Berufsverband Bildender Künstler Rheinland-Pfalz / Museum Schloss Fellenberg
"Von der Sinnlichkeit des Gedankens"
Austauschprojekt zwischen den BBK Verbänden Rheinland-Pfalz und Saarland
20.11.09 bis 03.01.10
Berufsverband Bildender Künstler RLP
Berufsverband Bildender Künstler Rheinland-Pfalz

Mit Henrike Franz, Martina Hahn, Ursula Hülsewig, Monika Paúly, Nicole Peters, Sylvia Richter-Kundel, Rainer Storck, Ulla Windheuser-Schwarz und Katharina Worring.


Einführung von Matthias Strugalla


Um Missverständnissen vorzubeugen, hier eine Vorbemerkung zum Ausschreibungstext der Ausstellung:
Zwar, so steht es im Ausschreibungstext, "geht das Motto der Ausstellung "Von der Sinnlichkeit des Gedankens" von einer antithetischen Grundsituation künstlerischen Schaffens aus, nämlich von einem - behaupteten - Gegensatz physischen und geistigen Tuns. Aber - und der folgende Satz der Ausschreibung ist der wichtigere - beide Aspekte laufen ins Leere, wenn sie sich nicht gegenseitig befruchten und wenn sie nicht integrativ verstanden würden. Nicht um ein Auseinenderdividieren von geistigem und physischen Tun geht es natürlich sondern um Integration, um Synthese.

Denken und Kunst - für "Geistiges" benutze ich vereinfachend die Worte "Denken-Gedanken", wohl wissend, dass Geist mehr ist als nur Denkfähigkeit - Denken und Kunst werden nicht gerade als Synonyme verstanden. Unsere Gesellschaft unterscheidet traditionell zwischen dem physischen, handwerklichen und dem geistigen, philosophischen und philologischen Tun. Der Kunst, ursprünglich aus dem Handwerk entwickelt, wurde und wird, auf diese Weise das Denken abgesprochen. Kunst entsteht aus dem Bauch, aus den Emotionen heraus, so die allgemeine Meinung. Und wenn Kandinsky, um seine nicht mehr figurativ-abbildende Malerei sich selbst und dem Publikum verständlich zu machen, "vom Geistigen in der Kunst" schrieb, dann erscheint das Vielen immer noch verdächtig. Denn Kunst kann man doch nicht erklären - oder doch?

Die sogenannte erste und die sogenannte zweite Moderne des 20. Jahrhunderts haben ein weites Feld der Verunsicherung hinterlassen. Unsere Sehgewohnheiten, geschweige denn unser reflektierender Nachvollzug können den provozierend neuen Kunstproduktionen von heute kaum folgen. Dem verunsicherten Publikum ist das Diktum Martin Kippenbergers: "Maler male!" auch nicht sehr hilfreich gewesen - hilft es den Künstlern?

Denken ist ein sehr komplexer Vorgang und so kompliziert, dass es als philosophische Disziplin Jahrtausende einer kleinen Gruppe von Spezialisten vorbehalten blieb. Heute ist das Denken eher den Naturwissenschaftlern, den Neurobiologen oder den Neurotechnikern überlassen worden, weg von der philosophischen Spekulation hin zum ausschließlichen Erforschen physiologischer Grundtatsachen.

Was hat das mit unserem Thema zu tun? Denkprozesse folgen neurophysiologischen, also physisch-sinnlichen Strukturen, die sich durchaus in bildgebenden Verfahren darstellen lassen. Womit noch nichts über Kunst gesagt ist. Aber Kunst kann Denkprozesse quasi modellhaft zur Anschauung bringen und trotz aller Flüchtigkeit des Denkens für längere Zeiträume in Kunstwerken konservieren.

Denn: Keine künstlerische Arbeit ohne Denken. Denken, Gedankenarbeit - hier mehr funktional verstanden - begleitet künstlerisches Handeln vom ersten Impuls bis zur Fertigstellung, begleitet die Organisation des Arbeitsgeschehens, ist notwendig bei der ständigen Überprüfung der Zwischenergebnisse und spielt bei der Auswertung und Präsentation zum Schluss eine Rolle. Paul Klee hat einmal die Entstehung der Zeichnung als imaginäre Reise durch eine zu erfindende Landschaft geschildert. Sie kennen vielleicht diesen kleinen Text, der für mich auf exemplarische Weise dem künstlerischen Gedanken eine sinnliche, wenn gleich hier sprachliche, Form gegeben hat. (W.Hess S.82)
"Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar", hat Klee dieser Passage vorangestellt. Trotz Nouveau Realisme und konkreter Kunst, ich bin immer noch von der Richtigkeit dieses Aus- und Anspruchs überzeugt.

Das Motto der Ausstellung kann nun, und damit möchte ich im Folgenden die Überlegungen der Organisatoren und Jurymitglieder zur Werkauswahl vorstellen, den Besucher mit einer spezifischen Fragestellung konfrontieren, welche einen inneren Blick auf die künstlerische Arbeit offen legt, und damit quasi einen Einblick in eine Laborsituation ermöglicht.

Aufgabe der Jury war es, die Bilder und. Objekte mit der größten Nähe zum Ausstellungsmotto herauszufiltern, also solche, welche den gedanklichen Prozess des Entstehens und seiner sinnlichen Umsetzung am ehesten vermitteln konnten. Allerdings ging es nicht darum, ein irgendwie neues und umfassendes Gesamtkonzept zum Thema zu präsentieren. Die neun Künstler sind keine Wissenschaftler, und sie stellen ihre individuellen Ergebnisse vor. Obgleich theoretisch denkbar, interdisziplinäres und kooperatives Arbeiten war nicht gefordert. Hier nun die Überlegungen selbst:

Der Gedanke als "zündende Idee", wie es im Ausschreibungstext steht. wird der Ursprungsgedanke im ausgestellten Objekt sichtbar?.
Welche neuen Impulse verändern oder ergänzen den Ursprungsgedanken des Werkes?
Welche Bildanlage, welche Bildfolge, welche Details geben Auskunft über die Fortentwicklung des zu Grunde liegenden Gedankens, ohne dass dieser durch Verkomplizierung, und Überlagerung im Bildgeschehen gänzlich verschwindet?
Der sinnlich nachvollziehbare, sichtbare, tastbare Niederschlag gedanklicher Impulse entsteht durch körperliche Signale, durch die Hand des Künstlers, der das Werkzeug führt (den Pinsel, die Schere, den Hammer, die Maus des Computers...). Grobe oder nervöse Zeichen der inneren Erregung und die zeitliche Abfolge, bleiben sie sichtbar? Welche Rolle spielen die Emotionen bei der Umsetzung?

Nicht erstaunlich ist, dass realistische, figurative Bildkonzepte ausgespart werden mussten. Reduzierte Arbeiten ohne Bilderzählung, ohne komplizierte Bedeutungsebenen wie Symbole oder Metaphern lassen den Bezug zum Ausstellungsmotto schlicht deutlicher werden. Der Erzählfluss einer Bildergeschichte würde leicht, um ein Beispiel zu nennen, in vordergründige oder spekulative Bereiche lenken.

Lassen Sie mich zum Schluss einige unterschiedliche Künstlerpositionen exemplarisch heraustellen.
Da ist z.B. die Rauminstallation von Sylvia Richter-Kundel, die in der Addition und Variation von Objekten aus Pappschachteln den gedanklichen Anfangsimpuls eines entkernten, auf die Umrisskanten reduzierten Köpers aufnimmt. Die Restkörper bestehen weiterhin aus sinnlich präsentiertem Material, dem Karton, in ihrer quasi entmaterialisierten Form verweisen sie aber auf formelhaft vereinfachte Gedankenmuster. Aus ursprünglichen Gedankenimpulsen entsteht ein spannendes, spielerisch komplexes Materialgefüge, das den umgebenden Raum neu definiert.

Gut nachvollziehbar ist die Verbildlichung einer Idee bei der Collage "männlich-weiblich" von Monica Pauly. Pauly benutzt die klare geometrische-Form der Reihung gleicher oder ähnlicher Elemente, um die "Idee" der Verschiedenheit von Männlich und Weiblich ins Bild zu setzen. Dazu bedient sie sich einer figürlichen Vorlage von Jacques-Louis David, dem "Schwur der Horatier" von 1784. Die Gegenüberstellung zweier markanter Bildausschnitte analog zu den schwarz-weißen Spielfeldern des Schachbrettmusters erlaubt ihr, unzweideutig ihre Sicht von Mann und Frau vorzutragen. Das gedachte Männliche, die gekreuzten Waffen, wird unverändert, man möchte sagen gnadenlos, repetiert, während das gedachte Weibliche, die trauernden Frauen, sich in der zunehmenden Ausschnittvergrößerung auflöst und schließlich verschwindet.

Ein Gerüst spielt im nächsten Beispiel eine Rolle, wenngleich als fotografierte Eisen-Glas-Konstruktion in der Fotoinstallation von Nicole Peters. Entsprechend der rationalen Gewächshausstruktur zeigt Peters klar reduzierte, das Prinzip der Addition unterstreichende Bilddausschnitte und unterlegt diese mit Textzeilen. Diese Bild-Text-Montage fordert bewusst eine reflektierende Haltung des Betrachters, respektive des Lesers. Einfache Bildzeichen und die Kontext bezogene Sprachgestalt zielen auf komplexere, metaphorische Sinnebenen, die beide Kommunikationsformen Bild und Sprache in ihrer Abhäbgigkeit vor Augen führen.

Eine weitere künstlerisçhe Position zeigt Gedankensplitter, Gedenkensprünge gestisch-motorischer Ausprägung. So etwa bei Henrike Franz, Martina Hahn und, in Teilen, bei Katharina Worring, deren in Mischtechnik auf Papier ausgeführt sind. Ihr bildnerisches Vokabular besteht aus grafischen Zeichenspuren, Tuscheflecken und teilweise eingelagerten Schriftelementen, die den Zeichen- oder Schreibvorgang direkt thematisieren. Wir sind gewohnt, abstrakte Gedanken dem abstrakten Zeichensystem der Schrift anzuvertrauen. Der Zeichen- wie der Schreibduktus erlaubt es den Künstlerinnen - unter Einbeziehung des Faktors Zeit und mit energetischem, körperlichen Einsatz - unmittelbar und unverfälscht bildnerisches Gedankengut auf das Papier zu übertragen. In der Gegenüberstellung mit dem Kunstwerk muss allerdings jeder Betrachter selbst den jeweils eingeschriebenen symbolischen Bildgehalt zu entschlüsseln suchen.

"Von der Sinnlichkeit des Gedankens", aus einem flüchtigen Gedankenspiel wurde ein wenig programmatischer Anspruch, aus individueller künstlerischer Reflexion wurde ein kollektives und hoffentlich spannendes Ausstellungsereignis.



Veranstaltungsort:
Museum Schloss Fellenberg
Torstraße 45a
66663 Merzig




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