Kunstverein Speyer / Kulturhof Flachsgasse
Ulrich Wagner: "Forum"
14.03.08 bis 13.04.08
Ulrich Wagner
Ulrich Wagner: "Forum", Foto: Alistair Overbruck

Der römische Begriff "Forum" steht für die grundsätzliche Organisation des öffentlichen Lebens in einer Stadt. Forum kennzeichnet den Lageplan eines urbanen Zentrums, in dem alle Belange der zivilen Gesellschaft und des Handels im Römischen Reich geregelt werden. Der Plan ist ein System zur geordneten Abwicklung des Lebens. Der Mensch verschwindet hinter den Rastern der Funktion.

Ulrich Wagners Arbeit "Forum" ist ein Lichtraum aus farbigem Papierfaserstoff. In seinem dunklen Innern fügen sich geometrische Zeichen zu Gitterstrukturen, ohne konkret zu deuten. In ähnlicher Weise thematisiert er gigantische Städte, die menschliches Leben millionenfach organisieren, oder Lager, die der Vernichtung menschlichen Lebens dienen. So werden Raster von Mexico City und Manhattan ebenso zu austauschbaren Quadraten und Rechtecken wie die T-förmige Entwesungskammer in Auschwitz. Ulrich Wagners Arbeiten ziehen den Betrachter in einen Bann aus Einzelformen und Rastern. Oft stehen die Formen in einem verhängnisvollen Verhältnis zu den unterschiedlichen Bedeutungen, die man ihnen beimisst.


Einführung von Joachim Geil

Forum

Der römische Begriff Forum steht für die grundsätzliche Organisation des öffentlichen Lebens in einer Stadt. Forum kennzeichnet den Lageplan eines urbanen Zentrums, in dem alle Belange der zivilen Gesellschaft und des Handels geregelt werden. Geplant wird das gesellschaftliche Zusammenleben im Römischen Reich. Der Plan ist ein System, innerhalb dessen alles Leben geordnet abgewickelt wird. Der Mensch verschwindet hinter diesen Rastern der Funktion, die er sich als sinnvolles Mitglied der Gesellschaft selbst auferlegt.

Mit seinem Raum "Forum" nähert sich Ulrich Wagner wie bereits in anderen Raumarbeiten dem Planleben und Plansterben. "Forum" ist ein Lichtraum aus farbigem Papierfaserstoff. In seinem dunklen Innern fügen sich geometrische Zeichen zu Gitterstrukturen, ohne allerdings eindeutig zu bezeichnen, ohne zu deuten. Diese Strukturen und Einzelzeichen sind eine Grundthematik in Wagners Arbeiten. Wir finden sie immer wieder, auch in den Wandarbeiten, auch in den Leporellos der Vitrinen. Sie scheinen eine feste Größe zu sein. Doch was ist nun das Thema dieser Zeichen, die an bekannte Formen erinnern und sich dennoch nicht in einer eindeutigen Weise erschließen? Ulrich Wagner beschäftigt sich hauptsächlich mit zwei Arten von Orten: zum einen mit gigantischen Städten, die menschliches Leben millionenfach organisieren, zum andern mit Lagern, die der Vernichtung menschlichen Lebens millionenfach dienen. So werden Raster von Mexico City und Manhattan ebenso zu austauschbaren Quadraten und Rechtecken wie die T-förmige Entwesungskammer in Auschwitz-Birkenau, auch als "Sauna" bezeichnet. Raster, keine Menschen. Strukturen, keine Geschichten. Auch nicht die Geschichte von der Inspektion, die im Juli 1942 Heinrich Himmler machte, um sich mal anzuschauen, wie gut die Vernichtung denn funktioniert, demonstriert an einem Transport aus den Niederlanden. Da wird das Anekdotische ungeheuerlich. Auch daran kann die T-Form erinnern, muss es aber nicht. Sie taucht besonders in Wagners früheren Arbeiten wie "Black Box" auf.

Die unfassbare funktionale Banalität und die strukturelle Ähnlichkeit zwischen den Todesfabriken und den Metropolen der Moderne machen klar, dass selbst einfache geometrische Formen als Zeichen, also durch die Belegung mit Bedeutung ihre Unschuld verloren haben.

Diesem Umstand begegnet Wagner auch in "Forum". Auch hier lässt er eine beinahe sakrale Strenge walten. Er errichtet einen Raum, der an ägyptische Grabkammern erinnert. Doch seine hieroglyphenhaften Zeichen sind in ihrer semantischen Offenheit nur entfernt verwandt mit den Ideogrammen des Alten Ägypten. Und tatsächlich konnten auch die hieroglyphischen Kult- und Totenbücher bis heute nicht völlig enträtselt werden. Es entsteht also eine semantische Nische, in der das offenbar Unsagbare ungesagt bleiben kann. Genau für diese Nische schafft Ulrich Wagner seine Räume und Wandarbeiten. Die Raumarbeiten drängen den Betrachter architektonisch und optisch in eine Haltung von Respekt. Bereits das Betreten von "Forum" kann nicht ohne eine gebückte Körperhaltung unternommen werden. Nicht unbedingt Demut ist die Folge, ganz sicher aber Konzentration.

In "Forum" wird der Betrachter in zweifacher Weise auf sich selbst zurückgeworfen: einmal durch den spiegelnden Fußboden, in dem er, gebeugt zu Boden schauend, optisch sich selbst begegnet. Einmal durch die drohende Berührung der Decke mit dem Kopf, die ihn den Kopf einziehen und sich so selbst in diesem Raum bewusst bemessen lässt. Nur in dieser Konzentration auf die eigene Ausdehnung und den Raum kann der Betrachter eintreten, ohne den Raum zu beschädigen, denn ein gewisser Respekt und eine Vorsicht gegenüber Kunst, die uns unzweifelhaft begleitet, ist überhaupt die Grundlage, um heute und mindestens in den nächsten 30 Tagen den Kunstverein zu betreten. Denn zerbrechlich ist dieser Raum obendrein noch, montiert mit Modulen aus handgeschöpftem Büttenpapier, das mit lichtechten Pigmenten eingefärbt wurde.

Angekommen im Innenraum, aufgerichtet und nun in schweifendem Blick über Wände, Decke und den auf dem Boden gespiegelten Raum, orientiert sich der Betrachter und sieht die grundlegende Struktur: ein Gitter aus kleinen Quadraten, auf denen oder zwischen denen Zeichen und Kürzel architektonischer Sprache sichtbar werden. Dabei wird der Eindruck von Strenge, der sich aus der vertikalen und horizontalen Zeichenanordnung ergibt, durch diagonale Ordnungen aufgebrochen. Sie lassen in ihrer Dynamik stets eine mögliche Aushebelung des Systems erahnen. Widerstand, Subversivität.

Ulrich Wagners sichtbare Gitterraster sind also möglicherweise Andeutungen von Manhattan, möglicherweise von Mexico City, möglicherweise Spuren des antiken Forums von Colonia Claudia Ara Agrippinensium, möglicherweise Spuren des antiken Militärlagers Divitia. Sie visualisieren einen geplanten Stadtraum.

Die Raumarbeit organisiert also den Akt des Betretens und den der gesamten Wahrnehmung. Im Zentrum steht das Titel gebende Deckenmotiv mit architektonischen Andeutungen des antiken Kölner Forums. "Forum" als Raum deutet durch optische Zeichen historische Modelle einer Lebensform an und ist dabei selbst Modell. Als Möglichkeit taucht auf, was historisch der Fall sein kann. Das römische Köln, das Militärlager im heutigen Köln-Deutz. Die quadratischen Gebäude mit den quadratischen Atrien im Innern, abgeschottet vom Draußen der Straße. Die privaten Gebäude mit den Altären der Hausgötter. Die Tempel der Staatsgötter auf dem Forum.

Ähnlich organisiert war auch ein hiesiges Militärlager, das zwischen der Kleinen Pfaffengasse und der Großen Himmelsgasse gelegen war, also genau dort, wo wir in diesem Augenblick stehen. Es bildete die Grundlage für das spätere Noviomagus, nicht so groß wie Colonia Claudia Ara Aggripinensium, aber es hinterließ immerhin die älteste Flasche Wein der Welt (die ich mir übrigens als Kind im Historischen Museum der Pfalz anschaute, lange bevor ich Köln betrat). Noviomagus - auch eine Stadt mit Forum, Theater und Tempeln.

Doch das Zeitliche oder gar Anekdotische lassen die übereinander gelagerten Strukturen in Ulrich Wagners "Forum" hinter sich: ein römisches Forum, darüber und darunter wieder Manhattan, Mexico City ... Analogien ohne semantische Sicherheit gestehen dem Konstruktiven, der künstlerischen Formensprache, seine Freiheit zu.

Den klassischen White Cube eines musealen Raumes, der sich der neutralen Präsentation von künstlerischen Ideen verschrieben hat, also einen aseptischen Operationssaal der Wahrnehmung, nutzt Wagner nur für seine Wandarbeiten. Mit dem Innern dieses Kubus setzt er einen Dunkelraum dagegen, der stets Raum im Raum ist und den Umraum völlig aufhebt. Und dies erinnert an die Cella eines römischen Podiumstempels auf einem Forum, die hinter einem Säulenumgang den heiligen Dunkelraum umschloss. Ähnlich konfrontiert Wagner in seiner Arbeit den Betrachter mit der Struktur eines Wissens, das sich nicht entschlüsseln lässt. Stadttore, Ausfallstraßen, urbane Bewegungsachsen werden übereinander gelegt zu einem Zeichencluster, das bei aller Einfachheit der Einzelzeichen die Komplexität des Systems verdeutlicht. Und mit diesem Sog der verflochtenen Linien zieht Ulrich Wagner den Betrachter in seinen Bann: das Einzelne ist unentrinnbar zu einem System kurzgeschlossen.

Oft stehen die Formen in einem verhängnisvollen Verhältnis zu den unterschiedlichen Bedeutungen, die man ihnen beimisst. Planung auf dem Reißbrett bedeutet eben zunächst nur die Absicht, Strukturen anzulegen. Ob man dadurch zum großen Städteplaner oder zum Schreibtischtäter wird, ist eine Frage, die sich Ulrich Wagner möglicherweise immer wieder stellt und die er zunächst in einer fast geradlinigen Offenheit formuliert. Doch er gibt sie lediglich weiter. Als Künstler schafft er für alle Fragen des gesellschaftlichen Umgangs einen Rahmen, innerhalb dessen sie formuliert werden können - nicht so sehr vom Künstler, vor allem vom Betrachter. Ulrich Wagner schafft ein ästhetisches Forum. Und an diesem Punkt beginnt die Arbeit des Betrachters, beginnt unsere Arbeit, in die wir uns schon längst verstrickt haben. Denn Kunst entsteht zweimal: einmal im Kopf des Künstlers und einmal im Kopf des Betrachters. Die Kommunikation, die sich dazwischen entwickelt, ist das, was uns hier zusammentreffen lässt. Sie ist jedenfalls nicht vorgegeben. Sie ist vieldeutig wie Ulrich Wagners Zeichen, sie ist - bei gelungenen künstlerischen Arbeiten - nicht behaftet mit Botschaften. Und diese Freiheit gilt es zu behaupten, für den Künstler und für den Betrachter. Beide haben ihre eigenen Bedürfnisse. Dass Ulrich Wagner für diese Freiheit einen Sakralraum schafft - unweit des größten Sakralraumes dieser Stadt und eines der wichtigsten am Rhein - zeigt, dass Kunst einen viel größeren gesellschaftlichen Eigenwert hat, als man gemeinhin annimmt - und dass es sich lohnt, ihn ihr einzuräumen, wo immer es geht.

So steht "Forum" in einem Kontext, der unsere Gegenwart ebenso betrifft wie die Systeme des vergangenen Jahrhunderts, wie die salische Vergangenheit, wie die römische Vergangenheit, und schließlich landen wir wieder bei der ägyptischen Perspektive. Jan Assmann, der bekannte Ägyptologe, versammelte viele Erkenntnisse in einem Satz, der auch im Innern des "Forum" bedacht werden darf: "Der Mensch ist das Tier mit dem Wissen um seine eigene Endlichkeit. Die Kultur ist die Welt, die er sich errichtet, um mit diesem Wissen leben zu können."




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Ulrich Wagner
Ulrich Wagner: "Forum", Foto: Alistair Overbruck