zwischen Malerei und Objekt"
Papier als künstlerisches Medium
09.10.05 bis 06.11.05
Gloria Brand
Gloria Brand: "Weiße Faltung" (2003), Papiermontage, 34 x 34 x 10 cm

Das Papier dient als künstlerisches Medium. Die Ausstellung präsentiert mit Gloria Brand, Helmut Dirnaichner, Jo Enzweiler und Koichi Nasu vier international beachtete Künstler. Sie nutzen das Papier nicht nur als Bildträger, sondern begreifen es als Material der Kunst. Dabei werden bereits bei der Herstellung und Auswahl des Papiers Entscheidungen zur Struktur des Kunstwerks getroffen. "Papier-Schöpfen ist nicht von ungefähr auch ein Synonym zum Schöpfen, dem kreativen Schaffensprozess" (A. Merk, 2004).


Einführung von Prof. Dr. Herbert Dellwing

Die Ausstellung, eine gemeinsame Produktion des Kunstvereins Speyer und des Historischen Museums Schloß Philippsruhe Hanau, präsentiert vier respektable und auch international beachtete Künstler, die mit ihrer konsequenten Arbeit an neuen Bildstrukturen hervorgetreten sind. Früh haben sie die Mannigfaltigkeit und Bildbarkeit des Werkstoffs Papier für ihr künstlerisches Anliegen erkannt; sie nutzen das Papier nicht nur als Bildträger, sondern begreifen es als Material der Kunst. Die bewusste Verarbeitung des Materials zielt auf die Erweiterung und Neudefinition der Malerei jenseits der traditionellen Gattungsgrenzen. Bei der Überwindung des zweidimensionalen Bildes und der figürlichen Darstellung zugunsten des materiell und räumlich strukturierten Bildobjektes bedienen sich die Künstler der Geometrie als eigenwertigem Ordnungssystem. Sie festigt das Flüchtige, erhebt das Unverbindliche in die Dignität des Gültigen, macht das Subjektive objektiv, überführt das nur Persönliche in den Rang einer Erfahrung.

Gloria Brand arbeitet seit mehr als 30 Jahren ausschließlich mit collagiertem Papier. Nach dem Studium an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach ist sie als Ausstattungsassistentin an den Städtischen Bühnen in Frankfurt/Main tätig, wo ihr Interesse für das Bild als lebendiges Szenarium geweckt wird. Die Künstlerin erweitert schon früh den optischen Erlebnishorizont des Bildes ins Räumliche. Das mit dichten informellen Strukturen gestaltete Papier verarbeitet sie zu bewegten Bildräumen. Die raumplastischen Massen veranlassen den Betrachter, das Werk unter stets neuen Aspekten sehen und neu zu konkretisieren, so als ob es in stetiger Verwandlung begriffen sei.

Ihre Werke sind geprägt von der Dialektik zwischen dem informellen Chaos und der Disziplinierung von Zeichen und Formen im Rahmen des Quadrats. Die Acrylkästen um ihre Arbeiten sind konstitutive Teile von ihnen. Die architektonische Komponente erinnert und verweist auf Dinge der Realität, aber nicht der Dinge wegen. Es geht der Künstlerin nicht um den konkreten Gegenstand, vielmehr um die Schaffung von Situationen und Kraftfeldern als Ausdruck ihrer komplexen Erfahrungen. Das Bildobjekt erfährt gegenüber der Wand dingliche Eigenständigkeit. Besonders die großformatigen freistehenden Stapel aus gegeneinander gedrehten quadratischen Elementen sind in ihrer Blockhaftigkeit Ordnungs- und Orientierungsgrößen bei der Inszenierung und Erfahrung von Raum.

Helmut Dirnaichner, an der Kunstakademie in München ausgebildet, wohnt und arbeitet seit 1980 in Italien. Er verwendet für seine Werke ausschließlich selbstgewonnene, natürliche Pigmente, wie Sand und Erde, Schlamm, Kalk, Kohle, Asche, zerkleinertes Gestein oder Glas und sogar Halbedelsteine. Er vermischt diese mit ebenfalls selbst gewonnener Zellulose, woraus er in der Substanz so stark farbhaltige Papiere schöpft, dass die Bezeichnung Papier schon wieder unzureichend wird. Genauso könnte man das Ergebnis als zellulosegebundenes Pigment definieren (M. Bleyl).

In Dirnaichners Werken findet also eine Homogenisierung von Bildträger und Malerei zu substantiellen Farbformen statt. Es ist vor allem das Wechselspiel zwischen Grundstoff und Pigment, das durch die Vermischung der Grundelemente in variierten Verhältnissen entsteht.
Auch wenn Dirnaichner nicht im herkömmlichen Sinne malt, handelt es sich bei seinen Werken dennoch um Malerei. Mit ihr veranschaulicht er das Material seines Schöpfungsortes, das die Titel seiner Arbeiten nennen. Im Herstellungsprozess seiner Kunstwerke verweist er auf den Kreislauf von Werden und Vergehen und damit auf universale Zusammenhänge. Konkrete Malerei nähert sich in Dirnaichers Arbeiten der Natur, wird elementar (H. Schütz).

Jo Enzweiler, an der Kunstakademie München und der Hochschule der bildenden Künste in Saarbrücken ausgebildet, wo er später selbst lehrte, zählt zu den Altmeistern der konstruktiven Kunst. Seine seit 1969 entstehenden Karton-Collagen sind geprägt von der Spannung zwischen der glatten Oberfläche des maschinell hergestellten Kartons und den manuellen Abrissen, die als Offenlegung der im Material verborgenen Welt erscheinen. Hier treffen sich Kalkül und Zufall, Konstruktion und Intuition. Enzweiler versteht das Bild als Landschaft und sieht sein Schaffen als Vorgang parallel zur Natur: "Indem ich etwas zerstöre, zerreiße, knicke oder bearbeite, mache ich einen greifbaren gestalterischen, einen eingreifenden schöpferischen Prozess. Bei der Behandlung des Kartons wird das dann ganz deutlich parallel verlaufend zu natürlichen Prozessen" (Enzweiler, 1999).

"Das Moment der Serie, das für Enzweilers Arbeiten so entscheidend ist, macht diesen Prozess auch dem Betrachter klarer, als es ein einzelner gerissener Karton vermöchte. Der Reiz der Karton-Collage liegt auch und vor allem im Nuancenreichtum bei einheitlichem gestalterischem Prinzip" (E. Uthemann, 2001).

Im Werk des früh verstorbenen Koichi Nasu, der an der Kunstschule in Tokio und an der Kunstakademie in Stuttgart studierte, sind Zeit und Zeitlosigkeit enthalten. Im Entstehungsprozess seiner Arbeiten sind mehrere Lagen feinstes japanisches Reispapier über aquarellierten Gründen aufgeschichtet. Eine Schicht färbt die nächste mit. Und beim Betrachten sieht man durch sie hindurch ein wenig in die Vergangenheit der Bildschöpfung hinein. Und damit auch in den eingefangenen Zeitabschnitt (P.-C. Richter).

Die Schlichtheit der Materialien, ihre unaufdringliche natürliche Farbigkeit und ihre mit einfachen geometrischen Mitteln erzielte schmucklose Verarbeitung strahlen eine Ruhe aus, die zur Meditation einlädt. Durch die Beschränkung auf nur wenige diagonal verschobene Flächen haben die Bilder eine ausschnitthafte Wirkung. In der Kreuzung von Linien und Kraftfeldern scheint Wesentliches auf den Punkt gebracht. Hier werden in Begrenzungs- und Überschneidungslinien potentielle Kräfte gezeigt, die über das Bild hinauswirken und im Mikrokosmos des Kunstwerks auf den Makrokosmos des Weltgefüges verweisen.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.




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Gloria Brand
Gloria Brand: "Weiße Faltung" (2003), Papiermontage, 34 x 34 x 10 cm
Helmut Dirnaichner
Helmut Dirnaichner: "Grüne Steine" (2004), Verdit, Malachit, Türkis, Chrysokoll, Trovato, Jaspis, Azurit, Zellulose, Holz, 103,5 x 99 cm
Jo Enzweiler
Jo Enzweiler: ohne Titel (2002), Karton-Collage, 41 x 41 x 4,5 cm
Koichi Nasu
Koichi Nasu: "26.3.2001", Aquarell auf Papier auf Aluminium, 21,3 x 29,7 cm