Stadt Speyer / Museum Purrmann-Haus Speyer
Doris Hadersdorfer: "Camera Bianca"
Malerei
01.11.07 bis 30.11.07
Doris Hadersdorfer
Doris Hadersdorfer: "Camera Bianca" Villa Romana, 2005/06, 128 Teile (Ausschnitt), Acrylauf Papier, 18 x 26 cm

Doris Hadersdorfer zeigt im Purrmann-Haus in Speyer Malereien auf Papier. In einer Bildfolge von 128 Teilen umkreist sie das Künstlerhaus Villa Romana in Florenz, das in den Jahren 1935 bis 1943 Hans Purrmann geprägt hat, von aussen wie von innen.
Das Haus und seine Umgebung mit Campo und Park erscheinen als Vedute. Gleichzeitig wird der Betrachter mit ins Bild eingeladen - als Fenstergucker von innen nach aussen ...


Vita


1958
- in München geboren, lebt noch dort

1978-1984
- Studium an der Akademie der Bildenden Künste in München bei Prof. Sauerbruch

1984
- Villa-Romana-Preis mit Stipendium

Als eine von vielen Ausstellungen der Künstlerin sei in unserem Raum die von 1985 in der Galerie/Edition Staeck in Heidelberg genannt.


Einführung von Michael Heinlein

Gibt es genug zu sagen - wo soviel zu sehen ist?
Ist man im Purrmannhaus erlebt man den Ausblick auf Villa Romana.
Das Haus im Haus. Villa als Modell für die Welt - ein Weltmodell,
Innen und Außen... Stein und Pflanze... Giardino e Campo... Zier und Nutzen…
Oben und Unten... Sterne und Feld...
(und die Luccole, die Glühwürmchen nicht zu vergessen!)

Casa e Cosa - das Haus und die Dinge und mittendrin: das Haus voller Zimmer -
Casa e Camera - zum Entwickeln der Erfahrungen die draußen aufgenommen werden...
Hören und Sehen vergehen - und sind gleichzeitig aufgehoben in den Camere, in den Zimmern der Villa.
Die Zeit und das Zimmer.
Gibt es genug Zeit, die die Bilder brauchen, um gesehen zu werden?

Vor über hundert Jahren machte sich der junge Hans Purrmann auf nach Paris, um sich und Matisse zu finden. Vorher in München hatte er noch sehr gehofft, auf ein Italienstipendium des Grafen Schack. Doch nicht Purrmann, ein anderer Stuckschüler der Akademie, Willi Geiger durfte fahren. Ihm wird man später wieder in der Villa Romana begegnen - und auch seinem Sohn, dem Maler Rupprecht Geiger.

Im ganzen Lauf des Jahres 1984 konnte man Doris Hadersdorfer dort begegnen... In der Jahresausstellung der Münchner Akademie hatte sie ihre filmstreifenähnlichen Miniaturen ausgerollt. Nachbilder aktueller Reiseprospekte. Sie heben sich deutlich ab, von den Beiträgen der Mitstudenten, die sich immer noch als Landschaftsmaler in der Manier des 19. Jahrhunderts gefallen.

Ein aufmerksamer Besucher der Ausstellung ist der Lichtkünstler Heinz Mack. Ihn muss der erfrischende Beitrag der Doris Hadersdorfer solchermaßen erquickt haben, dass er sie für den Villa Romana Preis vorschlägt. Und der Preis wird ihr zugesprochen! Ein Jahr Aufenthalt in Florenz!! Auguri, Auguri !!! In Villa sein - "aufgehoben" - im ganz wörtlichen Sinn.

In etwa zu dieser Zeit ist der Dichter Peter O. Chotjewitz mit dem Versuch beschäftigt, das labyrinthische Innenleben der Villa, vor Ort mit dem Bandmaß zu enträtseln. Die Villa wird Romanfigur. Wir hören und staunen!
"Der kleine Palazzo ist ein rätselhaftes Bauwerk, noch immer umkreise ich in Gedanken seine Fassaden, messe Abstände, gehe nach innen und vermesse auch hier - ja, es gibt ein zweites Haus, ein unsichtbares Haus im Haus... man geht durch Sääle, Zimmer, Gänge, Kammern... verwinkelt... man vermutet an keiner Stelle, dass sich hinter den Wänden ein zweites, sehr viel kleineres Haus verstecken könnte. Mit Zimmern, Gängen, Kammern die man nicht sieht...kein Beweis einer Gegenwelt! Es liegt im Wesen des Geheimnisvollen, man kann es widerlegen, nicht jedoch aus der Welt schaffen..."
Aus "Machiavellis letzter Brief", 2003 erschienen, in dem sich der Autor in der Rolle des jungen Dichters Christian Weise von Wolfenbüttel nach Florenz begibt, um eben jenen Brief zu erjagen. Am Ende des Bandes zeigt uns der heutige Dichter Chotjewitz, was vom alten Wohnsitz der Machiavelli übrig blieb: ein Balken, eingebaut in eine Passage nicht weit von der Kirche S. Felicità - der zwischen den Trümmern der Zerstörungen im Jahr 1944 gefunden wurde... schwarzes Florenz!

Auch - und - aber - Doris Hadersdorfer schreibt in ihr Florenzer Skizzenbuch: "Fiesole - Florenz - Lichtschnüre weit unten - Punkte verwischen - Sterne sausen über meinen Kopf." Und auch: "Schlafenszeiten - Wandstücke - Zimmerfragmente - Lichtpunkte tauchen auf - verschwinden wieder im schwarz... die Augen hängen an hellen Stücken im dunklen Zimmer. Der Mond steht rund am Fenster. Lichter der Stadt glitzern den Berg hinauf, die Straßenlampe scheint grell ins Zimmer. Das Licht wirft hohe Schatten wie große Leitern an die Wand - Augenschließen - Zeit steht still - Zeit rast - Zeit rast."

Der Raum als energetisches Feld - Bewegungsraum - Erfahrungsraum - Dinge, die nah sind, aber eine unheimliche Distanz in sich tragen... Zeiträume - was hat sich abgespielt? Die Arnobrücken Tag und Nacht, das Funkeln der Lichter am Abend... Lichtungen... Lichtspiele... der Gedanke des Sendens und Empfangens, die auratischen Lichterscheinungen der Verkündigungsszenen von Simone Martini in den Uffizien und Giotto, der den Hl. Franziskus sich fast verheddern lässt in den Lichtstrahlen des Gekreuzigten in Santa Croce. Das Knüpfen und Erleben von Beziehungslinien zu fernen Biografien. Von Hier nach Dort.

Vorstellungen öffnen sich wie Zimmer, entwickeln sich wie ein Film, zu erleben als gemalte Bildfolgen "In Camera Bianca" - im Hause Purrmann und wenn es heißt, das Problem der Menschen bestehe darin, nicht im Zimmer bleiben zu können, wird es widerlegt durch den ehemaligen Bewohner dieses Hauses.

Wir begegnen Purrmann 1924 auf Ischia - auch ein Bezugsort für die Familie Hadersdorfer für Jahre. Purrmann bewohnt mit den Freunden Spiegel und Kardorff ein reizend gelegenes Haus mit Blick auf Hafen und Stadt Porto D'Ischia. Es ist Anfang September und heiß - fürchterlich heiß. Purrmann verlässt bei Tage nie das Haus, er hat herausgefunden, dass er nur sechs Schritt von seinem Bett (auf dem er liegt, wenn er nicht malt) zu gehen braucht, um die schönsten Motive zuhaben. Aussicht nach links, nach rechts - tritt er etwas zurück, ergeben sich aus der Umrahmung des Balkonfensters neue Motive, auch das Interieur. Dazu kommen noch die Variationen nach dem Stand der Sonne, die Zahl der Bildmöglichkeiten verdreifacht sich, Purrmann ist begeistert. Nie hat er in seinem Leben so mannigfaltige und bequem zu erreichende Motive gehabt - "und alles kaum sechs Schritt von meinem Bett" wiederholt er strahlend. Das Strahlen des Malers - in seinen Bildern bewahrt!

In der Tat - und das Pragmatische im Handwerk, gepaart mit dem liebenden Blick aufs Motiv, das erst das Fest des Sehens ermöglicht, das hat ihn auch zum Bewahrer der nichtakademischen Akademie - eines irdischen, geerdeten Arkadiens namens Villa Romana machen können!!!
Hätte er sich nicht im Verein mit dem Jugendfreund Theodor Heuss für eine Wiedereröffnung eingesetzt, wäre der junge, fahrende Dichter Joachim Burmeister ab 1972 nie Gärtner der barocken Parkanlage geworden oder etwa Archivar oder Installateur, Einrichter, Illuminierer von Räumen, Zimmern und Festen… Die veritablen Geheimnisse wären ihm nicht aus den eigenwilligen Wänden der Villa bei Renovierungsarbeiten in die Hände gefallen. Eine Korrespondenz Purrmanns von 1936 beispielsweise, mit der ein Mauerloch zugestopft war. Und all die Gäste, Gastkünstler und Stipendiaten wären nicht mit Namen, Geschichten und Kreuz- und Querverbindungen versorgt worden - und überhaupt, sie wären nicht aufgehoben gewesen - im besten Sinne.
Verehrte Damen und Herren, ab heute sind wir aufgehoben in den Bildern von Doris Hadersdorfer aus München und Florenz - wer es nicht glaubt, der sehe selbst!




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Doris Hadersdorfer
Doris Hadersdorfer: "Camera Bianca" Villa Romana, 2005/06, 128 Teile (Ausschnitt), Acrylauf Papier, 18 x 26 cm