Reisen in die Biografie - Reisen in die Geografie
Aufbruch-Passage-Ankunft (Gedanken zum Thema "Reisen")
Gründe, warum man sich für das eine oder andere mehr interessiert, gibt es sicher viele. Es gibt Erlebnisse, Sätze oder auch Begegnungen, die einen nicht mehr loslassen und die einen über einen langen Zeitraum begleiten, manchmal auch nur im Unterbewusstsein. Ein solcher Satz ist z.B.: "Es gibt keinen anderen Grund zu reisen, als die Reise selbst."
Erlebnisse einer ähnlichen Kategorie war das lautlose Gleiten eines gezogenen Nachens über die Nahe während meines Stipendiums in Bad Münster am Stein. Diese Dinge miteinander in Verbindung gebracht, beschäftigen mich nun seit ca. 3 - 4 Jahren. Die Reise in die Biografie, ist die Ergänzung zum Reisen in die Geografie.
Das Labyrinth war für mich von Anfang an das Symbol für ein Reisen in die Biografie - das Labyrinth als eine der ältesten Formen bzw. Figuren als Metapher des Lebensweges. "Der Weg ist das Wesentliche".
Das Labyrinth bietet mir keine Wahlmöglichkeit, es gibt nur einen Weg zur Mitte und den gleichen Weg zurück. Lediglich unsere Sichtweise ist auf dem Rückweg eine andere. Im Labyrinth begegne ich nicht dem Minotaurus oder dem Teufel, sondern mir selber. Die Erfahrungen und Erlebnisse auf diesem Weg finden ihren Platz in meinen Reise-Schalen.
Reisen in die Geografie bedeutet für mich, in einem langsamen Wahrnehmungsprozess Situationen, Farben, Gegenstände, Natur, Begegnungen, Gefühle aufzunehmen und sie ebenfalls in meinen Reise-Schalen abzulegen und dort aufzubewahren. Reise-Schalen sind Gefäße, in denen ich Erlebnisse aus meiner Biografie und Geografie ablegen kann. Reisen ist umfassender als gedacht, sofern man sich vom üblichen Sonne-, Strand-, Meer-Klischee entfernt.
Brigitte Sommer
"Hortus - der etwas andere Garten"
Mit Brigitte Sommer entdeckt man einen Garten, der kaum noch etwas mit den herkömmlichen Grünanlagen oder Blumenbeeten zu tun hat. Auch wenn im Lateinischen "Hortus" die Bedeutung von Garten, Park, ja Gemüse enthalten ist (die letzte Übersetzung kann man hier getrost übergehen), greifen diese möglichen Erklärungshilfen viel zu kurz. Gewiss, diese Künstlerin respektiert indirekt den Garten auch als Ort des Sich-Sehnens nach Geborgenheit, als Raum, sich mit der Natur in einem gewissen Einklang zu finden. Oder ganz banal: als Areal zum Feiern, Sich-Vergnügen, zum Sonnenbräunen oder Gartenzwerge-Aufstellen. Das alles sind gewissermaßen Vorstufen zum "Hortus".
Allerdings geht diese Künstlerin in ihren Mischtechniken weit über diese Assoziationen hinaus. Ihr bedeuten die Gärten, die sie sorgsam in "Archiven" bewahrt, etwas ganz anderes. Es sind Orte der Erinnerung, des Geschützt-Seins, der inneren Einkehr, was nichts, aber auch gar nichts mit dem Lifestyle-Getue vermeintlicher Selbstfindung zu tun hat. Was sie in ihren Mischtechniken vorstellt, bedeutet einmal ein Zurückschauen auf die Jahrhunderte der Garten-Philosophie, die weit über die schlichte Idylle hinaus den Garten als besonderen Ort versteht - möglicherweise sogar als eine Annäherung an den Garten Eden.
Hier mögen sich Erinnerungen an Verlorenes, Verklärung von Vergangenem, Wünsche wie Visionen zu einer existentiellen Architektur durchdringen, die für jeden erst einmal entschlüsselt werden muss. "Wer mich ganz kennen lernen will, muss meinen Garten kennen, denn mein Garten ist mein Herz", bemerkte einst der Graf von Pückler, den man sonst ungerechtfertigterweise nur mit der bekannten Eiskomposition in Verbindung bringt. Und er trifft mit seiner Sentenz einen wichtigen Aspekt dieser Garten-Philosophie.
Doch der Inhalt dieses Garten-Reservoirs öffnet sich nicht ohne Probleme - wenn überhaupt. Denn überall erscheinen fast nur Symbole bekannter oder gänzlich unbekannter Herkunft. Gefasst in eine warme, lebendig-dichte Farblichkeit beziehungsweise in eine faszinierende Vielfalt von Blautönen, werden diese Archive zu Garanten der Erinnerung, die niemand einem mehr zu nehmen vermag. Die geistigen Ahnen ihrer Garten-Philosophie hat Brigitte Sommer in der Heiligen Hildegard von Bingen, in Sandro Botticelli und in den Worten von Khalil Gibran gefunden wie in der Vision des Vaters aller Gärten, dem Paradies. Und doch werden diese Arten von Paradiesen nie zur bequemen Weltflucht, bleiben immer vornehmlich Orte regenerativer Möglichkeiten und Neuanfänge.
Da trifft man auf die mannigfaltigsten Weisen der Reduktion: Blattgebilde, Samenkapseln, Fische, Boote und Labyrinthe und immer wieder differenziert ausgelotete Farbkonstellationen, die manche augenscheinlichen Inhalte zu transzendieren scheinen. Was Wunder, dass diese gehorteten Schätze erhalten, geschützt werden müssen. Der "Hortus" bietet Schutz, muss allerdings auch selbst geschützt werden. So findet man ab und an auch den notwendigen Wächter. War er früher eher eine archaische, anonyme Kriegergestalt, eine Art von Tempelwächter morgenländischen Ursprungs, so sieht ihn diese Künstlerin jetzt als Weisen, mystisch Erhöhten.
Er, wie bisweilen sacht angedeutete Mauern, bewahren also die Garten-Archive. Sie erscheinen in quadratischen, neunteiligen Kompositionen, dokumentieren Menschen-, Haus- oder Schalenformen - gewissermaßen gebündelte, archivierte Erinnerungen, die im weitesten Sinne immer noch chiffriert bleiben. Wie "ausgelagert" erscheinen in einzelnen Exponaten stark stilisierte Paare zwischen einem distanzierten nebeneinander und enger Verbundenheit. Situationen, die die Bedeutung existentieller Kommunikation für den Menschen unaufdringlich, aber konsequent erhellen.
"Man hat zurecht gesagt, dass unsere eigentliche Reise dem Anderen, den Anderen gilt. Im Grunde ist die einzige Reise diejenige, die man in Bezug zum Anderen unternimmt, ob das nun ein Individuum oder eine Kultur ist." (Jean Baudrillard)
So wundert es nicht, wenn die schmalen, lang gestreckten, menschlichen Figuren wie sie zum Teil die "Reisezyklen" von Brigitte Sommer bestimmten, wieder zurückkehren. Mit ihnen das Boot, das Segelschiff als weite, unauslotbare Metapher für das ständige Unterwegssein mit einer oft ungesicherter Navigation der Erinnerungen. Denn der "Hortus" ist zwar ein Hafen, aber kein Ort ewigen Verweilens!
Dr. Matthias Brück