Vernissage am 17.04.11 um 11.00 Uhr Einführung: Martina Cerin (Speyer) Musik: Liedermacherin Martina Gemmar (Neustadt an der Weinstraße)
Einführung von Martina Cerin
Wenden wir uns erst der haptischen Kunst zu: Peter Brauchles bevorzugtes Motiv ist die menschliche Figur. Die Skulptur "Emotion" verdeutlicht dies: Eine männliche Gestalt, gearbeitet aus einem riesigen Pappelstamm, überlebensgroß, nackt, muskulös, kräftig, potent, erhebt sich vor dem Betrachter. Sie schält sich aus der Form, nicht Vollenden ist der Körper ausgebildet. Blockhaft bleiben die Beine, die Arme enden torsohaft nach den Schultern, der Kopf bildet eine eigenartige Form, die schwer zu beschreiben ist. Eine Andeutung des Künstlers, die dem Betrachter Platz für Assoziationen lässt. Mimetische Darstellungen von Mensch und Tier sind typisch für Peter Brauchle. Doch bleibt er nicht bei der Realität. Er transformiert und abstrahiert. Lässt dem Betrachter Raum für eigene Gedanken und Erinnerungen.
In extremer Anspannung biegt die Figur den Rücken nach hinten durch, der Kopf liegt auf der Brust. Die Bewegung ist so stark, dass sie eine Grenze erreicht. Noch ein klein weinig mehr und alles würde bersten. Die Gestalt scheint kurz vor einer Aktion, die Anspannung ist körperlich zu spüren. Sie scheint zu verharren, in einem Moment, wie eine Blitzaufnahme, bevor sie sich mit ihrer gesamten Kraft in Bewegung setzt. Fast barock wirkt die Figur in ihrer verkünstelten Verdrehung. Und doch strahlt sie auch Ruhe aus. Geschlossen in der Form steht sie aufrecht da, wirkt sie kompakt. Zentriert, in sich ruhend. Gegenwärtig, präsent und entschlossen. "Hier im Jetzt, da sein, ruhig im mir, das ist der Schlüsselpunkt. Das ist das Leben. Zentrierung und sich dann der Aufgabe und der Verantwortung stellen." So erklärt es Peter Brauchle selbst.
In der Bewegung verharrende Körper, spannend aufgeladen, machen die Skulpturen von Peter Brauchle lebendig und interessant. Sie faszinieren und irritieren, machen die Arbeiten überraschend. Eingefangen Gegensätze der Ruhe und Dynamik bilden die charakteristischen Grundlagen seiner Ausdruckformen. Das menschliche Abbild steht dabei stellvertretend für das Leben an sich, für all seine Anforderungen und Entwicklungsmöglichkeiten. Es baut sich auf aus einzelnen Phasen und Abschnitten.
Die Skulptur ist eine Weiterentwicklung einer Arbeit in Sylt mit dem gleichen Titel. Doch während das Werk in Sylt, gefertigt für eine Freiluftausstellung am Strand, in Aluminium glänzt und die Strahlen der Sonne reflektierte, ist diese hier in Holz gearbeitet. Das Material und seine Oberflächenstruktur spielen immer eine große Rolle bei Peter Brauchle's Arbeiten und sind Teil der Sinnhaftigkeit. Jedes Material hat eine ihm innewohnende Aussage. Während Metall sehr hart wirken kann und sich weniger verändert, ist Holz ein Rohstoff, der arbeitet. "Holz ist weicher und verletzlicher, ist gewachsen, es ist vergänglich und seine Struktur hat eine Zeitlichkeit, die man sogar sehen kann". (Peter Brauchle)
Interessanter Weise bekommt diese Skulptur genau auf der Mitte der Brust, wo sich die Rippenbögen treffen, einen Riss. Der Riss zielt auf das Herz des Stammes, das genau da sitzt, wo auch das Herz der Figur sitzen würde.
Intensiv setzt sich Peter Brauchle momentan mit Zwischenräumen auseinander. Die Skulpturen ("Sommer") haben Bänder, die den Oberkörper überziehen. Es sind Brüche, Pausen in der Wahrnehmung, die unser Auge ergänzt. Momente, in denen nichts passiert. Sie erhöhen nicht nur die Spannung, sondern bedeutet auch eine Auflösung der Form. Die Bänder sind ein Hinweis darauf, dass sich die Skulptur aus einzelnen Segmenten aufbaut. "Das Dazwischen interessiert mich. Das Leben besteht auch aus einzelnen Abschnitten, es baut sich auf, aus einzelnen Teilstücken."
"Zwischenräume" nennt der Peter Brauchle hier in der Ausstellung auch demgemäß zwei seiner Stücke. Eine dieser Arbeiten wird Peter Brauchle für den Verein Skulpturen Rheinland-Pfalz in Sandstein umsetzen. Dabei wird das fertige Stück einen Durchmesser von 3,5 Meter aufweisen. Es sind Arbeiten, die formal anders sind und sich erstmal vermeintlich nicht in seine Formensprache einpassen. Doch erinnert man sich dem eben gesagten, fügt sich alles wieder zusammen. Die geometrisch, linsenförmig gestalteten Stücke, sind für Peter Brauchle "Lebensscheiben". Viertel- oder Halbsegmente löst der Bildhauer aus dem Ganzen heraus, schneidet die Scheibe sozusagen an. Die Segmente selbst gestalten sich nun nicht mehr durch Kompaktheit, ihre Form wird aufgegliedert in einzelne Zwischenräume und baut sich - so wie es Peter Brauchle ausdrückt - aus "Sequenzen" auf. Bei der Scheibe aus Holz mit Aluminiumsegmenten wird das am deutlichsten. In den Zwischenräumen, den Zäsuren, die das Metall bildet, sieht man die Lebenslinien und Strukturen des Holzes. Peter Brauchle sagt dazu: "Das Leben besteht aus Erinnerungen, Erziehung und Begegnungen, die prägend sind, die das Leben füllen und es ausmachen. Aus der Figürlichkeit herausgenommen, bleibt der geometrische Körper. Aus der Zeitlichkeit herausgenommen, bleibt eine Sequenz."
Die Figur "Zeitenspringer" verkörpert genau dieses. Die ursprüngliche Form ist bei ihm kaum noch zu erkennen. Es sind der Kopf und die Schulterpartien der Skulptur "Emotion" - nur, dass jetzt an den Schultern Flügel oder Finnen erwachsen. Die wiederum lösen und verdrehen sich. Das Grundgefühl der Dynamik ist sehr wichtig. Nochmals abstrahiert, in der Mimethik reduziert, entwickelt sich beim "Zeitenspringer" eine eigene Form, die zwar noch amorphe Bezüge hat, aber nur durch Erklärung erkennbar ist. Der "Zeitenspringer" ist eine Sequenz. "Er ist", so der Künstler, "in eine andere Zeit gesprungen. Er ist aus einer Form entwickelt, hat aus sich heraus eine eigene Form kreiert, die, durch den Guss erstarrt, bei sich angekommen ist."
Ja, und das ist eine gute Überleitung zu unserem zweiten Künstler, denn "bei sich angekommen", so sagt Xaver Mayer, sind auch seine Figuren. Es sind "Fantasiegestalten", die sich selbst geschaffen haben. Anarchisch, in sich geschlossen, nicht in Böse und Gut geteilt. "Am Anfang" so sagt er, "war ich schon ein bisschen böser". Doch heute sind seine Protagonisten "hoffnungsvolle Fälle". Der Künstler bezeichnet sich selbst als optimistischen Menschen und so sind seine Figuren augenscheinliche Verlierer, aber eigentlich die Gewinner. Denn sie sind zufrieden mit sich selbst, haben sich irgendwie mit ihrer Situation arrangiert und "freuen sich, dass sie einfach da sind".
Auf skurril, schrullige Weise lässt Xaver Mayer sein Figuren agieren. Es sind keine Prototypen von Supermodells, sondern gehorchen ihrem eigenen Schönheitsideal. Die Köpfe sind oft zu groß, manchmal auch zu klein, wenn einer ganz dick ausfällt. Sie haben oft zu viele Haare, die dann abstehen, das nächste Mal sind es zu wenige. Oft tragen sie eine Kopfbedeckung, die dem Ganzen, sozusagen den Hut aufsetzt. Sie schauen den Betrachter meist direkt ins Auge, nicht vorwurfsvoll, nein, sondern mit offenem Blick und großen Augen, lächelnd oder etwas überrascht schauend, aufgrund ihrer momentanen Situation. Mit ihren geröteten Wangen, wirken sie wie aufgeregte Kinder oder auch mal als ob jetzt einer zuviel ins Glas geschaut hätte. Manchmal sind sie auch einander zugewandt, wenn sie sich in Interaktion miteinander befinden. Die Körper sind unproportioniert, die Kleidung lustig, oft mit kleinteiligem Muster. Die Zeichnungen sind frech und schnell hingeworfen, mit vielen Strichen und Krakeleien, und lassen einen Augenblick der Erkenntnis aufblitzen.
Wie auf einer Bühne agieren seine Protagonisten, in fiktiven Landschaften, meist erhöht zum Beispiel auf einem Hügel, oft erscheinen auch kleine Häuselchen. Xaver Mayer inszeniert gerne. Der Künstler ist ein guter Beobachter, so sieht er auch seine Umwelt als unendlichen Quell für seine Ideen. Sein Blick ist überspitzt, seine Darstellungen übertrieben, Satire eben. Seine Figuren erleben die alltäglichen Sorgen und Nöte, die uns überall begegnen. Meist sind es, wie er sagt, "schicksalhafte Fälle", die trotz ihrer misslichen Lage, doch hoffnungsvoll in die Zukunft schauen und denen wir unsere Anteilnahme nicht versagen können. Auf diese Weise, ist "Herr Wichtig" ganz wichtig, im "Rentenalter" führt die Maus die Katze an der Leine, aus der Reihe, darf auch getanzt werden. Die Titel sind Programm wie man sieht und erleben kann. In "Auf die Freundschaft" ist man zwar getrennt durch einen großen Graben, aber das lässt sich bestimmt auch noch irgendwie überwinden. Ab und zu darf der "Sternenpflücker" nach den Sternen greifen und wer "Willenstark" ist, schafft es als Kleiner auf den Großen.
Xaver Mayer ist von Hause aus Zeichner. Die Zeichnung erlaubt feine Linien und Details, durch die seine Motive und Themen den letzten Schliff erhalten. Er selbst bezeichnet sich als zeichnender Maler und so spielt auch die Farbe eine eher untergeordnete Rolle in seinen Bildern. "Sie ist eigentlich ein Eingriff in die Zeichnung" so sagt er. Aufgrund dieser Motivation ist die Radierung, neben der Zeichnung, auch die Technik, die Xaver Mayer entspricht. Als Radierer muss er genau und detailliert arbeiten. Seine Farben sind Kupferdruckfarben. Orange, blau und schwarz. Er wischt sie z. B. in die Haare oder benutzt sie punktuell. Er erzeugt damit eine reduzierte Farbigkeit, in gedeckten Tönen, welche die Zeichnung betont, aber keine wirkliche Buntheit darstellt. Seine Farbradierungen schafft er mit Aquatinta. Dabei ist es wichtig, wie lange die Platte im Ätzbad liegt. Auf diese Weise kann unterschiedliche Farbgebung erzeugt werden. Kratzer der Platte, Linien und Flecken sind stilistische Mittel, bedeuten keine Zäsur, sondern werden bewusst eingebaut. Heiko Jörn, bezeichnet Xaver Mayer als Jongleur, weil er wie ein Gaukler so gekonnt mit dieser Technik jongliert, ohne dass man genau weiß, wie er das schafft. (Zitat aus der Einladung)
Zum Schluss möchte ich noch kurz auf eine Serie von Zeichnungen eingehen, die ebenfalls hier ausgestellt sind. "Die dreizehn Monate". Xaver Mayer hat hier ein Buch mit dem gleichnamigen Titel von Erich Kästner illustriert. Als Künstler hat man die Freiheit, die Welt so zu gestalten, wie man sie sieht. Mit den eigenen Werkzeugen, kann man jemanden fliegen lassen, ihm eine überdimensionale Nase verpassen, ihn auf eine Blume stellen oder dem Jahr einen dreizehnten Monat hinzufügen. In welchem sich dann alle guten Erscheinungen des Jahres tummeln, alle Naturgesetze außer Kraft gesetzt werden und nur die schöpferische Macht des Künstlers zählt, deren er sich voller Wonne hingibt.
Darum möchte ich meinen Text auch mit den Worten von Erich Kästner schließen lassen, auf die mich Xaver Mayer am Schluss unseres Gespräches hingewiesen hat:
"Es tickt die Zeit. Das Jahr dreht sich im Kreise. Und werden kann nur, was schon immer war. Geduld, mein Herz. Im Kreise geht die Reise. Und dem Dezember folgt der Januar."
(Die Zitate sind Gesprächen mit den Künstlern entnommen)
Peter Brauchle
1970 - geb. in Weil am Rhein
1987-1990 - Ausbildung zum Steinbildhauer in Mainz
seit 1997 - selbständig als freischaffender Künstler
Einzelausstellungen (Auswahl):
2005 - Landau, Stadtbibliothek - Neustadt/W., Galerie im Tal
2006 - Speyer, Alter Stadtsaal
2008 Neustadt/W., Foyer der Struktur -und Genehmigungsdirektion Süd
2009 - Neustadt-Mußbach, Herrenhof
2010 - Neustadt/W., Otto Dill Museum
Jurierte Ausstellungsbeteiligungen (Auswahl):
2008 - Mainz, Kunst direkt - Forst, Kunstforum - Preisträger im Bereich Objektkunst
2009 - Kunst am Strand, Rantum/Sylt - Frankenthal, apk-Ausstellung
2010 - Mainz, Kunst direkt - Skulpturenpfad Nußdorf - Kunst am Strand, Rantum/Sylt
2009 - Bad Kreuznach, Kunst am Bau, Krankenhaus St. Marienwörth
2010 - Kreiselgestaltung Altdorf/Pfalz
Xaver Mayer
1956 - geb. in Pirmasens
- Studium Kunsterziehung und Germanistik in Marburg und Landau
seit 1985 - freischaffender Künstler in Landau, Arbeitsschwerpunkte sind Zeichnung, Druckgrafik, Malerei, Illustration
Ausstellungen:
Regelmäßige Einzel und Gruppenausstellungen u.a. in München, Freiburg, Frankfurt, Mannheim, Leer, Mainz, Saarbrücken, Valencia, Haguenau
"Die Protagonisten meiner Bilder sind Wesen, die sich zwischen dem Diesseits und einem Niemandsland bewegen. Manche dieser hoffnungsvollen Fälle sind im Alltag zuhause, andere entspringen imaginären Landschaften und haben lange Wege hinter sich. Über Kopf und Hand landen sie alle im Lack der Kupferplatte, genießen das Ätzbad und den Geruch von Terpentin, bevor sie, vorsichtig geschminkt mit Kupferdruckfarbe und Gaze ihre entscheidende Fahrt durch die Radierpresse machen, um danach auf weichem Büttenpapier zufrieden vor sich hin zu trocknen." (Xaver Mayer)
"Xaver Mayer verwandelt sich in seinen Grafiken und ist deshalb so glaubhaft, da er viele seiner skurrilen Wesen im Innersten gewesen ist, mit aller Einsamkeit, aller Freude und der unumstößlichen Liebe zum Menschen. Xaver Mayer schuf ein ganzes Figurenkabinett von Wesen, die liebenswert, mit sich selbst zwar kämpfend, doch - gleich in welcher Lage - mit sich zufrieden sind. Es gelingt ihm, uns Anteilnahme abzufordern. Alle Personen dieser Bilderwelt sind schicksalsgeschlagene Irrläufer unserer Zeit. Ob Mayer's Farbradierungen aus einer, zwei oder drei Platten gedruckt sind, ist schwer auszumachen.Wie ein Zauberer geht er mit den Farbtönen Blau und Orange um. Die Aquatintaflächen mischen die Farben, die Zeichnung spielt darüber, und sogar die Kratzer auf der Platte werden mit eingebunden, als gehörten sie dazu. Als Grafiker jongliert Xaver Mayer mit mehreren Bällen, ohne dass man genau weiß wie. Bei der Satire lauert die Kunst im Hinterhalt, sie gaukelt uns Unglaubliches vor, um den Nervenkitzel zu erhöhen. Nun wissen wir, dass Xaver Mayer ein Gaukler ist, dem wir gerne zusehen, weil auch wir kitzelig sind."(Heiko Jörn, Leer)