Stadt Landau in der Pfalz / Stadtbibliothek Landau
Jürgen Schuler: "Das Selbstverständnis des Abbildes"
Holzschnitte
01.07.05 bis 22.07.05
Jürgen Schuler
Jürgen Schuler

 

Der in Karlsruhe lebende Künstler Jürgen M. Schuler malt seit 1983 und fertigt seit 1993 Holzschnitte. Hierbei hat er eine beachtliche Fertigkeit erlangt und nahm bereits an verschiedenen Einzel- und Gruppenausstellung teil. Erstmalig stellt er seine vielseitigen Exponate in Landau aus. Einige der Arbeiten stehen in Korrespondenz mit lyrischen Texten von Andreas Kohm, mit dem er bereits zwei Bücher vorlegte. Hierbei haben die beiden Künstler das notwendig Prekäre der künstlerischen Infragestellung auf eine gemeinsame These gerückt: "Wenn die Kultur eine ebenso differenzierte wie diffuse Benutzeroberfläche ist, die den Einzelnen und alle anderen möglich macht, ist da nicht auch noch ein (unerreichtes) Unerreichtes, vielleicht ein Ver-Sprechen und Ver-Sagen, das in aller Kultiviertheit noch ein Anderes offenhält für eine Erkenntnis?...".

Zur Vernissage spricht Andreas Kohm eine Einführung, die er mit einer Lesung fortsetzt und literarisch gestaltet.


Einführung von Andreas Kohm

Der Arbeitscode des Projektes war knapp: LD05. Landau 2005.
Oder hermetischer und die Abkürzung führte weit über Landau hinaus? Doch wohin? Koordinaten eines rheinebenenweiten, badisch-pfälzisch-francokanadischen Landschaftsplans? Aus Holz und Öl und ein paar Versen? Am Ende gar Zahlenmystik?
Ein wenig nüchtern, ein wenig sperrig auch, kommt nun der offizielle Titel der Ausstellung von Bildern des Malers und Holzschneiders Jürgen Schuler einem vor: Das Selbstverständnis des Abbildes.

Eine dieser oszillierenden Genitivkonstruktionen, bei denen einem nicht klar wird, wo ihr Zentrum liegt, die elliptisch eine Unschärfe und ein In-Zwischen umkreisen und umreißen [gr. 'elleipein' unterlassen, auslassen, zu gr. 'leipein' lassen] und vielleicht dadurch noch und erst die Spur einer Berührung ahnen lassen, einen vergangenen Augenblick Bewegung, die sich in sich selbst spiegelt, aufs immer Neue, eine Wiederbewegung und Wiederbelebung und Wiederholung versucht, fast ein Spiegelkabinett.

Eine Ausstellung von Bildern? Fragen wir von hinten her. Nicht die Frage nach dem Original wird aufgeworfen, sondern die nach dem mimetischen Doppel, dem Ab-Bild: das Bild, das sich trennt, weg-von, das sich in aller Ähnlichkeit unterscheidet - gar bis zur Unkenntlichkeit. Das Bild, das weg von einem Original, hin zu einer Eigenständigkeit, oder soll ich sagen: hin zu einer Selbstverständlichkeit unterwegs ist. Dabei jedoch stets eingedenk der Tatsache, dass es nicht voraussetzungslos, nicht ohne Bezug zu den Dingen von dieser Welt ist.

Im Akt des Malens, der bei Jürgen Schuler alles andere als clean, als sauber ist, dabei jedoch wohl bedacht und vorbereitet ist, bekundet sich ein zweifaches Wissen:
Ein Wissen darum, dass das sogenannte Original unerreichbar, der paradiesische Ort des Ursprungs für immer/schon immer verloren ist. Der Platz des Malers ist diesseits der Paradieshecke, außerhalb der Umfriedung, hinüberschielend, linkisch-linkshändige Versetzungs- und Übersetzungsversuche, die um ihr Scheitern wissen und gleichwohl von Heimweh getrieben. Ein Heim- und Hineinwehen, welches oft umschlägt in Sehnsucht und darüber hinaus.
Und damit zugleich ein anderes Wissen, wie ziellos ein solcher Abbild-Weg ist, da die Abwegigkeit dieses Weges prinzipiell offen bleibt und sich in jedem Moment und in jedem Bild neu zu finden, zu erfinden - und zu vergessen hat.

Solches Wissen hat sich selbst nicht sicher, ist besitzlos. Es resultiert aber trotzdem oder auch gerade deshalb in ein Tun und zugleich in ein Vertrauen darauf, im Abbildungsprozess könnte eine Spur erhalten bleiben davon, wie sich das eine zum anderen möglicherweise verhält. Wie eine Wirklichkeit kontinuierlich in andere Wirklichkeiten vielleicht übergeht, in anderen Wirklichkeiten vielleicht auf- und untergeht, wie im Überquellen der Möglichkeiten die Perspektiven sich und damit den Betrachter verschieben, denn er ist es, in dem die Welt zu sich kommt und sich verliert.
Ist also im Abbild, als einer schöpferischen Anmaßung den Dingen gegenüber, ebenso eine Traurigkeit wie ein Vertrauensverhältnis geborgen: das "Nicht-hinreichen-können" an sie und von dort her, das verstummte Hingegebensein des Dings, beide einmündend in ein ethisches Inzwischen der beiderseitigen Selbstgelassenheit. Was nicht gleichzusetzen ist mit Ruhe - im Gegenteil.

Vielleicht ist dies die unscharfe Stelle oder eben auch die Utopie eines Selbstverständnisses von sich als Mensch. Oder vielmehr die Möglichkeit eines Selbstverständnisses, die sich mit jedem Augen-Blick auf das Abbild eröffnet. Oder die Möglichkeit eines Selbstverständnisses, das sich in jedem Abbild für einen Augen-Blick öffnet und sagt:
Ich bin Du, aber Du siehst mich nicht.
Doch wohin geht dieser Blick?
Was sehen wir da?
Sehen wir, wenn wir sehen, ein Bild?
Oder nicht zumeist bloß eine halbwegs beruhigende Erfüllung einer Erwartung, ein Vorgedachtes? Wissen wir wirklich gut genug, wie eine Zwiebel oder ein Apfel oder all die Dinge da um uns herum aussehen? Wissen wir, wie Kinder baden, wie jemand uns anschaut, wie eine Frau, wie eine Landschaft daliegt? Oder ist das überhaupt keine Landschaft? Kein Gegenüber?

Wartet da nicht noch etwas anderes auf uns in uns?
Ist das Bild nicht vielmehr erst dann da als eine Entdeckung, als ein Erschrecken, wenn plötzlich noch etwas Anderes erkannt ist? Nicht etwas, das dann leicht zu greifen, zu begreifen und zu verstehen ist, sondern vielmehr undeutlich, irritierend und schlüpfrig. Etwas schlüpft zwischen den Bedeutungen und Klarheiten hindurch, entwischt und ist uns im gleichen Augenblick ein Zufall und ein uns Zugefallenes, ob wir wollen oder nicht.
Viele der Bilder sind Bilder der Ferne, Bilder aus Ferne, die sich auflösen, je näher man ihnen kommt, vielleicht Traumbilder und Gesichter von der anderen Seite der Welt. Denen man manchmal und nur beim Aufwachen oder im fiebrigen, trunkenen Vorsichhindämmern, auf der Schwelle zum hellen Bewusstsein begegnet. Aneinander vorbeigehen, flüchtige Blicke, sich umdrehen, verschwunden. Da war was, ist was, bleibt auch.

Was das ist?
Die Erinnerung der Gegenwart, die Explosion der Gegenwart im Kopf, das Aufreißen dieser Berührungsspur im Bild, im Blick, im Blinzeln, blic-blic, Blick- und Blitzlichtgewitter, das sich in unserem Wahrnehmungsapparat abspielt.
Dabei ist das Auge womöglich der blindeste Fleck, da wo, ganz bei Sinnen, eine Verrückung, eine Dunkelheit, ein Riss in der Denkbarkeit sich auftut. Ist dieses Sich-auf-tun der Ort, der Raum, in dem die Welt und die Dinge sich aufmachen zu uns, in uns, durch uns? Wunde und Wunder? Ein heilsames Durcheinander, einen Wimpernschlag lang manchmal nur, manchmal auch für eine Ewigkeit, eine Lebenszeit, ein Fortlaufendes, ein Vergängliches. Plötzlich sind da längst vergessene Gerüche, Geräusche, Geschmäcke, Stimmungen, das Jetzt platzt in uns auf, eine Knospe Winzigkeit, Verschattungen, Strahlungen, pelzige Zunge, Knistern.

Was also ist zu sagen, oder nur zu vermuten: Ist Jürgen Schuler ein Wund- und Wundermaler? Ist Jürgen Schuler ein Wandermaler an den Grenzen des Bewusstseins, an den Wegrainen und Straßenrändern der inneren Provinzen? Einer, dem in Augen-Blicken des Glücks wunderbar vielstimmige und vielsprachige und widersprüchliche Bilder gelingen, - einer der malend und holzschneidend sich und vielleicht auch uns in Selbstgespräche verwickelt, - einer, der allein in seiner Wirklichkeit und seinem Werk lebt, wie jeder von uns, - einer, der abseits von Betrieb und Betriebsamkeit in einem nun schon über 20 Jahre andauernden Arbeiten und Schaffen und Schöpfen durch alle Krisen hindurch sich tastet. Sitzt Jürgen Schuler an einer Quelle?
Ich nehme an, dass es der fruchtbarste, oft auch furchtbarste und lebenslänglich nicht versiegende Genitiv- und Genesisort ist, den ein Mensch, den wir alle in uns durch unsere Zeiträume zu tragen haben: Die Kindheit.
Sind wir nicht immer Zu-spät-Kommende? In jedem Moment? Jetzt und jetzt und wieder jetzt?

Die Schnitte sind gemacht, in Schwellenholz vielleicht, nein, Sperrholzplättchen, schichtverleimt, zugesägt im transatlantischen Format, einige auch größer. Ich komme spät in der Nacht und Jürgen steht in der Küche, den Druckstock auf dem Küchentisch, ein Stapel Papier, der die Siebstruktur noch zeigt, winzige Wellen und Schatten im gelblichen Weiß. Die Farbe auf einer kleinen Glasscheibe, die Walze nimmt auf, fährt über das Erhabene des Druckstocks, Papier wird anvisiert und aufgelegt, der Handballen presst. Gutenberg ist noch nicht da. Es ist Frühling und die Luft duftet von draußen herein.

Andreas Kohm, 2005
Alle Rechte beim Autor

 





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