Kunstverein Villa Streccius Landau / Villa Streccius Landau
Science Art II. Bilder zwischen Wissenschaft und Kunst.
Zum Kultursommer Rheinland-Pfalz 2010 "Über Grenzen"
20.08.10 bis 26.09.10

Nach dem ersten großen grenzüberschreitenden Kunstprojekt des Landauer Kunstvereins, das im Jahr 2000 unter dem Titel "Science Art. Synergie der Form" im damaligen Kultursommer stattfand, möchte der Verein zehn Jahre später zum Kultursommerthema "Über Grenzen" die damalige Thematik unter dem Titel "Science Art II. Bilder zwischen Wissenschaft und Kunst" mit neuen Prämissen und Perspektiven weiter entwickeln.

Generell gilt für die Bildende Kunst der Gegenwart, dass sie sich der progredierenden Entwicklungsgeschwindigkeit der Medienwelt nicht entziehen konnte, was mit dem in den letzten beiden Jahrzehnten beobachteten "pictural" oder "iconic turn" zeitlich zusammen fiel. Es ist gerade durch die neuen Medien unübersehbar geworden, dass die globalisierte "one world" sich vor allem durch neue Kommunikationstechnologien auszeichnet, an vorderster Stelle betrifft dies die Welt der Bilder.

Nie war das Misstrauen gegenüber der dokumentarischen Belegkraft von Bildern so groß wie heute, wo letztlich jeder beliebige Bildinhalt, ganz gleich, wie fantastisch er auch sei, digital herstellbar erscheint. Zugleich ist unser Alltag wie nie zuvor von Bildern beeinflusst, ja sogar gesteuert. Schon 1995 formulierte das ZKM-Organ "Mediagramm" in Karlsruhe: "Wer heutzutage erwachsen wird, hat bereits die Junkie-Karriere eines alltäglich mit einer unsäglichen Bilderflut abgefüllten TV-Konsumenten hinter sich."
[1995/19, Sonderausgabe, S. 9]

Viele heutige alltäglich gewordene Phänomene wie das Internet steckten damals noch in den Kinderschuhen. Waren in früheren Jahrhunderten Kunst und Wissenschaft durch die methodologische Ausrichtung der Wissenschaft und die subjektiv-intuitive Vorgehensweise der Kunst weitgehend getrennt - obwohl auch schon seit der frühen Neuzeit (etwa Leonardo da Vincis wissenschaftlich exakte Leichen-Sezierbilder) Grenzüberschreitungen stattfinden - so sind beide Bereiche heute näher als je zuvor zusammen und in ein Dialogverhältnis gerückt.

Die Kunst, welche in der Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts den mimetisch-naturalistischen Abbildcharakter der Kunst überwunden und sich ihre eigene "abstrakte" Wirklichkeit geschaffen hatte, ist heute - auch wenn durch den "iconic turn" scheinbar reale Bildwelten zurückgekehrt sind - in vielen ihren Ausdrucksformen der modernen Medienwissenschaft auf neue Weise verbunden.

Dass zeitgenössische Malerei heute häufig statt ganzheitliche Bilder visuelle Minimalisierungen oder "Elementarteilchen" darbietet, ist vielfach einem analytisches Grundprinzip wissenschaftlicher Methodik in der Kunst geschuldet, welche keine ästhetische Entität mehr leisten will oder kann. Computergenerierte Bildwelten, welche traditionellen "dokumentarischen" Fotografien durch digitale Neukompositionen völlig neue virtuelle Inhalte verleihen und auch Gattungsgrenzen verfließen lassen, lassen die "wirkliche" Welt ins Schwanken geraten. Dass dies neue Parameter erfordert, um über Kunst sprechen zu können, ist keine Einzelerkenntnis geblieben. Dass der Begriff "Zweite Moderne" in einen Kunstdiskurs Eingang gefunden hat, welcher sich mit interaktiven Projektionen und Installationen, virtuellen Videoclips, cyberspace, computerassisted designing, electronic painting u.a. ausdrückt, ist nachvollziehbar.

Wie sehr diese Grenzperspektive im letzten Jahrzehnt an Boden gewonnen hat, belegt etwa das in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends in Berlin durchgeführte große Dialogprojekt "Kunst als Wissenschaft - Wissenschaft als Kunst". Und die 2009 durchgeführte Ausstellung "Intelligible Prozesse - Kunst als Lebensphilosophie" der TU Dresden versuchte als wissenschaftsgestützte Dokumentation einen Spagat zwischen der wissenschaftsabgewandten Lebensphilosophie der vorletzten Jahrhundertwende und der Kunst.

Dies erscheint mir aber nur eine Blickrichtung aktueller Entwicklung, eine andere ist die durch die Globalisierung vorangetriebene Bedeutung von Identität stiftenden nationalen und regionalen Kulturwerten und -traditionen. Wie kaum zuvor ist unsere westliche Welt von der Rückversicherung ihrer eigenen Geschichte und der Erschließung und Revitalisierung ihrer eigenen weltanschaulichen Quellen und ästhetischen Grundlagen geprägt, viele Museumsneugründungen der letzten Jahre zeugen davon. Auch dieser "historic turn" soll unser Ausstellungsprojekt als Grenzbereich von Kunst und Medienwissenschaft aufzeigen.

Insgesamt ist ein experimenteller, theoretischer und interaktiver Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft erhofft, der z. B. Performancekünstler, Foto- und Videokünstler, Filmemacher, Historiker vieler Bereiche, Kultur- und Medienwissenschaftler zusammen führt.

Auch bei der Auswahl der Aussteller bei diesem Projekt sollen geografische wie institutionelle Grenzen überschritten werden, durch Künstler aus USA und Deutschland, der "parallax raumprojektion" sowie dem Zentrum für Medientechnologie in Karlsruhe und universitäre Institutionen wie die Professor für Interaktive Medienkunst der Fachhochschule Mainz.
(Heinz Setzer)

Folgende Darstellungen sind eingeplant

19.09.10 | 14.00 Uhr | Filmwelt Landau
Stereoskopische künstlerische 3D-Filme von Nikolaj Vialkowitsch und "parallax projektionen" (Karlsruhe und Stuttgart)
3D Projektionen mit Ton von digital aufbereiteten historischen Stereofotografien des Filmemachers und Regisseurs Dipl-Psych. Nikolaj Vialkowitsch, seit 1994 freier Kulturredakteur des SWR und SWF, der viele Hundert Magazinbeiträge für alle großen TV-Sender erstellte.

2005 entwickelte er erstmals eine 3D-Installation über Baden-Baden zur Zeit der vorletzten Jahrhundertwende. Mittlerweile erforscht die "parallax raumprojektion" in Karlsruhe, deren Gründer und Leiter er ist, die Möglichkeiten, historischer Stereobilder des 19. und 20. Jahrhunderts in Stereofilme umzuwandeln. Dabei werden künstlerische Perspektivewechsel möglich von der Totalen zum Detail oder umgekehrt, welche nicht den Eindruck einer stereoprojektiven Bilderschau erwecken, sondern lebender Bilder. Die Technik der fotografischen Stereoskopie, welche heute als exotisches Relikt der Frühzeit der Fotogeschichte anmutet, war im 19. Jahrhundert ein weit verbreitetes Massenmedium. Branchenführer Keystone in USA verkaufte um die Jahrhundertwende täglich um die 30.000 stereoskopische Aufnahmen, auch in Deutschland wurden viele Städte und Ereignisse stereoskopisch festgehalten, ein Bildmaterial, das mit der Erfindung des Kinofilms zu Beginn des 20. Jahrhunderts völlig ins Abseits geriet. Allerdings wurde sogar noch die Olympiade 1936 in Berlin noch stereoskopisch festgehalten. Der von Vialkowitsch aus diesem Material gefertigte Digitalfilm wurde 2008 als einmalige Sonderveranstaltung im Kunstverein in der von der Stiftung RLP für Kultur geförderten Ausstellung "Vom Keller ans Licht. Kunst nach 1945" exklusiv gezeigt, was die Grundlage für unsere Kontakte zur "parallax raumprojektion" schuf.

Das Museum für Fotografie L 18 in Baden-Baden zeigt zur Zeit Baedeker-Bilder von Ägypten aus dem Jahr 1897 als neueste Produktion der "parallax raumprojektionen", auch das ZKM in Karlsruhe hat bereits seine Sammlung mit einer Vialkowitsch-Produktion erweitert. Nun soll diese aktuell modernste Revitalisierungstechnik traditioneller Bilder als konkreter Teil der Kunstvereins-Ausstellung eingeplant werden.

Bill Viola (USA)
Geb. 1951 in New York, lebt in Kalifornien, arbeitet seit 30 Jahren mit Videotapes, Installationen und Performances. Weiterentwicklung künstlerischer Ton- und Bildmedien mit neuesten Technologien. Das Video wird zu einem Medium der Sinneswahrnehmung auf dem Weg menschlicher Selbsterkenntnis. Viola erhielt weltweit höchste Auszeichnungen. Gezeigt wird der Videofilm "Chott – el-Djerid. A Portrait in Light and Heat" (1979), in Kooperation mit dem (ZKM) Karlsruhe und der EAI, New York.

Electronic painting, John Fischer (New York, USA)
Der Künstler John Fischer wurde 1930 in Antwerpen geboren und musste wegen seiner jüdischen Abstammung 13-jähriger nach USA emigrieren, wo er seither als Künstler, Musiker und Komponist arbeitet. Von 1980-1996 hatte er seinen Wohnort nach Genf verlagert, seit 1995 arbeitet er zeitweilig als Dozent für Freie Malerei und Computerkunst an der Marburger Sommerakademie.
In USA zählt er zu den Gründungsvätern der Computerkunst, über zwei Jahrzehnte reiste Fischer aber auch durch ganz Europa (Deutschland, Holland, Belgien, Schweiz, Österreich, Italien, Spanien, Litauen, Russland), wo er nicht nur Ausstellungen bestritt, sondern auch als Jazz-Pianist auftrat. Seine abstrakten digitalen Arbeiten sind in ihrer Gestaltung stark von Symmetrien und Rhythmen beeinflusst. Ausschlaggebend für Fischers künstlerisches technikbasiertes Schaffen war der Kontakt mit der Macintosh-Computer-Avantgarde seit Beginn der 1970 Jahre, welche ihn ermutigte, den Rechner als künstlerisches Medium einzusetzen. Viele seiner wegweisenden Arbeiten fallen in die "Pionierzeit" der Computerkunst, seither arbeitet er kontinuierlich an den Möglichkeiten, die Kunst digital zu erweitern.

Seine Werke befinden sich nach einer Ausstellung an der Universität Marburg noch in Deutschland, wodurch diese Teilnahme in Landau überhaupt machbar wird. Fischer lebt und arbeitet in New York und hat für die Vernissage in Landau sein Kommen zugesagt.

Stefan Kindel, geboren 1961 in Landau, lebt in Maikammer bei Neustadt an der Weinstraße. Studium der Biologie und der Bildenden Kunst an der Uni Mainz, Diplomabschluss in Bildender Kunst. 1991 Preis der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Bis 1993 Lehrauftrag für Typografie. Seit 1990 wissenschaftlicher Illustrator und Grafikdesigner für die Neuchirurgische Universitätsklinik und freischaffender Künstler. Illustrator für Wissenschafts- und Kunstverlage, sowie eigene Grafikagentur. In Kindels Werdegang wie im Werkschaffen verbinden sich wissenschaftliche und genuin künstlerische Interessen. Er wird neue Arbeiten zeigen.

Eugen Roth (Ludwigshafen)
Geboren 1925 in Ludwigshafen, einer der ersten und bedeutendsten Technikkünstler Deutschlands. Der Münchner Physiker Prof. Dr. Herbert W. Franke schrieb über ihn: "Seiner Denk- und Arbeitsmethode gemäß kann man Eugen Roth der Science-Art zurechnen, die es zu Anfang seiner Aktivitäten noch gar nicht gab. - was ihn zum Vorläufer, einem Pionier macht." (Zur Ausstellung Faszination Kunst & Technik, Kunsthalle Mannheim). Dr. Manfred Fath, Kunsthalle Mannheim, schrieb: "Die so entstandenen Werke sind von einer künstlerischen Ausdruckskraft, wie sie von keinem Künstler erreicht werden, der so wie Eugen Roth seine Werke mit Hilfe des Computers schafft". Neben Bildern wird auch das synästhetische Projekt "Eugen Roth meets Arvo Pärt" projiziert werden, in dem die Bildwerke sich im Rhythmus der Musik Pärts verändern.

Volkhard Stürzbecher (San Francisco und Neustadt/W.)
Erneut haben wir den bereits im Jahr 2000 beteiligten pfälzischen Künstler Volkhard Stürzbecher aus Neustadt eingeladen, welcher automorphe Strukturen von Flüssigkeiten zu sich selbst generierenden und teilgesteuerten Bildwelten formt.

Stürzbecher, geboren 1946, ist Absolvent der Kunstakademie Karlsruhe und der Univesity of San Jose in USA und hat bisher viele Lehraufträge an Universitäten und Akademien zu den ästhetischen Grenzbereichen zwischen Kunst und Wissenschaft erhalten und lebt im Westen der USA, für eine Performance zur Finissage wird er aus USA anreisen. Da diese Reise gleichzeitig mit einem Vortrag an der TU Darmstadt verbunden ist, sind ein Großteil der Reisekosten bereits durch die Universität gedeckt.

Ralph Ueltzhoeffer, "Textportraits" (Ettlingen)
Text und aus dem Internet entnommene Portraits bekannter Persönlichkeiten verschmelzen zu einer neuen Einheit. Das Projekt Textportrait ist eine künstlerische Zusammenführung und neu entwickelte Gestaltungstechnik aus bekannten Medienbildern des Internet und der Internetenzyklopädie Wikipedia mit beschreibenden Texten. Gezeigt werden sollen großformatige Portrait-Bildwände LilliMarleen/Hanna Schygulla u. a.

Prof. Tjark Ihmels
Geb. 1963 in Leipzig, ab 1982 Studium der Theologie an der Karl-Marx-Universität Leipzig, danach Friedhofsarbeiter. Ab 1990 Malereistudium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Seit 2000 Professor für interaktive Gestaltung der FH Mainz. Bis 2008 Leiter des Instituts für Mediengestaltung der FH. Er wird eine mikrofon-, also geräuschgesteuerte interaktive Installation einbringen.

Nam June Paik
Geb. 1932 Seoul/Südkorea, gest. 2006 Miami/USA. Studium der Musik in Tokio, München, Freiburg/Breisgau. In Köln Zusammenarbeit mit Kh. Stockhausen. Er kommt über die Fluxus-Bewegung zur Kunst, bis 1996 Professor an der Kunstakademie Düsseldorf. Gilt als der bedeutendste Pionier der Videokunst, vielfach ausgezeichnet. Gezeigt werden in Kooperation mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM), Karlsruhe, und dem Paik-Studio, New York, der Film: "Majorka-fantasia" (1984), eine elektronische Collage über Chopin, George Sand und Joseph Beuys.





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