Kunstverein Speyer / Kulturhof Flachsgasse
Nicholas Bodde: "Formal"
Malerei
11.03.07 bis 15.04.07
Nicholas Bodde
Nicholas Bodde - Atelier

Jens Peter Koerver über die Arbeiten des Künstlers

Zugespitzt formuliert steht Nicholas Bodde einer Farbmalerei nahe, die Strategien des Konstruktiven nutzt, um Farbe in der Vielfalt ihrer Erscheinungen als Malerei zu realisieren. Aspekte eines konstruktiven Bildaufbaus dienen der klaren und effizienten Organisation einer Farbmalerei, die auf die Präsenz von Farbe in ihrer Mannigfaltigkeit zielt.

Insofern lässt sich die Arbeit des Künstlers insgesamt als eine unabschließbare Recherche, eine unsystematische Untersuchung zur gemalten Farbe verstehen: zu ihrer materiellen und tonalen Vielfalt, zu den Formen ihres Zusammenklingens und Aneinandergeratens und zu ihrer genuinen Fähigkeit, adäquate Entsprechung und wirkungsvoller Träger unserer Empfindungen und Emotionen zu sein.


Einführung von Manuel Meiswinkel

Als ich vor vielleicht drei Jahren das erste Mal in das Bremer Atelier von Nicolas Bodde kam, dachte ich direkt: Schön bunt! Da malt einer wieder Streifen.
Aber: Der erste Eindruck war dennoch nicht uninteressant für mich. Schwerelos schwebte da Farbe an der Wand. Gebändigt in die Form damals noch rechtwinkliger Felder, intensiv in ihrer Leuchtkraft, sinnlich in ihrer unterschiedlichen materiellen Präsenz.

Am Ende dieses kleinen Atelieraufenthaltes war er um eine Arbeit ärmer und ich um eben diese reicher. Es sollte nicht dabei bleiben, - gleichwie…als mich Nicholas Bodde letztes Jahr fragte, ob ich diese Ausstellung hier eröffnen wolle, war ich gerne bereit. Es ist mir eine große Freude, nicht zuletzt, weil ich seine Arbeit im Verlauf meiner Beschäftigung mit ihr immer mehr schätzen gelernt habe.

Die hier ausgestellten Werke repräsentieren einen Ausschnitt der letzten Jahre. Ein kurzer Rückblick mag seinen Weg bis hier verdeutlichen: 1988 entstanden seine "Farbentagebücher", mit denen er auch sein Studium an der Bremer Kunsthochschule abschloss. Diese Sammlungen berührbarer(!) Bilder, ich bezeichne die bemalten Seiten dieser dickpappigen Kinderbücher jetzt mal als Bilder, zeigte einen ungewohnten Kontext, in dem ein Bild als Original auftaucht. Die Beziehungen der Farben untereinander oder nebeneinander lassen ebenso wie deren stoffliche Farbbeschaffenheit und das Buch bedingte Format etwas vom "künftigen Bodde" erahnen. Diese "transportablen Bilder" erfahren eine Reflexion als Gegenstand, wie Jens Peter Koerver in seinem ausgezeichneten Vorwort des letzten Kataloges schreibt.

Bodde baut Mitte der 1990er Jahre Kästen mit waagerechten Einschüben, in denen meist monochrome Farbtafeln wie in einem Archiv geordnet werden. Sie liegen übereinander, nur die Stirnseiten sind sichtbar und nehmen da das Streifenprinzip, allerdings körperhaft, vorweg. Der Bildträger wird mit der bildnerischen Information identisch, diese umschließt jenen, es gibt keine Vorder- oder Rückseite. Darüber hinaus lässt er einen oder mehrere Einschübe frei, eine Aufforderung an den Betrachter, die Tafeln zu berühren und in ihrer Ordnung zu variieren. Dieser variablen Ordnungsmöglichkeit wird später in gewisser Weise das Rekomponieren durch den Betrachter entsprechen, wenn er Beziehungen zwischen den farbigen Feldern sucht.

Ab 1995 beginnt wieder eine Rückkehr zur Wand. Geblieben ist das Interesse an querformatigen Flächen und Linien und an dem Spiel potentiell variabler Farbfelder. Der Bildträger MDF weicht Aluminiumplatten, die als solche allenfalls an den Schnittkanten noch erkennbar sind, wenn nicht der Malprozess diese überlagert.
Und an dieser Stelle betrachten wir ein erstes Phänomen, nämlich die mögliche Irritation, wenn wir uns den Arbeiten räumlich nähern. Wirken sie von weitem wie schwerelose Farbgebilde oder Farbanordnungen, die einen industriellen, quasi perfekten Fertigungscharakter haben könnten, zeigt sich aus der Nähe die Beschaffenheit von Farbauftrag einerseits und Malprozess andererseits: Neben Ölfarben verwendet Bodde z.B. Acrylfarben und Industrielacke, Kunststofffolien und Aquarellfarben. Glänzende Flächen stehen neben opaken, glatte neben rauen, strukturierte neben seidigen. Die Farben werden mit Pinseln oder Rakeln aufgetragen, die Folien geklebt und Lacke in unterschiedlichster Qualität von einer Fachfirma auf das Aluminium gespritzt, eine Reminiszenz an die industrielle Fertigung, deren perfektes Erscheinungsbild überlagert wird von eben den anderen Verfahren.
Dementsprechend sind die Texturen sehr unterschiedlich, treffen spannungsreich aufeinander und polarisieren, aus der Nähe betrachtet, in ihrer stofflichen Präsenz mit einem ungleich anonymeren Fernbild. Ein Blick auf die Kanten zeigt häufig die Abfolge der Farbaufträge und den regulierenden Vorgang während des Arbeitens. Da quillt schon mal die Farbe über den kühlen Alu-Rand, negiert die Optik einer präzisen Kante und lässt den einen oder anderen vielleicht fragen: Hätte der Künstler das nicht ein bisschen sauberer machen können? Und doch sind es u.a. gerade die Ungenauigkeiten, die das Handwerk deutlich werden lassen und ihn von einem Designer unterscheidet.

Die in den ersten Jahren ausschließlich hochformatigen Bilder haben eine Proportion, die sich von einem traditionellen englischen Türmaß ableitet. Diese formale Beschränkung, bezogen auf den Bildträger sowie die Entscheidung sich auf variable Rechtecke zu beziehen, haben sie nun den Charakter von Feldern, Streifen oder Linien, erlaubt ihm eine große Freiheit im Umgang seiner geometrisch-konstruktiv anmutenden Malerei. Es geht ihm nämlich nicht um ein systematisches Ausloten z.B. farbtheoretischer Versuchsanordnungen. Er ist kein Systematiker wie etwa Josef Albers, dessen - auch - formale Beschränkung (quadratisches Format und Anzahl der Felder) fast im Gegensatz zu Boddes reichen Möglichkeiten besteht. Und da sind wir bei einem weiteren irritierenden Tatbestand: Seine so kalkuliert wirkende Vorführung, bedingt durch die geometrisch-formale Struktur, scheint seiner spontanen Farbentscheidung zu widersprechen. Aber das ist eben das Interessante: Die Begrenzung seiner Möglichkeiten ergibt sich durch ein formales Konzept wie Proportion des Bildträgers sowie horizontale Begrenzungen der Farbfelder durch das anschließende, bzw. der senkrechten Konturlinie. Die Höhen der Felder entstehen in einem offenen Prozess, sie werden meistens per Augenmass definiert und abgeklebt.

Demgegenüber steht eine Vielfalt oder Vielheit an Farbenwirkungen und Farbstoffen implizit Verarbeitungsweisen mit der ihr eigenen Materialästhetik. Jeder Schritt einer neuen, potentiell unendlichen Farbwahl ist ein behutsames Abtasten der Möglichkeiten, die er subjektiv und intuitiv festlegt. Da prallen Komplementärfarben aufeinander, werden teils schwer erträgliche Kombinationen inszeniert, sei es nun ein orange farbiges Neon neben einem grellen Grün, wird das Verhältnis von "bunt" und "farbig" ebenso befragt wie das von Flächengröße und dem entsprechenden Farbwert oder Farbton. Hinzu kommen die Entscheidungen des Materials und des Werkzeugs. Eine gerakelte Fläche dicker Ölfarbe in dunklem Violett wirkt neben einem glänzenden Streifen aus pinkfarbener Folie eben völlig anders, als zwei Aquarellfarben in diesen Farbwerten.

Gerade die Radikalität in das Vertrauen seiner Wahrnehmung hat mich beeindruckt. Er reizt das Auge teils bis ins Unerträgliche und Begriffskategorien wie etwa "Gefallen" oder "Geschmack" gehören sicher nicht in das Rezeptionsvokabular seiner Arbeit. Es geht hier durchaus auch um Harmonie, jedoch nicht als intendiertes Ziel im Sinne eines Rezeptes, einer erprobten Strategie. Man hat den Eindruck, Bodde fängt bei jedem Bild bei Null an. Das macht u.a. die Authentizität seiner Arbeit aus. Ich habe noch kein Bild gesehen, wo nicht irgendwo ein schräger Klang, ein dissonanter Kratzer zu hören, eine unappetitliche Farbe zu riechen oder eine süßliche Brause zu schmecken gewesen wäre, und sei dies auch noch so verhalten. Und je mehr wir uns an unserer eigenen Wahrnehmung reiben, je mehr wir fragen "…musste das denn an dieser Stelle ausgerechnet die Farbe sein?", umso typischer, scheint mir, ist es ein Bild von Bodde.

Und wenn wir im Blick vor dem Besonderen, dem Radikalen, vordergründig Stimmigen flüchten wollen, vielleicht weil wir uns in eine ungebrochene Emotionalität begeben wollen, kehren wir doch immer dorthin zurück: Zu der unerwarteten, irritierenden Farbe oder dem unerwarteten Farbauftrag.
Diese Intensität seiner Haltung, dem Mut, die Farbe unausweichlich mit sich selbst konfrontieren zu lassen und damit auch den Betrachter in diesen Sog hinein zu nehmen, ist meines Erachtens Teil der Bedeutung des Werkes von Nicholas Bodde.

Natürlich, es gibt auch "schöne" Arbeiten, solche, deren Farbklima von einer wohl abgestimmten Vielfalt von Farbklängen geprägt sind und eine dosierte Farbkultur dem Auge schmeichelt. Letzten Endes ist jedes Bild Versuch und Versuchung, Risiko ohne doppelten Boden und die Ergebnisse sehr unterschiedlich. Das ist seine Freiheit.

Denn es ist keineswegs so, dass Bodde im Vorhinein genau weiß, was er tut. Als Konzeptkünstler weiß er es natürlich, aber nicht als Bildkünstler, nicht als Maler! So kann es sein, dass selbst größere Farbfelder wieder übermalt werden und davon vielleicht nur eine hauchdünne irisierende Linie übrig bleibt, die wiederum ihrerseits befragt wird im Zusammenklang ihrer sie umgebenden Farbtemperatur. Mag sein, er hat die Idee eines Farbklimas oder vielleicht sogar eine Farbkombination im Kopf. Bodde ist aber viel zu sehr Maler, als das er nicht empfände, dass Farbe nicht denkbar ist.
Sein Auge sucht keinen Inhalt jenseits der Farbe, ihr liegt keine Metaphorik zugrunde oder eine Symbolik. Nur ein anschauendes Urteilen bewirkt die künstlerische Entscheidung der Farbgebung. Das Auge erzeugt Farbe in der Anschauung als das, was sie ist und nur dort. Die Bilder Boddes machen uns bewusst, das Farbe erst im Auge des Betrachters "Wirklichkeit wird". (Vorwort: Max Imdahl)

So ist es für Bodde immer auch eine Überraschung, wie sich ein Farbwert oder –ton zu einem drunter oder drüber liegenden verhält, nachdem eine Farbe gesetzt wurde. Denn die Bestimmung einer jeden Farbe in seiner "unverhüllten, anschaulichen Macht", (wie es der Kunstwissenschaftler Michael Bockemühl vielleicht formuliert hätte) sowie seiner vermeintlichen Definierbarkeit im unmittelbaren Nebeneinander beginnt zu wanken, bedingt durch physiologische Wirkungsallianzen im Rezeptionsvorgang.

Der Betrachter seinerseits findet - oder besser - erzeugt Ordnungen wie z.B. Farbnachbarschaften, stoffliche Ähnlichkeiten oder Verschiedenheiten. Die Tatsache, dass eine Farbe niemals zweimal in einem Bild erscheint, da jede immer wieder neu ermischt wird, führt bei entsprechender Verwandtschaft zu Beziehungen. Es kann so z.B. ein Vorder- oder Hintergrund gelesen werden. Dabei sind die Farben nicht unbedingt in einem Zusammenhang gemeint. Zunächst stehen sie gleichgültig, im Sinne einer gleichen Gültigkeit, neben einander. Die Beziehungen der Farben, deren Gewichtung und Relationen werden ja erst in der Anschauung realisiert! Die Art, wie Bodde die Farben platziert in ihrer teils atonalen Vielheit, respektive tonalen Vielfalt, hat Aufforderungscharakter: Der Beobachtungsvorgang selbst wird thematisiert, die Wahrnehmung als prozessualer Akt dem aktiven Betrachter bewusst. Von daher handelt es sich um konkrete Malerei, bei Nicholas Bodde jenseits eines transzendenten oder metaphysischen Bedeutungshofs wie etwa bei Barnett Newman oder Yves Klein.

Seit 2004 werden Querformate erprobt, später auch Quadrate, Kreise und Ovale. Obwohl sich bei den Querformaten Assoziationen an Horizonte einstellen könnten, ebenso bei den Kreisformen, liegt das natürlich nicht in Boddes Absicht. Ohne detailliert auf die unterschiedlichen Wirkungen der Bildträgerformate auf die Farbfelder eingehen zu wollen, wird deutlich, dass diese bei den runden und ovalen Formaten einen expandierenden über den Umriss hinausgehenden Charakter haben. Die Farbe wird weiter gelesen nach links und rechts, die Spannung zwischen der Trägerform und der unerwarteten Begrenzung erhöht. Da diese Begrenzung nicht als zu den Farbfeldern gehörend gelesen wird, wird der objekthafte Charakter unterstrichen. Diese Entgrenzung bewirkt eine radikale Erweiterung der Farbwirkung in den Umraum und sprengt so die mögliche Erwartung eines Tafelbildes. Auch hier wäre es interessant einmal den Wahrnehmungsvorgang selbst genau anzuschauen und etwa mit einer Arbeit wie "Jericho" von Barnett Newman zu vergleichen.

Bodde steht mit seiner Kunst als Konkreter außerhalb der Systematiker, seine Kunst verweist auf keine Utopie à la Mondrian und seine Malerei als Farbfeldmalerei zu bezeichnen ist mir noch eine Frage. Ich erspare mir den Versuch Nicholas Bodde kunstgeschichtlich einordnen zu wollen. Er zeigt uns Farbe in ihrer unerschöpflichen Vitalität und relationalen Wirkung, wir sehen Farbe, formal beschränkt und dennoch frei in ihrer emotionalen Kraft und Schönheit, - aber auch Brechung.
Freuen wir uns an der Ausstellung von Nicholas Bodde, zu der ich den Kunstverein Speyer herzlich beglückwünsche.




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Nicholas Bodde
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