Kunstverein Lingenfeld / Rathaus Lingenfeld
Armin Liebscher
Malerei, Zeichnung
23.04.10 bis 09.05.10
Armin Liebscher
Armin Liebscher

Einführung von Gabriele Violet

Als ich die Überschrift dieser Ausstellung zum ersten Mal las, "Armin Liebscher - Malerei/Zeichnung" dachte ich: was für ein trockener, prosaischer Titel - für einen Künstler, der gerade in seinen eigenen Titeln, so besonders fantasiereich und poetisch daher kommt, und oft auch mit Witz! Mehrmals vor mich hin murmelnd: "Armin Liebscher/Malerei/Zeichnung" kristallisiert sich "Armin Liebscher" selbst als Titel heraus, und das ist ja, wenn man sich umschaut, mindestens so schillernd wie seine eigenen Titelgebungen. Und so schillerte es dann auch in meinem Kopf herum: So viele Möglichkeiten, sich dem hier zu nähern, entsprechend der so vielen, wenn auch immer unverkennbar von seiner Hand entworfenen Bilder.

Armin Liebscher, ein Mensch zwischen den Welten, das ist er nicht nur intellektuell (wenn Sie sich mit ihm unterhalten, fliegen Ihnen die Zitate aus Literatur oder Musik nur so um die Ohren, da hat man Mühe hinterher zu kommen). Zwischen den Welten bewegt er sich auch real. Er reist in der Tat jährlich für Wochen und Monate ins Ausland, nicht so sehr ins nahe, sondern - wie man hier unschwer an den Motiven, Farben und Gestaltungen erkennen kann - ins fernere, östliche, orientalische Ausland.

Nicht von ungefähr wollte ich die Ausstellung, als ich vor Monaten zu dieser Rede zusagte, mit dem Motto "Tausend und eine Nacht" begleiten. Die Ursprünge dieser Geschichten sind persisch, indisch arabisch: "Tausend und eine Nacht" war aber doch eher noch eine etwas unreflektierte, exotische Vorstellung, denn etwas Konkretes, etwas von dem ich eigentlich nichts Genaueres weiß. Exotik hier, als das angenehm empfundene Fremde. Ich habe mich also erst mal wieder in die Geschichten hineingelesen und festgestellt: man kann sich in ihnen verlieren, genauso wie ich mich in diesen Werken hier verlieren kann. Eine Geschichte in der Geschichte, in der Geschichte - Schachtelgeschichten, ist der Fachausdruck. Analog hier: eine Bohne in einer Schale, in einem Meer, in einem Tisch. Schachtelgeschichten hier wie da.

"Es ist mir zu Ohren gekommen, o glücklicher König", erzählt Sheharazade, "dass der Kaufmann sich niedersetzte und auf den Dschinni wartete - da trat ein alter Mann hinzu mit zwei Gazellen und fragte, warum er da saß, und nachdem er zugehört hatte, setzte er sich hinzu mit den Worten 'Bei Gott, ich werde nicht eher hier weggehen, als bis ich gesehen habe, wie es mit dir und dem Dschinni ausgeht'. Wie die beiden sich gerade so unterhielten, näherte sich ihnen ein zweiter alter Mann mit zwei Windhündinnen und fragte, was sie hier machten? Als der Besitzer der zwei Hündinnen die Geschichte hörte, wunderte er sich und schwor nicht eher zu gehen, als bis er gesehen habe, was mit dem Kaufmann und dem Dschinni geschieht. Sie waren gerade in ihr Gespräch vertieft, als ein dritter alter Mann sich näherte. Er grüßte und sie erwiderten seinen Gruß, und nachdem sie die Geschichte von dem Kaufmann und dem Dschinni erzählt hatten, setzte der dritte Mann sich hinzu und wartete, was mit dem Kaufmann und dem Dschinni geschehen würde.."

So ungefähr können Sie sich auch Armin Liebscher vorstellen. Auf seinen Reisen mit Skizzen- und Notizenbuch lässt er sich in der fremden Welt nieder, und die fremde Welt lässt sich bei ihm nieder.
Bei einem Fremden, der nicht mit dem Fotoapparat die Dinge zu sich holt, nein, mit dem Zeichenstift und Notizen, damit er alles was er sieht und hört, mit sich nehmen kann. Das sind nicht Humboldts 40 Kisten - mit Samen und gepressten Pflanzen, oder Steinen oder wie wir es heute gerne sammeln - was ja vielleicht eher ein Festhalten bedeutet, sondern das Lebendige im Kopf (nichts gegen Humboldt, er hat Unvergleichliches getan und gerade auch mit dem Zeichenstift wunderbare Illustrationen hinterlassen).

Also hier keine Schein-Realität, wie es eine gepresste Blume oder ein Foto noch suggerieren mag, auch keine Illustration bei Armin Liebscher. Auch keine Verklärung oder Schwärmerei - kein Exotismus. Er wird nicht zum Gauguin, der seine schwärmerische Liebe zu den Südseeinseln mit dem Paradies vergleicht und sie als solches immer noch nach Hause beschreibt, selbst als er schon krank und verarmt, an Malaria und Gelbfieber leidend, in seiner Hütte liegt. Wenn Verklärendes oder Schwärmerei bei Armin Liebscher auftauchen sollten, dann immer als kultiges Zitat, als Ironie bis hin zum Kitsch, dem er in diesen Kulturen auch real viel abgewinnen kann.

Armin Liebscher der Reisende. Ich habe versucht, heraus zu finden, wann das angefangen hat - und bekam auf wiederholte Frage, die wiederholte Antwort: "Schon immer!"
Etwas gefrustet, ob solcher Unwilligkeit mir ein wenig persönlich Autobiografisches als Material zu liefern, fand ich in der Literaturliste seiner Lieblingsautoren eine mögliche Antwort: Dort sind nämlich u. a. alle großen Reisenden genannt, von Bruce Chatwin über Pierre Loti und Richard Burton bis hin zu Herodot - aber auch Mark Twain und Stevenson. Also tatsächlich auf Reisen schon als Kind, ohne noch ein Flugzeug, ein Schiff, einen Zug bestiegen zu haben. Und heute noch ist Huckleberry Finn sein Buch für die einsame Insel.

Konkretes Reisen heißt: unterwegs sein (das mittelhochdeutsche Ursprungswort bedeutet Aufstehen, sich erheben).Wenn man in Bewegung ist, sich fortbewegt, kann man anhalten: hinschauen, hinhören, sich Begegnen - wie die alten Männer in der Geschichte - und man kann weitergehen. Reisen als synonym für Leben. Und... Weiterreisen auf der Leinwand.

Bewegung im Pinselstrich, im Zeichenstrich, im Lasuren über Lasuren legen, im Innehalten: sich begegnen lassen der Objekte oder Figuren auf der Leinwand, sich selbst darin wieder und wieder begegnen. Bewegung im Tun und Hinschauen.

Der Schriftsteller Hans-Jörg Schertenleib schreibt über Reisende: "sie begegnen sich, auch am südlichsten Zipfel Afrika's - immer nur sich selbst - nur sich selbst".

Armin Liebscher sagt: "Egal von wo, das geht durch mich hindurch - ich finde die Formelsprache die Zeichen, die Chiffren: das bin ich!"

Friedrich Nietzsche teilt die Reisenden in fünf Grade ein: (der niedrigste Grad ist da z.B. für die, die Reisen nur machen, um gesehen zu werden). Für den vierten Grad heißt es: "Reisende, die das Erlebte in sich hinein leben und es mit sich fort tragen." Und der fünfte Grad: "und endlich gibt es einige Menschen der höchsten Kraft, welche alles Gesehene, nachdem es erlebt und eingelebt worden ist, endlich auch notwendig wieder aus sich heraus leben müssen, in Handlungen und Werken, sobald sie nach Hause zurückkehren".

Armin Liebscher, der Reisende und Weltensammler, ausgezeichnet mit dem 5. Nietzsche-Grad. Und es schillert weiter in meinem Kopfe.

Armin Liebscher, der Zeichner - nun, der ist vom Maler nicht zu unterscheiden. Begonnen hat es mal mit dem Zeichnen, dem Gestalten in Mannheim (ein wichtiger Lehrer war da Hubert Gems, dessen Schüler übrigens im August im Speyerer Kunstverein eine gemeinsame Ausstellung veranstalten). Weiter ging's dann mit der Kunstakademie in Karlsruhe, da kommt die abstrakte Malerei hinzu, vermehrt der Umgang mit den Farben - bis hin zu monochromen Bildern.

Alles zusammen ergibt seine heutige Kunst. Die Gestaltung: zeichnerisch ausgearbeitet, die reine Form durch die Linie, dann das Einsetzten der Farbe, im farblichen Miteinander und Gegeneinander wird das auch wieder zur Formgestaltung. Die Raster die Brüche, Altes bleibt stehen, Neues kommt hinzu. Schicht für Schicht für Schicht entwickelt Armin Liebscher sein Formen-Alphabet, seine Zeichen, seine Chiffren, mal verschlüsselt mal offensichtlich aber immer ausgearbeitet bis zum letzten Punkt.

Ich würde mal sagen, er moduliert mit Stift, Kreide und Farben, mitgebrachtem Papier (Relikte konkreter Weltensammlung). Es bilden sich Gewebe heraus, Bildteppiche aus allem, was ihm zur Verfügung steht an Techniken, Materialien, Formen, Gedanken, Erlebtem, Legenden, Geschautem, Gehörtem!

Es schillert nicht nur in meinem Kopf, es schillert auch auf den Bildern:
"Tausend und eine Nacht": von archaischen Formen in Reduktion bis hin in die Ornamentik.
"Tausend und eine Nacht" - in vielfältiger Ausfertigung, das heißt die vielen Bedeutungen, die eine Form bekommen kann: die Schale als Dach, als Baum, als Schiff, als Pflanze, als Frucht (ich spreche hier von "Schale", nur als einem Beispiel) oft fortgeführt bis in die Technik: Wie eine Pflanze, die sich quasi aus der Urform Schale entwickeln lässt. Ich will hier jetzt keine PowerPoint Präsentation machen - wo das, was auf dem Bild ist, noch mal nachgeschwätzt wird - Sie sehen es ja alles!

"Der Orient", sagt Ernst Bloch, "der Orient kennt das Ineinander. Die Verkettung aller Lebensäußerungen, Schriftzüge Lebenslinien, die Arabeske, wie sie vom Haus zur Werkstatt, zum Markt, zur Moschee, vom Einen zu allem und von allem wieder zu jedem beliebigen Punkt unterwegs führt." Tauschen wir "Orient“ aus gegen "das Bild" (von Liebscher hier jetzt natürlich): "Das Bild kennt das Ineinander. Die Verkettung aller Lebensäußerungen, Schriftzüge Lebenslinien, die Arabeske, wie sie vom Haus zur Werkstatt, zum Markt, zur Moschee, vom Einen zu allem - und von allem wieder zu jedem beliebigen Punkt unterwegs führt."

Das passt doch, und auch das von Bloch somit beschriebene Gleichgewicht. Liebscher arbeitet so lange an seinem Bild bis alles im Gleichgewicht ist, bis er alles miteinander ausbalanciert hat. Dann ist der Punkt erreicht, wo er sagt: "So, jetzt kannst du's dir anschauen und es darf in deinem Kopf weitergehen."

Das klang bis jetzt vielleicht ein wenig ernsthaft - mit Bloch und gar noch Nietzsche als Zeugen. Hier fehlt aber noch eine ganz wesentliche, schillernde Facette, ohne die bei Armin Liebscher auch nichts geht: Der Abstand im Augenzwinkern, die Brechung durch Humor. Der ihn zwingt, die Exotik, das Kulthafte, die "Verklärung auf Seiten des Reisenden" ebenso wie auf Seiten der dort Lebenden - den Kitsch gar - zu integrieren! Ein Spiel auch! Lust eben auch - an dem, was man macht! Lust am Vexierspiel, am Surrealen. So taucht mitten im Gewühle eines Basartisches vielleicht eine Palme auf. "Ich liebe Palmen" sagt er ganz einfach. Oder ein Musiktitel fällt ihm während des Tun's ein.

Ein Beispiel: Monsoon-Raga (Nr. 19 der Ausstellung) - Raga's, das sind Musikstücke in Indien, die auf zwei Haupttönen basieren, auf denen sich die Melodien Figuren bilden. Eine Gesetzmäßigkeit, die das Improvisieren ermöglicht, Stimmungen wiederzugeben (Es gibt Morgen-, Mittag- oder Abend-Ragas). Das sind zu Grunde liegende Strukturen, die freies Gestalten ermöglichen (wir kennen das auch aus dem Jazz). Das Liebscher Grundstrukturen entwickelt, mit Linien oder Flächen, die wie Brüche wirken oder Punkte, das ist in jedem seiner Werke evident:

Raster, die er drüber oder drunter legt. Raster, Pattern, Cluster, Schichtungen, das sind ebenso Begriffe aus der Musik - und Armin Liebscher ist einer der wenigen Menschen, die ich kenne, die abends die Sendungen mit sogenannter Jetzt-Musik hören - Musik, die oft aus ihrer Struktur heraus lebt, bei der das gewohnte harmonische auseinander genommen wird, um neue, andere (harmonische) Verhältnisse zu schaffen.

Das heißt aber nicht, dass er nicht mit genauso viel Vergnügen Rock von Amon Düll hört, oder Elektronisches von Tangerine Dream. Was dann auch wieder zu einem Bild-Titel wurde (Nr. 21 der Ausstellung). Da haben wir sie wieder: die Palme auf dem Basartisch, das Meer im Tisch, das Schiff am Himmel… Magritte malt eine Pfeife und schreibt daran: "Ce n'est pas une pipe". Baselitz dreht seine Portraits auf den Kopf und sagt damit (u.a. natürlich), es ist nicht die Person, es ist ein Bild.

Armin Liebscher schreibt das auf seine Weise auch dran, ohne es dran zu schreiben. Er dreht innerhalb eines Bildes die Dinge auf den Kopf, verschiebt die Perspektive; eine Horizontlinie gibt selten wirklich einen Horizont an. "Egal von wo, das geht durch mich hindurch - ich finde die Formelsprache, die Zeichen: das bin ich!"

Nun, werden wir zu den alten Männern in der Geschichte, die jeder mit seinen eigenen Gazellen, Hunden - eigenen Geschichte eben – zum Kaufmann kommen, und lassen wir uns neben ihm nieder, schauen wir und warten wir ab, bis wir entdecken, wie es mit dem Dschinni und dem Kaufmann weitergeht.

Ich verrate nicht, wie die Geschichte weitergeht, denn das entspricht dem letzten Aspekt, den ich in Liebschers Werken noch ansprechen will: da ist immer auch noch ein Geheimnis drin, überall lauert ein Dschinni!

"O glücklicher König," erzählt Scheherazade "solche Legenden sind voller geheimer Bedeutung, um die nur die Eingeweihten wissen. Was fragst du nach dem Sinn?
Ist der Wunderteppich jener Märchen mit seinen Linien, Farben und Figuren nicht Sinn genug? Da erreichte das Morgengrauen Scheherazade, und sie hörte auf zu erzählen. 'Wie spannend ist deine Geschichte' sagte ihre Schwester 'die Fortsetzung ist noch viel spannender' sagte sie.“


Armin Liebscher

1957
- geb. in Herbrechtingen

1978-1983
- Fachhochschule für Gestaltung Mannheim

1985-1990
- Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe bei Prof. Rainer Küchenmeister


Einzelausstellungen (Auswahl):

1984
- Galerie für junge Künstler, Mannheim

1988
- Galerie im Prediger, Schwäbisch Gmünd

1991
- Galerie im Schlossgarten, Mannheim

1994
- Kunstverein Neckar-Odenwald

1995
- Villa Meixner, Brühl

1997
- Schloss Kleinniedesheim

1998
- Kunstkreis Waldmohr

2001
- Galerie Nedev, Heidelberg

2003
- Galerie Kulturraum, Speyer

2004
- Kahnweilerhaus, Rockenhausen

2006
- Kreisgalerie, Dahn

2007
- Kunst im Landgericht, Karlsruhe

2008
- Universitätsklinikum, Mannheim


Studienreisen: Südostasien, Indien, China, Nordafrika


Ausstellung mit Unterstützung der Sparkasse Kandel-Germersheim
 





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