Kunstverein Germersheim / Zeughaus Germersheim
Three artists connected by one "space"
Laurent Reypens (Malerei), Hans Thomann (Malerei), Günter Wagner (Skulpturen, Objekte)
29.04.06 bis 21.05.06
Laurent Reypens
Laurent Reypens

Einführung von Dr. Martine Wehlte-Hoeschele

Als Sie in die Ausstellung gekommen sind, haben Sie sicher bemerkt, dass alle drei Künstler im ersten Ausstellungsraum mit je einer Arbeit vertreten sind, sich also zum Willkomm Ihnen gewissermaßen vorstellen.

Ich habe das bei meinem ersten Besuch gestern nicht gemerkt, bin durch die Eingangstür gegangen und habe den Blick erst einmal schweifen lassen, von Wand zu Wand über den Boden, den Gang entlang, neugierig - "Na, was gibt’s denn da alles? Aha!". Und damit bin ich prompt dem Schweizer Künstler Hans Thomann in die Falle gelaufen, denn seinen "Fern-Seher", einen kleinen Fernrohr-Gucker auf einer Hand, über der Eingangstür gewollt unauffällig platziert, diesen Fern-Seher habe ich nicht bemerkt.

Sie freilich haben erstens Hans Thomanns Wortspiel im Werktitel bemerkt und zweitens natürlich auch, worauf die originelle Arbeit anspielt: Auf die Überwachungskameras in Parkhäusern und Geschäften, die ausspionieren, ob uns der Hosenbund kneift, ob wir noch mal verstohlen den Inhalt unserer Geldbörse überprüfen oder statt des Lippenstifts ein Klappmesser in der Handtasche mit uns führen - Observation als Preis für scheinbare Sicherheit.

Sollte man da nicht doch lieber nach den Sternen schauen, sehnsüchtig, verträumt und neugierig, wie es Hans Thomanns "Fern-Seher" ganz offenkundig macht? In dieser Arbeit und ihrer gut auf Wirkung berechneten Hängung offenbart sich eine humorvolle Brechung zwischen romantischem Gefühl und geschäftsmäßiger Rationalität, zwischen gestern und heute. Der Überraschungseffekt, der Witz, die Irritation und hintersinnige Kritik sind charakteristisch für seine Arbeiten, zumal für die jüngsten, in diesem Jahr entstandenen, die Sie in dieser Ausstellung sehen.

Das übrigens gilt für alle drei Künstler: Was nicht eigens für diese Schau geschaffen wurde, wie Günter Wagners Bodeninstallationen, das kommt doch ganz frisch aus den Ateliers.

Aber zurück zu Hans Thomann: Er stammt aus dem schweizerischen Uzwil, lebt und arbeitet in St. Gallen, wo er vier Jahre lang an der Kunstgewerbeschule Malerei studiert hatte, bevor er 1981 an die Salzburger Akademie wechselte und schließlich als Meisterschüler von Mario Merz nach Turin ging.

Was hat er von seinem prominenten Lehrer mitbekommen, da es ja augenscheinliche Parallelen nicht gibt? Sich in das Wesen der Dinge zu versenken, Grundformen über Zeiten hinweg aufzuspüren, archetypische Vorbilder für die Dinge zu finden, mit denen wir uns heute umgeben. Hans Thomanns Schaffen kreist um die Grundform der Figur und die Frage, was schafft sich der Mensch für Abbildungen von sich selbst? Denken wir an das Kind mit seinen Puppen, einer Lieblingspuppe zum Knuddeln oder einer Barbie zum Ausstaffieren und Stylen als Projektion seiner selbst in die Zukunft - "So will ich mal sein!".

In einem der hinteren Ausstellungsräume sehen Sie an der Wand eine kleine männliche Figur aus steifem Geflecht. Es ist gewissermaßen ein Abdruck von Barbies Partner Ken. Doch auch die Erwachsenen schaffen sich ihre Vor- und Leitbilder, Ersatz-Ichs: ob es der Dummy im Auto ist oder die Schaufensterpuppen, deren Maße - Größe, Taille, Gesicht, Frisur - im Zehn-Jahres-Rhythmus wechseln und uns immer neue Schönheitsideale vorgeben. Zähneknirschend versuchen wir diesen selbstgestellten Ansprüchen gerecht zu werden, nur selten hinterfragen wir sie.

Hans Thomann arbeitet mit diesen Figurenbildern, diesen Menschenbild-Entwürfen. Er schneidet Schaufensterpuppen auf, umkleidet sie mit einem gitter- oder bortenähnlichen Stoff, den er eigens in einer St. Gallener Weberei hat anfertigen lassen. Diese Stoffgitterhüllen werden mit Boxi-Harz getränkt, das sie stabilisiert, sobald es getrocknet und hart geworden ist. Vorder- und Rückseite der Figuren sind seitlich, kaum sichtbar, miteinander vernäht.

Wie kam der Künstler auf diese Arbeitsweise? Es war der Schattenwurf einer Figur in der Sonne, der die Idee vorgab und der Umstand, dass St. Gallen ein Zentrum der Schweizer Stoffindustrie ist, der ihn zu dem Material Stoff führte. Der künstlerische Gehalt seiner Arbeiten ist unbestritten; gleichwohl bewegt sich Hans Thomann bewusst zwischen Kunst und Design, scheut keine Modetrends, zumal ihn gerade das Profane interessiert.

Davon zeugt seine Bilderserie mit Nahaufnahmen von den Stoffgeflechten und Farbakzenten in den derzeitigen Modefarben orange und grün. Der Werkkomplex an der gegenüberliegenden Wand arbeitet mit denselben Effekten, was Sie beobachten können, wenn Sie Ihren Standpunkt von rechts nach links verlegen.

Zum Schmunzeln sind besonders zwei Arbeiten in der gegenüberliegenden Koje, in denen er traditionelle Häkelstoffe nach demselben beschriebenen Prinzip verarbeitet hat. Wir begegnen einer Moses-Persiflage - mancher mag darin auch den faustschen Mephisto erkennen - in Häkelstoff. Auf unnachahmliche Weise vermischt sich hier Platzdeckchen-Mief mit heroischer Thematik. Das gleiche Spiel im Platzhirsch daneben: Die Trophäe hat unverkennbar ein menschliches Gesicht unter dem imposanten Geweih, womit klar ist, dass der Künstler hier eher unliebsame Konkurrenz als etwa den Waldhirsch erlegt hat.

Wer vor den Häkeldeckchen-Figuren etwa flüchten will, kann ja versuchen, sich an die Notausgang-Uhren zu halten. Da aber die Pfeile mit fortschreitender Zeit ständig die Richtung wechseln, erweist sich der vermeintliche Fluchtweg schnell als Irrweg. Neben solchen subtilen Deutungsspielereien ist, gerade an den Gitterfiguren ablesbar, auch das Thema "Raum" charakteristisch. Die Transparenz, Lichtdurchlässigkeit, die eine starre Abgrenzung von Außen- und Innenraum aufhebt, wirft die Frage auf: Baut sich die Figur auf oder baut sie sich ab? Das entscheidet sich im Kopf des jeweiligen Betrachters, der das Maß der Dinge vorgibt, so wie der Künstler selbst es für sich entschieden hat. Das Kunstwerk vollendet sich im Blick des Betrachters, so lautet eine Rezeptionstheorie, über die man stundenlang diskutieren könnte.

Schon beim ersten Gang durch die Ausstellung dürfte Ihnen aufgefallen sein, wie gut die Arbeiten der drei Künstler miteinander korrespondieren, wie durchdacht alles wirkt. Drei Seelenverwandte, unter deren Händen sich der Ausstellungsaufbau wie von selbst ergab - inspiriert eben? Oder genaue Kalkulation? Suchen Sie sich die Antwort aus, wahrscheinlich ist es, wie so oft im Leben, eine Mischung aus beidem.

Eine Reverenz an den Künstlerkollegen Günter Wagner ist jedenfalls Thomanns Kessel mit Meersalz auf den Treppenstufen, ironischer Ausdruck der alpenländischen Sehnsucht nach dem Meer, aber eben auch optischer Anklang an Günter Wagners Installationen mit dem blendend weißen, gemahlenen Glas, das er mit Glasbruchstücken in dynamischen Zacken, gleichwohl geometrisch gebändigt, auf dem Boden ausgebreitet hat. Der innere Rhythmus speziell der ersten, im Mittelgang aufgebauten Bodeninstallation ist gleichwohl zielgerichtet.

Folgen Sie dem Verlauf der Zacken, so erkennen Sie, dass diese auf flankierende Wandarbeiten hinweisen. Der Raum wird auf diese Weise vom Blick des Betrachters abgemessen, durchkreuzt. Weiter hinten ist mit Glassand ein Flusslauf auf den Boden gestreut. Die Schiffchen, die ihn befahren, sind unverhältnismäßig groß, wie das auch bei den Wandarbeiten der Fall ist, auf denen Günter Wagner jeweils einen Ausschnitt des Verlaufs von Ganges, Amazonas, Mosel aus der Landkarte auf den Glasträger übernommen hat. Was darauf fährt, sind übrigens keine Binnenschiffe, wie es ja logisch wäre, sondern Schlepper für Ozeandampfer, eine ironische Brechung, die mit unseren Sehnsüchten nach der großen weiten Welt spielt - mit den Fingerreisen auf der Landkarte.

Günter Wagner ist Ihnen mit Sicherheit kein Unbekannter mehr, auch wenn Sie sich vielleicht nicht mehr an seine erste Ausstellung im Germersheimer Kunstverein 1992 erinnern. Er ist gebürtiger Karlsruher, lebt in Bruchsal, studierte zunächst an der Universität Marburg Grafik und Malerei und dann 1977 bis 1981 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe bei Markus Lüpertz. Seit 1987 ist er mit Einzelausstellungen sowohl in der Region - Bruchsal, Karlsruhe, Mannheim, Pforzheim - hervorgetreten, als auch bundesweit und im Ausland, in Nürnberg, Köln, Frankfurt, München, Florenz, Maastricht, Paris, New York, darunter zweimal zusammen mit Laurent Reypens, nämlich 2002/2003 in Antwerpen und 2004 in Arbon.

Günter Wagners Schaffen verlangt einen kontemplativen Zugang, die Betrachtung seiner Werke muss sich als eine Kunst der Versenkung vollziehen. Da wir hier nur die neuesten Arbeiten von ihm sehen, die einen Entwicklungsschritt gegenüber seiner bisherigen Vorgehensweise markieren, will ich nur die bleibenden Grundzüge seines Oeuvres über die Jahre hinweg nennen. Er arbeitet mit patiniertem Stahl oder Gusseisen und sandgestrahltem Glas, Glasbruch oder sandgestrahlten Spiegelplatten. Charakteristisch sind die sensiblen Bezüge und Wechselwirkungen zwischen den verwendeten Materialien, die Sie in der Ausstellung beobachten können.

Hier, in den Werkreihen dieses Jahres, hat er Bleistücke von Kirchendächern und alten Häusern verwendet, deren malerischer Oberflächenreiz ihn fasziniert hat. Die Bleistücke sind relativ gut zu verarbeiten, zu glätten, knicken oder falten. Günter Wagner, der von jeher das Wechselspiel der Materialien liebt, hat sie mit Granitsteinen kombiniert, die mit Eisen beschichtet sind. Dessen Korrosionsprozess wurde mittels Laugen und Säuren beschleunigt. Die Bleistücke sind auf Holzrahmen aufgenagelt, ihre Farb- und Oxydationsspuren lesen sich als Zeitspuren. Das ferresierte Steinelement in der Mitte ist eingeklebt, rechts unten findet sich der Signaturstempel.

Allen Werken eignet ein meditativer Charakter, das malerische Element dringt - gegenüber früheren Arbeiten - wieder stärker hervor, die konstruktiven Gestaltungsprinzipien sind ersichtlich. Was beim Betrachten der Tafeln auffällt, ist das Ineinander- und Durchdringen von Raumschichten und das Arbeiten in Gegensätzen - warm und kalt, exakte und naturhafte Geometrie, leicht und schwer.

Man wird diese Werkkonstanten sicher besonders gut in der großen monografischen Ausstellung in Pirmasens verfolgen können, die für September diesen Jahres vorbereitet wird. Ich habe erwähnt, dass Günter Wagner und Laurent Reypens schon zwei gemeinsame Ausstellungen gemacht haben und fast will es scheinen, als hätten sie sich dadurch gegenseitig beeinflusst. Denn während der Bildhauer in seinen jüngsten Arbeiten stärker zur Fläche tendiert, greift der Maler - wie Sie an den Bildern zu Beginn der Ausstellung gesehen haben - in den Raum aus.

Laurent Reypens wurde im belgischen Westerloo geboren. Er studierte an der Kunstakademie in Mechelen und 1978 bis 1981 in Antwerpen. Die Auswahl seiner Einzelausstellungen ist nicht minder beeindruckend als bei Günter Wagner, schwerpunktmäßig immer wieder Antwerpen, Brüssel, Mechelen, Paris und in Deutschland, 2001 u.a. im Schloss Bruchsal.

Laurent Reypens ist ein moderner Nachfahre der flämischen Stilllebenmaler, deren Tradition einer äußerst sorgfältigen Wiedergabe von Gegenständen, eines hochdifferenzierten Einfangens von Lichtwirkungen und Reflexen sowie lasierenden Malweise er fortsetzt. Die flämischen Stilllebenmaler des 17. Jahrhunderts waren hochspezialisiert, wie anders hätten sie es zu derart staunenswerter Meisterschaft gebracht. Sie hatten daher ein relativ enges Themen- und Motivspektrum.

Das ist auch bei Laurent Reypens der Fall. Sein Motiv ist seit nunmehr 20 Jahren die Kaffeetasse und zwar in ihrer schlichten dickwandigen Fassung aus Frankreich. Etwa 200 solcher Exemplare hat er zu Hause gesammelt und er malt sie immer und immer wieder - in kleinen, mittleren und übergroßen Formaten.

Im letzten Ausstellungsraum sehen sie eine solch riesige Arbeit, die, mehrere Meter breit, aus quadratischen mitteldichten Faserplatten zusammengefügt ist und seriell immer weiter fortgesetzt werden kann. Auf der Rückseite sind die Bildträger zumeist rot bemalt, ein persönliches Markenzeichen des Künstlers.

In Laurent Reypens Gemälden verschmilzt das immer von links einfallende Licht zu keramischen Figurationen, die aus der Malfläche herauszuquellen scheinen. Es sind imaginär räumliche Gebilde von einer starken Präsenz. Gegenüber früheren, etwas groberen und stärker konturierten Bildern wirken die neuesten Gemälde atmosphärisch. Raum und Licht werden eins und der Betrachter kann sich in das Bild integrieren, bei dem es auf den Gegenstand längst nicht mehr ankommt, sondern auf ein meditatives Sich-Einlassen.

Laurent Reypens arbeitet monochrom. Lange Zeit verwendete er nur Schwarz und Weiß, nun ist Ocker hinzugekommen. Die Farbpigmente mischt er selbst zu Farben, die Tonwertigkeiten und Abschattierungen erlangt er durch den dünnen Auftrag mehrerer Farbschichten, hier zehn, dort 15, in der äußerst kontrollierten Vorgehensweise der Lasurtechnik. Die räumliche Wirkung in der Fläche, die Transformation von Raum in Licht und schließlich das Ausgreifen des Bildes selbst in den Raum, der Dialog mit der Skulptur also, das macht die Spannung seiner Werke aus und ihre Qualität.



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