Rita Kipping-Gold
Einführungsrede von Clemens Jöckle

Ausstellung im Schloss Kleinniedesheim bei Worms am 12.03.00

Im Werk von Rita Kipping-Gold werden die Mechanismen und Strukturen, die Umbrüche und neuen Orientierungen dessen, was man so pauschal "Zeitgeist" nennt, mit rein malerischer Ausdrucksgebärde offengelegt und gleichsam entlarvt. Die Künstlerin belegt dabei in praxi eine Feststellung von Ernst Gombrich, dass sich die zeitgenössische Malerei gemäß dem Gesetz von Schema und Korrektur vollzieht.

Malerei ist bei Rita Kipping-Gold eine elementare, prozesshafte und zugleich das Prozesshafte dokumentierende und sichtbar machende Handlung geworden. Die Komposition entsteht aus dem Auftragen, dem Übermalen, dem Aufgreifen kompositorischer Gerüste und deren im Malprozess unterzogener Korrektur. Ein Gemälde von Rita Kipping-Gold ist auch durch die Widerstand entgegensetzende Zähigkeit der Farbmaterie Öl die in den spannungsvollen Zustand der Dauer festgebannte und innegehaltene, ständige Veränderung eines Schöpfungskontinuums.

Dabei erscheinen die Malflächen von Rita Kipping-Gold als "offene Landschaften", so ein Bildtitel, in denen die Farbgestik und die Farbwertigkeit auf der Bildfläche den Bildraum erzeugen. So wechseln sich Opakizität und Transluzidität rasch miteinander ab, wird eine diaphase Struktur einem Schleier nicht unähnlich über die haptisch dichte Malsubstanz gelegt, öffnen sich Farbschlünde und quellen Farbströme an der Oberfläche.

Dabei ist dies nicht unbedingt ein organisch atmendes Quellen als ein Schwebezustand von Teilen eines Ganzen, sondern ein sichtbar gemachter Schöpfungsakt, der die Entstehung eines Bildes als prozesshaftes Vorwärtsschreiten und Entwickeln bzw. Variieren als Analogie des Schöpfungsaktes der Natur begriffen hat.

Die Entstehung einer Bildwelt wird parallel zu der Weltenschöpfung gesehen, freilich in einer sehr subjektiven Weise, die den Künstler selbst zum autonomen Schöpfer nicht der Weltbilder, vielmehr seiner individuellen Bildwelten macht. Diese Bildwelten freilich haben längst ihren das Ganze überspannenden Geltungsbereich aufgegeben und sind in sich selbst ruhende Teilbereiche als Facetten der Wirklichkeit geworden. Darin liegt der Unterschied vom Schöpfungsakt der Natur und von jenem Gestaltungsakt des Künstlers, der das Denkmögliche in die Vision der realen Möglichkeit auf seinen Bildern gestaltet.

Die Künstlerin bedient sich bestimmter Ausdrucksmittel. Die Farbe gewinnt eine kristalline Brechung der Formen, die dann entsprechend geschichtet werden oder aus unbekannten Ebenen auf die Bildebene projiziert werden. Dabei bleibt der Gestus des Schöpfungsaktes als Formung auf der Oberfläche in der Farbmaterie dadurch sichtbar.

In den Gemälden steckt immer etwas Alchemistisches, das der vergeistigten Ratio die materielle Substanz hinzufügt. Der Prozess der analogen Auseinandersetzung mit der Natur wird darstellbar. Wie beim Gestaltungswillen der Natur wird das Werdende als Zusammenballung verdichtet und das Vergehende als Koagulation, als Verflüchtigung und Auflösung im Kosmos der Farben gestaltet.

Das Licht kämpft dabei mit der Dunkelheit, macht Oberflächlichkeit und unergründliche Tiefe deutlich, demonstriert das Eindringen des Pinsels in die gedanklichen Tiefenschichten.

Die stilistischen Mittel sind neben den modulierten Farbaufträgen Kratzspuren und aufgetragene Liniengerüste, die nichts organisieren, sondern als Fühlfäden die Bildräumlichkeit auf der Leinwand ausdeuten, vom Farbenraum verschlungen werden, wieder aufgedeckt sichtbare Spuren hinterlassen. Außerdem dynamisieren diese Liniengerüste spannungsreich die Farbflächen und organisieren unter Umständen eine eigene Gestaltungsebene.

Wenn Bildgegenstände aufgenommen sind, dienen sie nicht zur Bezeichnung einer begrifflichen Definition, sondern sind ebenso malerisch verstandene Gestaltungselemente, die aus dem gleichen Schöpfungsakt wie die Farbflächen und Farbräume hervorgegangen sind. Dabei kann diese Linie als Kontur einen körperhaften Torso oder eine anthropomorphe Gestalt als Schema umreißen, die dann gleichsam verloren im Farbraum die Entfernung von Menschenbild und Farbe andeutet.

Die Künstlerin arbeitet gerne mit mehrteiligen Bildern, die sie zyklisch zuordnet. So wird das Schöpferische auch als das Einzelne übergreifender Prozess erkannt und ausgelotet. Oft zwingt sie Farbenräume als Verbindung von Gegensätzen miteinander, wenn sie Blau und Gelb als Schichtenräume einsetzt. Sie greift gerne die Pathosformel Triptychon auf, schafft ungleiche Bildbreiten, die sie auf der Suche nach der Harmonie im goldenen Schnitt aufgeteilt hat. Dadurch, dass sie die im Triptychon ursprüngliche und eigene Betonung der Mitte aufgegeben hat, ist auch das Prinzip der Subordination beiseite geschoben und ungültig geworden. Der Schlüssel der Imagination liegt wie schon eingangs gesagt in dem Kontinuum, das nicht auf eine Mitte ausgerichtet ist, sondern ständig fortschreitet.

So sind Rita Kipping-Golds Bilder feinfühlig seismografische Schwankungen der Wahrnehmung, die kraftvoll und leidenschaftlich zugleich ein Thema, das Verhältnis von Natur und Schöpfung, auslotet.



Einführungsrede von Dr. Matthias Brück

Ausstellung "Farbräume" in der Corivus Management Consulting GmbH in Neustadt am 03.06.05

Auf den ersten Blick mögen sich diese Exponate fern der uns vertrauten Realität befinden. So bewegen sich die früheren Werke in gestisch-dynamischen Räumen, greifen zum Teil auf tachistische Elemente zurück oder Stilmittel des Action-Painting, ohne deshalb ins Kopieren abzugleiten.

Doch solche Stil-Definitionen dürften den Arbeiten dieser Künstlerin insgesamt auch kaum gerecht werden. Zu unabhängig erweisen sich ihre Transformationen.

Denn in ihnen verwandelt sie Natur und Landschaftlichkeit in ein oft gewaltiges Farberleben, ja Farbfühlen. Dabei können sich Farbfelder in vehemente Prozesse auflösen oder sie behalten ihren Charakter als "verdichtete Natur".

Immer deutlicher kann die einstige Dramatik gezügelt werden, indem sie beispielsweise formal konstruktivistisch in Quadrate und Rechtecke gebändigt wird. Ab hier entwickeln sich diese Werke zu spannungsreichen Kompositionen des Gegensätzlichen. Weit entfernt von jeder herkömmlichen, langweiligen, ja blutleeren Farbfeld-Malerei, gelingt es Rita Kipping-Gold, vitale "Farbräume" zu kreieren.

Flächen mit unterschiedlichster Aussage-Kraft überschneiden, überlappen sich - präsentieren Turbulenzen wie Zonen der Ruhe. Gemeinsam bleiben ihnen die zahlreichen übereinandergelegten Farbschichten, die sich z.T. durchdringen und somit stets eine faszinierende Lebendigkeit garantieren.

Da dominieren einmal markierende Chiffren, begleitet von einer impulsiven Gestik, die aus geheimnisvoller Tiefe aufzutauchen scheinen. Sie treffen auf zarte, helle Partien voller pastellener Stille und Weite, denen trotz aller Begrenzung ein offener Horizont innewohnt.

Es sind im übertragenen Sinn regelrechte "Lichtungen", Orte des Klärens und Erhellens, die - philosophisch interpretiert - durchaus mit Heideggers Begriff der Lichtung korrespondieren: "Nur diese Lichtung verbürgt uns Menschen einen Durchgang zum Seienden, das wir selbst nicht sind - und den Zugang zu dem Seienden, was wir selbst sind. Dank dieser Lichtung ist das Seiende in gewissen und wechselnden Maßen unverborgen."

Rita Kipping-Gold eröffnet indirekt Möglichkeiten, durch das Alltäglich-Selbstverständliche, durch die vermeintlich gesicherte Wirklichkeit hindurch, eine andere Perspektive von Realität zu gewinnen. Denn trotz der sich widersprechenden Bildteile, trotz der Gegensätze, die sie malerisch brillant herauszuarbeiten versteht, bleiben diese Antithesen nicht schroff und unvereinbar nebeneinander stehen.

Im Gegenteil: Sie werden in eine übergreifende Harmonie eingebunden, in eine mögliche Ganzheit, die durch die nur kurz skizzierten Unterschiede ihre eigentliche, ungebrochene Lebendigkeit gewinnt - eine Lebendigkeit, die auch in den Großformaten spannungsreich erhalten bleibt.

Da treten die harten geometrisch-konstruktivistischen Begrenzungen zurück, die Konturierung zeigt sich weicher, gestattet sanftere Übergänge - die Differenzen mögen sich in einem Stadium der Auflösung befinden. Die Welt hat plötzlich - im übertragenen Sinn - viele Fenster bekommen, durch die der Betrachter je Anderes wahrnimmt - und dennoch spürt, dass es zu einem großen Ganzen gehört.