Die Möglichkeit des Scheiterns als Ausdruck eines bestimmten Zustands im menschlichen Dasein. Empfindungen wie diese sind es, die in den Arbeiten von Max Santo ganz leise mitschwingen. Auch wenn sich jene Stimmungen nicht ganz greifen und bestimmen lassen, ist doch die Möglichkeit des unglücklichen Verfehlens immer wieder in den collageartigen Installationen Max Santos zu finden. Sie bestehen zum einen aus gefundenen Objekten, die in neue Sinnzusammenhänge gebracht, poetisch Geschichten entwickeln; zum anderen entstanden Gebilde, die im Surrealen verortet, doch ganz greifbar anmuten. Es wird die Fragilität im Moment des Geschehens aufgezeigt. Das "was wäre, wenn" lässt sich ablesen, gar erahnen. Und trotzdem ist immer Raum für einen humorvollen Moment.

Eine Vase steht auf der äußersten Spitze einer Sprossenleiter. Die Leiter ist weiß getüncht und nur zaghaft angelehnt. Jeder Zeit scheint sie weg zurutschen. Rot-weiß-blau gemustert, steht die Vase auf der "Kippe" und ist im Begriff zu fallen. Der Moment des Absturzes, des Verlierens erscheint wie eingefroren. Festgehalten wird jener Fall durch ein Arrangement von lediglich zwei Objekten, die den Augenblick kurz vor dem Geschehen zeigen, aber trotzdem die Möglichkeit, das Schicksal abzuwenden, eröffnen. Ein Zwischenstadium entsteht.

Weiterhin werden in surrealistischen Momenten Geschichten erzählt, Eventualitäten entstehen. Das Streichholz - zum Beispiel - ist ein Holzstück, der Form eines Zündholzes nicht unähnlich, das mit einer Mischung aus Natriumchlorat, Schwefel und Phosphorsesquisulfid - dem entzündlichen Material des Streichholzkopfes - ganz und gar überzogen ist. Die Form des Holzstückes und dessen Oberflächenbeschaffenheit lässt den Rezipienten eine Geschichte erdenken. Denn was wäre, wenn das Streichholz Feuer fängt? Könnte es bei der kleinsten Entzündung sofort und ohne Halt verpuffen? So scheint es. Und wieder entsteht ein Moment zwischen Möglichkeiten, zusätzlich werden diese, durch die Gegenständlichkeit der Objekte im realen Raum, greifbar. Etwas so Unwirkliches, wie jenes Streichholz, ist nun zu fassen und tritt wirklich, gar wahrhaftig hervor. Der Ort der Aufstellung jenes Objekts ist zudem hinfällig, vielmehr ist es der Moment in dem die Geschichte entsteht, der an Bedeutung gewinnt.

Auch Fragilität spielt eine große Rolle in Max Santos Werken: Der Faden zeigt sacht und leise, dass Aktionen Konsequenzen ganz gewiss mit sich bringen. Ein gehäkeltes Deckchen, von der Mitte her aufgelöst, steht durch den sich lösenden Faden in Verbindung mit einer an der Wand befestigten Gipshand. Sie hält das Garn zwischen Daumen und Zeigefinger, ganz sanft und bedacht. Mittel-, Ring- und kleiner Finger spreizen sich weg, als dürften sie nicht in den Augenblick des Festhaltens und behutsamen Ziehens eingreifen. Ein bedeutendes Stück des Garns hängt schon zur anderen Seite herunter, unbedacht, verliert sich im Raum. Es scheint als sei der Zug der Hand von geringem Druck und trotzdem gelingt es die Form des Deckchens zu lösen, zu zerstören. Der Betrachter erhält das Gefühl, als handele es sich bei Santos Arbeiten um ein Ausmessen von all dem, was sein könnte. Auch der Birnenfall steht in einem ähnlichen Zusammenhang: auf einem "Fresszettel" ist eine Skizze, ein Raster kurzerhand mit Kugelschreiber festgehalten. Zu sehen sind Daten, Zahlen, Maße, die ähnlich einer Positionsbestimmung den Fall der grünen Früchte um den Stamm ihres Baumes, der einen Mittelpunkt darstellt, festhalten.

Die konzeptuelle Vorlage äußert sich im zweiten Schritt, in der Ausführung der Anordnung durch schwarze Kugeln auf dem Boden. Sie sind anhand der aufgezeichneten Vermessung im Raum angeordnet. Ein vermeintlicher Tierkäfig wird zum grobgeknüpften, fast zweidimensionalen Netz übersetzt. Somit schafft Max Santo, wie bisher gesehen, nicht nur surreal anmutende Situationen, die sich in realen Objekten zeigen, er formuliert auch reell erfahrene Momente in analytischen Mustern zu poetisch anmutenden Kompositionen um. Die Veränderung eines Zustandes steht in Santos Arbeiten oftmals kurz bevor, wird jedoch nicht bis zum Schluss fortgeführt. In seinen Objekten zeigt sich genau der Augenblick, gerade kurz vor dem eigentlichen Geschehen. Dem Geschehen eines schicksalsverändernden Moments. Oftmals scheint es als fehle doch der letzte Schritt, ein Stück der Aktion. Man fühlt sich oftmals in einen Moment des Vermessens von Eventualitäten versetzt.

Diese Eventualitäten könnten eine sich selbsterfüllende Prophezeiung bedingen oder aber auch in eine ganz andere Richtung führen. Eine selbsterfüllende Prophezeiung definiert sich durch den Glauben an eine Vorhersage, die in letzter Konsequenz genau zu jener gedachten Ankündigung führt. Die im Geschehen gefrorenen Momente bei Max Santo, lösen jenes "was wäre, wenn" aus. Dem Fortschritt einer neuen, anderen Möglichkeit wird Raum geschaffen. Ist die Vase kurz vor dem Fall oder lotet sich das Schwanken doch aus? Wird sich das Deckchen weiter auffädeln und in einem einzigen Fadengewirr wiederfinden?

Dieser Zustand des Unbestimmten, die Möglichkeit des Scheiterns aber auch des Gelingens sind in den Arbeiten Max Santos stets präsent.

Maria Wäsch
(Katalogtext, Max Santo, reign of error, 2011)


Präsenz von Max Santo im Rahmen des Projekts "Junge Kunst aus der Pfalz".
Mit freundlicher Unterstützung der Gummi-Mayer GmbH & Co. KG in Landau.