Carmen Stahlschmidt: "Reife Früchte"
Zeichnung, Skulptur
04.11.07 bis 09.12.07
Carmen Stahlschmidt: "Fleischfrucht I", 2007, Zeichnung auf Papier, 110 x 80 cm
Vita
1956 - in Trier geboren, in der Pfalz aufgewachsen
1978-83 - Studium Kunsterziehung in Mainz (Prof. von Saalfeld)
1985 - zweites Staatsexamen - verheiratet, zwei Kinder
ab 1985 - freiberuflich tätig
1986 - Eisenturmpreis der Stadt Mainz
1987-88 - Aufenthalt in Paris, Radierung und Zeichnung bei M. Chot-Plassot
1996-99 - Aufenthalt in Grenoble, Atelier Elag
ab 2002 - Steinbildhauerei bei Martine Andernach und Peter Rübsam
2005 - "Kunst in der Stadt", Mainz, 2. Preis und Publikumspreis - Katalog aus Fördermitteln des Landes Rheinland-Pfalz, des Kreises Südliche Weinstraße und der Stadt Mainz - Teilnahme Exposition "Traits d'Union" au Palais du Rhin Strasbourg
2006 - Bronzeengel für die Katharinenkirche Oppenheim Gemeinschaftsprojekt zu Robert Schumanns Kreisleriana mit mehreren Ausstellungen an verschiedenen Orten, z.B. in Ahrenshoop
2007 - Teilnahme "Haueisenkunstpreis 2007" in Jockgrim
- Viele Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen - Mehrere Arbeiten in öffentlichem Besitz
Januar 2008 - "Wechselzeit", Ausstellung Galerie in der TU Kaiserslautern
Aktuell
Arbeit an einem Projekt "Erik Satie & Co" mit zwei anderen Künstlern. Es geht dabei simultan um Musik,Theater (Literatur) und bildende Kunst. Satie hat zu seinen "Sports et Divertissements", das sind 21 Miniaturkompositionen, auch kurze Texte geschrieben: surreal, skurril …
Meine Damen und Herren, es ist angerichtet: die "Reifen Früchte" von Carmen Stahlschmidt sollten Sie verführen. Nicht zum 'herzhaften Zubeißen', wie es eine bekannte Zahnpasta-Reklame immer noch garantiert, vielmehr zum Kosten, Schmecken, ja zum Genießen …
Denn diese Künstlerin balanciert mit ihren Zeichnungen auf sich ständig wechselnden Ebenen, gewinnt eine Leichtigkeit des Striches, der einmal in diffuser, weiter Ferne aufzugehen scheint, um sich dann wieder in den verschiedensten Schwerpunkten zu zentrieren. Dichte, unkonventionell gesetzte Schraffuren garantieren Tiefe wie Plastizität. Suggerieren eine vitale Bewegung, die anzuschwellen scheint, ohne dass ein Ende abzusehen wäre…
Was Wunder, dass Carmen Stahlschmidt diese Motive auch auf die acht schwebenden Fahnen platziert hat. Unterstützen, steigern sie doch in ihrem möglichen Schweben den Eindruck des eigenständigen Sich-Entwickelns, des Wachsens schlechthin.
Sie ahnen es schon: gewiss fungierte bei diesem künstlerischen Prozess anfangs eine bestimmte Frucht - sei es ein Granatapfel, eine Orange oder anderes mehr - als auslösendes Moment. Doch bleibt sie nicht als realistische Vorgabe bildbestimmend, sondern wird lediglich zu einer Art von Initialzünder. Da glaubt man einer ständigen Metamorphose beizuwohnen, die längst nicht mehr einschränkenden botanischen Regeln folgt. Im Gegenteil: diese Exponate - bisweilen mit teilexpressivem, farbigem Flächenschwung akzentuiert - dokumentieren etwas ganz anderes.
Es sind faszinierende Ergebnisse eines freien Gestaltens, das sich bis heute nie an zeitgeistigen Trends orientiert hat. Das sich nicht in einem banalen Vorzeigen und Aufzeigen erschöpft, vielmehr - ob bewusst oder unbewusst - eine Sphäre des Geheimnisvollen, Mehrdeutigen provoziert. Sie können das regelrecht bei dem Reigen der Nachtfalter nachvollziehen. Korrekt betitelt lesen Sie da: "Mondspinner", "Taubenschwänzchen", "Kleiner Fuchs" oder "Brauner Bär". Nur selten werden Sie da auf den ersten Blick einen bestimmten Schmetterling entdecken - eher schon Aspekte seines möglichen Wesens, das Flirren und Flattern, die Aufblitzende Schönheit, aber auch das latent Unheimliche… wie das "Insektoid", vielleicht der Urfalter dieser Spezies.
Szenenwechsel: Wenn nun "Mutter Eule" nicht gerade arttypisch "ihre Kinder stillt", wenn "Der Hase singt", "Der Frischling heiraten wird" und "Ich die Nüsse mit dem Gewehr vom Baum holen werde", dann hat Sie diese Künstlerin fast unmerklich in den Bannkreis von Erik Satie entführt. Dieser französische Komponist, der seine 21 Miniaturkompositionen mit surrealen und höchst skurrilen Texten ergänzt hat, wird für Carmen Stahlschmidt geradewegs zu einer Goldgrube ebenso skurrilen Aneignens… Hier - noch deutlicher als bei den "Reifen Früchten" - offenbart sich eine schier unglaubliche Lust am Fabulieren, ein Verschränken der unterschiedlichsten Wirklichkeitsebenen. Bisweilen gepaart mit einer melancholischen Ironie, die stets unterschiedliche Interpretationen und Assoziationen offen lässt, so manches Werk zu einem "Bild-Rätsel" verwandelt.
Schließlich präsentiert Ihnen diese Künstlerin eine Vielzahl von Bronzen und Keramiken, die auf eigene Weise schon einen evolutionär künstlerischen Prozess durchlaufen haben. Nicht gerade grazil, aber desto unbeschwerter und fröhlicher posieren sie mit menschlichen Körpern, erscheinen als "Huhn", "Gockel", "Große Henne" oder als verwandlungsbereiter "Froschkönig". Es sind Mischwesen der besonderen Art, gestaltgewordene Fantasien, die beispielsweise sogar noch den Elwedritschen-Kult sinnvoll ergänzen. Warum braucht dieses Fabelwesen gelbe Füße? Ganz klar: damit man es nachts besser sieht! Und die Büste von Meister Satie mit kuscheligem Hasenpelz-Kragen scheint zufrieden zu schmunzeln ...
Um Missverständnissen vorzubeugen: Carmen Stahlschmidt versteht es vielfältig, ironische Aperçus, ungeahnte Vorstellungen und überraschende Interpretationen in ihrem Werk zu vereinen. Doch vergessen Sie nicht: Dahinter steht direkt-indirekt zumeist auch eine Weise der Daseins-Analyse, ein Erhellen menschlicher Lebensformen, die ihre Spannung aus vielen unlösbaren Gegensätzen beziehen. Sie glauben es nicht? Zuhause, vor dem eigenen Exponat werden Sie mir Recht geben…
Besprechung von Geabriele Weingartner, Die Rheinpfalz vom 06.11.07
"Reife Früchte"
Als virtuose Zeichnerin erweist sich Carmen Stahlschmidt wieder einmal in der Ausstellung "Reife Früchte" in der Galerie Altes Rathaus in Wörth. Dass sie nicht nur Zeichnerin ist, sondern auch Bildhauerin und Keramikerin, kann man gleichfalls in der Schau entdecken.
Falls man es aber schon weiß - was nicht unwahrscheinlich ist, da die 1956 in Trier geborene Künstlerin in der hiesigen Region keine Unbekannte ist - so kann man in Wörth auch ihre Mischtechniken auf textiler Grundlage bewundern. Es sind sich leise bewegende transparente Bahnen, zwischen denen es sich in vielerlei Perspektiven lustwandeln lässt, sofern man vorsichtig dabei bleibt und sich das Vergnügen mit nicht allzu vielen Besuchern teilen muss.
Ganz genau klassifizieren lassen sich die "Inhalte" auf Carmen Stahlschmidts großformatigen Zeichnungen nicht, wenngleich sie ihren Zyklus "Reife Früchte" nannte und ihn damit eigentlich ins Pflanzenreich verbannte. Vertieft man sich aber in die Strichgewitter, die die Künstlerin produzierte, in die Haken und die unversehens auftauchenden Helligkeiten, die die Blicke vorübergehend entlassen, um sie nur wenig später wieder in die vielschichtigsten grafischen Ballungen zu verstricken, so sieht man viel mehr als nur Früchte, Samen, Pollen oder Schoten. Gerade die sparsam verwendete Farbe Rot verweist dann auch auf andere Wege, auf Körper-Wege sozusagen, die weiblich sind und nicht selten erotisch konnotierbar.
Dass bei dieser Künstlerin nichts eindeutig ist und sie Eindeutigkeit gar nicht erst anstrebt, sieht man allerdings auch ihren Skulpturen an: den keramischen und den bronzenen. Augenfällige Geschlechterzuweisungen existieren nicht, Stahlschmidts Figuren sind auch nicht immer nur Mensch oder Tier, sondern verharren oft in einen Stadium der Unentschiedenheit. Aber das betrifft die Wesen auf der Stange, den "Froschkönig" oder die "Figur mit den roten Schuhen" genauso wie einige gezeichnete Porträts, die sich in ihren Titeln zwar als "Singende Hasen" ausgeben oder als "Muttereulen", letztlich aber doch auch menschliche Haltungen an den Tag legen. Jedenfalls in ihren so akribisch gezeichneten, furchterregenden Fell-Physiognomien immer wieder "ein Auge riskieren" und den Betrachter auf Schritt und Tritt zu fixieren scheinen.
Carmen Stahlschmidt liebt die Musik, vor drei Jahren hat sie ihre Zeichnungen in der Kreisverwaltung der Südlichen Weinstraße gezeigt und sich dort vor allem E.T.A. Hoffmanns Kapellmeister Kreisler gewidmet. Der wunderbare Grusel-Hoffmann mit seiner Sturm-Frisur ist auch in Wörth präsent. Der wirkliche musikalische Held dieser Ausstellung aber ist Eric Satie, geboren 1866, gestorben 1925. Ein lange nicht anerkannter, exzentrischer Komponist, ein handwerklicher Perfektionist, skurril, humorvoll, melancholisch.
An seine Keramikbüste hat Carmen Stahlschmidt ein Hasenfell geschmiegt, es ist wohl einer der vieläugigen "Singenden Hasen", die sie auch mehrmals porträtiert hat. Tatsächlich gerecht aber wird sie dem Meister, der so unnachahmlich Meditation mit strenger Form und Unterhaltungskunst mit Abstraktion verband, in ihrem großformatigen Porträt, wo der mit seinen typischen runden Brillengläsern versehene Meister der kleinen Form vor allen durch den so locker kreisenden, fast delirierenden Stift der Künstlerin sein überragendes Format verrät. Vielleicht hat Stahlschmidt die "Gnossiennes" gehört, als sie ihn zeichnete.