Über meinen künstlerischen Prozess
In meinen grafischen Arbeiten befinde ich mich immer wieder zwischen den Schichten, in denen ich künstlerisch agiere. Am Anfang gibt es ein inneres Bild, welches mich begleitet, sich immer wieder in den Vordergrund drängt, Aufmerksamkeit und Zuwendung will. Dieses innere Bild ist weder konkret noch besitzt es ein eindeutig identifizierbares Motiv. Es hat etwas fluides, leicht vibrierendes und zieht fast immer mehrere Bilder hinter sich her. Es entstehen Bildabfolgen, welche immer wiederkehrende Bilder beinhalten, manchmal wandeln sie sich aber auch innerhalb weniger Sekunden und formen sich zu neuen Bildern. Manche begleiten mich still über lange Zeiträume hinweg bis ich mich ihnen annehme, andere verschwinden einfach und wiederum andere drängen sich regelrecht auf.
Also wende ich mich ihnen hin und fange an, etwas auf das Papier aufzutragen. Dieses Etwas ist nicht selten ein Motiv aus dem Alltag, welches mich fasziniert und welches sich immer wieder in meine Wahrnehmung drängt, meist im Zustand der Benommenheit und Flüchtigkeit. Als Beispiel sei hier das Stoffknäul genannt. Fallengelassene Kleidung, die sich zu einem Gebirge formt, mit ihren Faltungen das Geheime verdeckt hält und gleichzeitig vergangene Momente speichert. Eine der vielen Schichten, die sich zwischen Innenwelt und Außenwelt befinden. Spitzenstoff, der den düsteren Wald und den Sternenhimmel zugleich beherbergt und seine haptisch–sinnliche Stofflichkeit dann wieder in nüchterne, zellartige Gewebsstrukturen auflöst.
In meinem Arbeitsprozess gebe ich mich der Situation hin, etwas zu erahnen, aber nicht zu wissen. Also arbeite ich weiter auf dem Bestehenden, weitere Schichten Graphit werden aufgetragen und erwachsen zu einem Bildraum. In
diesem Bildraum bewege ich mich. Meine Hände kommunizieren mit meinem Unbewussten durch Hinzufügen und Wegnehmen; Zeichnen, Radieren und Wischen. Bereiche werden abgedeckt, andere kommen zum Vorschein, sie werden aus dem Verborgenen an die Bildoberfläche geholt.
Absichtslosigkeit und der Modus der inneren Bewegtheit sind dabei meine Begleitung. Sich auf die Suche nach etwas zu begeben, bedeutet auch immer ein Risiko. Ein Risiko, es nicht zu finden, Aufwand zu betreiben und am Ende mit der Enttäuschung Vorlieb nehmen zu müssen. Vor allem, wenn man nicht genau weiß, wonach man denn eigentlich sucht. Und wenn der Ort, an dem man suchen muss, dann auch noch kein materiell vorhandener Ort ist, gestaltet sich die Forschungsreise doch recht besonders.
Manchmal reicht aber auch der Glaube und die Hoffnung und das Wissen, dass dort irgendwo noch etwas ist und man nur anfangen muss zu graben.
Marlen Tennigkeit, 2022