Kunstverein Speyer / Kulturhof Flachsgasse
Prof. Emil Wachter: "Die Farbe Rot"
Malerei
13.03.05 bis 10.04.05
Prof. Emil Wachter
Prof. Emil Wachter

Einführung von Mira Hofmann

Sie haben alle diese Karte bekommen, mit der der Kunstverein, die Städtische Galerie und das Feuerbachhaus Speyer zu dieser Ausstellung einladen. Eine schlichte Karte, vor allem aber eine blaue Karte. Erst wenn man sie aufschlägt, sieht man innen das Rot, auf das der Ausstellungstitel verweist, aber kein Bild von Emil Wachter. Das ist bei dem Namen vielleicht nicht nötig, denn Sie kennen alle seine Bilder und Werke. Aber doch ungewöhnlich. Und es macht neugierig: Was erwartet die Besucher? Lassen Sie sich überraschen!

Biografisches

Überraschungen und Unerwartetes findet sich in sehr vielen Bildern von Emil Wachter, der seit sechzig Jahren künstlerisch tätig ist. Er wurde 1921 in der Nähe von Karlsruhe geboren, wo er auch heute noch lebt und arbeitet. 1940 begann er mit dem Studium der Theologie und Philosophie in Freiburg, das er wegen Kriegsdienst und Gefangenschaft erst 1948 beenden konnte. Schon in dieser Zeit entstanden viele Ölbilder und andere Kunstwerke. 1949 begann er mit dem Kunststudium an der Akademie in Karlsruhe, das er 1954 abschloss. 1958 berief man ihn zum Lehrer für Malerei an die Akademie. 1963 beendete er seine Lehrtätigkeit und ist seitdem als freier Künstler tätig. Seit Beginn seiner künstlerischen Laufbahn erhielt er zahlreiche öffentliche und private Aufträge in ganz Deutschland und Europa. Etliche Preise und Auszeichnungen wurden ihm verliehen.

Emil Wachter beeindruckt durch seine persönliche und künstlerische Vielschichtigkeit. Er bearbeitet Glasfenster, Betonreliefs, Skulpturen, Wandteppiche, Zeichnungen, Lithografien, Ölbilder, Aquarelle, Tuschen, Deckengemälde, Radierungen, Zeichnungen…
Als bekannte Beispiele seien die Betonreliefs der Autobahnkirche St. Christophorus Baden-Baden (1974 - 1978) genannt, die Bonner Porträts im Auftrag der BRD (1974 - 1975) oder die Glasfenster in der evangelischen Kirche St. Johannes, die Geburt, Passion, Ostern, Pfingsten zum Thema haben (1988) und übrigens während der Ausstellung zugänglich sind. Jeden Morgen von 09.00 bis 11.00 Uhr ist die Johanneskirche geöffnet, sodass Sie sich die Glasfenster als Ergänzung zur Ausstellung hier anschauen können. Die Zeit zwischen 09.00 und 10.00 Uhr sei die beste, wurde mir versichert, da die Sonne dann so steht, dass die Glasfenster besonders eindrucksvoll erleuchtet werden.

Menschenbild

Die Gemeinsamkeit der vielfältigen künstlerischen Techniken und Motive nennt Wachter selbst:
"Mein Urthema quer durch alle Materialien, mit denen sich malen, zeichnen und bildhauern lässt, ist [allerdings] das menschliche Gesicht geblieben. In ihm spiegeln sich Himmel und Hölle, das Oberste und das Unterste und das ganze Spektrum des Geschaffenen."
(EW zur Preisverleihung der Stiftung Bibel und Kultur 2001)

Menschenbild und Weltanschauung sind also die großen Themen, die Wachter malerisch bearbeitet. In der Ausstellung "Die Farbe Rot" sind Vögel, biblische Themen, Mythologisches, Menschliches, Landschaften und Stillleben zu sehen. In eine Schublade stecken oder einfach irgendwo einordnen lässt sich Emil Wachter nicht. Dazu sind seine Arbeiten zu untypisch. Wachter nimmt sich die Freiheit zu malen, wie er es für richtig hält, und nicht, wie eine vorgegebene Richtung oder ein bestimmter Stil es von ihm verlangt. Das bedeutet für den Betrachter etwas mehr Arbeit. Wenn wir etwas Neues sehen oder erleben, vergleichen wir es mit Bekanntem in unserem Gedächtnis und ordnen das Neue in dieses vorhandene Raster ein. Bei den Bildern von Emil Wachter funktioniert das nicht. Wir sind gefordert, unsere Sehgewohnheiten zu überwinden und neue Erfahrungen zu machen.

Die Farbe Rot

Die rote Farbe steht im Mittelpunkt der Ausstellung. Wenn Sie durch die Räume wandern, sehen Sie rote Bilder, rötliche Bilder, Bilder mit ein bisschen Rot und sogar welche ohne jedes Rot. Rot hat viele Bedeutungen. Die Farbe Rot ist eine Information, die das Gehirn erhält. Licht trifft im Auge des Betrachters auf die Netzhaut und wird dort von den farbempfindlichen Stäbchen weitergeleitet. Bei einer Wellenlänge von etwa 600 bis 780 nm wird die Empfindung "Rot" im Gehirn erzeugt. Farbe kann nur dort sein, wo auch Licht ist.

Die Bilder zeigen verschiedene Rot-Intensitäten und unterschiedliche Farbtöne: helles Rot, dunkles Rot, Rotorange oder bläuliches Rot. Intensives Rot, blasses Rot, durchsichtiges Rot, deckendes Rot usw. Unsere Empfindungen, Gefühle und Stimmungen zeigen uns ein aggressives Rot, Feuerrot, Blutrot, ein warmes Rot oder ein gefährliches Rot. Künstler erzeugen den Farbton mit Zinnoberrot, Karminrot, Hämatit, venetianisch Rot, pompejanisch Rot, rotem Bolus… Die Farben bestehen physisch aus Pigmenten und Bindemitteln, psychisch werden ihnen immer auch bestimmte Emotionen zugeordnet. So steht Rot traditionell für Leben, Kraft und Wärme. Eine Farbe wirkt aber nicht für sich allein, sondern nur im Zusammenspiel mit anderen Farben. Deshalb sind in einer Ausstellung mit dem Titel "Die Farbe Rot" nicht nur rote Leinwände zu sehen, sondern ein Miteinander der Farben. Achten Sie auf das Rot! Entdecken Sie das Rot!

Entdecken Sie die roten Gebirgslandschaften im Untergeschoss, die von einem bemalten Fensterrahmen eingerahmt werden. Entdecken Sie das Rot in den Kirschen, die sich auf dem weißen Tischtuch wie Noten zusammenfügen. Entdecken Sie Rot im Kontrast zu kräftigem Gelb und Blau. Suchen Sie den roten Schatten, der dem Aquarell Wärme verleiht. Sogar die Signatur des Malers kann Rot sein, einmal rot / blau gemischt (siehe Tänzerin). Finden Sie den roten Bleistift, der nicht nur auf der Leinwand festgehalten wurde, sondern sich tatsächlich in der Hemdtasche des Malers befindet.

Menschenbilder

Menschen und Vögel finden sich häufig in den Bildern von Emil Wachter. Mensch und Vogel ist dabei kein Gegensatz, sondern eine Ergänzung. Manche Menschen erscheinen wie Vögel und manche Vögel wie Menschen.
Menschenbildern begegnen wir beispielsweise hier in dieser "Familienecke": Wir lernen die Tochter des Malers kennen, die Enkelin, seine Frau und ihn selbst, im roten Selbstporträt. Emil Wachter malt sich als Maler, hinter der Staffelei stehend, die eine Mauer zwischen Betrachter und Betrachtetem bildet. Der Blick geht zwar aus dem Bild heraus, findet aber nicht das Auge des Gegenübers. Der Maler sieht sich selbst im Spiegel. Da ist eine Distanz zum Betrachter, die allen Porträts eigen ist. Die Dargestellten halten Abstand, biedern sich nicht an. Es sind keine modellhaften Stereotypen, sondern echte Charaktere, Individuen, die Eindruck hinterlassen.

Triptychon

Wiederkehrend in Wachters malerischem Werk ist die sakrale Form des Triptychon. Ein blaues Beispiel sehen Sie in "Kurort: Stuhl, Schirm, Nachtigall". Das Schweben der Gegenstände erinnert an die Flügelwesen von Chagall. Es ist Nacht, der Mond scheint und bringt wie die Nachtigall Licht ins Dunkel. Ebenso wie der Schirm, dessen rote Streifen wohl die Eintrittskarte für dieses Bild in die Ausstellung waren. Als Kontrast sind die Blumen gelb. Der Maler griff zu bunten Farben (blau, rot, weiß, gelb), aber das Bild wirkt gar nicht bunt. Das Blau dominiert, erhält aber erst durch die anderen Farben seine Leuchtkraft.
Hinter dem Tisch ist ein menschlicher Kopf zu entdecken, er zeigt sich nicht gleich, sondern ist zurückhaltend und bescheiden, er drängt sich nicht auf, man muss sich schon etwas mit dem Bild beschäftigen, damit er hinter dem Tisch hervorkommt und Bekanntschaft mit einem schließt.

Licht

In vielen Arbeiten spielt das Licht eine wichtige Rolle. Im Triptychon "Kurort", im "heißen Sommertag", wo das Licht vor Hitze flimmert. Es gibt helle oder weiße Flecken, die hier und dort hervorblitzen. Auch für die Ausführung von Glasfenstern ist das Licht ein entscheidender Gestaltungsfaktor. Die Frage "Was ist Licht?" beantwortet uns Emil Wachter so:
"Was ist Licht? Es ist ganz simpel die Voraussetzung für alles, was Leben und Glück heißt; Hölle oder das Böse verbinden wir mit Schwärze und Finsternis und Kälte, Licht und Helligkeit mit Glücklichsein und Freude. [Helligkeit ist das Generalthema beim Aquarellieren.] Wie organisiere ich das Weiß? Es organisiert sich selbst, indem ich hier einen roten Fleck und dort eine hellgraue oder blaue Fläche setze. Oder indem ich das Weiß zwischen blauem Gesprenkel ausspare. Sofort entsteht eine gleißende Lichtfläche auf dem See. Oder unter der Vase ein weißes Tischtuch, das gar nicht gemalt werden braucht. Oder das Weiß der Vase nimmt eine andere Qualität an, wird kühler weiß als die übrige weiße Fläche, nur durch die farbige oder schwarze Umrandung. Abenteuer des Malvorgangs, und die Augen des Betrachters arbeiten aktiv mit … Wie in einem Musikstück die Pausen, wird hier beim Malen das Ausgesparte zum konstitutiven Element."
(Zitat EW. Leben gemalt).

Komposition

Ganz ungewöhnlich ist die Bildaufteilung. Es gibt keine linearen Kompositionen, kein erkennbares Muster, sondern die Gegenstände und Menschen erscheinen willkürlich auf der Leinwand verteilt, oft werden sie ganz an den Rand gedrängt. Der Horizont ist weit unten, das Bildformat überproportional lang. Gegenstände werden angeschnitten, als ob das Bild ursprünglich größer war und vom Rahmen beschnitten wurde. Im ersten Moment irritiert das, es ist ungewohnt und unerwartet. Und das ist gut so. Wenn meine gewohnten Sehweisen durchbrochen werden, werde ich überrascht und schaue ich genauer hin. Diesen zweiten Blick belohnen die Bilder von Emil Wachter mit überraschenden Erkenntnissen.

Stillleben

Die ungewöhnliche Bildaufteilung kann man besonders gut an den Stillleben nachvollziehen.
Auf einem Tisch sind Vasen, Blumen, Stifte, ein Ei oder Früchte abgelegt. Manchmal ist der Tisch nur eine gebogene Horizontlinie oder eine weiße Fläche. Die Kirschen, die doch das Hauptmotiv ausmachen, sind ganz klein und unscheinbar auf das weiße Tischtuch gemalt. Und was macht das Ei auf dem Tisch? Bei mir zu Hause liegt nie ein Ei einfach auf dem Tisch herum, es steht höchstens neben der Kaffeetasse im Eierbecher. Aber das Ei mit seiner perfekten natürlichen Form macht das Bild rund. Außerdem ist ein Ei auf dem Tisch für einen Maler etwas Alltägliches, er nutzt es als Malmittel.

Medea

Dass Rot auch für Gewalt und Blut stehen kann, zeigt die "Medea". Ein Motiv, das seit über 2.000 Jahren künstlerisch umgesetzt wird, in Dramen, im Schauspiel, in der Musik und Malerei. Medea ist eine Zauberin, die sich unsterblich in Jason verliebt, als dieser auf seiner Expedition nach Kolchis kommt, um das Goldene Vlies zu holen. Jason verspricht Medea, sie zu heiraten und sie hilft ihm mit ihren Zauberkräften. Sie leben eine Zeitlang glücklich zusammen und bekommen zwei Kinder. Doch Jason verlässt Medea und heiratet eine andere. Rasend vor Eifersucht und Zorn tötet die Verlassene die gemeinsamen Kinder. Die Sage ist am besten aus Euripides' Tragödie Medea bekannt (431 v. Chr. in Athen aufgeführt).
Im 19. Jahrhundert entstehen Bildfassungen, die Medea als verlassene und verzweifelte Mutter zeigen, die Mitleid erregt. Wachter hält sich ganz an die traditionelle Darstellungs-
weise seit der Antike: Medea ist mit ihrem ganzen Hass, ihrem Wahnsinn und ihrer Mordlust dargestellt. Der Dolch dient als Erkennungszeichen. Die Mörderin hat ihn nicht mehr in der Hand, die Tat ist schon vollbracht. Die Kinder, den Mund zum stummen Schrei geöffnet, sind schon nicht mehr, scheinen sich aufzulösen. Wachter malt sie als Säuglinge, das lässt die Tat noch grausamer erscheinen.

Tuschen / Vögel

Ganz anders als Medea sind die Vogeltuschen. Leicht und humorvoll sind zwar gefiederte Wesen gemalt, aber doch eher menschliche Eigenschaften dargestellt. Wachter mag Vögel, wie er mir verriet, es sind schöne Geschöpfe, ausdrucksstark und elegant. Sie sind so sorgenfrei und beweglich, dass wir sie oft beneiden. Oft wünscht man sich, frei wie ein Vogel zu sein, aber nicht vogelfrei: "Wenn ich ein Vöglein wär' und auch zwei Flügel hätt', flög' ich zu dir …" Wachters angstfreie Vögel können Vorbild für uns Menschen sein.
Die ganz neu (2005) entstandenen zarten Vogeltuschen und Aquarelle zeigen Charakter-
studien. Wir sehen menschliche Empfindungen, die wir alle kennen: Hochmut, Traurigkeit, Frechheit, der Wunsch nach Geborgenheit, Trägheit, Klugheit, vorgetäuschte Unschuld. Oft fühlt man sich selbst ertappt: Woher weiß Emil Wachter, dass auch dieser Wesenszug in mir steckt?
Am besten gefällt mir "Ihr täuscht euch". Wer ist euch? Sind wir das, die Betrachter? Täuschen wir uns? In uns selbst vielleicht?

Feuerbachhaus

Weitere Vogeltuschen sind im Feuerbachhaus zu sehen. Sie sind unter dem Titel "Pompeji" zusammengefasst. Rot senkt sich der heiße Ascheregen auf die Fliehenden. Auch hier sind es Vögel anstatt Menschen, die im Angesicht der Katastrophe ganz unterschiedlich reagieren. Panisch oder mit sich und der Welt im Reinen. Sich versteckend oder trotzig der Naturkatastrophe die Stirn bietend. Jeder Betrachter findet dort "seinen" Vogel, der ihm aus der Seele zu sprechen scheint.

Seien Sie neugierig und offen für das Unerwartete im Leben und begeben Sie sich auf eine Entdeckungsreise in die Bilderwelt von Emil Wachter. Ich bin gespannt, was Sie finden!



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