Kulturbüro der Ortsgemeinde Herxheim / Kunstschule Villa Wieser
"Magie und Irritation" - Porträts historischer Schaufensterpuppen
06.02.11 bis 27.02.11
Magie und Irritation
Zazie

Theaterfotograf Matthias Creutziger

Matthias Creutziger ist seit 2003 als Theaterfotograf an der Sächsischen Staatsoper Dresden (Semperoper) engagiert. Zuvor arbeitete er 20 Jahre als freier Fotograf u. a. für das Europäische Zentrum der Künste Dresden-Hellerau, das Theater der Stadt Heidelberg, das Theater im Pfalzbau Ludwigshafen, die Schwetzinger Festspiele, das Staatsschauspiel Dresden und die Staatskapelle Dresden. Seine besondere Leidenschaft gilt dem Jazz. Hierzu publiziert er Texte in Tageszeitungen, Kulturmagazinen und Fachzeitschriften - seine Jazzporträts finden weltweit Verwendung. Er gestaltete mehrere Künstlerbücher und über 50 Personalausstellungen in Europa und ist berufenes Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Photographie.


Pespektive, Licht und Schatten

Die zuvor in der Semperoper Dresden präsentierte Ausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt des Fotografen Matthias Creutziger und des Historikers Wolfgang Knapp. Beide sind gleichermaßen fasziniert von der geheimnisvollen Ausstrahlung historischer Schaufensterfiguren: Der eine als neugieriger Beobachter im Spiel mit Perspektiven, Licht und Schatten - der andere als Forscher, Entdecker und Sammler.

Gezeigt werden rund 20 Großfotos deutscher und französischer Schaufensterpuppen. Die Aufnahmen entstanden 2008 und 2009 - die abgebildeten Figuren stammen aus der Zeit von 1910 bis 1960. Einige Originalfiguren ergänzen die Fotoausstellung. Matthias Creutziger ist es gelungen, die "Kunstkörper" zum Sprechen zu bringen: Blicke, Gesten, Risse in der Oberfläche fordern uns heraus, jede Puppe reflektiert eine Epoche und erzählt ihre eigene Geschichte…


Zur Geschichte der Schaufensterfigur

Das Auftauchen erster Schaufensterfiguren im 19. Jahrhundert resultiert aus der Entwicklung der Modekonfektion, dem Aufstieg der Kaufhäuser und der Warenpräsentation mittels großformatiger Schaufenster. Die 1920er und -30er Jahre wurden zu einer Blütezeit der Reklame- und Dekorationskunst und verhalfen dem perfektionierten Schaufenstermannequin zur internationalen Anerkennung. Zahlreiche Firmen, die sich in Berlin und Paris konzentrierten, lieferten ihre Kreationen in alle Welt. In den 1960er Jahren folgte der Niedergang der handwerklich orientierten Werkstätten und der Übergang zur modernen, maschinellen Fabrikation von Kunststoff-Figuren.

Seit Schaufensterfiguren existieren, sorgen sie für Irritation und Faszination. Künstler und Schriftsteller wurden schon immer von ihnen inspiriert. So haben die Surrealisten René Magritte und Man Ray das Mannequin bereits für sich entdeckt und als Kunstobjekt neu interpretiert.


Schaufensterfigurensammlung Wolfgang Knapp

Wolfgang Knapp betreut als freiberuflicher Kulturhistoriker Projekte im Ausstellungs- und Kulturbereich. In eigener Sache erforscht er die historische Entwicklung der Schaufensterfigur - eine bisher kaum beachtete Erscheinung der Angewandten Kunst des 20. Jahrhunderts. Schaufensterpuppen dokumentierten in einzigartiger Weise die Trends von Mode und Schönheit, Kunst und Werbung - verführerisch und vergänglich zugleich. Aktuell baut Wolfgang Knapp ein Schaufensterfiguren-Museum auf, das rund 100 historische Objekte und ein Archiv umfasst.


Einführung von Wolfgang Knapp

"Das Gesicht ist die unterhaltsamste Fläche auf Erden!"

Das was einst der Schriftsteller Georg Christoph Lichtenberg im 18. Jahrhundert formuliert hat, ist von dauerhafter Gültigkeit. In der vorliegenden Ausstellung können Sie eine entsprechende Entdeckungsreise unternehmen! Ein Gesicht, ein Lächeln, ein Blick kann unendlich viel ausdrücken. Stehen wir jedoch nicht einem leibhaftigen Menschen, sondern einem Kunstkörper gegenüber, einer Schaufensterpuppe - eigentlich ein toter Gegenstand - so vermischen sich für uns häufig mehrere Gefühle - wir erleben: "Magie und Irritation…"

Meine Einführung möchte ich dazu nutzen, um Ihnen zu erzählen, wie dieses Ausstellungsprojekt zustande kam und ich möchte kurz auf die Geschichte von Schaufensterfiguren eingehen, ihre Anwendung und ihre Rezeption in der Kunst. Die Idee zur Ausstellung entwickelte sich spontan und unerwartet:

Zufällig ergab sich vor drei Jahren der Kontakt mit dem Fotografen Matthias Creutziger. Ich unterhielt mich mit ihm über meine freiberufliche Tätigkeit als Historiker und über die Idee, in eigener Sache ein Archiv und ein Museum zur Geschichte von Schaufensterfiguren aufzubauen.

Matthias Creutziger ist seit 2003 als Theaterfotograf an der Semperoper Dresden engagiert. Zuvor arbeitete er 20 Jahre als freier Fotograf u. a. für das Europäische Zentrum der Künste Dresden-Hellerau, das Theater der Stadt Heidelberg, das Theater im Pfalzbau Ludwigshafen, die Schwetzinger Festspiele, das Staatsschauspiel Dresden und die Staatskapelle Dresden. Er gestaltete zahlreiche Künstlerbücher, war an 50 Ausstellungen in Europa beteiligt und ist berufenes Mitglied der "Deutschen Gesellschaft für Photographie".

Als Theaterfotograf an der Semperoper ist ihm der Umgang mit Kultur, darstellender Kunst und Menschen, die auf der Bühne agieren - Schauspieler, Sänger, Musiker, Tänzer - bestens vertraut. Denn seine Aufgabe besteht eben darin, dramatische Figuren wie Carmen, Tosca oder Don Giovanni zu fotografieren, zu porträtieren und jene Augenblicke einzufangen, wo ein Funke überspringt von der Persönlichkeit und der Inszenierung.

Bei den Schaufensterfiguren haben wir es mit ähnlichen Strukturen zu tun - auch sie sind Akteure, ihr Metier ist das der Illusion, ihre Bühne ist das Schaufenster und die Schaufenstergestalter sind so etwas wie die Regisseure. Kaum hatten wir das Thema angesprochen, wollte Matthias Creutziger die Figuren sehen. Da ich noch über keine eigenen Museumsräumlichkeiten verfüge, waren die Figuren in leer stehenden Mansardenzimmern eines Dachbodens deponiert - in schlichten, strengen Räumlichkeiten, die in den 1920er Jahren einmal als Dienstmädchenzimmer gedient hatten. Anstelle der Dienstmädchen fand er nun die "Dienerinnen der Mode" vor:
Ewig jung und schön - manche fast perfekt erhalten, manche mit deutlichen Abnutzungserscheinungen oder mit Spuren früherer Lagerung in Feuchtigkeit und Kälte - und nun eingefügt in den Kontext der einsamen und stillen Altbauwohnung - getaucht in sanftes natürliches Licht.

Wir betrachteten die Figuren, wie sie da standen, scheinbar stumm und starr. Doch sahen wir hier und da ein Blitzen in der Augen, ein unmerkliches Lächeln - und da war für Matthias Creutziger klar: Das muss er fotografieren - an Ort und Stelle!

Zahlreiche "Sitzungen" folgten, bei denen wir uns den Figuren näherten, regelrecht mit ihnen kommunizieren. Bis heute sind wir erstaunt und verblüfft darüber, wie sehr sich manche Figuren bei der Betrachtung durch die Kamera, bei der Betrachtung durch das Auge des Fotografen, verändern und zum Leben erwachen. Eine eher unauffällige Figur wurde plötzlich zur Femme Fatale, eine extravagantes Gesicht verweigerte sich und entzog sich unserem Blick, ein gleichgültiger Ausdruck der Augen wurde melancholisch und verriet vielleicht etwas von den Erfahrungen und Verletzungen, die der Job im Schaufenster und der anschließende Dornröschenschlaf in teils schmutzigern Kellern und Speichern mit sich bringen. Kurzum - eine umfangreiche Serie von Fotografien entstand, bei denen die Exponate meiner Sammlung in einem ganz neuen Licht erschienen und sich auch mir neu erschlossen.

Jede Figur erhielt von mir einen Namen, um deren unverwechselbare Persönlichkeit zu unterstreichen - orientiert an der Ausstrahlung, am Gesichtsausdruck, an der Entstehungszeit oder manchmal waren es spontane Namens-Assoziationen. In der vorliegenden Ausstellung sehen Sie z. B. Antoinette und Fritzi, aber auch Luise oder Lulu.

Machen wir von hier einen Sprung zurück in der Vergangenheit - seit wann gibt es eigentlich "Schaufensterfiguren"?
Es fällt nun der Begriff "Figuren", denn das ist der fachlich korrekte Ausdruck, der auch etwas über die Entwicklungsgeschichte und die künstlerischen Dimensionen dieses Themas aussagt. Das Auftauchen erster Schaufensterfiguren im 19. Jahrhundert resultiert aus der Entwicklung der Modekonfektion, dem Aufstieg der Kaufhäuser und der Warenpräsentation in großformatigen Schaufenstern. Anfangs stellte man kopflose Schneiderbüsten auf Holzständern in die Schaufenster - also zweckorientierte Gebrauchsobjekte, der Torso war streng ausgeformt nach der neuesten Modelinie. Nach zahlreichen Experimenten entstanden in den 1920er Jahren schließlich die Vorläufer jener modernen Schaufensterfiguren, die wir heute kennen. Im Zentrum der Produktentwicklung standen praktische Fragen, etwa zur Materialauswahl oder zur Zerlegbarkeit und Transportfähigkeit - aber auch rein künstlerische Fragen.

Sollten die Figuren eher abstrakt oder realistisch aussehen? Trendorientiert oder möglichst zeitlos? Mit ausdrucklosen oder ausdrucksstarken Gesichter, ruhigen oder bewegten Gesten, wollte man individuelle Typen oder Allerweltsgesichter? Diese Fragen bewegen bis heute die Gestalter von Schaufensterfiguren - wobei am Anfang immer das Ur-Modell eines Bildhauers steht.

Die 1920er und -30er Jahre wurden zu einer Blütezeit der Reklame- und Dekorationskunst und verhalfen der perfektionierten Schaufensterfigur zur internationalen Anerkennung - Expressionismus, Kubismus, Bauhaus, Art Déco - alle Kunstrichtungen fanden ihren Niederschlag in der Produktion von Schaufensterfiguren. Berühmte Bildhauer, wie Prof. Paul Scheurich oder Rudolf Belling, wurden von den Firmen engagiert, um Modelle zu entwerfen. Rund 20 Herstellerfirmen, die sich damals in Berlin und Paris konzentrierten und miteinander konkurrierten, lieferten ihre Kreationen in alle Welt. In den 1960er Jahren folgte der Niedergang der handwerklich orientierten Werkstätten und der Übergang zur modernen, maschinellen Fabrikation von Kunststoff-Figuren, die bis heute üblich ist. Der überlieferte Bestand an historischen Figuren der kunsthandwerklichen Ära vor 1960 ist sehr gering - weit über 90% der Erzeugnisse sind heute verschwunden. Die Forschung wird so zur Spurensuche, die umso spannender ist.

Denn Schaufensterfiguren sind meiner Ansicht nach ein wunderbares Spiegelbild der Mode und der Schönheitsideale, aber auch der Design- und Wirtschaftsgeschichte - sie sind sie im wahrsten Sinne des Wortes "Verkörperungen des Zeitgeists" und letztlich - Kunstwerke. Da es sich um menschliche Figuren handelt, reagieren wir instinktiv auf diese Geschöpfe - sie erregen unsere Aufmerksamkeit.

Damit komme ich zum Schluss meiner Ausführungen - und zur Rezeption von Schaufensterpuppen in der Kunst: Seit Schaufensterfiguren existieren, sorgen sie für Irritation und Faszination. Künstler und Schriftsteller wurden schon immer von ihnen inspiriert. Namhafte Fotografinnen und Fotografen machten Sie zu ihrem Motiv. Einer der ersten war der Franzose Eugène Atget, der im frühen 20. Jahrhundert die Pariser Schaufenster der Belle Epoque ablichtete und damit nicht nur hervorragende Fotografien schuf, sondern auch Momentaufnahmen von großem dokumentarischem Wert. 1938, bei der Pariser Surrealistenausstellung wurde die Kunstinstallation der "Straße der Mannequins" zur Attraktion und zum meistfotografierten Motiv.

Heute blickt Matthias Creutziger mit dem sensiblen Auge eines Fotografen der Gegenwart auf genau diese Figuren vergangener Epochen - und durch das Medium der Fotografie bringt er die Zeitzeuginnen zum Sprechen. Wenn dieser magische Funke auch auf Sie überspringt, würden wir uns sehr freuen. Es ist außerdem möglich, die porträtierten Damen mit nach Hause zu nehmen und in Ihr persönliches Umfeld zu integrieren, d. h. es handelt sich um eine Verkaufsausstellung - eine entsprechende Preisliste liegt aus.

Ich danke Ihnen für Ihr Interesse und wünsche nun einen angenehmen Rundgang durch die Ausstellung - zu der auch 2 Führungen angeboten werden. Die Ausstellung ist hiermit eröffnet!



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