Stadt Landau in der Pfalz / Städtische Galerie Villa Streccius
Guido Messer und Ivo Stilling: "Crash"
Malerei, Skulptur
21.03.09 bis 26.04.09
Guido Messer
Guido Messer: "Blaumann" Bronze, Stahl, Lackfarbe

Der Oligarch hat einige Milliarden verloren, der Medienmogul muss sein Imperium zerteilen, ein Chef verliert seinen Betrieb, der Banker seinen Job, eine Oma merkt, dass ihre Rente nicht mehr reicht, eine Familie verliert ihr Haus. - Brüche im System, die Verfehlung eines einzelnen, der "ganz normale Wahnsinn" des Alltags - Themen, die sich in den Arbeiten der beiden Künstler immer wieder finden.

"Messerscharf" ist die Beobachtungsgabe des Bildhauers Guido Messer aus Korb. Er destilliert spezifische Eigenschaften der Spezies Mensch - in 40 Schaffensjahren hat er eine Unzahl von Typen herausgearbeitet. Die Begegnung mit seinen Plastiken hat immer etwas von einem Déjà-vu. Was interessiert uns Menschen schließlich mehr, als das menschliche Gegenüber?

Empfangen werden die Ausstellungsbesucher von einer Bronzeskulptur Messers, die an eine Mischung aus Kojack und dem freundlichen "Herrn Kaiser" einer bekannten Versicherungsgesellschaft erinnert. Mit Sonnenbrille und Glatze streckt sie einem grinsend die Hand zur Begrüßung entgegen. Der Torso steht auf einem zugehörigen vierbeinigen Sockel, zurückgestuft zu einem funktionalen Menschen, so wie ein Möbelstück.

Messers Skulpturen treten in einen Dialog mit meist großformatigen Gemälden des Karlsruher Malers Ivo Stilling.

Ivo Stillings Malerei ist realistisch, als Bildquellen dienen oftmals Fotografien. Er ist ein Darsteller von Begebenheiten, doch kein Berichterstatter einer heilen Welt. Es geht ihm nicht um die Aufschlüsselung von Situationen, sondern um die drastischen, dramatischen Momente im Leben. Ivo Stilling ist ein Chronist seiner Zeit, und er bedient sich daher hauptsächlich Zeitungsfotos, die von einschneidenden Ereignissen wie Katastrophen und Unfällen berichten.




Einführung von Clemens Jöckle

Die Villa Streccius wird mit dieser Ausstellung zu einem Kaleidoskop der gesellschaftlichen Befindlichkeit der letzten drei Jahrzehnte, die - man verzeihe die all zu platt klingende Alliteration - messerscharf analysiert wird. Dies trifft für den Bildhauer Guido Messer ebenso zu wie für den Maler Ivo Stilling. An einem Beispiel sei dieses politisch unkorrekte, aber politisch engagierte Verhalten demonstriert. Stillings "Sniper" oder viel plastischer "Heckenschütze" zielt imaginär, aber illustrierend demonstrativ und darum für den Betrachter bedrückend realistisch auf Messers Installation "Schrei" aus dem Jahr 1999, fünf Kinderbettchen mit schreienden Kinderköpfchen.

Für Messer stellt sich die Frage, in welche Welt diese Kinder geboren worden sind. Ikonografisch gesehen erweist sich das in der installativen Verdopplung gestaltete Thema als ein seit Goyas Capricchios und quellenmäßig in zahlreichen Soldatenbriefen der Grand Armee Napoleons auch von aus Landau stammenden Soldaten um 1800 belegtes unmenschliches, brutal grausames Verhalten. Geprägt von den Nachrichten aus dem Krieg zwischen Serbien und Bosnien-Herzegowina greift Messer die synchron gestaltete und damit als jenseits des Individuellen erfahrene Situation auf und greift durch Aufzeigen an. Man mag an des Philosophen Gadamers grimmigen Satz denken, der auf Guido Messer gemünzt sein könnte: "In all den Werken sind die Schleier menschlicher Verbindlichkeiten zerrissen und das Nackte von Leiden und Leidenschaft überfällt einen förmlich. Aber es ist darin nicht nur Anklage, sondern grimmige Bejahung; So ist es. Das alles ist wirklich. Das alles muss man sehen, es mitleiden ohne Mitleid." Wie Gadamer unterscheidet Messer die durch die Verhältnisse bedingten Leiden der Moderne und des modernen = gegenwärtigen Menschen, der anderen Leiden zuzufügen vermag. In dem Uniformen des Menschenbildes, etwa den l Grandi von 2007 Bronze, rote Lackfarbe und goldene Krawatte, wird die aggressive Farbhaut der Büsten, die boshafterweise in ihrem konventionellen Zuschnitt nicht mehr eindeutig erscheinen, ob sie in ihrem hohlen Imponiergehabe Politiker oder Bänker oder Manager oder sonstige fragwürdige Stützen der Gesellschaft verkörpern. In der Kleinen Heldengalerie von 1998 mit ihren spielerischen Kombinationen aus Narrenkappe und Militärmütze und Richterrobe mit Barett und ihrer Zuordnung in der Transportkiste werden diese gesellschaftlichen Kräfte durch die Kombination und die Schnittflächen austauschbar. Bei den l Grandi und den Blaumännern dagegen sind Anzug, Krawatte und Brille als Teile der standardisierten Erscheinung mit der Signalfarbe Rot oder Blau verbunden und lassen die darin ausgedrückte blasierte und manchmal süffisante Unverbindlichkeit hervortreten. Ein Blaumann mit Blindenbrille von 1995/96 streckt uns die Hand mit unverschämten Grinsen entgegen, doch formt die andere Hand unter dem Anzugsstoff eine ebenfalls auf das Gegenüber gerichtete Pistole aus.

Angesichts der offenen Hand und dem hinter dem Rücken verborgenen Messer bleibt das Lachen im Halse stecken, aber trotzdem wird durch diese plastische Demonstration das Schreckliche seiner in ihm enthaltenen karikierenden Züge bewusst und damit auch entschärft. Messer greift den alles niederwalzenden sogenannten Aktivismus an, der das Schöpferische überrollt hat und zielgerichtet egoman ohne Rücksicht seinen Willen und seine Vorstellungen verwirklicht oder zum Verlierer wird, wie der auf der (Karriere)Leiter nach oben gekletterte Mann. Gesellschaftssatire entwickelt sich vor allem in Werken wie "Die Familie" oder die Wurstesserin durch das Vorweisen von Klischees und ihrer Entlarvungen vor allem auf das Rollenbild der Familie hin.

Die Ausstellung von Messer und Stilling steht unter dem Thema Crash, das Absturz, Zusammenstoß oder Krach bedeuten kann. In einem Teil der Ausstellung konfrontiert Stilling in einer Folge exakt nummerierter Selbstporträts augenblickliche Stimmungslagen als kritische Selbstbefragungen oder besser Selbstkonfrontationen. Das Konzeptionelle bezieht auch jeweils die Lichtverhältnisse ein. Wir erkennen das Antlitz des Künstlers im künstlichen Neonlicht oder es wird die Nässe auf der Leinwand reflektiert. Die Porträts haben ihren stilistischen Ansatz einerseits in der Neuen Sachlichkeit, andererseits tritt das Mimikry als malerische Komponente bei der Modellierung der Gesichtszüge hinzu. Der leidenschaftliche Farbauftrag erinnert in der sehr selbstkritischen Befragung des jungen Künstlers durchaus an Francis Bacon, mit dem er den Ansatz teilt, sowohl unmittelbar Gefühle mit Hilfe der Malerei auszudrücken, als auch die unmittelbare Aggressivität des Boxers Mike Tyson dienen, das bei ihm zwischen Glamour und Absturz mit dem Gefängnisaufenthalt angesiedelt ist. Eine bewusste Licht/Dunkel-Aufspaltung lässt keine Zwischennuancen bei diesem Porträt zu. Für Stilling ist die Porträtmalerei auch ein Resultat des Scheiterns der Pop- Kultur, denn deren glatte Oberflächlichkeit ist malerischer Verwundung gewichen. Darin verbindet sich sein malerisches Anliegen mit dem von Guido Messer. Man könnte von genannter Wut sprechen oder von Variationen über Dokumentationen des Erinnerns an bestimmte Situationen oder Ereignisse. Bacon hat dies einmal ziemlich respektlos mit der Schleimspur der Schnecke als malerisches Resultat verglichen.

Der zweite große Motivbereich setzt das Thema Crash wörtlich um, es ist der Autounfall, ohne dass ein Schildern der Ursache, der dramatischen Umstände vorgenommen wird, sondern lediglich die isolierte Darstellung des Unfallfahrzeugs erfolgt ist. Darin wird die Umwandlung des teueren Luxusgegenstandes zum Schildern zerstörten Metalls und damit zum Schrottwert aufgezeigt. Die Faszination der zerstörten Autos geht von ihrer selbst in der Zerstörung noch spürbaren Exklusivität und ästhetischen Schönheit aus, seien es beispielsweise Lamborghinis, die ja gleichsam Fetische eines Kindheitstraumes in ihrer Erscheinung als Wundergeschosse abgeben und nun den gemalten Widerspruch in ihrer Abbildung auf der Leinwand vor Augen führen. Der Crash wird bei Stilling zur Formulierung von Gedanken und wenn wir bei ihm vom gemalten Gegenstand sprechen, sprechen wir vom Kunstwerk.

Man könnte diese Autobilder leicht mit Stilleben vergleichen. "Nature mort" geriert sich als existenzialistische Metapher, wenn die gebundene Form des Gegenstandes bei einem Mauercrash aufgelöst wird und die Form wie ein objet trouvee neue ästhetische Komponenten vorweist. Die Fahrzeuge können selbst im zerstörten Zustand, in dem sie der Schrottpresse anheim fallen werden, noch in ihrer Verwandlung der Form ein neues Gesicht, eine neue scheinbar aus der Phantasie geborene Gestalt erhalten. Manchmal assoziiert man gerne Charles Wilp, der einen weißen Porsche in der Metallpresse zum Relief drückte und damit einen gesellschaftlichen Protest und Prozess zugleich demonstrierte. Heute zitierte man gerne die Metapher der Abwrackprämie als aktualisierte Bildaussage, aber dem steht der Luxus als Vanitas-Metapher entgegen, wie sie eben in den Stilleben seit dem 17. Jahrhundert historischerseits durch andere symbolhafte Gegenstände, wie eine herabhängende Zitronenschale oder eine Auster.

Stillings Auto-Stilleben erweisen sich als Anklage der Wirklichkeit, als Denunziation für den Betrachter oder als Widerstand gegen das Schicksal, das unweigerlich zum Crash geführt hat. Am Ende der Dinge steht das Bild. Und darin malt Stilling erneut das Widersprüchliche. Was Neufindung zu sein scheint, ist abhängig vom Vorbild der Fotografie, sei es einer Dokumentation für die Versicherung, sei es eines Fotos, um die sensationellen Unfallnachrichten unter den "Polizeireportagen" zu illustrieren, entnommen. Es wird zitiert, malerisch umgewandelt. Deswegen spielt die Herkunft vom Foto auch keine Rolle, für das künstlerische Resultat, denn das Kunstwerk wurde vom Künstler so gewollt und wer wollte dem Künstler verwehren, sich anregen zu lassen, wenn das Ergebnis diese malerische Intensität aufweist.

Dies gilt auch Pressefotos, wie das Pentagongebäude nach dem Angriff vom 11. September, oder der Botschaftserstürmung in Nairobi, wo aus der Pressevorlage die künstlerische Auseinandersetzung zwischen Ordnung und Chaos, übrigens auch ein Stillebenthema, geworden ist. Wenn Axel Heil über Ivo Stilling sagt, dass beim Betrachten seiner Malerei die Hausaufgabe gemacht werden muss, Festzustellen, dass ich etwas sehe, was du nicht siehst, dann kann ich bei dieser Ausstellung nur wünschen, dass Sie alle die Villa mit ein wenig geweiteten Augen und messerscharf vertieftem Bewusstsein gegenüber dem Zustand, in dem Sie diese betreten hatten, verlassen.



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Guido Messer
Guido Messer: "Blaumann" Bronze, Stahl, Lackfarbe
Ivo Stilling
Ivo Stilling: "Ferrarirot" Öl auf Leinwand, 150 x 290 cm