Verein Feuerbachhaus Speyer / Museum Geburtshaus Anselm Feuerbach
Gernot Kissel: "Stilleben/Landschaften"
Malerei, Grafik
24.10.06 bis 24.11.06
Gernot Kissel
Gernot Kissel

Am 18.04.1939 in Worms geboren und dort aufgewachsen. Von 1960 bis 1963 Studium der Ingenieurwissenschaften in Kaiserslautern, anschließend Tätigkeit als Ingenieur und schon frühzeitig als Maler tätig. Ausstellungen in Belgien, Deutschland, England, Frankreich, Holland, Luxemburg, Österreich und der Schweiz. Gernot Kissel lebt mit seiner Ehefrau in der Südpfalz.


Einführung von Professor Dr. Helge Bathelt (Herrenberg)

Mit der modernen Landschaftsmalerei haben wir es mit einer eigentlich recht jungen Gattung zu tun. Sie entstand am Ende des 18. Jahrhunderts. Was aber war so "modern" an dieser Landschaftsmalerei? Nun, die Personenstaffage in der Landschaft entfiel und zwar genauso, wie zuvor aus den Bildern das Heilige verschwunden ist, der Mensch in den Mittelpunkt rückte, ehe auch das Ende humaner Präsenz oder wenigstens allegorischer Verbrämung Bildtatsache wurde.

Nicht, dass das ausschließlich so war - da seien Boucher und die Romantiker vor - aber die Gattung "reine"oder eben "moderne" Landschaftsmalerei wurde für die Künstler interessant. Unschwer - und das lehrten uns am eindrücklichsten die Impressionisten - unschwer lässt sich erkennen, dass mit der Vermehrung der Gesellschaft das Bedürfnis nach der unverbrauchten Natur einherging. Die Menschheit expandierte und reduzierte die Natur. Der ansteigende Maschinenlärm schärfte den Sinn für das Waldesrauschen.

Für die bildnerische Inszenierung von Natur durch lineare Rhythmen und farbfeine Differenzierungen hatte schließlich kein Künstler ein besseres Sensorium als Claude Monet.
Die Landschaften des 20. Jahrhunderts drohen in den großen Neuerungen der Kunst - den umfassendsten seit der Renaissance immerhin - unter zu gehen. Konnte die Landschaft die Farbstürme der Fauves noch mitmachen, so gaben ihr die meisten anderen neuen Stilrichtungen keine Chance. Es war ja auch die Gefährdung der äußeren Welt - gerade im 1. Weltkrieg - die die Künste in neue Ausdrucksformen drängte, ja stieß.

Dennoch kann gar nicht übersehen werden, wie am Mont St. Victoire gearbeitet wurde, mit welcher Wucht Lovis Corinth seine Walchenseebilder malte und wie genial so viel später Horst Janssen seine tiefgründigen Landschaften niederschrieb. Da gibt es doch noch mehr, werden Sie einwenden. Und ob es mehr gab und gibt! Aber dies ist kein Colloquium privatissime et gratis über Landschaft "as a (w)hole", sondern eine "tour d’horizon" mit dem Ziel, auf den Landschafter Gernot Kissel hin zu führen.

Übrigens darf ich untertänigst und unterschwelligst auf die Tatsache hin weisen, dass die Vereinigung lateinischer, englischer und französischer Zitate in einem einzigen Satz sicherlich eine bildungsbürgerliches Kronjuwel darstellt.

Es ist immer wieder ein herausragendes Stilmittel, vom Allgemeinen ins Besondere zu kommen. Wo also steht Kissel in der Ahnengalerie "moderner" Landschaftsmalerei? Nun, sein Standort ist auf der Seite der Landschaft, auf der Seite des Lebens und auf der Seite der Kunst. Wenn Sie übrigens meinen, dass drei Standorte zwei zuviel seien, dann sind Ihnen wesentliche Aspekte des zeitgenössischen deutschen Managements entgangen, denn es macht aus Ergebnisoptimierung und Arbeitsplatzsicherung auch zwei Standpunkte...

Gernot Kissel nimmt die Kunst ernst. Jenseits aller seiner gestalterischen Souveränität, jenseits aller plakativen Durchschnittlichkeit eines breit gesäßigen Marktes bleibt er einem - seinem - Werk verpflichtet und diese Verpflichtung ist zuerst die gegenüber der Kunst, zweitens gegenüber der Kunst, drittens gegenüber der Kunst und unendlich immer noch gegenüber der Kunst. Was aber erlegt ihm die Kunst auf? Ganz einfach: Ehrlichkeit! Tu was Du kannst und tu es gut! Schiebe die Selbstzweifel, die alle große Kunst begleiten, bei Seite, empfinde Dich als Beauftragten der Kunst, als ihren Diener, der tut, was sie ihm geheißen hat.

Anders geht das nicht. Der Künstler, der seinen Blick nach rechts oder links wendet, der seine Wirkung bedenkt oder gar kalkuliert, wird auch in seinem Werk das Selbstverständliche nicht erreichen, dass das treffendste Anzeichen für die Präsenz von Kunst im Bild ist. Im Betrachter wirkt sich das unmittelbar aus. Er summiert seinen Eindruck unter "So muss es sein und nicht anders!" Das Rot ist dieses Rot und das Schwarz dieses Schwarz. Der Bildraum ist dieser Raum und weiß andere Räume nicht.

In seinen Gestaltungen von Landschaft weiß sich Kissel dem Neoimpressionismus verpflichtet. Seine Bilder erzählen nicht von einer bestimmten Landschaft oder dokumentieren sie gar, sondern er begreift die Naturvorlage, die meist aus seinen inneren Bildern kommt, als Offerte zu einer malerischen Lösung zu kommen. D.i. das Eigentliche seiner Landschaftsmalerei, dass er Natur in Kunst übersetzt, Farb- und Flächenbezüge herstellt, im Spiel von Flächenkompartimenten Rhythmen entstehen, so dass das Abbild sekundär wird und das Bild primär.

Denn - wie es schon Heidegger formulierte - nicht das Paar Schuhe auf einem Bild van Goghs ist entscheidend, sondern das "In-Szene-Setzen" der Wahrheit. Schon bei Leonardo war das Wie seiner Kunst wichtiger als die Renaissancedame, die er abbildete. Wenn aber die Kunst ins Recht gesetzt wird, dann ist auch das ausgetretene Sujet legitimiert und das gilt dann eben auch für die Landschaft und für das Stilleben.

Ein wenig überrascht war ich schon, als ich hörte, dass der Schwerpunkt dieser Werkschau Gernot Kissels auf Landschaft und Stilleben liegt. Und das gerade im Feuerbachhaus, dem Geburtshaus eines Künstlers, für den das Körperschöne absolut ein Thema gewesen ist, was ja für viele der Portraits und Akte Kissels genauso gilt. Beispielsweise die "Nanna" Feuerbachs von 1860 neben einem Frauenportrait Kissels zu sehen: wäre überaus reizvoll gewesen.

Dennoch genieße ich die Schwerpunktbildung dieser Ausstellung, da die Kultur der Pinselführung und das Hineinarbeiten in die Malfläche - auch einmal mit dem bloßen Finger - hier genauso erkennbar ist und das Können Kissels auch in diesen Sujets ins Bewusstsein auch seiner Anhänger und Sammler gerückt wird. Übrigens werden Kissel Portraits und Akte ja demnächst bei "Artwork" zu sehen sein, so dass Speyer in den Genuss des ganzen Kissel kommen wird.

Kissel fehlt in seiner Malerei alles Zögerliche und Verhaltene. Er formuliert mit stupender Sicherheit und in einem forcierten Malduktus. Momente einer gelassenen Bildwirkung erzielt er - wenn er sie überhaupt anstrebt - ausschließlich über die Farbgebung. Gerade in den grafischen Arbeiten wird ein Teil des Blattes als Zeichnung gearbeitet und die Farbe bleibt ausschließlich dem Zentrum vorbehalten. "Dies ist ein Stilleben" könnte - analog zu Magritte - eine solche Arbeit betitelt werden.

Das stürmische der Aneignung des Bildthemas entspricht einer Kunst, wie sie auch seine Vorläufer formuliert haben, die wir ab der "Brücke" finden können. Kissel allerdings ersetzt jugendliche Unbekümmertheit durch die Ausstrahlung, die die künstlerische Reife liefert, d.h. Ungestüm durch eine reflektiert lebenszugewandte Auffassung.

In Ländern mit einer unbelasteten Kunsttradition sind seine Arbeiten extrem erfolgreich. Bei uns ist eine Malerei immer verdächtig, die sich überhaupt nicht revolutionär gebärdet, sondern anschließt und kreativ fortsetzt, eine Malerei, die sich zum Kunstschönen versteht und weniger zum Gegenwartsdiagnostischen, eine Malerei schließlich, die malt, statt Inszenierungen a la Environment, Performance oder Installation her zu stellen.

Nicht, dass das verzichtbare Ausdrucksformen wären, aber die Qualität von Ergebnissen steht in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der Anwendung der Mittel. Man muss ja diesbezüglich auch nicht extra an große zeitgenössische Maler erinnern, wie an Baselitz oder an wundervolle Zeichnung von Warhol, die die breite Öffentlichkeit aber meist weniger kennt.

Gewiss ist Kissel ein Traditionalist. Nachdem aber stilistische Unterscheidungen - gar nach irgendwelchen Chronologien - im "Alles geht" der Postmoderne obsolet geworden sind, wird der Blick wieder frei auf die sich im jeweiligen Kunstwerk offenbarende Kompetenz und das sichert einen Vollblutmaler wie Gernot Kissel dann selbst bei uns jene Aufmerksamkeit, die angesichts seiner Werke ohnehin selbstverständlich sein müsste.

Es ist für den, der eine entschlossene Malerei liebt, immer wieder ein Genuss seinen Arbeiten zu begegnen, zu sehen, wie auf dunklem Grund Blütenformen leuchten und erdenschwere Landschaften laubgrün und sienafarben eine gemalte Schöpfung feiern. Mit der Aufforderung, sich diesen Genuss nun im Gegenübertreten zu verschaffen, darf ich mit dem Dank für Ihre Aufmerksamkeit enden.




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