Kunstverein Speyer / Kulturhof Flachsgasse
Unikata 2006
Kunsthandwerk
29.10.06 bis 12.11.06
Plakatmotiv zur Ausstellung
Plakatmotiv zur Ausstellung

Es stellen aus: Ilse Benninger (Papier, Keramik), Uta Dorra (Papier), Herbert Wenzel, Karin Wittmann, Friederike Zeit (Keramik), Uwe Geppert, Dietmar Günster von Schumann (Schmuck), Hedwig Müller (Buchbinderei), Zedenka Brock, Beate Eberhardt und Dorothea Zech (Textil).


Einführungsrede von Eva-Maria Urban, M.A.


"Früher schuf der Mensch mit seiner Hände Arbeit, eben dem Handwerk, alle Geräte seines Bedarfs. Und da er keine Mühe scheute, um das denkbar Beste zu schaffen, war er stetig bestrebt, seiner Hände Werk zu bereichern, zu verfeinern, es im Einklang mit dem Zweck künstlerisch zu veredeln. Er schuf somit, Hand und Geist gleicherweisend ins Spiel bringend, das Kunsthandwerk". Mit diesen Worten leitete Heinrich Kohlhaussen 1969 sein dreibändiges Werk "Europäisches Kunsthandwerk" ein.

Im frühen Mittelalter waren es Adel und Kirche, die künstlerisch gestaltetes Ziergerät und Gebrauchsgegenstände zur Demonstration weltlicher Machtansprüche und zum Lobe Gottes in Auftrag gaben. Mit handwerklicher Virtuosität und unermesslichem Einfallsreichtum schuf man in den klösterlichen und königlichen Werkstätten aus kostbaren Werkstoffen Unikate, die bis zum heutigen Tag eine unerschöpfliche Quelle für die Kulturgeschichte dieses Zeitraums darstellen.

Mit dem Aufblühen des Handels und der Städte im Hohen Mittelalter erweiterte sich die Gruppe der Auftraggeber und Stifter. Neben Adel und Geistlichkeit forderten nun auch die Kaufleute und Zünfte ihren Geltungsbereich. Edle Materialien, neue Arbeitstechniken und eine üppige orientalische Formensprache durchdrangen Europa.

Unaufhaltsam waren die geistigen Bewegungen, welche - von Italien ausgehend - die damals bekannte Welt von Grund auf veränderten. Die Renaissance trat in allen menschlichen Sphären ihren Siegeszug an und der Mensch wurde sich seiner selbst als Individuum wie als Maß und kritischer Mittelpunkt aller Dinge bewusst.

Die Handels- und Finanzpolitik lag nun bald in der Hand einer neuen nichtadeligen Schicht, aus der ein fruchtbares Mäzenatentum hervorgehen sollte. Gleichzeitig rückten Handwerker und Künstler, die bis dahin ehrfürchtig bescheiden und dennoch schöpferisch eine Einheit gebildet hatten, auseinander. Beide wurden sich ihres gestalterischen Wertes bewusst und traten aus der Anonymität hervor. Diese Voraussetzung erst macht es möglich, von Kunst und Kunsthandwerk im heutigen Sinne zu sprechen.

Der Künstler verpflichtete sich dem aristotelischem Anspruch auf feierliche hohe Kunst und widmete sich nach antikem Vorbild den bildenden Künsten. Der Kunsthandwerker dagegen konnte sich von der Strenge sakraler Würde befreien, indem er das wachsende Repräsentationsbedürfnis wohlhabender Patrizier und Bürger zu stillen vermochte.

Die Stilepoche der Renaissance begleitete fließend den Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit. In diesen Jahrhunderten des Wandels hatten gravierende technische und geistige Entwicklungen die Welt neu gestaltet. Mit der Verbreitung des Buchdrucks ging ein erheblich größerer Bedarf an kostbaren Bucheinbänden einher. Die grundlegenden Veränderungen in der Kriegstechnik forderten von den metallverarbeitenden Zünften neue künstlerische Formen und exklusives schmückendes Beiwerk. Selbst Gerätschaften für die Navigation und Astronomie wurden meisterlich verziert.

Exotische Materialien und Edelsteine aus den überseeischen Kolonien wurden in die Goldschmiedekunst integriert und es entstanden Pretiosen, die in den fürstlichen Schatzkammern von Gleichgesinnten bewundert werden konnten.

Die Bezeichnung aus dem Juwelierhandwerk "perle baroque" wurde zum allgemeinen Kunstausdruck für die neue Stilepoche. Als Kunst der Gegenreformation und des Absolutismus kam der Barock vor allem in den katholischen Ländern des 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts zur vollen Entfaltung. Der exorbitante Wunsch nach bizarren Formen und fantastischen Dekorationen hielt nun auch Einzug in privaten Lebensbereiche: Wohn-, Tischkultur und Mode standen nun im Mittelpunkt kunsthandwerklicher Schöpfung und Ausformung.

Kostbare Tuche, aufwändige Tischdekorationen sowie edles Geschirr und Besteck schmückten an den weltlichen und geistlichen Fürstenhöfen Europas die Tafeln der Mächtigen. Die an den Höfen geschätzten neuen Genussmittel wie Kakao, Kaffee, Tee und Tabak verlangten nach neuen Gefäßformen. Hatte man im Bereich der Tischkultur bis dahin Fayencen bzw. Majolika verwendet, so war man im 18. Jahrhundert allerorts darauf erpicht, endlich das Geheimnis um die Porzellanherstellung zu lüften.

Das höfische Zeremoniell diktierte opulente Roben und Gewänder aus Seide, Samt, Brokat und Spitze, die mit aufwändigen Stickereien dekoriert wurden. Für die Aufbewahrung dieser üppigen Garderobe konnte man nun nicht länger Truhen verwenden. Es entstand der mit Schubladen unterteilte Schrank und die Kommode. Der Kabinettschrank diente der herrschaftlichen Sammelleidenschaft und vom Sekretär aus konnte man mit der geistigen Elite seiner Zeit korrespondieren.

Das Mobiliar der Barockzeit ist gekennzeichnet durch prächtige Schnitzereien und Drechselarbeiten, Intarsien aus exotischen Naturprodukten und Vergoldungen. Das charakteristische Sitzmöbel dieser Zeit war der Sessel, dessen gepolsterte Sitzfläche und Lehne mit reichgemusterten Stoffen bezogen wurden. Ganze Wohnräume wurden bis ins letzte Detail einheitlich konzipiert. Stuckdekor und eingeschliffene Spiegel ließen Wände und Decke zu einer Einheit verschmelzen und erzeugten eine Illusion des imaginären Raums. Die Wandbehänge und Ledertapeten wichen textilen Wandbespannungen.

Für den Barockmenschen war der Drang nach prächtiger Repräsentation bedeutungsvoller als jeglicher Wunsch nach Bequemlichkeit und Behaglichkeit, wie es sich in der Lebenskultur seiner Nachkommen widerspiegeln sollte.

Wie in allen vorangegangenen Jahrhunderten hatte der Kunsthandwerker des Barocks Unikate erschaffen. Jedoch war es ihm wegen der großen Nachfrage und den vielen zeitaufwändigen Arbeitsabläufen nicht mehr möglich, den künstlerisch gestalteten Gegenstand vom Entwurf bis zur endgültigen Fertigstellung persönlich zu begleiten. In den Handelszentren und fürstlichen Residenzen Europas entstanden große Werkstätten und Manufakturen, in denen durch Arbeitsteilung und Spezialisierung Serienanfertigungen für die überlokalen Märkte erzeugt werden konnten. Dort wurden Luxusgüter von der außerzünftigen städtischen Bevölkerung produziert.

Während der Herrschaft Napoleons kristallisierte sich der Klassizismus flächendeckend in Westeuropa und in den Vereinigten Staaten als die neue Stilepoche heraus. Wie bereits in der Renaissance geschehen, orientierte man sich wieder an der Antike. Diesmal jedoch fühlte man sich wirklich im Besitz eines geistigen Verständnis für das Altertum, insbesondere der griechischen Klassik. Grundvoraussetzung für die Ausbildung des Klassizismus war die einsetzende wissenschaftliche Erforschung der antiken Kunst und die daraus hervorgehende Rezeption antiker Vorbilder.

Um Anschluss an das industriell am weitesten fortgeschrittene England zu finden und den Auf- und Ausbau der Wirtschaft nach den napoleonischen Freiheitskriegen zu fördern, gründete man u.a. 1824 die Berlinische Gewerbeschule und 1868 die Kunstgewerbeschule. Wegweisend vorausgegangen war die Einführung der Gewerbefreiheit in Preußen 1811 und die daraus folgende Aufhebung des mittelalterlichen Zunftwesens.

Grundlage für den Unterricht war das Vorlagenwerk "Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker", das nach Entwürfen des Architekten und Malers Karl Friedrich Schinkel (1781-1841) gestochen worden war. Das Standardwerk beinhaltete Vorlagen für Möbel, Gefäße, Textilien und Zierrat aller Art, die der Antike und der Renaissance aber auch dem islamischen Orient für die Stoffmuster entliehen worden waren. Die Herausgeber, der preußische Finanzfachmann Peter Christian Beuth (1781-1853) und sein Freund Karl Friedrich Schinkel, vertraten den Standpunkt, dass nicht Fantasie und Kreativität des Adressaten beflügeln werden sollte, sondern "der Fabrikant und Handwerker aber soll, wir wiederholen es, sich nicht verleiten lassen, selbst zu komponieren, sondern fleißig, treu und mit Geschmack nachahmen".

Neue technische Möglichkeiten wie der Eisenkunstguss, der Zinkguss und die Terrakottenfabrikation ermöglichten eine preiswerte Reproduktion und Imitation in den verschiedensten Disziplinen. Wohlwollend standen Beuth und Schinkel dieser Entwicklung gegenüber, da "durch eine leichte treue Vervielfältigung des Kunstwerks, dessen allgemeine Verbreitung unter allen Klassen möglich wird; wenn dessen Kenntnis nicht mehr bloß in Museen, in unzugänglichen Privatsammlungen erworben werden darf, dann darf man hoffen, dass von der so ausgestreuten Saat hin und wieder ein Korn aufgehen und Früchte tragen werde".

In dieser rasant voranschreitenden umwälzenden Periode, in der die Industrialisierung alle Lebensbereiche erfasste, wurde der ehemals hochgeehrte Kunsthandwerker seiner individuellen schöpferischen Gestaltungsfähigkeit enthoben. Er wurde zu einem Zahnrad im Getriebe der Massenanfertigungen degradiert, das sich nach Vorlagen und Mustern der hohen Kunst zu drehen hatte.

Diese Entwicklung dauerte an, bis man am Ende des 19. Jahrhunderts dem Akademismus und den historisierenden Tendenzen in der Kunst überdrüssig war. An Stelle der seriellen industriellen Fertigung von Massenprodukten rückten wieder individuelle handwerklich hergestellte Gegenstände in den Mittelpunkt. Der Jugendstil hatte es sich zum Ziel gesetzt, Materialgerechtigkeit im Zusammenhang mit der formalen Entwicklung sowie eine Einheit von Kunst und Leben zu verwirklichen.

Aus den vormaligen "Vorbilderanstalten" bzw. Kunstgewerbeschulen ging eine Reformbewegung hervor, bei der das Qualitätsdenken und die Entwicklung eigenständiger ästhetischer Prinzipien an primärer Stelle stand. Der künstlerische Widerstand organisierte sich europaweit in vielfältigen Künstlervereinigungen und -verbänden. In Deutschland waren oder sind es z.B. Künstlerkolonien, Sezessionen, der Deutsche Künstlerbund, der Deutsche Werkbund und die GEDOK.

Das deutsche Kunsthandwerk hatte im Jugendstil eine bis heute nicht wiedergekehrte Hochzeit und Wertschätzung erlebt. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern wie England und Frankreich führt es bis heute neben den bildenden Künsten ein Schattendasein an den Akademien. Jedoch lässt eine in den letzten Jahren aufkommende Tendenz hoffen, dass dem Kunsthandwerk in Deutschland wieder die ihm gebührende Aufmerksamkeit und Beachtung geschenkt wird. Liebhaber und Sammler sowie Galerien und Museen sind erfolgreich zugegen, dem Kunsthandwerk in Deutschland ein neues Selbstbewusstsein zu verleihen.

Die klassischen Ideale des Kunsthandwerks, die Einheit von Entwurf und Ausführung in einer Person, sehen sie in dieser Ausstellung realisiert. Alle hier ausstellenden KunsthandwerkerInnen fühlen sich einer langen Tradition verpflichtet. Mit Leidenschaft, Disziplin, kreativer Freude, Konzentration, Präzision und dem Ernst und Willen zur Perfektion haben sie Gegenstände und Objekte geschaffen, die das Besondere und Individuelle betonen und ein Gegenmodell zum Massenkonsum im Angesicht eines veränderten Verbraucher- und Alltagsbewusstseins liefern.



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Plakatmotiv zur Ausstellung
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