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Gabi Klinger: "Mit Feder, Faden und Farbe"
Ausstellung im Rathaus Mutterstadt
19.10.12 bis 09.11.12
Rhein-Pfalz-Kreis
Gabi Klinger

Vernissage am 19.10.12 um 19.00 Uhr

Mit Feder, Faden und Farbe gezeichnete, gestickte und gemalte Arbeiten von Gabi Klinger.

Einführung von Dr. Karin Bury

Auf drei Etagen gibt es diesmal hier im Mutterstadter Rathaus viel Ungewöhnliches zu beschauen: Grafisches und Malerisches in nicht alltäglicher Kombination. Ich habe nun das Vergnügen Ihnen die Künstlerin und ihre Arbeit vorzustellen und will versuchen Ihren Blick "nach Strich und Faden" zu schärfen.

Gabi Klinger kam in Würzburg zur Welt, hat Kindheit und Jugend im ländlichen Raum von Unterfranken zugebracht, in Mainz ihr Kunststudium beendet und danach als Lehrbeauftrage für Zeichnung an der Johannes-Gutenberg-Universität gearbeitet. Heute unterrichtet sie ihr Fach in einem Wormser Gymnasium. Ebenfalls in Worms befindet sich seit 2009 ihr Atelier.

Gabi Klinger arbeitet hauptsächlich gegenstandsbezogen. Ihr Schwerpunkt liegt noch immer im Grafischen - und ganz speziell in dem von ihr selbst weit gefassten Bereich der Handzeichnung. Dabei kommt der Handzeichnung gerade hier in der Ausstellung eine doppeldeutige und spannende Rolle zu. Einmal als Fachbegriff für mit der Hand Gezeichnetes, zum anderen in der häufig wiederkehrenden Darstellung menschlicher Hände.
Und ihr Handwerk beherrscht sie meisterlich. Mit Hilfe akribisch-präziser Strichführung verwandelt sie Menschen, Tiere, Landschaften und Dinge in beinah fotorealistische Abbilder von großer Plastizität und Tiefe. Inspiration findet sie in ihrer unmittelbaren Umgebung - in der Landschaft ebenso wie in alltäglichen Auseinandersetzung mit Alltagsgegenständen, Werbeprospekten, Zeitungsmeldungen oder selbst fotografierten Motiven, die sie oft collageartig miteinander vernetzt.

Zunächst möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf eine Reihe streng grafisch wirkender Arbeiten hier im Erdgeschoss lenken. Es handelt sich um die 18 kleinformatigen Tafeln, die zu einer Gruppe formiert wurden. Was auf den ersten Blick an umrissscharfe Malbuchvorlagen oder Drucke erinnert, sind in Wirklichkeit auf weißen Köper gestickte Zeichnungen. So wie etwa bei der Lithografie - einem Flachdruckverfahren, bei dem eine zuvor angelegte Kreidezeichnung als Druckgrafik reproduziert wird, so sind hier mit Hilfe entsprechender Software und einer an den Computer angeschlossenen digitalen Stickapparatur selbst gefertigte Zeichnungen ebenfalls beliebig zu vervielfachen. Als spannungsreich erweist sich der Motivmix, der unter anderem niedliche Tiere mit bewaffneten Kriegern kombiniert. Gabi Klinger fühlt sich von Gegensätzen angezogen, liebt Grenzüberschreitungen und jene Momente, in denen Motiv und Stimmung durch bewusste Irritation zu kippen beginnen. Für den Betrachter ist dies sofort nachvollziehbar - befindet er sich doch inmitten der vermeintlich heilen Welt voll weicher Häschen, romantisch dreinblickender Frauen und graziler Ballerinas, die durch Soldaten und Guerillakämpfer mit gezückter Schusswaffe jäh bedroht wird.

Bei den Tuschezeichnungen mit Händen und Tieren geht es darum, wie wir heute mit Dingen und anderen Lebewesen im Wortsinn in Berührung kommen.
Bis auf eine Ausnahme war keines der dargestellten Vorbilder wirklich lebendig. Nur die Taube saß als lebendes Symbolbild bei einer Friedensveranstaltung Modell für die Künstlerin. Wir haben ein friedvolles Miteinander selbst in der Hand - so könnte die Bildübersetzung lauten.
Als Wettbewerbsbeitrag zum 22. Mainzer Kunstpreis entstand unter dem Motto "Vision Europa" eine Tuschzeichnung, in der eine scheinbar riesenhafte menschliche Hand einen um Freiheit ringenden weißen Bullen mit festem Griff umfasst. Es ist der griechische Gott Zeus, der in Gestalt eines Stieres die phönizische Prinzessin Europa nach Kreta entführt hat. Heute wird daraus ein ironisches Bild für ein von Europa umklammertes Spielzeug, das bereits im nächsten Moment schon fallen gelassen werden könnte. Bei dem Stier handelt es sich um eine kleine Kinderspielfigur aus Plastik.
Die Hände, die gestisch sehr ausdrucksvoll in ein Knäuel aus Zuckergummischlangen hineingreifen, heben auf die Künstlichkeit all dessen ab, mit dem wir täglich in Berührung kommen.
Was begegnet uns heute in unserer hoch entwickelten Industriegesellschaft tatsächlich noch pur und unverfälscht?
Lebendige Schlagen jedenfalls kaum. Für Gabi Klinger sind sie Symbolbild dafür, dass wir in unserer aufgeräumten Umwelt kaum noch mit Tieren Kontakt haben. Wir müssen sie uns aus Zucker und Gelatine nachbilden, können uns genussvoll vor ihrem ungefährlichen Anblick gruseln und sie später einfach aufessen.
Und selbst das, was wohl den meisten Menschen Unbehagen bereitet, die Spinnen nämlich in unmittelbarer Nähe zu den Händen, waren keine echten Spinnen. Es handelt sich hier um Spinnen-Bilder von Spinnen-Abbildern. Die Vorlagen für die gezeichneten Spinnen bestanden aus Halloween-Accessoires und einer wissenschaftlichen Illustration aus einem Fachbuch. Sie sind also völlig ungefährlich für die sich aus der Bildebene zurückziehenden Hände.

Gabi Klingers  "Monos" im ersten Stock bilden wirklichkeitsgetreu das Rebland Rheinhessens ab. Eine Kulturlandschaft, die sich auf einen Blick erschließt - so präzise in der topografischen Darstellung, dass sich die Orte problemlos lokalisieren lassen. Je näher man an diese mit Tusche ausgeführten Landschaften herantritt, desto deutlicher wird, dass die Künstlerin für die Darstellung ihrer Weingärten eine eigene "Zeichensprache" entwickelt hat, mit der sie durch kontrollierte, schematisierte Strichführung eine von Menschen angelegte Monokultur - daher auch der Titel - kritisch beschreibt. Der Mensch selbst tritt gar nicht in Erscheinung, sondern nur durch das, was er aus seiner Umwelt geformt hat.

Mit ihren Gemälden, für die sie die Farben meist selbst herstellt, entführt uns Gabi Klinger in reale und surreale Welten, in denen sie selbst als Urlauberin auftritt, riesige Münder lustvoll ein Gummibonbon vernaschen oder ein in bunte Metallfolie gekleideter Schokonikolaus gerade einen Schwächeanfall im Wald zu erleiden scheint. "Melancholie" umweht das traumbildhafte Selbstporträt der Künstlerin. Selbst Innerstes macht sie für uns sichtbar und entzieht es sogleich wieder unserer Deutung. Eine anonymisierte, geschlechtslose Gestalt kriecht auf einem anderen Bild aus einem Labyrinth heraus, während auf einer weiteren Arbeit ein menschlicher Arm sich mutig voran tastend in die Ungewissheit einer bunt gemaserten Flüssigkeit vor wagt.
Wagen auch Sie den Tauchgang und begeben Sie sich jetzt auf eine spannende Entdeckungsreise durch diese Ausstellung. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

[www.gabiklinger.de]


Ausstellungsort:
Rathaus Mutterstadt
Oggersheimer Straße 10
67112 Mutterstadt


Öffnungszeiten:
während der Dienststunden




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