Susanne in Wonderland - Das Surreale als Spielfeld für körperliches Denken

Mit dem Einsatz ihres Körpers in einem ganz existenziellen Sinn ist einer der Schwerpunkte ihres künstlerischen Schaffens benannt; gleichzeitig geht es ihr darum, "eine Gegenwelt zu schaffen, eine Gegenwelt zur Welt unserer Umwelt" (S. Wadle), verbunden mit dem Wunsch, dem allzu sehr von Zwängen und Notwendigkeiten Bestimmten etwas hinter der Vernunft Liegendes entgegenzusetzen, nämlich das Surreale. (...)

Das vom Körper ausgehende Denken führt bei Wadle zu einer Analyse von Gefühlen, die einhergehtmit der Erforschung unserer Innenwelt, genauer, des Übergangs von innen nach außen. Diesen Übergang, die feinen Organe oder Membranen, die es dem Individuum erlauben, mit der Umwelt in Kontakt zu treten, und die in beiden Richtungen durchlässig sind, sucht die Künstlerin in immer neuen Varianten zu gestalten. Vorherrschendes
Thema der Werkphase von 1993 bis 1999 ist das sinnlich-tastende Erspüren, in den Performances seit 1998 dagegen stellt die Künstlerin die Frage nach den Möglichkeiten aktiver körperlicher Auseinandersetzung mit dem anderen und untersucht schließlich in den Fotoobjekten seit 2007 das handelnde Begreifen von Welt. (...)

Das körperliche Denken stellt somit eine Erforschung des Menschseins auf existenzieller und gesellschaftlicher Ebene dar. Das Besondere dabei ist, dass dieses vom Körper instrumentierte Wahrnehmen und Handeln angesiedelt wird in einem surrealen Raum, einem die gewohnte Realität transzendierenden Bereich, einem Raum der Ambivalenzen, in dem die Künstlerin in Form sinnlich-spielerischer Handlungen mit dem Kunstgriff der Verwandlung regiert, um Auge und Sinne des Betrachters mit außergewöhnlichen Objekten und Materialien für neue Einsichten zu öffnen. (...)

Ihre Arbeit zeichnet ein geradezu zärtlicher Umgang mit den Objekten aus. Geleitet vom Erkennen einer Ding-Magie, so als würde sie die Sprache der unbelebten Dinge lernen wollen, schafft sie auf fast schamanische Weise neue Ausdrucksmöglichkeiten, indem sie ganz einfache Gegenstände mit Öffnungen versieht, mit Rüsseln, Tentakeln, Saugnäpfen, mit denen dieWelt erspürt, ertastet, wie auch immer, wahrgenommen werden kann. (...)

Ihre Objekte und Installationen katapultieren uns in einen Raum, in dem deutlich wird, dass alles sich verwandeln kann, wie bei Alice in Wonderland, die Übergänge zwischen dem Unbelebten und dem Belebten fließend sind, ebenso zwischen Tier, Pflanze, Mensch; ein Raum, der unsere Imaginationskraft herausfordert, in uns Bilder und Assoziationen weckt und vergessene oder verdrängte Gefühle sinnlich erfahrbar macht.
Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang eine Äußerung der Künstlerin: "Jedes Kind sammelt Erfahrungen mit der magischen Dingwelt. Sie werden zwar vergessen, kommen aber in manchen Situationen wieder zurück." In Susanne Wadle lebt dieses Kind auch heute noch fort. Sie erlebt die Welt um sich herum als von geheimen Kräften durchpulst, die sie in Bilder übersetzt, und damit sie verstanden werden, führt die Künstlerin den Betrachter in eine andere Welt.

Lida von Mengden, Auszug aus: "Susanne Wadle - bodycheck ", ZONTA Kunstpreis 2010, Kehrer Verlag Heidelberg-Berlin


"fremd und doch vertraut" (Evangelische Stiftskirche Landau 2015)

In einem vielschichtigen Prozess gelingt ihr die Metamorphose von montierten collagierten Elementen zu oft säulenartigen Plastiken mit anthropomorphem Charakter. Tragender Bestandteil jener Stelen sind aus Ton modellierte Köpfe die sie im eigenen Brennofen fertigt. Die Oberfläche der Plastiken kaschiert sie mit Papieren aus dem Himalaya, die bildnishaften Gesichter, Büsten, und Masken erhalten auch durch das lineare Relief aus Hanffasern und die lasierende Bemalung mit Gouache Lebendigkeit.
 
Der Grad der Abstraktion, die Betonung von Augen, Nasen und Mündern, das Colorit und Requisiten wie Koffer oder rätselhafte Kopfbedeckungen verleihen den Plastiken Expressivität. Sie stehen im Rotensolsaal wie gestrandete Reisende- fremd und doch vertraut. "fremd und doch vertraut" dieses Gefühl stellt sich ein , wo Dinge, Räume, Menschen sich dem gewohnten Blick entziehen.
Eine Irritation, die im besten Fall eine Spurensuche einleitet und nach der Geschichte dahinter fragt, weil alle Dinge, Räume Menschen Geschichten haben. Und wer sie erzählen kann, wird sich mit Ihnen vertraut machen. Und das zuerst befremdete Ich wird sich im Fremden entdecken und ihm seine eigene Geschichte zu erzählen beginnen.

Gerlinde Wnuck-Schad