Südpfälzische Kunstgilde e.V. / artgalerie am schloss
Andreas Hella: "Sichten - 25 von 50"
Malerei, Zeichnung
18.06.09 bis 05.07.09
Andreas Hella
Andreas Hella

Im Jahr seines 50. Geburtstags blickt der Künstler Andreas Hella zugleich auf 25 Jahre kreative Tätigkeit zurück. Unter dem Titel "Sichten - 25 von 50" präsentiert er aus diesem Anlass eine Retrospektive in der Galerie der Südpfälzischen Kunstgilde Bad Bergzabern. Vom 18.06.09 bis zum 05.07.09 können sich Besucher in der artgalerie am schloss einen Überblick über die künstlerische Entwicklung verschaffen, die die Gemälde und Zeichnungen des in Wörth beheimateten Künstlers im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts durchlaufen haben.

Auf der Vernissage am Mittwoch, den 17.06.09, wird der Künstlerkollege Gunter Wessmann zudem eine Einführung in das Werk Andreas Hellas geben.


Einführung von Gunter Wessmann

Andreas Hella wurde 1959 in Duisburg geboren und lebt in Wörth. Er studierte von 1978 bis 1985 bei den Professoren von Hanke und Antes an der Kunstakademie Karlsruhe. Das waren die Jahre der neuen Wilden, aufregend, direkt und voller drastischer Spontaneität. Niemand konnte nur so vor sich hin arbeiten, alle sahen allen über die Schulter - es war eine kleine familiäre Akademie. Das Gebot der Stunde war kompromisslose Individualisierung, weg von den betretenen Pfaden eines kunsthistorischen Kanons. Darum kämpften wir alle, darüber stritten wir miteinander.

Da stand er nun, der coole Biker mit der roten Matte, Andreas Hella, mit leicht spöttischem Gesichtsausdruck; er sah sich den ganzen Hype an und war so leicht von seiner eingeschlagenen Bahn abzubringen, wie ein Felsbrocken, der von einem Unwetter gelöst einen Gebirgsbach niederwalzt. Er machte sein Ding, ohne kunsthistorischen Überbau - er tat das, was er dachte tun zu müssen und, was ihn bei den Kollegen beliebt machte, er tat es mit trockenem Humor.

Sie kennen den Moment, wenn sie den ersten Biss in eine Pflaume machen. Die weiche glatte kobaltviolettfarbene Oberfläche verliert im Moment des Zubeißens die Spannung und gebiert das rötlichgelbe saftige Fruchtfleisch. Man zerkaut genießerisch den ersten Bissen, der Blick fällt wieder auf die Frucht in der Hand, man betrachtet die zahllosen nackten, kleinen, sich windenden Maden und überlegt wie viele man wohl eben schon verschluckt hat…

Die Beschäftigung mit Schönheit, Lust und Ekel hat Tradition in Andreas Hellas Arbeit, in dieser kleinen Retrospektivausstellung kurz vor seinem 50ten Geburtstag begegnen wir ihr in jeder Schaffensphase. Schon am Ende der Akademiezeit bei der Serie "Erotik auf dem Schleudersitz" - ein für einen Motorradfahrer sehr passender Titel - ist es wohl weniger Sex auf dem Gerät, als der drohende Unfall, die unglückliche Verschmelzung von Metall und Fleisch. Aber es ist auch die Verbindung von Geist und Geschwindigkeit welche die fließend ineinander verwobenen Strukturen hervorbringt. Sie sind fast Grisaillen, nur wenige farbige Stellen sind in diesen Arbeiten auszumachen.

Die "Zahnbilder" folgen als nächste Serie, die bis Anfang der 1990er entstand. Ursprung dieser Reihe war ein Bildband über Zahnauswucherungen, die Andreas bei einem befreundeten Zahnarzt sah. Fantastische Formen und Farben taten sich da für das Künstlerauge auf, sie blieben hängen, mussten gemalt werden. Das zweite Thema der Reihe ist "Leben rückwärts" - Leben, das nach Genmanipulation ein abseitiges Eigenleben entwickelt. Also haben wir es hier mit den möglichen Schäden von Genforschung auf die Umwelt zu tun. "Das heilige Gen" ist eine Arbeit, die auch das Ethos Familie und den Sinn der Fortpflanzung ironisiert.

"Beerdigung der Kunstfehler" und die zeitgleichen Arbeiten, wie "Mao" sind farblich mutiger - in diesem Fall standen Abbildungen von Gehirnoperationen Pate. Wie Gehirnwindungen sind auch die Bilddetails aufgefasst - das menschliche Hirn als Projektor für die Welt, anstatt umgekehrt. Allerdings ist die Grundstimmung Einsamkeit, wie die ansonsten menschenleeren Landschaften zeigen. Auch "Mannesangst" nimmt sich ironisch dieser Thematik an. Das zeichnerische tritt in dieser Reihe weiter zurück und überlässt der Malerei das Feld.

"Eheähnliche Beziehungen" stellen eine Reihe von Arbeiten dar, deren Zusammenhalt durch Paarbildung funktioniert. Die Paare sind allerdings nicht immer fortpflanzungsfähig, wie man am Beispiel von "Schön verbrannt", in dem Fleisch und Feuer das Paar bilden, oder "Haus der Feinschmecker" - beschäftigt mit der Zerstörung der Welt und des eigenen Körpers durch übermäßigen Luxus - erkennen kann. Ein weiteres Grundthema taucht hier wieder auf: Die Schönheit der Vernichtung, die irisierende Schönheit des Vergehens. Hier experimentiert Andreas Hella passender weise erstmalig auch mit Leuchtfarbe.

Dann die Jahre 1997 bis 2003: "Wirtschaft frisst Mensch", eine auch sehr private Reihe von Arbeiten, die sich eher partnerschaftlich - psychischen Fragen stellt. Mangelnde Kommunikation und Entfernung in einer Beziehung, Arbeiten um zu Leben oder Leben um zu arbeiten? Aber auch in dieser Serie tauchen wieder Bildtitel auf wie: "Konsum", die von Ausbeutung und Überfluss berichten.

Die "Rote Serie" heißt bei mir im Geheimen die Schmerz-Serie. Es geht auch um körperliche Empfindlichkeit, sichtbar gemachten Schmerz - den Schmerz, den Andreas Hella am eigenen Leib, genauer gesagt am Genick verspürt hat. Man kann bei diesen Arbeiten durch die offene Haut die scheinbare Mechanik des Menschen sehen, sie ist defekt oder zerstört. Hier wird wie bei "Erotik auf dem Schleudersitz" thematisch die "Menschmaschine", auf Funktionalität reduziert.

Zu den Bildern kommen auch Objekte aus Stein, Holz, Glas und anderen Materialien dazu. Der Auslöser war ein Gedanke an Verschwendung, den Andreas vor ein paar Jahren überfiel, als er das schöne dicke Glas einer Sektflasche betrachtete. In diesem Fall brachte er - ganz Bauhaus - Form und Inhalt zur Deckungsgleichheit. Die Arbeiten haben Titel wie "Teufelswinzer", "Winzerindianer". Mich überzeugt bei den Objekten vor allem das Neuste: "Du sollst keine anderen Götter neben mir haben" - einen so schön verpackten Schädel habe ich noch nicht gesehen… Ein vergoldetes Objekt, das auch noch den letzten Betrachter von der Schönheit des Verfalls zu überzeugen vermag.

Das ganze Können von Andreas Hella sieht man am Besten an der letzten Serie, den Zeichnungen. Hier wird perfekt formuliert und am raffiniertesten argumentiert. Sein ganzes Talent zur Bildfindung tritt zutage. In Arbeiten wie "Die Lüge", "Grundfesten", "Kreuz Afrikas" oder "Isoliert" sieht man den Ursprung dieser Bilder - eine Kriegsberichterstattung meistens aus den Friedensgebieten der ersten Welt. Eine Kriegsberichterstattung von Vergeudung, Heuchelei und Neid und anderen Dramen, die den Fotografien aus den Hungergebieten der dritten Welt an Drastik nicht nachsteht. Er selbst nennt es "menschliches Desaster".

Schönheit und Ekel sind Geschwister, wie das Heute und das Morgen - nur der zeitliche Ablauf bestimmt, wann etwas schön oder ekelig ist. Die perfekte Blüte, die reife Frucht oder eine weibliche Form sind heute wunderschön und reizvoll, an einem anderen Tag jedoch verfallen, zerstört und verwest. Das alte Vanitas-Thema ist es aber nicht allein, was den Reiz von Andreas Hellas Arbeiten ausmacht, es ist der unverstellte Blick auf die Welt. Keine Dekoration, keine malerische Nabelschau, sondern eine aufmerksam offene Betrachtung des Ist-Zustandes.

Damit ist Andreas Hella in der Geschichte der Kunst nicht ganz allein - Dürer, Holbein oder Grünewald mussten auch die Gesichter ihrer Zeitgenossen genau betrachtet haben, um einen mutwilligen römischen Söldner unter dem Kreuz Christi wie einen vierschrötigen Landsknecht aussehen zu lassen. Als gegenständlicher Maler sieht man genauer hin als andere Menschen - manchmal genauer als es einem selbst lieb ist - aber dadurch beginnt man zu verstehen, dass Leben in sich schon die eigene Auflösung beinhaltet, so wie der Tod der Blüte den Beginn der Frucht darstellt.

Warum bilden die Menschen die Wirklichkeit überhaupt ab? Es gibt dafür sicher eine ganze Reihe möglicher Antworten, aber im Fall von Andreas Hella bin ich mir sicher es zu wissen: Weil er es muss, die Konflikte und die Bilder, die er sieht bringen ihn dazu. Besonders in der Klarheit der Zeichnungen können wir sehen, wie gradlinig und zwingend seine Arbeit ist, aus Gerechtigkeitsgefühl, weil er zu genau hingesehen hat, dorthin wo die meisten lieber wegsehen. In seiner ernsten künstlerischen Arbeit hat er eben den unverstellten Blick, die freie Sicht auf die Dinge und Verhältnisse, wie sich wirklich zutragen.





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