Kunstverein Speyer / Kulturhof Flachsgasse
Ulrich J. Wolff und Rolf Urban: "Zweilagig"
Radierungen, Collagen, Malerei
17.12.06 bis 14.01.07
Ulrich J. Wolff
Ulrich J. Wolff: "La Porte" (2003), Radierung/Collage auf Bütten mit Prägung, 212 x 152 cm (Unikat)

Ulrich J. Wolff über seine Arbeit

Kunst ist für mich: Aus der Ruhe heraus anfangen, Neues erwecken, dabei selbst Raum und Zeit schaffen, das Formlose spüren, das Fließende halten und das Grenzenlose erfahren. Das geschieht in der aufwändigen Radierung wie auch in meiner mit den unterschiedlichsten Collageelementen angereicherten Malerei allein schon aus technischen Gründen in zeitlichen Schüben, die immer wieder ein neues Erlebnis verlangen, ein neues Konzentrieren und Einlassen auf den sich frei entfaltenden Entwicklungsprozess. Dabei erzwingt dieser Zeitfluss ein meditatives Besinnen, wird selbst zu einem Radierungen und Bilder prägenden Faktor und so auch für den Betrachter erlebbar, etwa in den Schichtungen und Übermalungen sowie der haptischen Qualität der im Zeitlauf mitwachsenden, lebendigen Oberfläche. Kunst ist für mich ferner - ganz eigennützig gesehen - ein Forschen in Erinnerungen und inneren Bildern, ein Exkurs der Sinne und damit auch Lust und Abenteuer.


Dr. Eva-Marina Froitzheim (Stuttgart) über die Arbeit Rolf Urbans

Rolf Urban führt mit seine Arbeiten auf subtile Weise physiologische Mechanismen des Sehens vor, indem er beim Betrachter das bewusste Wahrnehmen, die Aufmerksamkeit für räumliche Gegebenheiten fördert, die wie selbstverständlich in Erkenntnisse über den Raum umgewandelt werden können. Indem die Perspektive ihrer Täuschungsabsichten entkleidet und bewusst auf sie verzichtet wird, bleiben formale Fakten, bildliche Konstanten - in der Reduktion auf Linien und Flächen - bestehen, die mehr Aufschluss über die Art und Weise des Sehens geben als dies möglicherweise umfangreiche Untersuchungen zu leisten imstande sind.


Einführung von Thomas Kurtz

Ich habe nun schon viele Jahre die Freude und Ehre, das künstlerische Werk von Rolf Urban und Uli Wolff erleben und begleiten zu dürfen. Im Falle von Ulrich Wolff ist das schon locker ein Vierteljahrhundert her. Wenn ich damals am Anfang unserer Begegnungen das Wort "Jahrhundert" in einer Einführungsrede gehört habe, dann habe ich automatisch gähnen müssen und bin in Richtung Wand geschlichen, um mich in Erwartung eines langatmigen kunsthistorischen Exkurses anlehnen zu können. Das müssen Sie jetzt nicht tun, denn erstens können Sie sitzen, und zweitens wird mein Rückblick bescheiden ausfallen.

Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre studieren beide an der Karlsruher Akademie, bei verschiedenen Professoren zwar, aber Urban und Wolff kennen sich. Das ist so kurz vor und gerade in der Zeit, in der in den Akademien die großen Leinwände aufgespannt und im Rekordtempo mit wilden, rohen Gesten zugemalt werden. Endlich werden wieder richtige Bilder gemalt, ungestüm, frech, rotzig, die Farben klatschen nur so auf den Malgrund. Abstraktion und Konzeptkunst waren gestern, Künstler und Publikum lechzen nach Figuren, nach Menschenbildern. Aber Urban und Wolff klinken sich aus der grassierenden Malwut aus.
Ihr Herz gehört der schwarzen Kunst, der Druckgrafik. Nicht, dass sie damals nicht auch gemalt haben - Ulrich Wolff malt noch immer - aber einfach nur mit dem Pinsel eine Geschichte zu erzählen, ist ihnen zu simpel. Ihre Bildwelt entsteht indirekt, seitenverkehrt, weil die Farbe über ein zuvor durchaus auch gestisch und wild bearbeitetes Medium aufs Papier kommt. Bei Rolf Urban sind es Platten aus Holz und Linoleum, bei Ulrich Wolff ist es Metall oder Stein. Beide machen sich in jener Umbruchstimmung vor rund 25 Jahren einen Namen als herausragende Druckgrafiker, beide reizen die technischen Dimensionen von Holzschnitt und Radierung nicht nur aus, sondern erweitern die Grenzen ihres bevorzugten Mediums, setzen neue, hohe Maßstäbe. Sie müssen lange suchen, um in der Druckgrafik Vergleichbares zu finden.

Dieses Lob hat jedoch, wenn bei Ihnen das vorhin angesprochene Wort "Vierteljahrhundert" noch nachklingen sollte, nichts mit einer bei mir fortgeschrittenen Altersverklärung zu tun. Erstens ist das ein Fakt, und zweitens die Basis für einen Zugang zum aktuellen Werk der beiden Künstler. Dabei geht es nicht in erster Linie um eine lückenlose Verbindung oder einen nahtlosen Übergang von damals zu heute, zu sehr haben beide Künstler Entwicklungen durchlaufen, die sie immer wieder von der Druckgrafik entfernt haben. Es geht um Haltungen und Handarbeit.

Da wären zum Beispiel die Arbeiten von Rolf Urban in dieser Ausstellung hier im Kunstverein Speyer: Holzobjekte und Zeichnungen, aber keine Druckgrafik. Und doch ist sie präsent, und doch hat sich Urban nicht allzu weit von ihr entfernt. Es ist das Schneiden, das damals wie heute seine Arbeiten prägt. Auch der Farbauftrag bei den neuen Arbeiten erinnert an das Aufwalzen und Abdrucken, wie man es vom Holzschnitt her kennt.
Mit ihrem Volumen drängen diese hölzernen Bildobjekte in den Raum, aber die Grundlage ist, wie bei der in der Fläche sich bescheidenden Druckgrafik, eine Holzplatte. Diese schwärzt Urban, um dann ins Holz zu schneiden und wieder zu schwärzen und zu färben. Er zeichnet mit dem Messer, nur eben nicht wie für eine Grafik mit dem Wissen, dass im Druck später das Bild gedreht wird. Seine Messerzeichnung ist nun konzentrierter, direkter, präsenter, sie hängt einfach vor uns und muss nicht erst durch einen Druckvorgang sichtbar gemacht werden.
Überdies inszeniert sie eine sehr eigenwillige und nicht nur illusionistische Räumlichkeit. Die schwarzen Strukturen sind tatsächliche Einschnitte, Markierungen in einem Bildraum, der einen tatsächlichen Raum aufnimmt. Dem fehlt freilich das, was uns gemeinhin die Orientierung in einem gezeichneten Raum erleichtert, nämlich die letztlich auf Täuschung beruhenden Hilfsmittel der Perspektive. Urban schneidet nur Hinweise, markante Punkte, ohne uns damit Orientierung und Zuordnung zu erleichtern. Am Ende erkennen wir wenige, reduzierte formale Fakten und stehen vor der Aufgabe, uns selbst im Bildraum selbst zurechtzufinden.

Das gilt im Prinzip auch für die Zeichnungen. Dort finden wir nicht minder viele Verweise auf die Entstehung von Druckgrafik, selbst der Akt des Schneidens ist Teil dieser Zeichnungen.
Da schichtet Urban mit Kohle, Bleistift und Papieren, da kommen teilweise Schablonen zum Einsatz, da begegnen wir ähnlichen reduzierten, perspektivischer Klarheit beraubten Räumen. Doch bevor Urban im Geometrischen, Konstruktiven ankommt, setzt er gegenläufige zeichnerische Akzente. Er spricht von "Aufladungen" und von "Aufgaben", die er stellen will, von "Geheimnissen" und "Mysterien", die in den Unklarheiten wurzeln.

Ausgangspunkt für die kleineren Zeichnungen mit den menschlichen Figuren sind sehr oft Fotografien von Innenräumen, Gebäuden oder Maschinen. Die Fotos dienen Urban als Vorlagen von Zeichnungen, konzentriert auf Konturen und andere markante Linien, um dem Raum schon einmal etwas von seiner Eindeutigkeit zu nehmen. Dann kommt wieder das Messer. Urban schneidet Flächen aus, die sich an dem linearen Gerüst orientieren können, aber nicht müssen. Und wieder ist der als Ursprungsmotiv dienende Raum weiterer Orientierungspunkte beraubt worden. Zuletzt legt er die zur Schablone gewordene Zeichnung auf und färbt dann die Leerräume mit Kohle ein. Der feine Staubrand erzeugt dabei ein leichtes Vibrieren und Zittern, eine Art diffuse Aura.
Das gilt natürlich ebenso für die mit der Schablone gezeichneten, eher an einen Schatten erinnernden menschliche Figuren. Das sind Menschen, die in Ruhe in einem undefinierten Raum stehen, warten, schauen. Und der Betrachter muss es ihnen gleich tun, schauen, ein bisschen warten, bis sich aus den rätselhaften Kombinationen, bis sich aus dem seltsamen Raum heraus eine eigene Geschichte entwickelt.

Die menschliche Figur ist auch in jüngster Zeit ins Werk von Ulrich Wolff zurückgekehrt, wenngleich diese Arbeiten - das sind um Leben und Tod und auch um das Weiterleben in Familiengenerationen kreisende Portraits - heute hier nicht zu sehen sind. Dafür haben wir es in den hier ausgestellten großformatigen Unikatradierungen ebenfalls mit Räumen zu tun, offen gelassen, raffiniert inszeniert, aufgeschichtet, eingeprägt.
Titel wie "Glashaus" oder "Treppenhaus" geben eine Richtung vor, doch Wolff hält sich nicht lange mit illusionistischer Wiedergabe auf. Ihn interessieren den Raum auf einfache Art definierende Linien, wie etwa die Verstrebungen von Glashäusern, die quasi schon beim Betrachten des Originalraumes eine gewisse grafische Qualität aufweisen. Dabei sind jene realen Raumlinien nur Ideengeber, nicht Vorbild. Und im Grunde inszeniert Wolff seine Kunsträume ohnehin auf ganz eigene Art, nach langen Phasen der Besinnung und des konzentrierten Einlassens auf den Entwicklungsprozess wie auch mit spielerischer Lust, mit einer Sinnlichkeit, die aus der handwerklichen Perfektion wie auch dem Zufälle zulassenden Experiment resultiert.

Die Räume, die Wolff in seinen Arbeiten gestaltet, können sich an realen Vorgaben wie einem transparenten Treppenhaus in einem Karlsruher Neubau oder einem Kreuzrippengewölbe in einer Prager Kirche orientieren oder sich als imaginäre Gedankenräume erweisen, in denen Strukturen und Formen Wege zu inneren Bildern und Erinnerungen markieren. Die Virtuosität im Umgang mit den diversen Radiertechniken von A wie Aquatinta bis Z wie Zuckertusche ermöglicht es dem Künstler, eine beeindruckende wie verblüffende Räumlichkeit auf das Papier zu bannen. Verfahren wie der Prägedruck wecken zudem die Lust, das Blatt auch haptisch zu erfahren.
Doch Wolff belässt es nicht bei dieser technischen Souveränität, er nutzt zudem Elemente der Collage, um das Raumerlebnis zu akzentuieren, und setzt seit kurzem auch eine transparente Folie ein, um mit Ebenen und Schichten zu spielen, um luftige Zwischenräume voller nur erahnbarer und doch präsenter Interaktion zu erzeugen. Und darum geht es Ulrich Wolff letztlich, um einen Raum voller Leben, vordergründig unsichtbar zwar, aber doch individuell erfahrbar. Es sind Räume voller Gedanken und Ideen.

Achten Sie auf die Doppelblätter, in denen Wolff farblich unterschiedliche Quadrate und Kreise und Gitterstrukturen übereinander druckt. Oder er dreht eine Radierplatte um 180 Grad und überdruckt das Blatt noch einmal, um so plötzlich durch spannungsreiche Verdichtungen der Kaltnadellinien eine räumliche Form, einen Kubus zu erzielen. Oder er nimmt naturfarbenes Büttenpapier und presst es als Collageelement beim Druckvorgang aufs Papier.
Neu sind die Arbeiten mit dem nur sehr schwer mit den Mitteln der Radierung zu bedruckenden Transparentpapier, das wie eine Art Raumfolie über einer weiteren Radierung liegt, diese als diffusen Unter- oder Hintergrund erleben lässt, vielleicht auch als Ende eines Raumes, als Ziel einer Gedankenreise durch den nicht ätherischen Zwischenraum. Zuletzt baut Ulrich Wolff wie ein Architekt einige diese Arbeiten zu Erlebnisräumen auf, indem er in flachen Bildkästen Abstand zwischen die Radierblätter bringt und auch obendrein noch mit dem Effekt der Glasscheiben spielt.

Und jetzt will ich Ihnen endlich den Freiraum lassen, den Sie benötigen, um sich mit den Bildräumen von Rolf Urban und Ulrich Wolff zu beschäftigen.






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Ulrich J. Wolff
Ulrich J. Wolff: "La Porte" (2003), Radierung/Collage auf Bütten mit Prägung, 212 x 152 cm (Unikat)
Rolf Urban
Rolf Urban: "o. T." (2004), Öl auf Holz, 45 x 145 cm