Sichtbarkeit und Sperrschicht

Im Mittelpunkt der künstlerischen Arbeit von Achim R. Tandler stehen expressiv-gestische Grafiken, geschaffen mit der Technik der Serigrafie.

Auffallend ist ihre plakative Sprache, die klar abgegrenzten Farben, Flächen und Konturen vor nacktem Hintergrund, der kraftvolle Strich, die Geradlinigkeit, Schnörkellosigkeit des Konzepts. Ein Großteil der Arbeiten sind Porträts und Akte von Frauen, was eine Faszination von Weiblichkeit oder weiblicher Form verrät.

Aber diese plakativen weiblichen Gesichter und Gesten entziehen sich jeder Eindeutigkeit der Interpretation. Je nach Betrachtungsweise sieht man darin Zuwendung oder Abwehr, Offenheit oder ein Sperren gegen den Blick des Betrachters. Der nackte Hintergrund gibt keine Hinweise, er zwingt zur Konzentration auf das Wesentliche, Gesicht oder Körper, bedingt die Unmittelbarkeit der Bildwirkung.

Die Suche nach Unmittelbarkeit des Ausdrucks, die Konzentration auf das Elementare, Farbfläche und Strich, der Verzicht auf die perspektivische Raumdarstellung zeigt Einflüsse der "Fauves"- und "Brücke"-Maler, die Anfang des 20. Jahrhunderts mit traditionellen Raumbildern brachen und herkömmliche Sehgewohnheiten erschütterten, indem sie die schützende Distanz zwischen dargestelltem Raum und Betrachter aufhoben.

Den "Brücke"-Künstlern ging es auch darum, Farbe nicht mehr als reines Äquivalent für Licht einzusetzen. Sie stellten die emotionale Kraft und den Eigenwert der unvermischten Farbe in den Vordergrund. Nicht zufällig konzentrierte sich ihre Arbeit anfangs auf die Grafik, auf Holzschnitt, Radierung und später auf die Lithografie. Die "Jungen Wilden", eine um 1980 vor allem in Deutschland in Erscheinung tretende Richtung der Malerei, greift diese Bild- und Formensprache wieder auf.

Es ist kein Zufall, dass Achim R. Tandler, wie die Künstler der "Brücke" oder der "Fauves", auf Techniken der Reproduktion zurückgreift. In seinem Fall ist es die Serigrafie. Diese Technik ist für ihn wesentlicher Bestandteil des künstlerischen Prozesses.

Beim Siebdruck wird die Farbe durchgedrückt, die nicht druckenden Teile des feinmaschigen Gewebes, das auf Holz- oder Metallrahmen gespannt ist, werden zur Farbhemmung abgedeckt. Früher bestanden diese einfachen Sperrschichten aus präpariertem Papier, das an die Siebunterseite geheftet wurde, das Motiv wurde dann scherenschnittartig herausgearbeitet.

Vor allem in der Werbegrafik der 1920er und 1930er Jahre wurde dieses Verfahren viel genutzt. Heute haben lichtempfindliche Kopierschichten, auf die das Druckbild mit transparentem Positiv-Film aufkopiert wird, diese rein manuelle Technik abgelöst. Heute wird auch meist nicht mehr Naturseide zur Schablonenherstellung verwendet, sondern die wesentlich widerstandsfähigere Polyesterfaser.

Aber trotz all dieser technischen Neuerungen sind es immer noch die Sperrschichten, die das Eigentliche hervortreten lassen. Sichtbarkeit und Sperrschicht bedingen einander.

Erst das Nichts, das rundum ständig gegenwärtig ist, das uns stets umgibt und bedrängt, bedingt das Sein, bedingt die Existenz, um es mit einer Hommage an Jean Paul Sartre zu sagen. Sartre deswegen, weil er viel vom Zusammenhang zwischen dem Offensichtlichen und den Sperrschichten wusste und auf der einsamen Verantwortlichkeit unserer Spezies bestand.

Sartre ist in seiner Weigerung, das allgegenwärtige Hintergrundrauschen als Freisprechung von Eigenverantwortlichkeit zu akzeptieren, aktueller denn je. Nicht anders als Kierkegaard, Albert Camus oder Franz Kafka, allesamt Autoren, die Achim R. Tandler besonders schätzt. Allesamt Dichter einer präzisen Sprache, einer Sprache, die gerade in dem, was sie sichtbar macht, auf das verweist, was sich gegen unser alltägliches Begriffsvermögen sperrt.

Usch Kiausch, Freie Autorin (Neustadt/Weinstraße und Mannheim)