Kunstverein Speyer / Kulturhof Flachsgasse
Peter Rösel: "Neun Augen"
Objekte, Malerei
04.09.05 bis 03.10.05
Peter Rösel
Peter Rösel

Es scheint, als hätte Peter Rösel das Verdikt Platons über die lügenhafte Natur der Malerei im Sinn gehabt, als er sich entschloss, in Namibia Luftspiegelungen zu malen und damit die Spirale der Argumente um das Kriterium der Lügenhaftigkeit nicht nur des Mediums, sondern auch seines Gegenstandes weiter zu drehen. Nicht verschmelzen mit der Landschaft, als sei sie ein Gegenüber, dem es sich zu öffnen gälte, sondern eine gewisse unversöhnliche Fremdheit charakterisiert Peter Rösels Gemälde. Diese Fremdheit, formuliert im Medium des Scheins, ist ihre Wahrheit; bezogen auf die Erfahrung von Landschaft, ist sie wahrscheinlich zugleich die einzige Erfahrung, der man heute noch Authentizität zusprechen kann.

Der Künstler Peter Rösel geht in die Wüste Namibias und malt Landschaften zwischen Trugbild und Wirklichkeit. Im aktuellen Diskurs über die virtuelle Realität taucht der Begriff der Fata Morgana wieder auf. "Die beschriebenen Fata Morganen entstammten aber nur einer bestimmten Art von Literatur (Laurence von Arabien etc.) und Hollywoodfilmen. Ich wurde neugierig auf die wirklichen Fata Morganen und machte mich auf die Suche", beschreibt Rösel seine Vorgehensweise. Das "Fata Morgana Painting Project" ist die aktuelle Werkgruppe des Künstlers. Die Fata Morgana steht bei Peter Rösel u.a. "für eine phantasierte und konstruierte Realität. Ich suche aber nach den wirklichen Fata Morganen. Dennoch bedeutet 'Bilder malen' natürlich immer auch die Konstruktion und Inszenierung von Wirklichkeit".

Rösel spielt also wieder mit den Aspekten "klassischer" Kunsttechniken und traditioneller Genres, hier das Landschaftsbild, und produziert so erneut Kunstwerke mit Widerhaken. Einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde Peter Rösel mit seinem Zyklus textiler Pflanzenskulpturen aus verschiedenen Uniformstoffen, deren Installation im Frankfurter Museum für Moderne Kunst Aufmerksamkeit erregte. 2004 waren neben Galerieausstellungen Installationen und Einzelpräsentationen im Sprengel-Museum Hannover und der Nationalgalerie Namibia zu sehen.


Besprechung von Markus Clauer, Die Rheinpfalz vom 02.09.05

Kunst an den Nahtstellen: Peter Rösel blickt mit "Neun Augen" auf die Welt - Eine Speyerer Schau

Dem Berliner Peter Rösel, 1966 in Rockenhausen geboren, geht es darum, mit künstlerischen Mitteln die Nahtstellen zwischen Natur und Kultur aufzusuchen. Am Ende der jetzt im Speyerer Kunstverein zu sehenden künstlerischen Expeditionen des Kahnweiler- und Purrmann-Preisträgers scheinen dabei meist die Paradoxe versöhnt.

Wer in die Speyerer Ausstellung von Peter Rösel geht, muss sich mit Aufmerksamkeit wappnen. Und das nicht nur, weil am Eingang ein Löwe döst - allerdings einer, der aus dem orangefarbenen Dress von Müllmännern zusammengenäht ist. Die Augen: gelbe Reflektoren. Den unsachgemäßen Umgang mit Polizeiuniformen, der so etwas wie das Markenzeichen des Absolventen der Frankfurter Städelschule ist, erkennt man jedenfalls auch nicht gleich. Rösel schneidert aus der staatliche Gewalt anzeigenden Kluft Grünpflanzen, die ohne weiteres für die herkömmlichen Heimeligkeitsfantasien einstehen können. Das erweicht jedes Herz. In Speyer ist jetzt etwa auch ein Uniform-Löwenzahn zu sehen, der scheinbar aus Pflastersteinen wächst, die Blüten aus dem Weißen der Polizisten-Mützen. Früher hieß es einmal, unter dem Pflaster sei der Strand, aber wer diesem Sponti-Slogan allzu wortwörtlich nachhing, bekam es mitunter auch mit der Ordnungsmacht zu tun. Ganz klar, das Objekt von Peter Rösel ist sehr symbolisch zu verstehen. Auch weil man bei genauerem Hinsehen bemerkt, dass die Steine aus Styropor nachgebaut sind.

In solche Sehfallen tappt man bei dem teilweise in Marokko und im Irak aufgewachsenen Schlaks ziemlich oft. Als Wanderer zwischen Welten weiß er, dass die Standpunkte Ansichten prägen. "Neun Augen" ist die Schau im Kunstverein betitelt, was ein Wink mit dem Zaunpfahl ist. Eindimensional sind Rösels konzeptionelle Arbeiten jedenfalls nie. Schließlich wählt er für jedes Projekt selbst genau aus, ob er dafür malt, Plastiken zusammenbosselt oder sich Anregungen in einem norddeutschen Heimatmuseum holt. Bei ihm geht es zum Beispiel darum, zu erkennen, dass selbst der Blick auf die Natur von kulturellen Erfahrungen gelenkt ist.

Im Frankfurter Museum für Moderne Kunst gehören Rösels am Strand gefundene Blechdosen zur ständigen Sammlung. Er hat sie mit Bildern von Walen bemalt. Wegwerfstücke mit einem Signet des Schönen und Guten darauf. Rösel erzählt, dass er lange gesucht hat, eine dermaßen konsensfähige Ikone wie den Wal zu finden. "Selbst mit Jesus Christus haben ja manche Probleme", sagt er, "mit Walen ist jeder einverstanden". Dabei habe kaum jemand je eines der Tiere mit eigenen Augen gesehen. Er selbst hat Fotos als Vorlage genommen. Man sieht, dass eben nicht alles so einfach ist. Also etwa auch die Sache mit den Oasen, Luftbildern. Peter Rösel hat seine eigenen Erfahrungen damit.

Über mehrere Jahre saß er immer wieder in der Skelettwüste in Namibia und hat gezeichnet und gemalt. Eine Serie mit Wüstenbildern ist in Speyer ausgebreitet, die Bilder sind in Reisekisten eingelagert, die zum Leporello zusammengeklappt werden können. Ein kurviges Panorama steht da im Ausstellungsraum. "Man muss schon hingehen in die Wüste, um zu malen", beharrt der Künstler, "aber dabei kommen nicht automatisch coole Bilder raus." Rösels Ansichten sind es, cool. Die Oasen sehen durchaus realistisch aus in ihrer ganzen Unschärfe und inklusive der leichten Kälteausstrahlung, die über den Szenen liegt - in der Skelettwüste weht Antarktiswind. Aber es bleiben Bilder. Bilder von Luftbildern, Konstruktionen von Konstruktionen, oder ganz einfach die dichteste Nahsicht, die von etwas Irrealem möglich ist. Es sind Gemälde, die quasi dokumentarisch Wirklichkeit einfangen und nie ihren Kunstcharakter verleugnen. Ein Wüstenbild zum Beispiel sieht aus wie das Werk eines Farbfeldmalers, was als dezenter Verweis auf die Kunstgeschichte zu verstehen ist.

Es sind die Irritationen, die die Arbeiten von Rösel ausmachen, fast immer haben sie reale Aufhänger. So, wenn man auf einem beinahe esoterischen Bild vor den Wallungen des Wüstensands einen Mann mit Helm und Overall vorbeilaufen sieht. Es ist die Momentaufnahme der Begegnung fremder Welten, die auch so stehen bleiben soll. Rösel ist ein Fan von Auto-Rallyes, aber als ihm einmal der rasende Tross in der Wüste tatsächlich begegnet ist, blieb eine Verblüffung übrig, die er in diesem Gemälde konserviert hat. Der Titel des Werks gibt im Übrigen den genauen Standort an, von dem aus es gemalt ist - als so genannter GPS-Code. Allerdings ist der auch nur genau mit dem Handicap, dass dafür die Erde flachgerechnet worden ist.

Niemals sollte man allzu sicher sein. Auch bei dem zentralen Werk der Schau nicht. Auf Brettern sind Halter angebracht, darauf liegen Flaschen. Es sieht aus wie ein Exponat aus einem Kieler Heimatmuseum. Wer näher hinschaut, meint Buddelschiffe zu sehen. Wer noch näher hinschaut, erkennt, dass auf dem mit blauen Müllsackfetzen angedeuteten Meer in den Mineralwasserflaschen nur Trümmer schwimmen. Irgendetwas ist schief gegangen bei der Bastelei.

Auch die Geschichten von Reisenden und Entdeckern, die darunter auf Plaketten erzählt werden, handeln vom Scheitern. Von Vasco da Gama zum Beispiel, der 1498 endlich Indien erreichte, das dort angestrebte Geschäft seines Lebens aber nicht machte. Die Inder fanden, er habe nur Ramsch zum Tauschen mitgebracht. Ein Missverständnis, das auch der Stil widerspiegelt, in dem Rösel erzählt. Er klingt wie der von Fußballtrainer Trappatoni ("Ich habe fertig"). "Die lokalen Kaufleute, die das Kompensationsgeschäft, die Reichen der Inseln gegen kitschige portugiesische Waren, abgelehnt wurden, und das da Gama nach Hause mit einer Handvoll Pfefferkörn und Nelken zurück". Rösel hat den englischen Originaltext vom Internet-Programm Babelfish ins Deutsche übertragen lassen. Übersetzt soll das wohl heißen: Ein Rest von Fremdheit bleibt, auch wenn sich die halbe Welt miteinander vernetzt fühlt.


Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.

Die Ausstellung wird gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung, Forschung und Kultur.






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