Philip Emde hat mein Leben zerstört. Das sind klare, harte Worte, mit denen Philip Emde seine Ausstellung überschreibt, seine Buchtrilogie betitelt, Buttons beschriftet und Stofftaschen und T-Shirts bedruckt. Es gleicht einer Kampagne oder besser einem "Gerücht", den "Latest News", die so ihre Verbreitung finden und sich in der Realität des Alltags niederschlagen. Von Einladungskarte und Katalogcover blickt uns ein vom Leben gezeichneter, süffisant lächelnder junger Mann in einem solchen T-Shirt an.

In diesen ersten Zeilen klingen bereits wesentliche Elemente der künstlerischen Arbeit von Philip Emde an: So entschieden wie die Worte, so entschieden und eigenwillig ist ihr Schriftbild und so entschieden sind auch die Zeichnungen und Grafiken. Mit kräftigem Strich formuliert der Künstler seine stets figurativen Bildthemen. Es sind Themen, die aus dem persönlichen Erleben und Beobachten resultieren. Erlebnisse mit Freunden, Beziehungen innerhalb der Familie oder Liebesbeziehungen werden ebenso wie "bloße" Beobachtungen fremder Menschen - beispielsweise beim Sandburgenbau am Strand - zum Motor des Zeichnens und sind schier unerschöpfliche Ideenlieferanten.

In diesen persönlichen Beobachtungen und Erlebnissen findet Philip Emde auch die Sprüche, Sätze, Satzfetzen oder Fragen, die ihm wichtig sind oder werden und die er sich durch das Aufschreiben aneignet, gleichsam einverleibt. Sie bilden innerhalb seines zeichnerischen und grafischen Werks eine eng damit verschränkte, aber dennoch eigenständige Gruppe. So wie der titelgebende Spruch selbst einer realen Begebenheit entnommen ist, so ist es auch kein Zufall und kein eigens arrangiertes Fotoshooting, sondern eine gemeinsam erlebte Situation gewesen, die den Künstler Timothy Shearer zum Tragen des T-Shirts animiert und schließlich zum Motiv auf der Einladungskarte geführt haben.

Diese Werkbestandteile finden sich in der Buchtrilogie mit dem Titel "Philip Emde hat mein Leben zerstört" wieder. Über den Zeitraum von drei Jahren entstanden die Bücher der Trilogie wie viele andere als "handschriftliche" Sammelbücher für persönliche Beobachtungen oder Erlebnisse. Hier werden Zeichnungen und Sprüche versammelt und thematisch geordnet. Er knüpft damit an die Tradition von künstlerischen Skizzenbüchern an. Die drei Bücher von Philip Emde tragen die Titel "Misanthrop Ich", "Schwarze Galle" und "Arztbesuch" und verarbeiten das Grundthema menschlicher Beziehungen unter verschiedenen Blickwinkeln. "Misanthrop Ich"ist, auch wenn es der Titel anders vermuten lassen würde, von einer eher freundlichen Stimmung geprägt. Hier dominieren die Strandbilder, in denen der Künstler das "Revierverhalten" von Urlaubern am Strand in seinen charakteristischen Zeichnungen festhält. Mit Sonnenschirmen und Sandburgen wird der persönliche Raum markiert. "Schwarze Galle" und "Arztbesuch" befassen sich mehr mit persönlichen Krisen sowie dem physischen Phänomen des Älterwerdens. Diese thematische und emotionale Verschiebung macht sich auch in den Zeichnungen bemerkbar. Auf Szenen im Innenraum sind die Personen manchmal erst auf den zweiten Blick erkennbar. Bei der detaillierten Betrachtung der einzelnen Werke schälen sie sich aus einer, unter Umständen, desolaten Dingwelt.
Den Werken in allen Büchern ist jedoch einerseits der oftmals starke, auch vehement gesetzte Strich gemein, andererseits ein vorsichtiges, einfühlsames Herantasten und Auseinandersetzen mit diversen Themen. Es sprechen Sinn und Gespür für Details des Alltags, aber auch für die Details der zeichnerischen, grafischen oder technischen Umsetzbarkeit aus ihnen.
In der Gegenüberstellung von "Schwarze Galle" und "Arztbesuch" mit den fröhlicher gestimmten Arbeiten aus "Misanthrop Ich" kann man vielleicht sogar an die barocken lyrischen Stilmittel von "Carpe Diem" und "Memento Mori" denken, die sich oftmals dialektisch gegenüber stehen; einerseits fröhlich, diesseitsbejahend und andererseits nachdenklich, hinterfragend oder gar verzweifelnd. Auch die Textseiten in "Schwarze Galle" und "Arztbesuch" können diesen Vergleich bestärken - der Betrachter ist nur aufgefordert sich auf Schrift und Gedankenwelt einzulassen.
Philip Emde hat diese drei Bücher für seine Trilogie zur Reproduktion ausgewählt. Jedes Buch erhält durch den schwarzen Leineneinband, ein geprägtes Logo, grafisch gestaltetes Vorsatzpapier, Farbschnitt, bunten Schmutztitel und Vorwort einen
zusammenfassenden Rahmen und wird so "in Form" gebracht.

Neben Schwarz sind es die Farben Cyan, Magenta und Yellow, die den Charakter der graphischen Gestaltung ausmachen und auf die Farbpalette (CMYK) des Druckprozesses hinweisen. Jedes der Bücher ist durch eine der drei Farben charakterisiert und definiert. Der Künstler gibt jedoch außer den Titeln und eingeprägten Symbolen von Palme, schraffiertem Viereck und Kreuz keinen Hinweis auf den Inhalt der Bücher. Er überlässt den Betrachter einem weiten Assoziationsfeld, das sich beim Blättern in den Seiten
in der Fülle der Werke, der dargestellten Themen und zeichnerischen Details eröffnet. Aus den in verschiedenen Skizzenbüchern gesammelten Momentaufnahmen entstehen aber auch eingeständige Grafiken. Die Technik der Intagliotypie erlaubt es Philip Emde seine Zeichnungen nahezu 1:1 umzusetzen. Die Spontaneität der Skizze, die ursprüngliche Kraft oder auch Zartheit des einzelnen Strichs bleibt so in der Gruppe der "Strandpärchen" erhalten. Das Kolorit wird durch die Verbindung der gedruckten Zeichnung mit der Technik des Chiné Collé erreicht: Hierbei wird im Zuge des Druckprozesses ein eingefärbtes Japanpapier zwischen Druckplatte und Büttenpapier gelegt; durch den Druck der Radierpresse wird, neben der Übertragung des Motivs, ein Papier auf das andere kaschiert.
Eine rein zeichnerische Werkgruppe, die seit 2006 entsteht und kontinuierlich erweitert wird, ist der "20.15 Zyklus". Kleine Bleistiftzeichnungen, die sich auf langen Bildstreifen als Leporello untereinander reihen, zeigen Sequenzen aus Film und Fernsehen. Es könnten aber oftmals auch selbst erlebte - statt "nur" im Fernsehen beobachtete - Alltagssituationen sein: Menschen am Computer, schlafend im Bett, durch die Stäbe eines Zaunes blickend... Das schnelle Mitzeichnen während des Fernsehens, zwingt zur Reduktion auf die wesentlichen Bildinhalte und charakteristischen Formen. Die vertikale Anordnung der Bilder wie auf einem Filmstreifen, die Installation in serieller Aneinanderreihung vieler solcher Bildstreifen im Raum, die lose Hängung und Betitelung mit "20.15 Zyklus" verweisen auf die starke visuelle Präsenz und tiefe gesellschaftliche Verankerung der Medien Film und Fernsehen. Mit der bloßen Angabe "20.15" verbindet vermutlich nahezu jeder in Deutschland Lebende unmittelbar die Startzeit des Abendprogramms im deutschen Fernsehen. Diese kleinen Skizzen versuchen stets die wesentlichen Aspekte eines bewegten Bildes festzuhalten. Der Künstler konzentriert sich auf meist wenige Figuren, die im Zentrum des Bildes stehen. Mit weichem Bleistift gelingt es ihm, den Strich fast "farbig" zu modulieren. Die Bildstreifen lassen sich einem Comic ähnlich lesen, wobei, wie auch in den Skizzenbüchern oder der Trilogie "Philip Emde hat mein Leben zerstört", keine durchgängige Geschichte erzählt, sondern ein Assoziationsraum eröffnet wird. Der Betrachter ist eingeladen, sich darin zu verlieren.

Vor dem Hintergrund dieser Sammelleidenschaft im persönlichen Umfeld, der Leidenschaft für das zeichnerische Verarbeiten von persönlichem Erlebten und der Anteilnahme am Alltag von Freunden und Familie, verlieren die Eingangsworte "Philip Emde hat mein Leben zerstört" an Wucht und Aggressivität. In der künstlerischen Beschäftigung und Aneignung sind sie zu einem Werk mit ganz eigener Präsenz geworden. Umgekehrt entwickelt der Spruch aber auch wieder eine persönliche Relevanz, wenn er wie auf der Einladungskarte von einem Freund präsentiert wird.

Text von Friederike Schuler, aus "Philip Emde hat mein Leben zerstört"