Stadt Frankenthal - Kultur und Sport / Kunsthaus Frankenthal
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Luther und Babylon: Bilder von Ideen und ihren Folgen
12.01.18 bis 18.02.18
Kunsthaus Frankenthal
Sophie Natuschke: "solo verbo Paar", 2016 © Archiv Anke Zeisler

Vernissage ist am Freitag, 12.01.18 um 18.30 Uhr
Begrüßung: Martin Hebich, Oberbürgermeister
Einführung: Anke Zeisler, Verein "kunst projekte" (Waldsieversdorf), Kuratorin der Ausstellung
Musik: Andrea Silber, Sopranistin und Rainer Diehl, Klavier

Reformation, was war das? Im Herbst 1517 kritisierte der Wittenberger Theologieprofessor und Seelsorger Martin Luther die Ausübung des christlichen Glaubens. Die Vergebung der Sünden - das war der Schlüssel zum Tor des ewigen Lebens, und die Kirche besaß ihn. Vor der Erlösung aber standen Reue, Beichte, Buße. Was aber war Buße? Viele Gläubige zogen es vor, durch Geldspenden für ihr Seelenheil zu sorgen.

Die "Peterspfennige" der Sünder flossen nach Rom. Einige Jahre vorher war Martin Luther dort gewesen und hatte den Petersplatz als Baustelle gesehen. Die altehrwürdige, zuletzt marode Kirche über dem Grab des Apostels, errichtet noch unter Kaiser Konstantin, geweiht vom ersten Papst, war abgerissen worden. Eine neue, riesige, prunkvolle neue Kirche sollte entstehen. Papst Leo X., der Bauherr, förderte die Künste und führte einen luxuriösen Hof. In seiner Menagerie lebte ein Elefant.
Sinnlose Äußerlichkeiten! "Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht 'Tut Buße' usw., hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll." So lautet die erste der 95 Thesen, die Luther in einem Brief an seinen Vorgesetzten sandte. Mit Geld war nichts zu wollen: "Daher bleibt die Strafe, solange der Hass gegen sich selbst - das ist die wahre Herzensbuße - bestehen bleibt, also bis zum Eingang ins Himmelreich." 
Diese Gedanken kursierten bald unter dem Titel "Propositionen wider den Ablass". Es begann ein Machtkampf. Einige Jahre später verfasste Martin Luther die Schrift "Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche" - sein endgültiger Bruch mit der überlieferten Lehre. "Babylon", in der Bibel die Stadt des Exils und der Sünde, war für ihn Rom, die Stadt der Päpste.

"Luther und Babylon: Bilder von Ideen und ihren Folgen" ist Titel der Ausstellung im Kunsthaus Frankenthal. Zu sehen sind Werke von Malern, Bildhauern und Zeichnern zum Thema der Reformationsgeschichte: Frank Diersch, Dieter Goltzsche, Hans-Hendrik Grimmling, Marc Gröszer, Sylvia Hagen, Jürgen K. Hultenreich, Horst Hussel, Katrin Kampmann, Kai Klahre, Hagen Klennert, Harald-Alexander Klimek, Jürgen Köhler, Natascha Mann, Sophie Natuschke, Ronald Paris, Hans Scheib, Helmut Senf, Reinhard Stangl, Songwen Sun-von Berg, Ruth Tesmar, Heidi Vogel, Jana Wilsky.
Zusammengestellt vom Verein "kunst projekte" aus Waldsieversdorf (Brandenburg), wurde die Ausstellung 2017 in den Räumen der Sparkasse Märkisch-Oderland in Frankenthals Partnerstadt Strausberg gezeigt.

Teilnehmende Künstler:

Harald-Alexander Klimek aus Frankenthal/Pfalz reflektiert in seinem Diptychon "Bauernopfer" und "Der Turm" die Reformation als eine Zeitenwende. Es sind detailreiche Sinnbilder, in aufwendiger Lasurentechnik gemalt. Im "Bauernopfer" bewegen sich allegorische Figuren vor dem Hintergrund der vier Elemente - ein Hinweis auf das Naturverständnis im 16. Jahrhundert. Im Feuer steht trommelnd der Geist eines "Ketzers". Oder ist es ein Magier aus älterer Zeit? Die Kirche sitzt im Element Wasser als ein Schätze hütendes böses Tier. Im Element Luft sehen wir drei Fürsten mit Kanonenrohren: kriegstreibende Kräfte. Kämpfende Bauern haben sich abgewandt von geistlicher und weltlicher Macht, und die Erde ringsum ist rot von ihrem Blut. In der Mitte ganz kleine, schwarze Gestalten, Umrisse von Seelen - die Einheit, um die in dieser Zeit verhandelt wird. Das Pendant "Der Turm" ist Bild im Bild, Collage, ein Zitat: Der Turm von Babel, Illustration aus dem 1679 erschienenen Buch "turris Babel sive Archontologia" des gelehrten Jesuiten Athanasius Kircher. Der Turm ist hier ein behauener, auf vielen Treppenwegen begehbarer Fels, der in den Himmel ragt: Bild der Utopie von der ursprünglichen Einheit alles Wissens, aller Sprachen, aller Religionen, von der Ordnung im großen Bauplan Gottes. Die Zeit der Alchemie ist vorbei, die Neue Zeit der Wissenschaften hat begonnen. Klimek kommentiert dieses Bildzitat mit allegorischen Darstellungen von Brandstiftung und Krieg. Die Einheit der Welt erscheint als Illusion. Der Zeichner warnt vor menschlicher Hybris.

Ein Diptychon über Gegensätze zeigt die in Shanghai/China aufgewachsene Künstlerin Songwen Sun-von Berg. Zwei Tuschzeichnungen, "Himmelssäule" und "Erdsäule", laden ein zu einer Betrachtung einer in Zeichnung übersetzten Natur. Hier ist kein Kampf. Himmel und Erde sind Pole, die einander bedingen. Sie sind vor dem Anfang aller Geschichten. Das christliche Drama von Tod und Auferstehung, von Schuld und Erlösung - hat hier noch nicht begonnen.

Sophie Natuschke verbindet in der Graphik-Reihe "solo verbo" Vorbilder aus dem Holzschnitt von Hans Sebald Beham "Kriegsgreuel in einem Dorfe" mit der Martin Luther übersetzten Liedzeile "Wer kan herr für dir bleiben". Der Text, eine Zeile aus dem Buß-Psalm "Aus tiefer Not schrei ich zu Dir", gibt das Thema vor; in den Bildern scheinen Vorbilder und Wörter zu schweben, wie vom Wind verweht.

Die Bildhauerin Sylvia Hagen bezieht sich auf die Gegenreformation. Von ihr sieht man eine aus Gips geformte Büste des Büste des Abraham a Santa Clara (1644-1709). Der so volkstümliche wie wortreiche Prediger und Dichter war ein Geistlicher des Augustinerordens, dem auch Martin Luther anfangs angehörte.

Von persönlicher Aneignung der christlichen Heilsgeschichte erzählen Hagen Klennerts Kreide- und Bleistiftzeichnunen der "Passionsreihe". Die christliche Geschichte ist gegenwärtig, sie vollzieht sich im Menschen immer neu.

Einige Arbeiten zeugen von der Auseinandersetzung mit Luther als historischem Vorbild im Sozialismus. In Dieter Goltzsches Zeichnung "Luther und die Neuzeit"(1973) zeigt sich der Geistliche mit dem Siegelring in einem modern angelegten Bild: Selbstaussage eines zeitgenössischen Künstlers.

Von Ronald Paris sieht man die Lithographie "Ritter und Tod nach zeitgenössischer Graphik des 16. Jahrhunderts" (1975), eine bewegte Komposition in historischem Kostüm. Der berühmte Stich von Dürer "Ritter Tod und Teufel" klingt im Titel an.

Heidi Vogel zeigt eine Folge von fünf Lithographien aus dem Jahr 1981: Szenen aus dem Leben des Geistlichen, verbunden mit Fragen nach der Vernunft der christlichen Lehre.

Ruth Tesmar behauptet in ihrer Assemblage aus Papier, Text und Notenschrift "Briefe über einen Traum 3 (Martin Luther und Martin Luther King)" aus dem Jahr 2016 die Gegenwart der protestantischen Botschaft. In der Mitte der Arbeit, aus Papier gefaltet, das Zeichen des Kreuzes.

Hans Scheib hält sich mit seiner Radierung "Erasmus an Morus" (Lob der Torheit) aus dem Jahr 1990 fern von Martin Luther. Aber Erasmus von Rotterdam war sein Zeitgenosse und durch das satirische Werk "Lob der Torheit", das er 1509 im Haus seines Freundes Thomas Morus verfasst hatte, berühmt geworden. Von Thomas Morus stammt das überaus einflussreiche Werk "Von der besten Verfassung des Staates und von der neuen Insel Utopia". Der Zeichner zeigt den Humanisten schreibend in weiter Landschaft, mit verkümmerten Beinen. Er reitet auf einem unverhältnismäßig kleinen Esel, einem Tier, das in der christlichen Tradition eine Rolle spielt. Erasmus von Rotterdam wollte die Kirche nicht von Grund auf verändern. Im Gegensatz zu Luther glaubte er an die Wahl des Menschen zwischen Gut und Böse. Hans Scheib gelang eine beiläufige, skeptische, satirische Zeichnung über einen großen Satiriker. Er nimmt die Schwäche geistiger Freiheit wahr, die Macht der Dummheit. Eines ihrer Opfer wurde auch Thomas Morus. Heinrich VIII. ließ ihn köpfen.

Jürgen K. Hultenreich zeigt sechs kleinformatige Tuschezeichnungen, die, ohne als Serie entstanden zu sein, ein Ensemble bilden. Die Erzählungen des Glaubens sind in knappen Bildszenen zusammengefasst, nicht ohne Ironie, skizzenhaft, in fahlen Farben. Manche Zeichnungen illustrieren oder kommentieren Sprüche oder Verszeilen. Der Übergang zum Genre der Karikatur ist fließend. "Der Teufel und sein Schüler" heißt eins der kleinen Werke. Ein anderes: "Luther träumt von Maria". In spielerischer Konzentration sucht der auch als Schriftsteller bekannte Zeichner die Essenz des Geschehens, die gültige Form einer seelischen Erfahrung. In Werken zur Kreuzigung und Auferstehung entfaltet er den dramatischen Kern des christlichen Glaubens.

Horst Hussels zwei Ölgemälde - kleinformatig, quadratisch - lassen an Wandkacheln denken. "Luther und der Bapst" ist eine naiv-raffinierte farbige Strichzeichnung: Die Figur "Luther" hat sich hier auf das Dach einer Kirche gestellt und steht dadurch höher als die Figur des Papstes. Der Künstler verweigert hier jeglichen Pathos einer Historienmalerei oder -graphik. Radikaler noch das Pendant des kleinen Bildes vom Papst: Luther im Kampf mit dem Teufel, genauer: den Wurf des Tintenfasses an die Wand der Wartburg. Das ist eine Bewegung, ein Fleck an der Wand und die Frage: Was ist ein Bild?

Von Jana Wilsky ist eine abstrakte Arbeit zu sehen: "Meer Bach". Eine Arbeit in blauer Farbe, Linien und Noten sind angedeutet: Übersetzung des zeitlichen Ablaufs von Musik in das Rechteck einer Bildfläche.

In Hans-Hendrik Grimmlings großformatigem Ölgemälde "Bruderkreuz" glühen Rot und tiefes Schwarz auf hellem Grund. Das Zeichen des Kreuzes in Schwarz, halb verdeckt, beherrscht das Gemälde. Umfassende rot-schwarze Figuren deuten Zusammenhalt an. Aber die Bedeutung des Bildes ist zurückgenommen, nur angedeutet als Chiffre oder Verdichtung, Essenz. Das Gemälde lässt daran denken, dass die Geschichte der Reformation auch eine Geschichte der Bilder ist: Protestanten waren Bilderstürmer. Die Kunst fand neue Formen. Der Maler, an der sozialistisch-propagandistischen Leipziger Kunsthochschule erzogen und später einer der leidenschaftlichen Abtrünnigen, ergründet im Bild die Möglichkeiten der Aussage diesseits und jenseits der sichtbaren Welt.

F. Fey


Zur Ausstellung findet ein Begleitprogramm statt. Am 26.01.18 gibt es eine Lesung mit Jürgen K. Hultenreich zum Thema "Luther und die Freiheit" und am 02.02.2018 eine musikalische Darbietung "Spiritu-Wellness" mit Michael Bauer (Wort), Andrea C. Baur (Laute). Auf der musikalischen Basis einer Laute, wie sie auch von Martin Luther gezupft wurde, klingt es in diesem Programm nur manchmal historisch rein.

Öffnungszeiten:
Di. bis So. von 14.00 bis 18.00 Uhr





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Sophie Natuschke: "solo verbo Paar", 2016 © Archiv Anke Zeisler