Stadt Landau in der Pfalz / Städtische Galerie Villa Streccius
"landschafftkopf"
Malerei und Plastizität
25.10.08 bis 30.11.08
Johannes Gervé, Stefan Kunze und Reinhard Voss
Johannes Gervé, Stefan Kunze und Reinhard Voss

"landschafftkopf", unter diesem Titel präsentiert die Kulturabteilung in der Städtischen Galerie Villa Streccius Arbeiten der Karlsruher Maler Johannes Gervé und Stefan Kunze und des Bildhauers Reinhard Voss.

Das Thema Landschaft und Figur bzw. Kopf zieht sich als Leitidee durch die Ausstellung. Von drei sehr individuellen Standpunkten ausgehend, zeigen die Künstler die Möglichkeit einer gemeinsamen Position auf. Der Bildhauer Reinhard Voss, der bei Balkenhol und Akiyama studiert hat und in Karlsruhe und Nürnberg lebt, hat eine deutliche Affinität zur Malerei, während der Maler Johannes Gervé, Schüler von Klaus Arnold, seinerseits bereits mit Figuren beispielsweise in der Karlsruher Majolika Galerie an die Öffentlichkeit getreten ist. Gleiches gilt für den Maler Stefan Kunze, Student von Neusüß in Kassel und Lüpertz in Karlsruhe, dessen plastische Arbeiten zuletzt im Kunstverein Bruchsal zu sehen waren. Der Dialog zwischen Figur und Landschaft, Malerei und Plastizität verbindet die Arbeit der drei Künstler zu einem großen Ganzen.

Einführung von Gunter Wessmann


Als ich zum ersten Mal Heidegger las, fiel mir folgender Satz auf - und blieb ein Leben lang bei mir hängen. Ich war noch ziemlich jung und habe ihn aus dem Kontext herausgenommen, wie man eine Flüssigkeit in einem Reagenzglas isoliert. Er beschrieb das Dasein (des Menschen) als hinein gehalten sein ins Nichts.
Wie einen buddhistischen Lehrsatz ließ ich diese Aussage innerlich auf mich wirken, versuchte hinter seine Bedeutung zu kommen. Das Dasein, so ging mir nach einigen Jahren auf, ist natürlich nicht ins Nichts hinein gehalten, sondern ins Es.
Das Es steht für unser Raum-Zeit-Kontinuum, für diesen Planeten, die Konventionen unserer Gesellschaft. Wir kommen eine Weile als Gäste genau hierher, wo wir jetzt sind. Aber das Jetzt ist anscheinend nicht leer, es ist besetzt mit Beziehungen, Bedeutungen, physikalischen und sozialen Konventionen. Wir alle essen öffentlich und verrichten unsere Notdurft heimlich, der Apfel fällt "vom" Baum und nicht "zum" Baum, gestern wird niemals heute werden.

So wie es den Menschen nach dem variierten Wort Nietzsches ergeht, genauso ergeht es den Objekten, die Künstler in die Welt setzen. Sie arrangieren sich mit dem Es oder sie verschwinden. Es beginnt eine Interferenz zwischen Kunstwerk und der Welt, zwischen Konvention und Vorstellung, Anpassung und Widerstand.

Stefan Kunze

Anpassung und Widerstand - da sind wir nun in der Malerei von Stefan Kunze angelangt. Es gibt ein stark subversives Potential in der Arbeit von Stefan Kunze. Mit vulkanischer Energie brechen abstrakte Formen in nahezu akribisch formulierte gegenständliche Passagen. Spektakuläre Aufsichten von Häusern, Autos und Landschaften werden in freie, scheinbar absichtslose haptische Kompositionen eingezwungen. Ein ungeheurer Kraftaufwand fügt diese Einzelteile zu einem Ganzen. Immer eine Collage der Welt, irrational erscheinend und von bedingungsloser Subjektivität, so das man fast von einer halluzinierten Wirklichkeit sprechen könnte.
Der Prozess des Malens selbst ist das Thema seiner Arbeit, hinterfragt, demontiert und demaskiert unsere erlebte Wirklichkeit. Die frappierende Präsenz dieser Arbeiten wird eben durch diese Brüche erzielt.
Von transparenter bis zu mit extrem pastoser Ölfarbe gemalte, mit skizzierenden Ölkreidelinien konterkarierte Teiche, Flüsse, Berge, Häuser oder auch einfach nur gegossene oder geschüttete Flächen. Zwischen scheinbar erzählerischen Momenten ein verstörendes neongelbes Rechteck, wie ein Rapsfeld im Gewitterlicht, das viel zu kadmiumrote Dach eines Hauses, das nur ein Fenster besitzt, die Verführung des Betrachters zu einem Symbol, einer Wahrnehmung, die bei etwas Nachdenken jeder gesehenen Wirklichkeit entbehrt. Das Abbild eines Baumes, den man so nicht wirklich sehen kann.

Wieder eine Falle, in die sich der Verstand einhakt, eine trügerische Dinghaftigkeit, die den Sehenden auf die Fehler seiner Wahrnehmung zurückwirft. Stefan Kunze taucht tief ein in die Konventionen des Es unserer Welt, nur um uns dann aus den Materialisierungen unserer Gedächtnisfragmente eine neue, nie gesehene Wirklichkeit zu erschaffen. Wie genau er die uns umgebende Welt betrachtet kann man anhand der ausgezeichneten Landschaftsskizzen feststellen. Wieder trifft das Kürzel oder Symbol auf gestaltete Fläche, man kann die Bleistiftzeichnungen schlüssig sowohl abstrakt als auch gegenständlich betrachten.

Reinhardt Voss

Das Dasein als hinein gehalten sein ins Es. Bei den Arbeiten von Reinhardt Voss drängt sich mir die Frage auf, ob das Es nicht Bewußtsein besitzt - ein Paradigmawechsel. Die Holzreliefs von Reinhardt Voss besitzen eine ausgeprägte Persönlichkeit, beinahe wie afrikanische Masken. Jedoch geht keinerlei animistische Bedrohung von ihnen aus. Durch aufwendige Herstellung - häufig wird die natürliche Maserung des Holzes noch durch Erhabenheit und Einfärbung betont - entwickeln seine Reliefs suggestive Individualität. Ebenso wie bei Stefan Kunzes Bildern bleiben die Spuren der Herstellung ein entscheidendes Gestaltungselement.
Es bleibt mir als Maler verschlossen, wie man die Maserung des Holzes derartig präzise für den werdenden Kopf einplanen kann. Einen möglichen Ansatz dafür findet man vielleicht bei Leonardo da Vincis Lehrbuch zur Malerei: Dort empfiehlt er dem Maler sich doch vor eine verfallene, moosbesetzte Mauer zu stellen und zu versuchen Gesichter zu erkennen und abzuzeichnen, als gute Übung.

Wenn ein Künstler in der Lage ist alle Spuren der Herstellung eines Kunstobjektes offen zu legen, aber alles davon in den Ausdruck der Arbeit übergeht, dann kann man von Meisterschaft reden. Mit welch reduzierten Mitteln hier Köpfe, oder vielmehr deren Abstraktionen, Falsifikationen oder Symbole in extremer Vielseitigkeit abgebildet werden ist überraschend und zeugt von einem großen Repertoire.
Auch hier ist Anpassung und Widerstand, wieder das Spiel mit scheinbarer Realität, Anpassung an das Material, Widerstand als feines Navigationssystem, um mit der Erwartungshaltung des Betrachters zu kommunizieren. Fast meint man die Köpfe atmen zu sehen, sie riechen zu können, trotz aller Abstraktion. Ein verwirrendes Erlebnis!

Manchmal rudimentär, manchmal fast naturalistisch, die Augen nicht vorhanden, die Nase lediglich ein Schatten, vielleicht nur durch ein Ohr als Kopf kenntlich gemacht, eine atemlose blauviolette Färbung, eine herbstlaubfarbene, cholerische Maserung - unser auf einfache Signale gepoltes Gehirn braucht wenige gezielte Informationen um das Puzzle zusammen zu setzen. Hier werden die Grenzen der Konvention von Wahrnehmung ausgetestet. Wir werden von Reinhardt Voss Arbeiten verblüfft und ausgetrickst, man kann sich ihrer Wirkung nicht entziehen.

Die Identitäten der mehrheitlich kleinen Objekte täuschen nicht über ihr subversives Potential hinweg. Sie evozieren scheinbar Bewußtsein aus Stücken von totem Holz. Reinhardt Voss ist der einzige Bildhauer in dieser Ausstellung und auch der einzige, der Menschen darstellt. Jeder von uns, so unterschiedlich unsere Physiognomien auch sein mögen, kann sich die Freude machen und sein persönliches Gegenstück suchen, ich bin sicher, wir werden alle fündig werden.

Johannes Gervé

Johannes Gervé geht einen anderen Weg. Sein Dasein als hinein gehalten sein ins Es stellt Landschaft, insbesondere Seestücke dar. Mit den aufwendig selbst hergestellten Farben, der nach einer geheimen Rezeptur entwickelten Wachsemulsion folgt er auch nicht dem Anschein der Dinge, sondern transzendiert sie in mentale Erlebnisse. Insofern unterscheidet sich Johannes Gervé von seinen beiden Mitausstellenden. Kein vorsätzliches Spiel mit Gegenstand oder Abstraktion, keine Irritation mit Identitäten sondern Malerei als Notiz aus spirituellem Erleben, wie es vielleicht nur Menschen zu Eigen ist, die dem Meer wirklich nahe sind. An dieser Stelle nochmals Dank an den passionierten Segler und meinen erfahrenen Skipper. Hier möchte man die Seeluft einatmen, nicht allein deshalb, weil die Landschaften so realistisch wären, sondern weil die Atmosphären so präzise sind, wovon ich mich bei unserem gemeinsamen Segeltörn dieses Jahr überzeugen konnte.

Bei der Betrachtung von Johannes Gervés Bildern, der isolierten, aber weitestgehend aufgelösten Gegenstände, die den Landschaften unterliegen, wird zusehends klarer, es geht ausschließlich um Stimmungen. Wolken und Wasser - kann man versuchen etwas Unsteteres, Flüchtigeres zur Abbildung zu bringen? Aus zahllosen Lasuren und Ebenen planvoll zur Vollendung gebracht sind die Malereien von einer Frische und Offenheit die das Prozesshafte wieder in den Vordergrund stellt, jedoch anders, als bei Stefan Kunze, verschwindet das Objekt der Darstellung zugunsten des Atmosphärischen.
So vielschichtig und abwechslungsreich wie das Licht zwischen Sonnenauf- und Untergang sind die Farbnuancen die der Maler findet. Selbst in den kleinen Aquarellen, die auf einer Buenos Aires Reise entstanden, sind mit wenigen Linien und Flächen durch die Offenheit der Strukturen exakte Stimmungen wiedergegeben.

In den letzten Jahren reduzierte Johannes Gervé die Gegenständlichkeit weiter. Besonders die Arbeiten aus diesem Jahr wurden zunehmend monochromer. Kaimauern, Gebäude und Boote treten zugunsten des Farbklangs weiter zurück. Nur noch fragmentarisch sind die Relikte einer verschollenen Gegenständlichkeit zu erahnen. Vielleicht könnte er sie vollständig auflösen, ein Schritt weg von der Abbildung hin zum Sein der Landschaft.


In der Ausstellung "landschafftkopf", ein sinniger Titel, der impliziert, dass hier Landschaft mit Kopf gemacht wird, beziehungsweise das (hölzerne) Material als Kopflandschaft dient, sehen wir zwei Landschaftsmaler mit vollständig unterschiedlichen Ambitionen und einen Bildhauer, dessen Arbeiten auf eigentümliche Weise Identitäten simulieren. Gemeinsam ist jedoch allen dreien der souveräne Umgang mit ihren jeweiligen Materialien, die Offenlegung der Herstellungsweise, das Gegenständliche als Ausgangspunkt ihrer Überlegungen sowie die Ernsthaftigkeit ihrer Arbeitsweise.

Die Beschreibung der Welt die, die gegenständlichen Künstler vornehmen bleibt für mich die Beschreibung von Heideggers Es, also der Welt der sozialen und physikalischen Konventionen, die, wie wir nun gesehen haben, subjektiv extrem variiert - das ist der Reichtum des Menschen und der einzige Hinweis auf das, was wir jenseits dieser Welt sein könnten.





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