Rhein-Pfalz-Kreis / Schloss Kleinniedesheim
Claudia Berg
Otto-Ditscher-Preis 2009 - Buchillustration
19.09.09 bis 18.10.09

Otto-Ditscher-Preis 2009: Claudia Berg (Halle an der Saale)

Förderpreis 2009: Marc Friese (Schmelz)


Urteil der Jury

Der Otto-Ditscher-Preis der Verwaltung des Rhein-Pfalz-Kreises (früher Landkreis Ludwigshafen) für Buchillustration wurde am 02.04.09 von der zwölfköpfigen Jury Claudia Berg aus Halle zuerkannt.

Begründung: Claudia Berg hat unter den drei vorgegebenen Texten - einer Erzählung von Sebald, einer Marokkoszene von Canetti und einer Szene des Neuen Testamentes - das Thema "Jesus vor Pilatus" gewählt. Auf fünf Radierungen zeigt sie die Isolation der handelnden Figuren und ihre Unmöglichkeit einer Verständigung. Hochkonzentriert und ohne erzählerische Details wurden sowohl die emotionale Befindlichkeit, wie das Ausgesetztsein von Jesus und Pilatus, in lapidarer und zugleich gezügelter Heftigkeit graphisch meisterhaft vor Augen geführt. Dafür wurde ihr der Hauptpreis in Höhe von 7.500 EUR zuerkannt.

Der Förderpreis von 1.500 EUR ging an den 1979 geborenen Marc Friese aus Schmelz/Saarland. Er hat auf vier Blättern in experimentellen Bildmontagen sensibel die Doppelbödigkeit der literarischen Vorlage erfaßt und persönlich interpretiert.


Einführung von Clemens Jöckle


Buchillustration als aufs Engste mit der Entwicklung des Buchdrucks verknüpfte Kunstform, erfährt eine dreigeteilte Aufmerksamkeit. Einerseits ist sie aus dem Blickwinkel der Gegenwart angesichts des Aufkommens neuer Technologien und Mediensparten der rasenden Beschleunigung des Lebens entgegengesetzt, weil sie sich der, über jeden von uns hereinbrechenden Bilderflut entgegenstemmt und den Betrachter zu genauem Hinschauen, zum Verweilen vor dem Bild zwingt will er die Aussage der Illustration in ihrem Verhältnis zum jeweiligen Text ergründen. Man wird dabei an die von Wilhelm Hauff 1825 verwendete Formulierung von der Buchillustration als "Übersetzungsfabrik" aus dem einen Medium in das andere, eben vom Text in das Bild erinnert. Oder, um es mit der Germanistin Shin Hyun Sook von der Frauenuniversität in Seoul zu formulieren: "Illustration heißt Sehen am Bildersehen erlernen". Die Illustration ist ein Lernvorgang am literarischen Text.

Andererseits war sie aus dem zurückgewandten Blickwinkel gesehen von Anfang an wegen ihrer höheren Mobilität gegenüber den klassischen Künsten wie Malerei und Skulptur als Grafik selbst Teil jener Medienflut der Zeit, die rasch reproduziert, verbreitet und dargeboten werden konnte. Illustration war und ist in Zeiten rascher gesellschaftlicher Wandlungen ein erstrangiges Medium der Übermittlung von Meinungen - der Illustrator ist quasi als erster Rezensent des Textes geworden und darüber hinaus Anreger und Beschleuniger einer bestimmten Sichtweise auf den Text hin. Er verdeutlicht, verschärft bereits durch die Auswahl des Motivs und dessen Darstellung.

Die Grundforderungen an eine Illustration sind seit den Tagen der Inkunabeln letztlich die gleichen geblieben, formal ein harmonisches Ganzes zu schaffen und die Darstellung mit ihren Motiven dem Text zuzuordnen. Der Illustrationsbegriff kann weit ausgelegt sein, in wörtlicher Übersetzung von "illustrare" als Erleuchtung des geschriebenen Wortes dem Text zugeordnet sein und somit, wie schon angedeutet, eine eigenständige Interpretation des Textes durch den Künstler darstellen. Die Illustration wird auf diese Weise zur bereichernden Unterstützung für Interpretation und Aussage des Textes. Es kann eine Spannung zwischen Dichterwort und Deutung durch die dargestellten Bildmotive entstehen. Das sinnliche Aufnehmen optischer Reize ruft das abstrakte Erkennen von Sinn- und Bedeutungszusammenhängen, sagt die Germanistin Shin Hyun Sook von der Frauenuniversität in Seoul in ihrem Essay: "Wahrnehmung und Erkenntnis, das Sehen bei Elisa Canetti" Die andere Rolle der Illustration ist die Paraphrase des Textes. Hier werden bestimmte Passagen des Textes in eine Bildkomposition übersetzt. Beide Möglichkeiten, oftmals miteinander und ineinander verwoben, sind von den Teilnehmern des Otto-Ditscher-Preises aufgegriffen worden.

Zum Dritten ist die Illustration selbst erweiterungsfähig, indem sie die technischen Möglichkeiten der neuen Medien aufgegriffen und zu neuen künstlerischen Formen verarbeitet hat. Sie partizipiert an den Bildmöglichkeiten, weil sie ein diskursives Forum mit dem Eröffnen der detaillierten Wahrnehmung als auch der Ganzheitlichkeit des Erkennens bietet. So kann eine Illustration mehrere Betrachtungsebenen besitzen. Ihre Darstellungen können im Idealfall zum aufschlussreichen Einblick in Phänomene des Lebens werden und so zu einer Geistbildung, Meinungsbildung, Schärfung der eigenen Positionen und vielem mehr beitragen. Canetti sagt dazu: "Sehen ist aktiv, bringt neue Bildwelten hervor."

Diese dreifache Aufmerksamkeit spiegelt die diesjährige Ausschreibung des Otto-Ditscher-Preises für Buchillustration, wenn die Teilnehmer aus drei von Manuel Thomas, Schriftsteller und Bildender Künstler in München, ausgesuchten Texten einen zur Illustration bestimmt, die in ihren Augen dazu angemessene grafische Technik festgelegt und dann die Motive ausgewählt haben. Die Brotwahl von Elias Canetti, die Erzählung von W. G. Sebald, Dr. Henry Selwyn, oder der biblische Text als Kombination aus dem Johannesevangelium, ergänzt um eine Passage des Matthäusevangeliums: "Jesus vor Pilatus" standen zur Wahl.

Der diesjährige Förderpreisträger Marc Friese hat Sebalds bildmächtigen Text mit Hilfe von Bildmontagen in eine adäquate Illustrationsform umgesetzt. Er konnte etwa Sebalds Beschreibung eines am rechten Bildrand beschnittenen Artikels aus der Lausanner Zeitung, also eine in den Text eingeflossene, pseudo-dokumentarische, detailgetreue Schilderung mit dieser Montagetechnik über die illustrierte Textstelle hinaus, die bei Sebald versuchte Rekonstruktion von Geschichte und Geschichten durchleuchten. Ebenso verfuhr Friese mit den im Text vorhandenen Überblendungen, welche wiederum den Realitätsgedanken der geschilderten Wahrnehmung auszublenden vermögen: Bei Marc Friese erscheint dies als Auslöschung in anfangs transluzider Helle und später zum Opaken, und damit Dunklen, führender Verdichtung. Sie erinnert wiederum an Landschaftsbilder der Romantik und spiegelt damit über das handfeste Erlebnis, eine mit den Gemütszuständen der Titelfigur korrespondierende Seelenlandschaft. Ebenso wechselt die Skala von der fotorealistischen Schilderung zu ebensolchen Fragmenten. Aus Bild und Text konstituieren sich intermedial die zirkulär angeordneten Umsetzungen und Übergänge, wenn beispielsweise ein Text dargestellt wird und ein Bild narrative Struktur erhält und somit erzählt.

Eine von Claudia Öhlschläger verfasste Interpretation des Textes von Sebald spricht von unabschließbaren Rahmen, stillgelegten Bildern, die Assoziationsketten aus dem Bildhaften hervorrufen. Dieser Illustrationsansatz des intuitiv durchdrungenen Textes in erzählenden Details wird der Textvorlage in besonderer Weise gerecht und schafft zugleich einen frischen, ungewohnten Illustrationsstil, der am Rechner mit Macintosh und Grafiktablett entwickelt worden ist. So ist der Beitrag von Marc Friese ein gutes Beispiel, dass mit einem Förderpreis das Innovative und Ungewohnte, auch das Experimentieren, unterstützt wird.

In die engere Auswahl der letzten Runde, und deswegen in die Ausstellung, kamen noch Susanne Theumer, deren subtile technische Brillanz und kühne figurative Umsetzung mit dem Ditscher von 2003 ausgezeichnet war, und Matthias Roloff, Berlin, der mit den Mitteln der Verdichtung und der Auflockerung gearbeitet hat. Oder Sandy Winkler aus Halle an der Saale, die mit Hilfe von Papierschnitten die szenischen Schilderungen in der Erzählung Sebalds betont hat. Diese Technik hat in Europa im 19. Jahrhundert die Lektüre von Klassikern, etwa bei Paul Konewkas (1841-1871) Faustillustrationen oder Ludwig von Breitschwerts Bildern zu Mörike (1833-1917) erleichtert. Mit Hilfe der Bleistiftzeichnung hat Steffen Bittmann sich Sebalds Text genähert und charaktervolle Bildnisse geschaffen, die die literarisch fixierten, dramatisch aufgewühlten Seelenzustände obsessiv dem Betrachter vor Augen führen.
Zu Elias Canetti "Die Brotwahl" haben beispielsweise A. Alexej aus Leipzig und Ulla Wallbach Radierungen in Kaltnadel und Ätztechniken eingereicht, die in ihren unterschiedlichen Techniken entsprechend unterschiedliche Bildwirkungen, ganz im Sinne der Erzählung Canettis, hervorgebracht haben. Die in einer Art erotischer Inszenierung, mit sinnlich lustvoller Passion ihre Brotlaibe feil bietenden Frauen in Marrakesch hat Klaus Fresenius, Speyer, in bewegungsstarken Tuschezeichnungen erfasst und so mit einfachsten zeichnerisch reduzierten Mitteln, die im Darbieten erfolgte, zwischenmenschliche Kommunikation herausgestellt.

Der Otto-Ditscher-Preis wurde Claudia Berg aus Halle an der Saale von der Jury zuerkannt. Diese meisterhaften Blätter haben sich der Passionserzählung des Johannesevangeliums gewidmet und in den fünf Beispielen die Isolation und Vereinsamung der handelnden Personen, trotz der Dialogsituation, in der sie sich befinden, thematisiert.
Die altmeisterliche Technik der Radierung in ihren expressiven Ausdrucksmöglichkeiten hat sich als adäquat für diesen Text erwiesen. Das Gespräch ist unmöglich geworden, weil zwei Bildwelten unterschiedlich in Licht und Dunkel in auffälliger Präsenz und dem Verschwinden hinter Spuren und Zeichen unvereinbar aufeinander treffen. Der Riss, der die Erscheinungsbereiche trennt, ist künstlerisch gewollt. In emotionaler Befindlichkeit sind Jesus und Pilatus ganz unterschiedlichen Wirkmächten ausgesetzt - das Reich des Einen als "nicht von dieser Welt befindlich" charakterisiert, das der Andere nicht verstehen will. Die lapidare, und wie die Jury zu Recht befand, gezügelte Heftigkeit ist mit sparsamen Mitteln meisterlich vor Augen geführt.

Bei der Geißelung hängt der geschundene Leib, einem Hiob nicht unähnlich - er ist ja typologisch gesehen alttestamentliches Vorbild für Christus - zwischen der Säule zusammengesunken. Das rohe Handeln der Knechte wird mit Umrisslinien angedeutet. Ihre Gebärden und Haltungen nehmen den Hieb an, den sie mit der Geißel ausführen werden. Ihre Gesichter sind liniengrafisch scharf umrissen, während das mit kraftvoll gesetzter, dichter Schraffur modellierte Christusantlitz in dem Versinken des Leidens an die mittelalterlichen Andachtsbilder des "Erbärmenden Christus" erinnert; der willenlos durchhängende, gepeinigte Leib erscheint beinahe sozial anklagend als Spiegelbild der menschlichen Leiderfahrung schlechthin. Dies wird auch in der, aus Menschenleibern gebildeten Formation, an der Jesus vorbeigeführt wird, deutlich. Der Erbärmende-Christus mit den ausgebreiteten Armen taucht nochmals auf, ob als Umarmungsmotiv oder Kreuzigungsgestus aufgefasst bleibt offen. Aber auch die Gestalt des Pilatus bedrückt, ein von Zweifeln Zerissener, der sich in das als Herrscherattitude aufgefasste Stück Mantel verkriecht.

Den Satz von Elias Canetti "Sehen ist aktiv, bringt neue Bildwelten hervor" möchte ich angesichts dieses biblischen Radierzyklus und der Sebaldillustrationen des Förderpreisträgers erweitern, Sehen bringt nicht nur neue Bildwelten, sondern vor allem auch neue Weltbilder hervor, was den künstlerischen Rang der beiden Preisträger unterstreicht.

Frau Berg, Herr Fries, der Beifall gebührt Ihnen.





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