Stadt Landau in der Pfalz / Städtische Galerie Villa Streccius
Madeleine Dietz: "Werden und Vergehen"
Objekte und Installationen
16.10.04 bis 21.11.04
Madeleine Dietz
Madeleine Dietz: "was oben war, wird unten sein" (2003), Erde/Stahl

Die gesamte künstlerische Arbeit von Madeleine Dietz ist geprägt durch die Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit menschlichen Lebens. Für die Künstlerin hat Erde eine existentielle Bedeutung. Sie ist für sie Grundlage menschlichen Lebens, das aus ihr erwächst, die uns notwendige Nahrung spendet, aber auch das Material für das Bauen und Wohnen, die uns Schutz gewährt, zugleich ist sie aber auch Symbol für das Vergehen und den Tod und die Rückkehr zum Ursprung. In ihr ist wie in einem Archiv auch Vergangenheit, vergangenes Leben und vergangene Kultur bewahrt.

Diese Polarität zwischen Werden und Vergehen finden in den Werken von Madeleine Dietz ihren sichtbaren Ausdruck. Sie zeigt in der Villa Streccius Rauminstallationen und Projektionen, die sich mit den Fragen des Seins, der Würde des Menschen und dem, was bleibt, auseinandersetzen. Themen, die zu einer Jahreszeit passen, in der mehr als in anderen Monaten der Toten gedacht wird. Zum ersten Mal werden in Landau auch großformatige Radierungen zu sehen sein, die während eines Barcelona-Aufenthaltes im Frühjahr dieses Jahres entstanden sind.

Künstlergespräch am Mittwoch (Buß- und Bettag), 17.11.04 um 19.00 Uhr
mit Madeleine Dietz und Volker Hörner, Direktor der Evangelischen Akademie der Pfalz zum Thema "Die Sonne ist das, was keiner begräbt" (Franz Führmann)


Einführungsrede von Dr. Brigitte Baumstark

Lassen Sie es mich vorweg deutlich und kurz sagen: Madeleine Dietz gehört zu den führenden deutschen Bildhauern der Gegenwart. Ausgezeichnet mit dem renommierten Ernst-Barlach-Preis 2003, präsentiert sie in dieser Ausstellung Werke, die in den letzten vier Jahren entstanden. Sie zeigen das typische Spektrum ihrer Materialien und Formen, aus denen die Künstlerin ihre Inhalte logisch und konsequent formuliert.

Die Materialien sind schlicht, elementar, nicht-edel und sind jedem von uns durch den täglichen Umgang bekannt. Lehmhaltige Erde wird mit Wasser eingeschwemmt und bildsam gemacht, in Behältnisse gestrichen, in denen sie auftrocknet und durch tiefe Risse und Verwerfungen strukturiert wird - oder in dünnen Schichten ausgebreitet, die beim Trocknen reißen. Die Oberflächenstruktur und die Form sind das zufällige Ergebnis eines Trocknungsprozesses. Der ästhetische Reiz der Erde besteht in der samtigen Oberfläche und in der braun-beigen Farbe.

Warum gerade Erde? Die Künstlerin gibt selbst die Antwort, wenn sie sagt: "Erde ist mein Arbeits- und Baumaterial, ist mein Werkstoff, in nahezu unerschöpflicher Menge überall zu finden. Erde ist der Boden, auf dem etwas wächst, der Boden, auf dem etwas leben kann, fruchtbarer Boden. Erde ist der Boden, der bearbeitet, gepflegt werden kann, der aber auch vergeudet, verdorben wird, mit dem man Raubbau betreibt. Erde ist auch der fruchtbare Rückstand verwester, organischer Materie. Erde in Verbindung mit Wasser ist formbar, ausstreichbar, fließt, trocknet aus, bildet Risse - bricht in Stücke. Sonne, die die Erde vertrocknen läßt, spendet gleichzeitig lebensspendendes Licht. Erde, bewußt nicht mit Bindemittel vermischt, die durch den Prozeß an sich immer dasselbe bleibt, nämlich Erde."
Madeleine Dietz spricht damit das ganze Spektrum der Assoziationen im Zusammenhang dem Element Erde an: von Wachstum und Werden bis zu Vergehen und Tod. Damit ist auch die religiös-mythische Deutung eingeschlossen: Erde als Symbol für die menschliche Existenz.

Stahl ist der zweite Werkstoff, der zum Grundvokabular der Künstlerin gehört. Dem beiläufigen Material würden wir normalerweise keine weitere Beachtung schenken. Doch dem Alltag enthoben, nehmen wir die ästhetische Wirkung der ebenfalls samtigen, geradezu malerischen Oberfläche wahr, die in Grau-Blau-Tönen changiert. Madeleine Dietz schneidet das Metall und überwindet damit seine Widerständigkeit. Sie spürt die Hitze beim Schweißen und muß sich gegen das helle Licht schützen. Das Stahlblech wird zu strengen stereometrischen Körpern zusammengefügt, die Schweißnähte bleiben sichtbar.

Erde und Stahl gehen im Werk von Madeleine Dietz eine enge Verbindung ein, fast scheinen sie untrennbar. Sie bilden eine logische, unabdingbare Gemeinschaft, die sich hervorragend ergänzt: Die dauerhafte, feste Form in Stahl nimmt die formlose Erde auf und scheint sie wie einen Schatz zu bergen. Der Stahl ist der Tresor, der Schutzraum. Damit kombiniert die Künstlerin zwei Materialien, die unterschiedlicher nicht sein könnten: warm, leicht, formbar, organisch, rissig, verletzlich das eine - kühl, schwer, glatt, metallisch, dauerhaft das andere. Trotz aller Unterschiede sind sie immer eng verbunden: Metall wird aus der Erde gewonnen. In Spurenelementen verleiht es der Erde einen rostroten Farbton. In bearbeiteter Form sind Erde und Stahl von unterschiedlicher Dauerhaftigkeit, doch beide sind dem Verfall ausgesetzt und nach ihrer Auflösung wieder in der Erde vereint. Damit versinnbildlichen die beiden Materialien Werden und Vergehen auf eine ganz eigene Weise. Die Kunstwerke, die Madeleine Dietz daraus zusammenfügt, haben klare, von der Geometrie abgeleitete Formen: Es sind Kuben, Säulen, Pfeiler, Segmentbögen, Rechtecke. Auf ausschmückendes, erzählerisches Beiwerk verzichtet die Künstlerin völlig.

Die Fragen nach dem "Woher" und "Wohin," nach dem "Was war" und "Was wird sein", schließt die Urformen menschlicher Existenz mit ein, deren Spuren die Archäologie sichtbar macht. Diese archäologischen Freilegungen finden ihre Entsprechung im Werk von Madeleine Dietz. Aber es sind keine dramatischen Ereignisse, die den Untergang mächtiger Kulturen inszenierten, wie z. B. bei den Arbeiten von Anne und Patrick Poirier. Bei Madeleine Dietz sind es einfache und auf ihre schlichte Art bedeutungsvolle Räume, von denen eine archaische Kraft ausgeht, wie bei der Arbeit "Kein Eingang" (2002), die mit ihrem runden Abschluß dem Eingang gegenüber an einen Kirchenraum erinnert, oder der Einraum der Arbeit "Eingang Ausgang Ost" (2003). In Werken wie "Was oben war, wird unten sein" (2003/2004) stehen die Grundrisse für komplexe Strukturen des sozialen und gesellschaftlichen Miteinander, für die technischen Errungenschaften und kultischen Übereinkünfte von Kulturen, die sich dem Kreislauf von Werden und Vergehen nicht entziehen können.

Mit diesen bildlichen Umsetzungen der Grundfragen menschlichen Seins spricht sie in einem allgemeinen Sinne religiöse Fragen an und ist damit prädestiniert auch in Kirchenräumen zu arbeiten. Zur Zeit entstehen der Altar, der Ambo, das Taufbecken und die Leuchter für die Sophienkirche im München-Riem nach ihrem Entwurf. Madeleine Dietz selbst sagt, "Kirchenräume seien die besten Ausstellungsorte, wegen der Architektur und der Stimmung, die sie ausstrahlen. Kirchen sind Treffpunkte für die Menschen. Dort können sie Stille finden, innehalten. Es sind Orte, die vom Alltag ausgegrenzt sind, Orte, die durch besondere Gerüche und Geräusche charakterisiert werden; Versammlungsorte von Christen, von Menschen, die über die Schöpfung nachdenken."

Licht, in Form von Sonne und Feuer, ist in den Arbeiten der Künstlerin immer vorhanden. Doch seit 1992 bringt Madeleine Dietz Licht als eigenständiges gestalterisches Element in ihre Arbeiten ein. Dabei wird seine Bedeutung als Lebens- und Hoffnungsträger deutlich. Bei der Rauminstallation "Ganz in meiner Nähe" (2003) legt sie zwei Metallkästen nebeneinander auf eine erdige Fläche. Sie erinnern an Grabplatten, tragen aber keine Inschrift, sondern unter dem Metall leuchtet silbriges Licht. Diese überirdische Erscheinung des Lichtes bleibt rätselhaft. Gerade in dieser Installation wird die Kraft und die positive Grundstimmung deutlich, die von den Arbeiten der Künstlerin ausgeht: Denn was auch geschieht, du bist "Ganz in meiner Nähe". Die Deutung könnte jedoch genau so sein, wie sie Christel Heybrock in ihrer Besprechung der Installation "Neun Felder ohne Namen" formulierte. Sei meinte, es könne sich um Gräber von Menschen handeln, deren Lebensenergie noch immer leuchtet.

Mit den Dia-Installationen fügt Madeleine Dietz das reale Abbild des Menschen in ihre Arbeit ein: Ein Mädchen in "Tag um Tag" (2001), einen jungen Mann in "Pascal" (2003) oder ein Paar in der Arbeit "Dreh dich um, dreh dich um". Das nicht greifbare, immaterielle Abbild betont das transitorische des menschlichen Seins und dieser Aspekt wird noch verstärkt, wenn die Fotos auf einen Säulenstumpf aus aufgeschichteten Tonplatten projeziert werden. Vom Menschen bleibt die Erinnerung in Form des Bildes. Aber auch die Erinnerung verblaßt - verschwindet und löst sich auf wie die Artefakte des Menschen.

Der Kreislauf von Werden und Vergehen ist das Grundthema im gesamten Werk von Madeleine Dietz. Mit ihren Erde-Stahl-Licht- Arbeiten fand sie dafür überaus ästhetische Metaphern. Eine höchst poetische und gleichzeitig ganz reale Bearbeitung des Todesthemas gelang ihr in dem Video "Eine Frage der Zeit" (2002). Ausschnitthaft gibt die Kamera das Gesicht, die Hände und die Füßen eines alten, von den vielfältigen Spuren des Lebens gezeichneten Menschen wieder. Das Gesicht der Frau wirkt entspannt und ist auf eine eigentümliche Art schön. Sie ist nicht allein, sondern wird von den Händen einer unsichtbaren Person behutsam und in ruhigen Bewegungen gewaschen. Das Ritual der Reinigung versinnbildlicht die körperlicher Nähe und erhält die Bedeutung einer religiösen Handlung. Für diese Arbeit wurde Madeleine Dietz mit dem Videopreis der Sozialministeriums Baden-Württemberg und des Deutschen Roten Kreuzes ausgezeichnet.

"Nicht geboren werden" ist ein Thema, das die Künstlerin in unterschiedlichsten Formen bearbeitet, in dem sie zum Beispiel die Worte übergroß in Erdschollen aufschichtet, oder indem sie eine Stahlplatte auslegt, darüber grobe Erdstücke ausbreitet und die Schrift ausspart, oder indem sie die Worte - ähnlich wie bei einem Grabstein - in einen Kalkstein eintieft. Mit der unterschiedlichen Beständigkeit der Materialien ergeben sich leichte Verschiebungen in der Interpretation. Grundlegend ist jedoch, dass die Künstlerin eine Metapher für eine existenzielle, nicht darstellbare Realität schafft und damit ein aktuelles, höchst privates sowie überaus emotionales Thema aufgreift.

Neben den Plastiken und Installationen widmet sich Madeleine Dietz immer wieder breit angelegten, konzeptuellen Projekten, deren Bearbeitung einen langen Zeitraum in Anspruch nimmt und bei dem der Prozeß des Entstehens einen wesentlichen Teil der Arbeit ausmacht. Aktuell ist das Projekt "Side By Side" , das seit dem Jahr 2002 läuft und noch nicht abgeschlossen ist.
Madeleine Dietz wendet sich dabei an Menschen in allen Ländern dieser Welt mit der Bitte ihr Friedhofserde zuzusenden. Diese Erde verwahrt die Künstlerin in kleinen Holzkästchen, die mit dem Namen des jeweiligen Landes versehen sind. Parallel dazu sammelt sie die Informationen zum Absender und zu dem Friedhof, von dem die Erde stammt.
Das Motiv der Erinnerung und des Gedenkens, das in der Regel einem Verstorbenen aus dem persönlichen Umfeld gilt, soll ausgedehnt werden auf die Menschen aller Nationalitäten und aller Glaubensrichtungen. In dem die Künstlerin mit dieser Arbeit darauf aufmerksam macht, dass Sterben, Trauer und Erinnerung allen Völkern und Nationen eigen ist, wird die Friedhofserde zum Symbol für einen allumfassenden Frieden. Wenn die Kästchen aller Nationen gefüllt sind, sollen die Erden in einem Pflanzfeld vereint werden.

Das Thema der Vergänglichkeit, das Madeleine Ditz allen ihren Werken zu Grunde legt, ist diesen auch auf eine ganz reale Art eigen. Denn die Plastiken und Installationen müssen immer wieder ab- und aufgebaut werden. Sie werden in Kisten verwahrt und kommen erst wieder ans Licht, wenn die Künstlerin sie für die nächste Ausstellung aufbaut - aber wenn sie die Arbeiten neu zusammenfügt, sind es nie genau dieselben wie zuvor.

Material, Form und Inhalt gehen im Werk von Madeleine Dietz eine sinnreiche, überzeugende Verbindung ein. Aus persönlichen ursächlichen Erfahrungen mit Leben und Tod sowie aus dem Bewußtsein der eigenen Körperlichkeit - damit begründet im eigenen Erleben - findet sie für die jeden Menschen in seinem Innersten berührenden, existenziellen Fragen eine einfühlsame, konzentrierte, hoch ästhetische Sprache ohne jedes Pathos. Mit ihren ins allgemeine überführten, überzeitlichen Metaphern trifft sie den Nerv unserer Zeit und berührt die Menschen, wie nicht zuletzt die vielfältigen, erfolgreichen Ausstellungen belegen.



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