Kunstverein Speyer / Kulturhof Flachsgasse
Karin Kieltsch
Fotografie
01.06.07 bis 29.06.07
Karin Kieltsch
Karin Kieltsch: "Stillleben - im Auge" (2007), Analoge Farbfotografie

Die Malerin und Fotografin Karin Kieltsch zeigt in den Räumen des Kunstvereins Fotografien aus unterschiedlichen Werkgruppen der letzten zwölf Jahre. Ausgezeichnet beim renommierten "Aenne-Biermann-Preis", Wettbewerb für Deutsche Gegenwartsfotografie, ist in allen ihren Arbeiten unverkennbar das Auge der Malerin, welches sowohl in Natur und gebauter Welt, als auch in inszenierten Fotografien einen in jeder Hinsicht ungewöhlichen Blick auf bereits Gesehenes eröffnet.

"Karin Kieltsch spürt auch dort noch Formen von Organisationen auf, wo sie der oberflächlichen Betrachtung schon nicht mehr auffallen. Indem sie das Medium nach allen Richtungen auslotet, kreiert sie mit ihrer Art zu gestalten Bilder, die kaum noch sichtbare Vor-Bilder wieder zum Vorschein bringen." (Manfred Schmalriede)

Zur Ausstellung erscheinen ein Portfolio in kleiner Auflage sowie eine fotografische Edition.



Einführung von Alexander Ludwig Heil

Was will ich Ihnen erzählen, was erwarten Sie von mir?
Was ich Ihnen nicht darstellen will, und was Sie vermutlich auch nicht hören wollen, ist ein Abriss der Geschichte der Fotografie. Es wäre ebenso obsolet, bei einer Ausstellung von Zeichnungen und Gemälden damit zu beginnen, über die Höhlenmalerei zu referieren, wenn es sich nicht gerade um Arbeiten im Duktus der frühen Zeichnungen eines Joseph Beuys handelte.

Sie erwarten von mir, wie ich vermute, dreierlei:
1. Reflektionen zum Thema "Bildende Künstler entdecken die Fotografie",
2. einen Rückblick darauf, wie sich "das Sammeln von Photografien" entwickelte,
3. Aussagen zum "fotografischen Oeuvre der Künstlerin Karin Kieltsch".

1.
Erst seit den 1960er Jahren haben sich die Medienkünste als selbständige Gattungen künstlerischen Denkens und Handelns, zunächst trotzig, dann tapfer, heute selbstbewusst, durchgesetzt. Neue Medienkunst ist heute neben den traditionellen Künsten unerlässlich zum Verständnis unserer Gegenwart und Zukunft, sie liefert essentielle Kommentare zu den philosophischen, sozioökonomischen wie auch den naturwissenschaftlichen Gegebenheiten in dieser Welt, bietet also einen Schlüssel zur intellektuellen Auseinandersetzung.

Wie war das nun mit der Entwicklung der Fotokunst, mit den Wechselwirkungen zwischen Fotografie, Malerei und Grafik? Erst 1977 wurde das Thema in einer überfälligen Ausstellung "Malerei und Fotografie im Dialog" im Kunsthaus Zürich gründlich aufgearbeitet und in einer mehr als 400 Seiten starken Dokumentation öffentlich gemacht.

Hier einige Spotlights aus dem Themenkreis "Malerei und Fotografie":

- Der Maler und Bühnenbildner Daguerre (1787-1851) entwickelt die ersten patentierten
Aufnahmen (Daguerreotypien) von Paris um 1837 als ernst zu nehmende Fotografien.
- Marcel Duchamps (1887-1968) ist als Maler von der durch den Amerikaner Muybridge
(1830-1904) erfundenen Bewegungsfotografie so begeistert und angeregt, dass er in der
Folge ein eigenständiges fotografisches Oeuvre hinterließ.
- John Heartfield (1891-1968), Maler und Schriftsteller, gibt die Malerei zu Gunsten der
weltberühmten politischen Fotomontagen auf.
- Laszlo Moholy-Nagy (1895-1946) war erst Maler und Plastiker, wird später Fotomonteur,
zwischen 1923 und 1928 Gründer und Leiter der Fotoklasse im Bauhaus.
- Florence Henri (1893-1982) studiert Malerei bei Schwitters in Berlin und in Paris bei Léger,
bevor sie am Bauhaus bei Josef Albers und Laszlo Moholy-Nagy zur Fotografie wechselt.
Sie ist befreundet mit Man Ray und bildet später die berühmte Fotografin Gisèle Freund
aus. Im Foto experimentiert sie mit Spiegeln und Prismen, bewegt sich im Spannungsfeld
von Bauhaus, Dadaismus und Surrealismus, bevor sie im Spätwerk wieder zur Malerei
zurückkehrt.
- Wols (1913-1951) erhält 1924 seinen ersten Fotoapparat, macht eine Fotolehre in Berlin
und profitiert seit 1946 als Maler von seinem fotografischen Werk.
- Bernhard Becher (geb. 1931), an der Akademie Stuttgart ausgebildeter Maler, wechselt
komplett zur Fotografie und wird Professor in dieser Gattung. Er gründet den
Studienbereich Fotografie an der Akademie Düsseldorf und arbeitet dort im Seminar mit
seiner Frau Hilla, einer ausgebildeten Fotografin. Becher brachte als seine Schüler weltweit
angesehene Fotokünstler hervor wie Andreas Gursky, Candida Höfer, Thomas Ruff oder
Thomas Struth.

Soweit: Vorläufer / Vorbilder / Vordenker.

2.
Die erste Fotogalerie hat Julian Levy 1931 in New York gegründet. Er wurde durch Man Ray, Marcel Duchamps und Moholy-Nagy auf die zeitgenössische europäische Fotografie der späten 1920er Jahre aufmerksam und zeigte fast alle damaligen Avantgardisten, jedoch mit geringem Erfolg. Einzelne Sammler von Kunstfotografie gab es schon immer, vor allem was die Inkunabeln der Fotografie betraf.
Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts gab es gemäß den Aufzeichnungen von Gisèle Freund in Amerika etwa 50 große Sammler und Institute, die bereit waren, beträchtliche Summen für Fotografien auszugeben. Bereits in den 1940er und 1950er Jahren waren weltweit großartige Fotozeitschriften entstanden. Im deutschsprachigen Raum war magnum eine richtungweisende Publikation mit Aufnahmen von hohem künstlerischem Niveau.
Die Galerie Klihm in München verschrieb sich in den 1960er Jahren der Kunstfotografie, in den 1980er Jahren folgten Galerie und Fotoverlag Mosel und Tschechow, ebenfalls München. Auch Kunstvereine und Museen kümmerten sich seit den 1970er Jahren um die Gegenwartsfotografie. Zum Beispiel präsentierte Michael Schwarz im Badischen Kunstverein Karlsruhe Positionen zeitgenössischer Fotografie in einer über Jahre fortgesetzten Ausstellungsreihe. 1984 entstand in Frankfurt mit dem Fotografie Forum international im Leinwandhaus ein weiteres Zentrum für Kunstfotografie. Der Kunsthandel mit Fotos begann zu boomen, die Preise explodierten.

Heute besetzt diese Kunstgattung ein beträchtliches Marktsegment, in dem weltweit erhebliche Millionensummen umgesetzt werden. So hat der Auktionator Dietrich Schneider-Henn am 21.06.07 in München mit seinem 180seitigen Angebotskatalog etwa 600 Fotografien aus allen Epochen unter dem Hammer. Preise zwischen 200 EUR und mehr als 10.000 EUR sind mittlerweile üblich.

3.
Manfred Schmalriede und Günther Wirth, beide Kunsthistoriker und als ausgewiesene Kuratoren Kenner des Werkes von Karin Kieltsch, haben auch die fotografischen Arbeitsphasen der Künstlerin zwischen 1995 und 2004 in umfangreichen Katalogtexten intensiv gedeutet und ausführlich bewertet. Das erlaubt mir, nach wenigen Vorausbemerkungen vornehmlich auf die neueren photografischen Werke einzugehen. Die beiden Kataloge mit den Texten sind im Foyer einzusehen und verkäuflich.

Meine erste Begegnung mit Karin Kieltsch hatte ich 1995. Als Vorstands- und Jurymitglied des Badischen Kunstvereins Karlsruhe machte ich einen Atelierbesuch, um im Vorfeld einer Ausstellung Bilder und Zeichnungen auszuwählen. Seither verfolge ich das Werk der Künstlerin mit großem Interesse und habe bis heute mit meiner Frau einen ansehnlichen Querschnitt von etwa zwei Dutzend Arbeiten in unsere Kunstsammlung eingegliedert.


"Karin Kieltsch - Fotografien"
Ein Feuilleton von Alexander Ludwig Heil

Ein Medienwechsel ist für Malerinnen und Bildhauer, wie wir seit Beginn des Fotozeitalters vor etwa 175 Jahren wissen, in der Kunstgeschichte nicht ungewöhnlich.
Die traditionelle Fragestellung der Ästhetik, ob denn innerhalb eines Systems der so genannten Schönen Künste eine künstlerische Aussage, die in einem Medium gemacht wurde, geradewegs in ein anderes umgesetzt werden kann, hat Karin Kieltsch für sich ganz eigenständig beantwortet: geordneter Rückzug aus der Malerei und gleichzeitig ein behutsamer Aufbau der Fotografie. Zuletzt kulminierte ihre Malkunst in der Darstellung komplexer, in Raum und Zeit verspannter und verschränkter Körper - bedrohliche Psychogramme einer sensiblen, mitunter gefährdet anmutenden Kunstfigur. Form und Inhalte der Malerei schienen ausgereizt, während gleichzeitig die biografischen Rahmenbedingungen auch künstlerisch einen Neuanfang, eine Wende, ein neues Medium forderten.
Das 2004 fertig gestellte, 190 x 180 cm große Tafelbild "Selbst und Welt" lässt sich als Schlüsselbild der seit 1995 allmählich - vorläufig? - zu Ende gehenden Malerei und seither ausschließlichen Hinwendung zur Fotografie deuten.

In diesem eindrucksvollen autobiografisch angelegten Malwerk sind bereits als formale Zitate Plexiglasscheiben, Gegenstände aus dem Atelier, ein zurück gezogener roter Vorhang vor einer sich nachtdunkel öffnenden Außenwelt erkennbar. Ein sichtbar gereifter, durch Ocker- und Brauntöne, ähnlich den frühen Antesfiguren stigmatisiert erscheinender, aber eindeutig selbst bestimmter Frauenkörper beherrscht das Bild, will es schier öffnen. Die zur selben Zeit in den Fotos noch dargestellten Malutensilien verschwinden im Gemälde kaum merklich im rechten unteren Bilddunkel. Pinsel und Farben sind beiseite gelegt, kurz darauf auch im photografischen Werkabschnitt ad acta. Die persönliche und künstlerische Vergangenheit ist bewältigt. "Die Gefühle der früheren Maler behindern uns. Vielleicht kann uns die Photographie von früheren Vorstellungen befreien." (Henri Matisse in Life 1, 1936)

Karin Kieltsch schreibt im August 2004:
"Der unaufhörliche Wunsch, in der Welt Gesehenes und Empfundenes sichtbar zu machen, äußert sich im Versuch, die eigene Existenz mit dieser Welt zu verknüpfen."
Sie kennt nun den Weg, mittels der Kunstfotografie ihre Dinge, die Objekte im Atelier, und gleichermaßen darüber hinaus den engeren Lebensraum selbst bestimmend ins Auge zu fassen und den gewählten Augenblick festzuhalten. Diese Position umfasst ihre persönliche beobachtete Wirklichkeit, während die nun mittels analoger Kamera (Nikon 401S oder Nikon F4) gefertigten Aufnahmen für den Betrachter auch völlig neue, andere Assoziationen eröffnen.

"…I really believe there are things which nobody would see unless I photographed them." (… Ich glaube wirklich, dass es Dinge gibt, die niemand sehen würde, wenn ich sie nicht fotografiert hätte. Diane Arbus)

Alles ist ruhig, nichts schreit in Karin Kieltschs Fotos. Wir staunen über Sujets, Arrangements, Form, Licht und Farbigkeit oder auch Unschärfen der Fotos, die besser Aufnahmen heißen sollten. Warum Aufnahmen? Karin Kieltsch nimmt eine Idee, arrangiert sie im Kopf zum Bild, entscheidet über die Idee und ihre Ausführung und hält dies fest: nimmt auf, was sie als ihr Seherlebnis dokumentieren möchte. Diese Fotos sind somit keine zufälligen Schnappschüsse oder Trouvaillen. Es sind Symbolträger, Koordinaten in einem System von Befindlichkeiten, autobiografische Katalysatoren, ohne dass das persönliche Anliegen hinter der Kamera platt den inhaltlichen Vordergrund der Arbeiten besetzt.

So angelegt, fällt den Fotos und Serien der Räume und der Dinge im Atelier eine künstlerische Verbindlichkeit, ein Wert zu. Sie sind nicht ausschließlich Abbild, sondern sie sind Kunst.
In den Fotoserien finden wir eine zunehmende Verdichtung von Stimmung und Ausdruck. Karin Kieltsch fotografiert sich ihre Vorstellungen von Harmonie zwischen Licht und Raum, Form und Farbsetzung seriell aus der Seele. Die Gegenstände hinterlassen auf den Fotos scharfe und unscharfe Lichtspuren, Augenblicke einer sensiblen Existenz. Indem sie ihr Augenmerk bewusst und zielgerichtet auf die natürliche Außenwelt richtet, erschließt sich Karin Kieltsch um das Jahr 2005 neue Form- und Inhaltsfelder. War die Kamera in den Fotos "Hommage an Sibylla Merian" noch auf Nature morte et privée, auf gefundene, gesammelte Naturfragmente im Atelier gerichtet, so ist der Schritt aus den eigenen Räumen hinaus in die Natur eine mutige und folgerichtige Entscheidung. Schier unbegrenzte Möglichkeiten geraten in den entdeckenden, prüfenden Blick, über den Blick in das Objektiv und auf die Bildträger aus Papier, Folie, Metall.

Ab 2006 beschließt Karin Kieltsch, Fotoserien auch mit der Digitalkamera (Nikon D70) zu fertigen, etwa die Serien von Baumrinden, Gebirgslandschaften, Vorhängen. Die Naturfotos, so zum Beispiel die sensibel farbchangierenden Rindenabbilder, eine Mikrowelt, die man in ihrer natürlichen Umgebung leicht übersieht, oder die minimierten Reihen von Gebirgspanoramen wollen nicht so recht in das "Bild", das Gesamtbild der Arbeit von Karin Kieltsch passen, wie wir es bisher kennen gelernt haben. Hat sich die Künstlerin womöglich - nach der Selbstbespiegelung mittels der Malerei und den folgenden fotografischen Abhandlungen von Objekten, Architektur und Technik - unter dem angestrengten Druck eines Vollkommenheitsanspruchs der Darstellung der natürlichen Außenwelt verschrieben? Provoziert sie vordergründige Aha-Erlebnisse, indem sie trickreich Mikro- und Makrodimensionen vertauscht?
Nein - Karin Kieltsch wendet sich in detaillierter Kenntnis all dessen, was seit etwa 175 Jahren an Naturablichtungen publiziert wurde, dennoch dieser Materie zu, weil sie Natur nicht ausschließen kann in der Anerkennung eigener Vorstellungen von Innensicht und Außensicht, vom Nebeneinander von Kultur und Natur. Indem sie die Sujets in ihrem Umfeld relativiert, vertraute natürliche Größenverhältnisse verändert, vollzieht sie einen logischen Schritt der Befreiung, überschreitet eine Grenze und bezieht Position gegenüber der natürlichen Außenwelt. Das genaue, unkonventionelle Hinsehen gibt ihren Künstlerfotos gegenüber dem schieren Abbild in Form- und Farbgebung eine neue, höhere Qualität, verleiht ihnen über eigenständige Aussagen, Wertungen, Bestimmungen einen persönlichen Stellenwert. Der persönliche Akzent erhöht das Naturfoto und ermöglicht der Naturinterpretation neue Sichtweisen. Behutsamkeit und Langsamkeit, vor allem bei der Arbeit an den Sequenzen, sind dabei unerlässlich.

Der Blick für den Augenblick, das subjektivierte Objektiv wird für die Künstlerin zum Glücksfall, zum befreienden Erlebnis.



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Karin Kieltsch: "Stillleben - im Auge" (2007), Analoge Farbfotografie