/ Galerie Altes Rathaus Wörth
Betina Kaiser: "Zeitfenster"
Grafik, Malerei, Objekte
27.08.10 bis 19.09.10
Betina Kaiser
Betina Kaiser

Einführung von Matthias Brück

In einer Gegenwart voller Hektik, digitaler Sintfluten und zweifelhafter Zukunftsversprechungen ermöglicht Ihnen Betina Kaiser gewisse Auswege, wenn sie ihre besonderen Fenster, ihre "Zeitfenster" eben, öffnet… Und schon befindet sich der Betrachter in einer anderen Welt. In einer längst vergangenen Zeit - weit weg von der Gegenwart und ihren Dissonanzen. Dort trifft er nun beim ersten Blick auf Architekturen, die sich an altägyptischen, syrischen oder noch weiter zurück, an urzeitlichen Formationen orientiert zu haben scheinen. Doch liefert die Künstlerin damit keineswegs Kopien, Abbilder des je Gesehenen, vielmehr sensible, unverkrampfte Transformationen. Sie tendieren zu farb- und formgewordenen Ahnungen oder Assoziationen des Vergangenen, ohne deshalb eine dogmatische Lehre daraus abzuleiten. Die Künstlerin hat dies in einem ihrer Kataloge trefflich formuliert:

"Spuren legen und wieder verlassen.
Zeitfenster öffnen und schließen.
Schicht um Schicht das Material
ertasten und seine Grenzen erfahren.
Pictogramme als flüchtige Kulisse für
eine Vorstellung von Zeit und Raum,
die sich einer eindeutigen Zuordnung entziehen.
Eine eigene Sprache finden für das
Gesehene, Erlebte, Gedachte und
immer wieder den gelegten Spuren folgen.
eine fiktive Welt, die das Vergangene sichtbar macht
und die Gegenwart erkennt."

Zumeist ereignet sich das Gesagte in einem Raum pulsierender, warmer, erdiger Farblichkeit. Sie schafft eine unmittelbare Nähe, fast eine Vertrautheit mit dem eigentlich Vergessenen. All' das bislang Genannte wird natürlich durch eine spezielle Technik dieser Künstlerin direkt-indirekt unterstützt. Arbeitet sie doch mit Druckstöcken, die sie wiederum als Teil der reliefartigen Oberflächenstruktur in das jeweilige Exponat integriert und damit auch zu einer Art Revitalisierung des Vergangenen beiträgt. Wie heißt es in einem der hier präsentierten Gedichte von Torsten Kaiser?

"Alte Zeichen
sie tragen einen Schweif aus Zeit
wie die Tanzenden den Wind vor sich treiben
sie ebnen die Wendeltreppen der Geschichte
wie die Tanzenden sichtbar machen den Augenblick
sie erklären ohne Umstand
ohne erkannt zu werden"

Und gerade diese Tänzer - in welchen Zeitebenen sie auch auftauchen mögen - ob sie an einstige Höhlenmalereien erinnern, erscheinen in fast allen Exponaten. Auch in den unterschiedlich gestalteten Türmen und Stelen wie in den harmonisch gebildeten "Artefakten" bleiben sie gegenwärtig wenn auch nur häufig als geheimnisvolle, abstrakte Chiffren. Fast immer in Bewegung, ("Via Aurelia", "Tanz", "Gegen die Zeit") können sie vereinzelt auch zur Skulptur erstarren. Doch das bleibt fast die Ausnahme.

Ob nun allein, in Gruppen oder von urzeitlichen Rindern begleitet, dokumentieren sie eine gewisse zeitlose und erholsame Harmonie. Nur einmal scheint dieses friedliche Gefüge auseinander zu brechen. Denn im Exponat "Zeitreisende" - in düsterem Graphit-Grau gehalten - herrscht Chaos. Da ist nichts mehr an seinem Platz. Ordnungen stürzen ein, Rauchschwaden von undefinierbaren Explosionsherden durchziehen die Szene. Fast möchte man vermuten, Zeitreisende von Irgendwoher seien gerade zur Zeit des 11. September oder an einem anderen Brandherd angekommen. Eine raffinierte Zäsur dieser Künstlerin, die mit diesem Werk aus der Vergangenheit mahnend wieder in die Gegenwart zu führen scheint. Doch unabhängig davon fasziniert Betina Kaiser mit ihren "Zeitfenstern" und ermöglicht Ihnen ungewöhnliche, ja einzigartige Erlebnisse.

Nun, da die Technik des Zeitreisens momentan bei uns noch in den Kinderschuhen steckt, empfehle ich den unkomplizierten Erwerb eines "Zeitfensters" - Jedes einzelne wartet nur darauf, von Ihnen geöffnet zu werden…


Besprechung vom Brigitte Schmalenberg, Die Rheinpfalz vom 04.09.10

Geheimnisvoll

Die aktuelle "Kunst im Alten Rathaus Wörth" richtet den Blick in die Vergangenheit und lenkt die sichtbaren Spuren erster Zivilisation bis ins dritte Jahrtausend hinein. Möglich wird das durch die "Zeitfenster", die Betina Kaiser in Form von Malerei, Grafik und Objekten in den Raum stellt, um die Gedanken des Betrachters mit der Welt seiner Vorfahren zu vernetzen und in seine eigene Zukunft zu übertragen.

Es ist eine Aura des Archaischen, Geheimnisvollen und Mythischen, die den Arbeiten der in Dresden geborenen Künstlerin Betina Kaiser entströmt und den Betrachter in antike Welten und prähistorische Zeiten entführt. "Palastläufer", "Tempeltänzer", "Nachtschwärmer" und "Hüter" begleiten den "Zeitreisenden" auf seinem gedanklichen Ritt durch "Windland" und über "Wüstensteine" hinweg, an "Türmen", "Artefakten" und Stelen vorbei in die Vergangenheit, die es noch einmal einzuholen gilt, um ihre Botschaft in die Zukunft zu retten.

Schon die Titel, die die einzelnen Objekte zu einer Geschichte fügen, sind fantasievoll und poetisch und bekommen durch die zugeordneten Gedichte von Torsten Kaiser eine zusätzliche mentale Dynamik. Dabei erhascht man beim Blick durch die jeweiligen "Zeitfenster" doch unumstößliche, urvertraute, quasi in Stein gehauene Zeugnisse der Menschheit. Auf braunrotem, erdigen Grund, der an prähistorische Anstrichmittel wie Ocker, Holzkohle oder Feldspat, Blut und Pflanzensäfte erinnert, finden sich Piktogramme von Menschen und Tieren, Liebes- und Jagdszenen und die skizzenhafte Darstellung verschiedener Riten. Auf hellen, glatten, marmorähnlichen Platten fügen sich Runen und Schriftzeichen zu hieroglyhenhaften Botschaften, die das alte Ägypten in Erinnerung rufen. Dabei ist freilich nichts, wie es einmal war, denn Betina Kaisers Anliegen ist nicht die Imitation, sondern die Transformation als entstehender und sich verflüchtigender Prozess, den sie auch in eigene Worte fasst:

"Spuren legen und wieder verlassen./ Zeitfenster öffnen und schließen. / Schicht um Schicht das Material/ ertasten und seine Grenzen erfahren./ Pictogramme als flüchtige Kulisse für/ eine Vorstellung von Zeit und Raum,/ die sich einer eindeutigen Zuordnung entziehen./ Eine eigene Sprache finden für das/ Gesehene, Erlebte, Gedachte und/ immer wieder den gelegten Spuren folgen./eine fiktive Welt, die das Vergangene sichtbar macht/ und die Gegenwart erkennt."

Der heute in Ketsch lebenden Künstlerin gelingt das durch eine selbst entwickelte Technik, die den Druckstock als Basis für eine reliefartige Oberflächenstruktur benutzt. Mit verschiedenen Materialien bearbeitet, geritzt, gefärbt und versiegelt, wird er in das entstehende Kunstwerk integriert und als Brücke zwischen damals und heute visualisiert. So kann man sich aus dem althergebrachten Material ein neues "Haus der Träume" bauen und die geborgenen Überlieferungen zur Konstruktion eines imaginären Zufluchtsortes nutzen, der auch in der Hektik unserer Zeit Geborgenheit schenkt.


Betina Kaiser

seit 1997 freie Künstlerin. 1993-1998 Arbeiten mit verschiedenen Hochdrucktechniken und Zeichnung. Seit 1999 Arbeit in einer selbst entwickelten Technik ausgehend von Druckstöcken, die reliefartig bearbeitet, gefärbt und versiegelt werden. Seit 2006 Arbeit mit Objekten. Mitglied der Südpfälzischen Kunstgilde e.V.

Ausstellungen:

1995
- Schloss St. Max (Frankreich)

1997
- Art Gallery und Edition Zollikofen (Schweiz)
- Galerie Steiner Bremgarten (Schweiz)
- Schloss, Neckarhausen

1998
- C. u. C. Galerie, Heidelberg

1999
- Gustav-Wolf-Galerie Östringen

2000
- Alter Bahnhof, Neulußheim
- Heinrich-Pesch-Haus, Ludwigshafen

2001
- C. u. C. Galerie, Heidelberg
- Schloss, Neckarhausen

2002
- Kunstförderverein ,Weinheim

2003
- Bürgerhospitalstiftung, Speyer

2004
- Art wigu, Schwerin

2005
- C. u. C. Galerie, Schwetzingen

2007
- Galerie "das atelier", Schwetzingen
- Altes Rathaus, Schifferstadt
- HS-Galerie, Heidelberg

2008
- Galerie Neumühle, Edenkoben
- Galerie Kulturraum, Speyer

2009
- art galerie am schloss, Bad Bergzabern
- Atelier Berger, Bad Dürkheim

2010
- Schloss, Kleinniedesheim
- Altes Rathaus, Wörth
- Remigiushaus, Otterstadt
- Galerie "artgerecht", Eberbach


[www.formenland.de]




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