Verein Feuerbachhaus Speyer / Museum Geburtshaus Anselm Feuerbach
Bettina Kresslein: "Essen & Trinken"
Malerei
20.01.11 bis 13.03.11
Bettina Kresslein
Bettina Kresslein: "Pfingstrosen | Mann im Bistro | Pfingstrosen und Lilien", Acryl auf Leinwand

Einführung von Alfred Marquart

Kaffeehaus war überall

Die Überschrift stammt nicht von mir, sondern von Friedrich Torberg. Und sie ist darüber hinaus falsch. Denn überall war das Kaffeehaus nicht, sondern nur dort, wo sich Menschen trafen aus dem Reich des Doppeladlers, sprich: Kakanien. Dieses Kaffeehaus, und nur das ist im Moment gemeint, hat wenig gemein mit den Örtlichkeiten meinetwegen in Baden-Baden, wo sich alte Tanten mit Kuchen vollstopfen - diese Cafés sind eh' in japanischem oder zunehmend russischem Besitz, und selbst wenn ihre Namen (wie das verehrliche Rumpelmayr, wo man zwar Pralinen kaufen kann, wo es aber keinen Kaffee mehr gibt) an Karlsbad selig erinnern, damit haben sie nichts mehr zu tun.

Im klassischen kakanischen Kaffeehaus trank man Kaffee, las Zeitungen, spielte Schach, aber aß nur sehr selten Kuchen, dessen Qualität auch zunehmend beklagt wurde. In solchem Haus traf man sich, unterhielt sich, intrigierte, wurde seine Sorgen los. Deshalb gab es die vielen Sorten Kaffee (gibt es heute noch in den Wiener Häusern, aber sie schmecken alle gleich - aber vielleicht war das früher auch schon so!). Ins Kaffeehaus in einer mährischen Kleinstadt geht immer auch der Bezirkshauptmann von Trotta, dort spielt er mit dem Herrn Doktor eine Art Honoratiorenschach, dort auch bricht er zusammen, nachdem ihn die Nachricht vom Tod seines Sohnes im ersten Weltkrieg erreicht hat - so geschehen in Joseph Roth Roman "Radetzkymarsch". Ins Kaffeehaus führte der Herr Papa seinen jugendlichen Sohn in kurzen Hosen, der sich unter dem Pseudonym Loris erfolgreich als Dichter versucht und die Aufmerksamkeit der literarischen Welt auf sich gezogen hatte. Der Papa wollte ihn den dort tagenden anderen Dichtern präsentieren. Sie waren ein bisschen verwirrt, erkannten ihn dann aber doch an - später schrieb er dann unter seinem wirklichen Namen Hugo von Hofmannsthal. Andere Autoren benutzen das Kaffeehaus, um sich selbst darzustellen - Peter Altenberg spazierte immer mit einem lebenden Hummer an der Leine dorthin, um zu zeigen, wie viel Zeit er doch habe. Man ging auch hin, um nicht miteinander zu sprechen, weil man sich nicht mochte. Ostentativ las man anstelle des Gesprächs Zeitung. Nahm sich natürlich doch wahr. "Was das nicht schön von dem Kisch", soll Alfred Polgar gesagt haben, der den rasenden Reporter nicht ausstehen konnte, "und jetzt sag' ich einmal was Positives über ihn - war das nicht schön von dem Kisch, dass er uns nicht angesprochen hat?"

Friedrich Torberg war Habiuté im Café Herrenhof - es war auch immer wichtig, wohin man ging - und hat diese Welt definiert als "geistigen Raum eines untergegangenen Lebensstils". Man könnte auch sagen, eines ermordeten, denn ohne den Anteil jüdischer Intelligenz war das Kaffeehaus nicht denkbar. Aber ein bissel untergegangen ist es natürlich schon vorher, mit dem Sturz der k.k.-Monarchie.
Aber es hat den auch ein bissel (und noch ziemlich lang) überlebt - auch an den Rändern dieser Monarchie. In Budapest und Prag, in Triest und Verona, in Mailand und Venedig - verändert zwar, aber doch. In Venedig unterscheidet man sich gesellschaftlich im Wesentlichen dadurch, ob man am Markusplatz ins Quadri oder ins Florian geht. Beide Häuser sind übrigens dem Ursprung dieser Institutionen, dem türkischen Caféhaus, sehr viel näher als dem aus Wien. Wobei vor allem das Florian (meins, wenn Sie's wissen wollen, ich gehe lieber dorthin als auf die andere Seite) mindestens so vergammelt ist wie die meisten in Wien. Stellenweise erschien einem sogar das legendäre Hawelka im Vergleich dazu geradezu elegant. Und nicht vergessen wollen wir etwas Kakaniernfernes, nämlich Paris - auch dort gab und gibt es berühmte Kaffeehäuser, das Deux Magots und direkt daneben, mitten im ehemaligen Buchhändlerviertel, das Café de Flore, das während der deutschen Besatzung und direkt danach zum literarischen Treffpunkt aller jener wurde, die etwas bedeuteten in der französischen Literatur, Sartre und Simone de Beauvoir vor allem, aber sie alle kamen nicht des (nebenbei mäßigen) Kaffee wegen, sondern weil in den Kältewintern der Zeit das Café de Flore als einziges über einen einigermaßen wärmenden Bullerofen verfügte …

Die Wiener Kaffeehäuser (bleiben wir der Einfachheit halber - und der Bilder wegen) bei ihnen, schließlich sind die anderen in Österreich wie zum Beispiel das Tomaselli in Salzburg letztlich nur Abklatsch, also die Wiener Kaffeehäuser haben alle ihre Geschichte . DAS Künstlerkaffee vor dem ersten Weltkrieg war das Central, vor dem zweiten das Herrenhof, dann eine Zeitlang nach 1945 das Hawelka. Doderer, Hilde Spiel, Torberg, Hans Weigel verkehrten dort. Nebendran drehte Carol Reed den "Dritten Mann"; auch, und deshalb erzähle ich es, als das alles touristifiziert wurde (weshalb eigentlich nicht?), auch damals behielt das Haus seinen Reiz - "Was darf ich abträumen?" fragte eine Bedienung. "Gehns", so ein Gast am großen Tisch, auf einen anderen, unentwegt Schwadronierenden zeigend, "gehns, räumens bitte den Mimen da ab!" - Stellen Sie sich das außerhalb Wiens vor. Nun, vieles davon sind tempi passati - die berühmte Anrede im Dehmel durch die Bedienungen in der dritten Person (man wurde nicht gefragt: Wünschen Sie noch etwas? sondern: Haben noch einen Wunsch?) sind durch Besitzer- und Klientelwechsel verschwunden. Der vorwiegend anwesende Japaner oder Russe würde das ja auch nicht verstehen. Hatten schon die Piefkes ihre Probleme damit. (Die Reichsdeutschen, um dieses Wort zu übersetzen.)

Aber natürlich sind das nicht die einzigen, jene, in die die Damen und Herren Künstler oder was sich so dafür hält gehen (auch frühzeitig schon die Damenwelt nebenbei), sondern es gibt in Wien immer noch, nicht nur in den Außenbezirken, die Arbeiterkaffeehäuser, und das sind nicht die schlechtesten. Mit dem Kaffee übrigens geht es in Wien zu wie in München mit dem Bier: Die Qualität wird häufig beklagt, des Genusses aber enthält man sich nicht. Darum geht es auch nicht - es ist ein Lebensgefühl. Voilà tout. Auch ein Siegesgefühl - den Kaffee hat man schließlich seinerzeit den Türken abgejagt, so wie das andere Siegeszeichen der Wiener Kaffeekultur, den Gipfel oder Kipfel, der nicht zufällig einem Halbmond ähnelt. Vae victis. Wie alt übrigens die Liebe zu diesem Getränk ist, zeigt die Tatsache, daß Mozart nach heutigem Geld zehntausende von Euro jährlich für das damals sehr teure Gebräu ausgab. Und Karl Kraus über die Beilage witzelnd ein Goethe-Gedicht verhohnepiepelte: "Über allen Kipfeln ist Ruh - von Butter spürest du kaum einen Hauch."

Natürlich waren die Kaffeehäuser auch Orte der heftigen Diskussion. Da es sich um Kaffee und nicht um Cognac handelte, eher in nüchternem Zustand, äußerlich gesehen. Weil diskutiert wurde, waren sie eben auch Orte für bürgerliche Intellektuelle, was den hohen Anteil an Juden verständlich macht. Und auch die Feindseligkeit, mit denen man dem Kaffeehausbewohner (so muss man ihn wohl nennen) begegnete. Hier in Deutschland hatte das Kaffeehaus eine andere Funktion. Die können Sie heuten noch in Baden-Baden zum Beispiel wahrnehmen. Da trafen und treffen sich alte Damen vorwiegend (sie haben, wie meist, ihre Gatten überlebt). Sitzen da und unterhalten sich (die Geschichte ist wahr) darüber, wie schön es doch früher war. Eine erinnert sich an die herrlichen Zeiten damals im Osten, wo ihr Mann Arzt war. Er ist schon lange tot. Du kannst alles hier machen, was du willst, hatte er ihr gesagt damals. Nur bitte: Geh nicht in deinem Tennisdress zu nahe am Lager vorbei. Das gehört sich nicht. Der Gatte war, wie gesagt, Arzt gewesen. Das Lager, in dem er arbeitete, befand sich in einem Ort namens Auschwitz. Möglicherweise gab es dort auch den einen oder anderen ehemaligen Kaffeehaushabitué, allerdings als Häftling.

Walter Hasenclever erzählt, weniger brutal, aber genauso deutlich, von seiner Zeit in der Schweiz, wohin er geflüchtet war. Dort mußte er gemeinsam mit anderen geflüchteten Judenals Arbeiter leben, Drainagen in der Landschaft ausheben, schwere, ja schwerste körperliche Arbeit eben verrichten. Er überliefert dabei den Ausspruch eines ehemaligen Arztes, der müde auf sein Lager sinkt und dabei stöhnt: "Der Jud' gehört ins Kaffeehaus, nicht in die Drainage."
Diese Kaffeehäuser sind natürlich Geschichte, auch dort, wo es sie noch dem Namen nach gibt. In Wien eben - dort muss man lange anstehen, wenn man hinein will. Und die Gäste sind vorwiegend Touristen, auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Aber man kann, und das hat Bettina Kresslein getan, immer noch welche finden, in weniger besuchten Bezirken in Wien, das Kaffee Sperl, Ecke Gumpendorfer Straße/Lehargasse zum Beispiel, in der Nähe der technischen Universität und des Theaters an der Wien, gibt es seit 188o, hat also auch so seine Geschichte, dort sind viele der Bilder entstanden, dort gibt es die Sperltorte aus Mandeln und Vollmilchschokolade (nicht direkt kalorienarm) und auch noch die klassischen Zeitungsleser, die sich mit österreichischen, piefkeschen und internationalen Zeitungen auf dem allgemeinen Informationsniveau halten können. Wobei es die Mischung Künstler und Publikum, also einen Teil, der sich produziert, indem er einfach da ist, und einen anderen, der ihm dabei zuschaut, dort auch immer schon gegeben hat - sie ist typisch wienerisch. Wobei mich, während ich das sage, verwundert, dass Frau Kresslein erst so spät darauf gekommen ist, denn letztlich ist das eines ihrer Themen. Immer gewesen.

Das Problem mit dieser Künstlerin ist, dass Sie mit ihr irgendwohin fahren können, wo sie dann doch recht schnell ihr Skizzenbüchlein zückt (in das sie nebenbei manchmal auch Ausgaben einträgt, auf dem Niveau: Bettler gegeben ein Euro, Kostüm soundsoviel Euro, Kaffee 4 Euro 20) und in solch scheinbarem, ich betone: scheinbarem Durcheinander entstehen auch die Skizzen, aus denen dann wiederum die Bilder werden, ganz anders und dennoch gleich) – also: das Problem ist, dass sie aus diesem und jenem, nein: diesem PLUS jenem eine Welt entstehen lassen kann. Vielleicht fällt Ihnen auf, dass auf den Bildern vieles fehlt, Köpfe zum Beispiel auf manchen, aber dennoch ist alles Wichtige drauf, braucht's mehr nicht, um eine, vielleicht sogar die Welt entstehen zu lassen. Köpfe sind oft nicht wichtig, das beweist jeden Abend die Tagesschau. Ein Kleid genügt, eine Hand in der Tasche, bei einem Zeitungsleser ist der Kopf sogar nur eine Zugabe - vielleicht weil der Bart so schön ist? Andere bestehen nur aus Lippen und Händen. Ein Stück Kuchen steht für ein ganzes Kaffeehaus usw... Das hat nichts Karikierendes an sich, oder nicht viel - mich erinnert es immer an eine der vielen Geschichten, die es um Max Liebermann gibt, den man immer für ein Original gehalten hat, weil er zu oft gesagt hat, was Sache ist. Der hat einmal einen hohen Offizier portraitiert, dabei das Gesicht eher undeutlich, die Uniformknöpfe aber sehr deutlich gemalt. Weil, so erklärte er dem empörten Modell, die Knöpfe viel interessanter seien als das Gesicht… Welches Hemd einer trägt, kann in der Tat viel mehr über denjenigen aussagen als sein Gesicht - kann man's gleich weglassen. So wie man eigentlich bei einer Prosecco-Trinkerin außer dem Glas nix mehr sonst zeigen müßte…

Den Reiz dieser Bilder macht für mich noch was anderes aus - vorhin habe ich mehrfach betont, dass vor allem die Wiener Kaffeehäuser (die Pariser sind anders, aber das, was ich jetzt meine, ist dort genauso) gewissermaßen aus Darstellern, Leuten, die sich an ihrem Tischchen produzieren, und Publikum, Leuten, die ihnen dabei zusehen, bestehen. Ist im Publikum nun zufällig ein - im Unterschied zu den Darstellern: wirklicher - Künstler, der das aufnimmt, protokolliert, verwandelt (daraus besteht und so entsteht Kunst), ergibt das einen besonderen Reiz, den ich hier in diesem Kaffeehausbildern überall geradezu mit Händen greifen kann.
Nun spielt das alles ja nicht nur im Kaffeehaus, entschuldigen Sie, dass ich so darauf herumreite, aber das hat mich nun halt besonders interessiert. In solchen Etablissements stehen auch Blumen - wie in Hotels und Restaurants. Im Pariser Hotel Meurice, da weiß ich es halt zufällig, werden jeden Tag Blumenarrangements für an die 2000 Euro in der Halle und in der Bar verteilt! Und da finde ich an prominenter Stelle dieser Ausstellung zwei Blumenbilder, auf die ich Sie nur aufmerksam machen kann und will. Obwohl Stilleben ja, wie man immer wieder hört, akademisches Zeugs sind… Richtig, und Frau Kresslein darf akademisches Zeugs malen, weil sie's nämlich an einer Akademie gelernt hat. Das ist seit langem ein wenig demodé, wie es ja überhaupt demodé ist, wenn man das, was man macht, wirklich gelernt hat. Das ist nicht nur bei meinem Beruf, dem des Journalisten so, wo es ja als chic gilt, wenn man von dem, über das man das Maul aufreißt, keine Ahnung hat, das ist in der Politik so, wo man unangenehm auffällt, wenn man weiß, worüber man entscheidet, das ist vor allem in der Kunst so. Ein Opernregisseur, der Noten lesen kann, wird tunlichst gemieden. Ein Künstler, der seine Kunst gelernt hat, scheel angesehen. Ich sehe das ein wenig anders - "anderst", wie es in badischen Zeitungen zu lesen steht, weil der Badener das eben so ausspricht, in verschärfter Form auch "annerschder", aber selbst in Badischen Zeitungen hat der Reporter doch irgendwie das Gefühl, das möge vielleicht nicht ganz richtig sein… Also: Nehmen Sie die beiden Blumenstilleben, da können Sie nicht nur sehen, dass Frau Kresslein weiß, wie das geht, so zu malen, sondern auch, weshalb das Abtun dieser, ich sage mal: klassischen Art Blödsinn ist. Schaun Sie mal, worauf die Blumenvasen stehen, was da an der Wand gezeichnet ist, und diese Einsprengsel von banaler Realität machen für mich das Besondere dieser beiden Bilder aus. Ich bin nicht der Einzige, dem sie außergewöhnlich gut gefallen.
Nämliches könnte ich auch von den Landschaften sagen. Idyllisch? Eine Landschaft an sich ist nie idyllisch. Unser Empfinden macht sie dazu. Niemand vor den Romantikern hat das Heidelberger Schloß als romantisch angesehen. Es mußte gewissermaßen erst diese Empfindung, das romantische Gefühl, erfunden werden - erst dann war das Schloss - romantisch. Deshalb ist das alles auch so schwer zu zerbrechen - Sie können, was Sie wollen, rein malen in solch eine Landschaft, meinetwegen ein Kernkraftwerk oder den Mief über Mannheim und Ludwigshafen in der Ferne, das ändert nichts, weil es darum nicht geht. Und außerdem mag es einer Malerin Spaß machen, mit Grün was anzustellen, denke ich, der ich kein Maler bin.

Ich könnte jetzt auch da noch lange drüber reden, aber das erspare ich - Ihnen, ehe Sie wirklich unruhig werden. Ich will Ihnen die Bilder auch nicht erklären, schauen Sie sie sich selber an, da haben Sie mehr davon als wenn Sie mir zuhören. Aber Vorsicht - das Mädchen Rose, das in einer berühmten Geschichte von Gertrude Stein seinen Namen um einen Baumstamm schreibt, gewissermaßen in einer endlosen Kette, weil das Ende des Textes auf den Anfang trifft - Rose is a Rose is a Rose usw. - das Mädchen Rose verändert damit diesen schlichten und banalen Satz. Das geht einem mit Kunst immer so.



Bettina Kresslein

1950
- geb. in Aschaffenburg

1971-1976
- Studium der Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe

1973-1975
- Studium der Kunstgeschichte an der TU Karlsruhe

1993
- Heinrich von Zügel Preis, Wörth am Rhein

1998
- Reisestipendium der Stiftung zur Förderung der Kunst in der Pfalz




Links:
Kresslein Bettina (Rubrik KÜNSTLER)



[zurück]
Bettina Kresslein
Bettina Kresslein: "Pfingstrosen | Mann im Bistro | Pfingstrosen und Lilien", Acryl auf Leinwand