Stadt Rockenhausen / Museum für Kunst Rockenhausen
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"Grafik der verschollenen Generation"
Druckgrafische Werke aus der Sammlung der Pachen
31.01.10 bis 21.03.10
Otto Dix
Otto Dix: "Porträt Heinz Pachen"

Bei den meisten Kunstsammlern bildet die Grafik den größten Anteil der zusammengetragenen Werke. So ist es auch bei der Sammlung Pachen der Fall. Vom Anfang ihres Sammelns an war für Heinz und Hella Pachen die gedruckte Kunst unverzichtbarer Bestandteil - und das nicht nur wegen der vergleichbar niedrigeren Preise gegen über den Werken der Plastik und Malerei.
Werke von Käthe Kollwitz, Bele Bachem, Edgar Ende, Heinz Fleischer, Arwed D. Gorella, HAP Grieshaber, Hermann Hoormann, Hans Jaenisch, Hugo Jamin, Walter Klemm, Hans Kuhn, Gerhard Messemer, Willi Münch-Khe, Hans Orlowski, Karlheinz Oswald, Max Pechstein, Hans Theo Richter, Hans Roosen, Jochen G. Schimmelpenning, Gustl Stark und Mac Zimmermann bilden nur eine kleine Auswahl durch das Alphabet der Künstler des 20. Jahrhunderts aus der "Sammlung Pachen". In den kommenden Jahren werden Werke dieser und weiterer Künstler in Einzel- und Gruppenausstellungen dem Publikum vorgestellt.

Auftakt der Reihe ist die Ausstellung "Grafik der verschollenen Generation". Dieser Titel bezeichnet eine Künstlergeneration der zwischen etwa 1890 und 1925 geborenen Künstler, bei denen Lebenszäsuren, bedingt durch den Ersten und/oder den Zweiten Weltkrieg, zwangsweise gesetzt worden sind. Sie waren, berührt vom Schönheitskult des Jugendstils, als Jünglinge ins Inferno des Ersten Weltkrieges gestürzt und vom Schock der Frontgräben geprägt, wie etwa Otto Dix. Anschließend wurden ihre Werke im Dritten Reich verfemt und verschwanden aus der Öffentlichkeit, ebenso wie sie nach dem 2. Weltkrieg unter der Vorherrschaft der Abstraktion wiederum ins Abseits des Kunstlebens geraten waren. Dazu verloren die meisten Künstler dieser Generation ihre Werke durch die Ausbombung der Ateliers und konnten oft nur das nackte Leben retten.

Zu sehen sind grafische Werke von Carl Barth, Kurt Bunge, Otto Dix, Wilhelm Grimm, Josef Hegenbarth, Willi Robert Huth, Hans Otto Orlowski, Hans Theo Richter und Hermann Teuber.


Einführung von Monika Portenlänger

Dies ist keine leichtlebige Ausstellung. Vielleicht spüren Sie selbst die Ernsthaftigkeit, Ehrlichkeit und Verzweiflung in den grafischen Handschriften der in dieser Ausstellung vertretenen Künstler. Greifen wir Hans Theo Richter heraus: Er setzt auf den weißen Papiergrund mit herabrieselnden Strichen seine weibliche Figur dem Leben aus. Sie kann ihm nicht stand halten. Wie Regenwasser zerrieselt ihr Leib - die Assoziation vom Menschen im Meer der Tränen wird zum Ausdrucksgehalt des Bildes. Des Künstlers Einstellung zum Leben ist geprägt vom Verlust des gesamten Werkes in der Dresdner Bombennacht vom 13.02.1945. In dieser Frauengestalt scheint die Situation seiner gepeinigten Vaterstadt zum intensiven Ausdruck gekommen zu sein. Und trotzdem bleibt in dieser Katastrophe das Humanistische Menschenbild. Aber der schönlinige Rückgriff auf die das Abendland prägende Antike ist ein für alle Mal ausgelöscht. Es ist ein Rückzug in die Isolation und in die Stille erfolgt.

Wie Hans Theo Richter haben viele Künstler der verschollenen Generation ihre Zeit durchlebt. Nach hoffnungsvollem Beginn im Spiel der bereits erreichten Avantgarden konnten sie mit den Stilen wie Impressionismus, Expressionismus, Sachlichkeit jonglieren und eigene Wege beschreiten. Dann wurden die Zäsuren ihres Lebens gewaltsam gesetzt. Sie wurden aus der Manege der Boheme wie von einem Karussell herausgeschleudert. Nach den Erfahrungen in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs mussten sie sich neu sortieren.

Otto Dix mag dafür ein gutes Beispiel sein. Seine Unduldsamkeit und seine Härte waren sprichwörtlich geworden. Für ihn wurde künstlerisches Mitleiden ohne Empfindung von Mitleid kennzeichnend. Seine Porträts sind Spiegelbild dieser Haltung. Zwischen ratloser Unbestimmtheit und aufmüpfig-kämpferischem Widerstand hat er sich in seinem Selbstporträt gesehen. Sein spontaner, auf sein Gegenüber neugieriger Zugriff zeigt sich bei dem Bildnis des Sammlers Heinz Pachen, dessen markant-hartes und verschlossenes Gesicht ihn bei der ersten Begegnung faszinierten. Dix schafft im Menschenbild seiner Grafiken existentielle Beschwörungen. Das Ausgesetztsein der jungen, stillenden Mutter und weitere unverstellte Grundhaltungen erfahren ihren herben Ausdruck.

In traurigem Gewand tauchen burleske Themen auf. Wilhelm Grimm schildert um 1955 den Rummelpott in der Neujahrsnacht. Es sind jämmerliche, gespenstische Gestalten, deren Lärmen sowohl Aufschrei als auch abgründige Heiterkeit ausdrückt. Die Gesichter werden archaisch ( nach Vorbildern der schwarzafrikanischen Plastik) stilisiert. Ihre Masken geben nichts von der Identität der Figuren preis. Trotz der Zusammenballung in einer Musikgruppe bleibt jeder allein. Die Urangst der Vereinzelung wird künstlerisch im wörtlichen Sinne ausgeschnitten, denn die Holzschnitte protokollieren Lebenserfahrung eines in der Angst vor dem Vergessenwerden in den Turbulenzen der Zeit wirkenden Künstlers.

Hans Orlowski wurde als Soldat im ersten Weltkrieg verwundet und vernichtete danach sein ihm unglaubwürdig und sorglos erscheinendes Frühwerk. In altmeisterlich erscheinenden Linolschnitten verdunkelt er die Augen der Dargestellten - eine vielschichtig zu deutende Metapher. Persönlich mag sie die Angst vor der Erblindung angesichts der Verbrennungen in den Schützengräben sein. Künstlerisch ist die selbstbewusste Vorstellung vom Vollendeten Menschenbild als Schöpfer seiner Bildwelten darin zerbrochen. Er glaubt nicht mehr wie im Mittelalter, er ist an seinem Können verunsichert - also passt das Renaissanceprinzip nicht mehr. Und er kann der Realität nicht mehr in die Augen sehen wie im 19. Jahrhundert. Folge: Der Künstler ist einzel existentiell auf sich selbst, auf sein Inneres geworfen. Diese Bildvorstellung kontrastiert mit der brillanten altmeisterlichen Technik.

Dynamik und Bewegung im Motiv und im grafischen Duktus hat Joseph Hegenbarth als Vorzeigekünstler der DDR und Hausillustrator des Leipziger Teils des Reclam-Verlages verwandt, um seine Themen Zirkus, Zoo, Akt und biblische Themen als Ausdruck eines neuen Zeitverständnisses zu interpretieren. Der Sprung des Raubtiers durch den Reifen wird zur poetischen Aussage, das Unmögliche möglich zu machen und damit im Dressurakt utopisch Scheinendes als Realität einzufordern, gerade im Widerspruch der angepassten Realität des DDR-Sozialismus.
Poesie als Substanz der Bildaussage erscheint bei Hermann Teuber. Ein Paris Aufenthalt 1926 führte zu einer Begegnung mit Matisse, dessen Spätwerk er ebenfalls aufmerksam verfolgte. Auch er verlor sein Atelier und damit sein Frühwerk in Berlin, lebte als Professor für Grafik in Westberlin, wo er kämpferisch gegenüber der Abstraktion seine figurative Position vertrat. Er litt unter dem Diktat der gegenstandslosen Malerei. Durch Matisse wurde er zu einem Arkadier, der das interesselose Wohlgefallen ohne inhaltliche Festlegung ornamental gestaltete. Das Schauen wird zu einem Mysterium, das in der Menschheitsgeschichte angelegte Themen wie Jugend und Alter, Mann und Frau und auch die Tierwelt liebend umarmt. Der jüngst verstorbene Rainer Zimmermann hat Teubers Grafiken folgendermaßen charakterisiert: "Es gehört zum Geheimnis dieser lyrischen Bilder, dass die meist besinnlich verharrenden Gestalten genug Atemraum um sich haben".

In diesem Zusammenhang gehört Kurt Bunge mit seiner Italiensehnsucht, der in seinem Menschenbild figurative und abstrahierende Tendenzen zusammenfügt. Das Tragische der verschollenen Generation tritt bei diesen Bildern zurück. Poetische Kraft überwindet bei Teuber oder Bunge das Tragische und hat diese Künstlerseelen befreit, was den anderen zuvor besprochenen Künstlern nicht vergönnt war.

Dies gilt auch für Carl Barth, der im Ersten Weltkrieg in Flandern schwer verwundet war, bis zum Zweiten Weltkrieg neusachlich malte, Im Dritten Reich entartet wurde, in Düsseldorf seine Bilder verlor und nach 1945 sich der neusachlichen Tradition entsprechend der figurativen Stilisierung des Menschenbildes zuwandte. In strenger konturbetonter Liniengrafik reduziert er auch religiöse Darstellungen wie den heiligen Christophorus auf die Fläche - einer monumentalen Wandmalerei nicht unähnlich.

Damit sind wir in der für die 1950er Jahre typischen figurativen Grafik angekommen. Unbeantwortet bleibt die Frage, ob es nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt eine Stunde Null mit totalem Neuanfang gab. Aber eines beantwortet die Ausstellung: Jeder der hier beteiligten Künstler suchte Antworten. Sie sind geprägt von einer sehr ähnlichen Biografie, aber doch individuell ausgefallen. Die Ernsthaftigkeit ihrer Auseinandersetzung mit den verschiedenen Themen, die um den Menschen kreisen, vermittelt sich direkt und hinterlässt Betroffenheit.




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Otto Dix
Otto Dix: "Porträt Heinz Pachen"