Landkreis Südwestpfalz / Kreisgalerie Dahn
Ute Krautkremer: "Inside-Out"
08.01.06 bis 05.02.06
Ute Krautkremer
Ute Krautkremer

Das Verschwinden des Objektes in der Fläche ist das Erscheinen des Objektes im Raum.

Die künstlerische Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung, das Vermischen von Abstraktion und Wirklichkeit ist Schwerpunkt im Werk der Bildhauerin Ute Krautkremer. Ihre Bild-Objekte mit ihren geheimnisvollen, sich ständig ändernden Wirklichkeiten bieten dem Auge des Betrachter erweiterte Wahrnehmungsmöglichkeiten. Die Ausstellung zeigt zum einen Arbeiten, die sich mit dem Thema Mensch als vorgefundene Wirklichkeit und der verfremdenden Abbildung auseinandersetzen. Zum andern sind Gebilde mit ineinander greifenden Ansichten und abstrakte Reliefserien zu sehen. Der Übergang zwischen Realität und Fiktion ist gleitend, in der Wirklichkeit ebenso wie in den gezeigten Arbeiten.

"Die Verflechtung von Innen und Außen ist ein zentrales Thema meiner plastischen Arbeit, das in den Zeichnungen seine Entsprechung findet. Die gezeichneten Formen verzahnen sich in der Fläche miteinander. Plastische Formen ergänzen und verstärken den Wechsel zwischen Figur und Grund. Die Einbindung der plastischen Form ist durchaus grenzwertig, sie fügt sich nur scheinbar ein, dominiert die Fläche und löst sich wieder von ihr ab. Die Drahtzeichnungen zeigen lineare Entsprechungen zu dieser Thematik. Draht und Schatten führen gezeichnete und gedachte Linien weiter und geben der Zeichnung Raum. Gleichzeitig führen sie ein Eigenleben, das die Oberfläche der Zeichnung beherrscht. Mehr als bei den Flächenzeichnungen auf glattem Untergrund sind hier Strukturierungen, bewusst gesetzte und zufällige Spuren wichtig.

Die Papierformen bleiben immer offen, Innen und Außen können sich durchdringen, der umgebende Raum, die Wand, wird Teil der Plastik. Anstatt kompakter, geschlossener Formen täuschen sie Volumen nur vor, entlarven sich selbst als lediglich formumschließende "Hüllen", die den umgebenden Raum als Negativ-Form sichtbar machen. So kann der Eindruck von Leichtigkeit entstehen, Momente des Schwebens können suggeriert werden".

Sich als Künstler bei der Motivwahl seiner Arbeiten auf die Pole Außenraum und Innenraum zu konzentrieren und dabei das Thema Mensch auszuwählen, heißt allgemein gesprochen, sich mit den vielfältigen Aspekten einer näheren und weiteren Umgebung zu beschäftigen. Im Hinblick auf die Bewegung des Menschen im Raum dokumentiert sich hierin ein phänomenologisches Interesse an der Schilderung der äußeren Realität.

"Meine Arbeiten zum Thema Porträt gehen eben von diesem Ansatz aus, nämlich Abbild und Abstraktion miteinander zu verbinden. Ich nähere mich der Person über die Abformung ihres Gesichts - im direkten Hautkontakt, nichts liegt zwischen Form und Gesicht - also sehr konkret. Der Abdruck des Gesichts wird als Papierform negativ eingefügt in einen abstrakten Form- und Flächenzusammenhang. Negativ deshalb, weil nur diese Seite in Berührung mit dem Gesicht stand und es entsprechend unverfälscht zeigt, andererseits aber auch als abstraktes Formgebilde betrachtet werden kann. Verändert wird die Gesichtsabformung durch Anschnitt und Material- bzw. Farbanmutung. Erst durch seine Position im abstrakten Bildzusammenhang entsteht das tatsächliche Porträt. Bei der Betrachtung aus einem gewissen Abstand kippt die Negativform und wird als positive Form, als Abbild des tatsächlichen Gesichtes, wahrgenommen. Auf diese Weise schließen sich abstrakte und konkrete Inhalte zu einer Gesamtheit."

Die aktuellen zeichnerischen Arbeiten der Künstlerin verbinden spontane Gestik der Mal- und Zeichenbewegung mit vorgegebenen Formen und es entstehen großzügige Mischtechniken wie Bleistift in Acryl auf Holz mit Draht oder Papier. In Auseinandersetzung mit menschlicher Bildsprache durchbrechen malerischer Gestus und chiffrierte Zeichen die strukturierten Malgründe und legen neue Zeichen-Spuren für die Wahrnehmung des Betrachters.

"Der spielerische Umgang mit dem Material und seinen Spuren ebnet den Weg ins Chaos. Es reizt mich besonders, den Zufall zu zwingen, also ein Spannungsgefüge zwischen (chaotischen) Strukturen und bewusster Ordnung aufzubauen. Die Arbeiten erschließen sich dem Betrachter durch die Veränderung seiner Position. Absicht ist, eine vom Gefühl ausgelöste assoziative Betrachtung zu ermöglichen, die logisch weitergedacht werden kann. Bezeichnend für meine Arbeitsweise ist der für mich notwendige Wechsel zwischen spielerischer Auseinandersetzung mit dem zufällig Gegebenen und absichtsvoller Arbeit an einem bestimmten, nur so gearteten Formgefüge".

Ein wesentlicher Gesichtspunkt der Arbeiten dieser Ausstellung ist es, die Dinge außerhalb ihrer gewohnten Erfahrung zu sehen und damit die eigene Wahrnehmung zu sensibilisieren. Als perspektivisch gelenkte und farblich geprägte Bildwelten dokumentieren sie unterschiedliche Momente der Raumerfahrung, wobei die Abstraktion im Vordergrund steht. Die Bild-Objekte von Ute Krautkremer vermitteln uns auf den ersten Blick eine hohe Affinität zur ästhetischen Richtung. Dann aber wieder verzerrt sie bewusst, um sich dem direkten Zugriff zu entziehen, mit viel Raum zur Interpretation, gerade auch im figurativen Bereich, aber auch wenn sie seriell arbeitet. Ute Krautkremer versteht es, in ihren "bildeigenen Raum" hineinzuziehen, wohlwissend, dass man niemanden überzeugen kann, etwas zu sehen, was dieser nicht sieht, dieser aber sehr wohl etwas verstehen kann, auch wenn er es nicht in Worte fassen kann.


Einführung von Dr. Matthias Brück

Bernard Shaw hat es gewusst: Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er nimmt jedes Mal neu Maß, wenn er mich trifft, während alle anderen Menschen immer die alten Maßstäbe anlegen in der Meinung, sie würden auch heute noch passen.

Nun hoffe ich, dass Sie als Betrachter alle zu der Spezies der "Schneider" gehören, dass Sie Veränderungen, Ungewohntes und von der Norm Abweichendes zu schätzen wissen, denn dann sind Sie hier in der Ausstellung von Ute Krautkremer "Inside - Out" genau richtig.

Denn Skulpturen und Reliefs geben in puncto Material schon einmal vor, etwas zu sein, was sie nicht sind. Denn auf den ersten Blick scheint es sich hier um ein Gestalten mit Ton zu handeln, dem Stoff, mit dem die Künstlerin ursprünglich ihren Schaffensprozess begonnen hat. Doch um Ihre neuen Ideen zu verwirklichen, musste Ute Krautkremer gewissermaßen zwangsläufig dem Papier als "Transporteur" ihrer Vorstellungen den Vorrang geben.

Die spezielle Technik des Papiergusses erlaubt es nun, nicht nur dünnwandige Formen zu erstellen, sondern ein überwältigendes Repertoire an Beziehungen, an Möglichkeiten des Umgreifenden wie Ineinandergreifenden zu realisieren.

Nicht umsonst wurde "Inside - Out" als Titel gewählt. Das "Drinnen" wie das "Draußen" befindet sich in einer fließenden Korrespondenz. Das heißt, es gibt keine hermetische Abgrenzung, keine dogmatische Definition für das jeweilige Exponat. Denn die Papierformen öffnen sich - bleiben offen, im Gegensatz zu früheren Arbeiten, deren Teile sich gewissermaßen ergänzten, zu einem puzzleartigen Ganzen fügten.

Dieses Charakteristikum verschwindet nach und nach, die Formen umgreifen nicht mehr einen bestimmten Raum, sie ragen in den Raum. Anstelle von kompakter Geschlossenheit täuschen sie Inhalt und Volumen nur noch vor und - nach einem Zitat von Ute Krautkremer - "sie entlarven sich selbst als lediglich Form umschließende 'Hüllen', die den umgebenden Raum als Negativ-Form sichtbar machen…".

Was in der nüchternen Beschreibung kompliziert klingen mag, erschließt sich in der Betrachtung selbst häufig wesentlich einfacher. Denn wer sich - über den ersten Blick hinaus - auf diese Arbeiten einlässt, erfährt durch die faszinierende Verschränkung von Abstraktion und Wirklichkeit einen ständigen Wechsel möglicher Wahrnehmung.

Selbst oder gerade in einem seriellen Prozess, gelingt es dieser Künstlerin, das vermeintlich Identische durch kaum spürbare Änderungen sanft zu variieren und somit der Monotonie einer Reihung zu entgehen. Seien es nun "Portraits" oder plastische Fragmente, von hier aus können die einzelnen Interpretationsmöglichkeiten ansetzen, die im Werk von Ute Krautkremer eigentlich keiner dogmatischen Beschränkung unterliegen.

Dann kann man erfahren, wie sich - aus der oft eigenwilligen Verbindung von Fläche und Form beispielsweise - mögliche Assoziationen zu Vorhandenem erschließen, falls man sich vom eigenen Vorverständnis, vom eigenen Vor-Urteil nicht blockieren lässt. Denn es bietet sich ein seltener Reichtum an Vielfalt: Kantige Verschränkungen, offene knotenartige Verschlingungen, octopusartiges Greifen oder ein gleitendes Segeln kann das Erscheinungsbild dieser Arbeiten je bestimmen - wie ein indirektes Suchen nach Ergänzung.

Stets ästhetisch ausgerichtet, doch dann sogleich wieder "gestört" durch bewusst gesetzte Eingriffe, gelingt dieser Künstlerin immer wieder eine eigene spannungsreiche Harmonie, in der die Gegensätze aufgehoben werden. Dort, wo Ute Krautkremer den Menschen in ihre Kompositionen miteinbezieht, scheint er, sein Portrait, sein Gesicht, wie von Klammern eingeschlossen, blicklos-entrückt determiniert zu sein. Oder aber er entzieht sich in wirbeligen, freien Strich-Turbulenzen jedem Versuch des Vermessens, des Verplanens, jeder anthropologischer Verengung.

In einzelnen Exponaten jedoch betont diese Künstlerin sanft und indirekt die existentielle Notwendigkeit liebender Kommunikation: Immer dann, wenn suchend-tastende Hände im Begriff sind, symbolisch einen losen, verbindenden "Faden" gemeinsam zu ergreifen. Sie zeigt ein Welt- und Menschenbild des "offenen Horizontes", wie es Karl Jaspers einmal formuliert hat, das nicht dem Zeitgeist oder wissenschaftlicher Determinierung huldigt.

So verlangen diese Werke von Ute Krautkremer eigentlich nicht nur eine Neuorientierung des Sehens, sondern auch des Denkens. Es gibt in der Kunstphilosophie des Japaners Tsujimura Kôichi den Begriff der "Circumspektive", des "Umblickens", das die Richtungen des Vorblickens, Nachblickens, Aufblickens, Zurückblickens wie alle perspektivischen Varianten in sich erhält.

Auch der Mensch gehört zu dieser Circumspektive, er steht in ihrer Mitte. Jedoch nicht als Subjekt, nicht als Selbstbewusstsein im Sinne der europäischen Neuzeit. Damit aber diese Circumspektive möglich wird, muss der Mensch nicht nur von sich aus die Umwelt sehen und denken, sondern sich selbst von dieser Umwelt her. Das bedeutet letztlich ein Aufheben des perspektivischen Denkens, das Mensch und Ding immer nur in der traditionellen Subjekt-Objekt-Spaltung gedacht hat.





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