Stadt Speyer / Städtische Galerie Kulturhof Flachsgasse
"Von Angesicht zu Angesicht - Kopfgefäße"
Eine historische und künstlerische Auseinandersetzung
16.03.08 bis 20.04.08
Harald-Alexander Klimek
Harald-Alexander Klimek: "Sterbender Spartaner", 2006, Bleistiftzeichnung, Aquarell- und Gouachefarben auf Papier, auf Karton aufgezogen, 29 x 20,7 cm, Repro: Heinz Kraus (Ludwigshafen)

Helme bzw. metallene Kopfgefäße im historischen Original und in der zeitgenössischen künstlerischen Auseinandersetzung sind Thema der Ausstellung "Kopfgefäße", die vom 16.03.08 bis zum 20.04.08 in der Städtischen Galerie Speyer gezeigt werden. Vom 08.11.07 zum 09.03.08 war die Ausstellung im Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin im Langhansbau des Schlosses Charlottenburg zu sehen.


Der Helm, das Kopfgefäß

Der Helm als Kampf- und Repräsentationssymbol, erweist sich in der Geschichte der Menschheit als Kennzeichen des Krieges und seiner Krieger. Seit der Bronzezeit sind Helme in Mitteleuropa Bestandteil der Schutzrüstung im Kampf. Im Laufe seiner Entwicklung kam diesem Kopfgefäß jedoch auch mehr und mehr eine Bedeutung als Rang- und Statusabzeichen der politischen und militärischen Eliten zu. Seine Auffindung an geheiligten Orten von der Ägäis bis zum Atlantik kündet von seiner Verwendung und seinem hohen Stellenwert im Kult bei prähistorischen Gesellschaften. Bei Griechen und Römern gehörte er, in großer Stückzahl produziert, zum Grundbestandteil der Bewaffnung. Bis ins hohe Mittelalter den Führungsschichten vorbehalten, schützte der Helm erst ab dem 11./ 12. Jahrhundert auch die einfachen Soldaten. Mit dem 17. Jahrhundert verschwand er aus den europäischen Armeen und kam erst wieder zu Beginn des 19. Jahrhunderts bei der schweren Kavallerie in Gebrauch. Im 1. Weltkrieg löste der Stahlhelm die bis dahin verwendeten Lederhelme ab, die keinerlei Schutz vor Splittern der Artilleriegranaten und Bomben boten.


Die Ausstellung

Die vom Frankenthaler Künstler Harald-Alexander Klimek in Zusammenarbeit mit Dr. Heino Neumayer, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Museums für Vor- und Frühgeschichte, konzipierte Ausstellung präsentiert auf 200 qm Fläche gegenständliche Gegenwartskunst in Verbindung mit archäologischen Objekten. Die Ausstellung lebt dabei von der kontrastierenden Gegenüberstellung der historischen Originale mit den zeitgenössischen und zeitkritischen künstlerischen Reflexionen zum Thema "Kopfgefäße".

Gezeigt werden Gemälde und Grafiken von Harald- Alexander Klimek, Bilder des russischen Künstlers Nikolai Makarov, Fotografien des Berliner Fotografen Uli Staiger, Plastiken des Berliner Bildhauers Hans Scheib und des Berliner Metallplastikers Michael Friedrichs-Friedlaender sowie Grafiken aus dem Radierzyklus "Der Krieg" von Otto Dix. Alle Werke haben Helme bzw. metallene Kopfgefäße zum Thema. Aus den Beständen des Museums für Vor- und Frühgeschichte bilden antike Helme aus der Sammlung des Leipziger Fabrikbesitzers Richard Tschille den Schwerpunkt neben mittelalterlichen (aus den Beständen des Deutschen Historischen Museums) und neuzeitlichen Helmen, wie einem französischen Kürassierhelm aus dem Frankenthaler Erkenbertmuseum und einem Stahlhelm der Nationalen Volksarmee. Miteinbezogen in die Ausstellung ist der so genannte "Berliner Goldhut", einer von insgesamt nur vier aus der Bronzezeit überlieferten Goldkegel, der das Wissen über die frühesten Kalendarien der Menschheit um wesentliche Aspekte erweitert hat.

Den Schwerpunkt der Ausstellung bilden die Werke von Klimek, der bei seiner künstlerischen Interpretation der Exponate die Kunstgeschichte von der Antike bis in die Gegenwart zitiert. Seine Helmträger reichen vom sterbenden Spartaner bis hin zum Science-Fiction Bösewicht Darth Vader und der Comic-Figur Sponge Bob als sympathischem Antihelden. Für seine zeitgenössischen Arbeiten in "altmeisterlicher" Technik (einer Mischung grafischer und malerischer Gestaltungsmittel) ist er bereit, diese Entlehnungen zu verfremden, sie zu überzeichnen oder in einen anderen Kontext zu stellen. Seine Interpretation der historischen Vorlagen liefert zugleich den roten Faden für das Ausstellungskonzept, bei dem das Objekt Kopfgefäß einer zeitgenössischen Sichtweise gegenübergestellt wird. Drastisch-realistisch, aber auch literarisch-erzählerisch werden die Helme bei seinen Arbeiten unter dem Gedanken von Funktion und Gestalt bei Göttern und Kriegern in der Aktion von Kampf und Repräsentation gezeigt. Dabei stimmen Zeitpunkt und Helmform, Gewandung und Attribute exakt überein. Klimek wählt beispielhafte Ereignisse aus der Geschichte (u.a. antiker Kampf der Städte, Kreuzzüge des Mittelalters) und charakteristische Handlungsweisen der Krieger aus, bezieht aber auch Symbolik und Allegorie als metaphorische Aussagen gegen das immer noch allgegenwärtige Kriegsgeschehen ein. Die skeptische Erkenntnis, dass der Mensch/Mann sich bis heute als unfähig erwiesen hat, aus der Geschichte zu lernen und daraus entsprechende Konsequenzen zu ziehen, spricht aus allen Bildern. Die Ausstellung konnte in Speyer durch Leihgaben aus der Privatsammlung von Dr. Johannes Willers, dem ehemaligen Leiter der Waffensammlung an Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, sowie weitere Arbeiten von Hans Scheib, Nikolai Makarov und Otto Dix erweitert werden.

Zur Ausstellung erschien im Oktober 2007 im Deutschen Kunstverlag ein von Wilfried Menghin, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte, und Harald- Alexander Klimek herausgegebenes, reich bebildertes, spartenübergreifendes Begleitbuch. Neben Wissenschaftlern der beteiligten Institute befassen sich auch namhafte Literaten und Künstler mit den Exponaten und dem Thema Kopfgefäße, darunter unter anderem die Berliner Schriftsteller Thomas Brussig und Jürgen K. Hultenreich sowie der Ludwigshafener Lyriker Hasan Özdemir.


Begleitprogramm

27.03.08 | 19.30 Uhr
Aphorismen und der Text "Kampfhäuser - oder: Das Visier"
Lesung aus dem Ausstellungsbuch "Kopfgefäße" | Jürgen K. Hultenreich (Berlin) | Ort: Städtische Galerie Kulturhof Flachsgasse
Eintritt 3,00 EUR

08.04.08 | 19.30 Uhr
"Zu jedem Kopf gibt's nen Deckel"
Lesung aus dem Ausstellungsbuch "Kopfgefäße" | Thomas Brussig (Berlin) | Interview: siehe weiter unten | Ort: Städtische Galerie Kulturhof Flachsgasse | Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Landesbibliothekszentrum/Pfälzische Landesbibliothek und der Drach'schen Buchhandlung
Eintritt: 7,00 EUR

20.04.08 | 11.00 Uhr | Finissage
Gedichte zu den Bildern H.-A. Klimeks und der Texte "Argonauten"
Lesung aus dem Ausstellungsbuch "Kopfgefäße" | Hasan Özdemir (Ludwigshafen/Rhein) | Ort: Städtische Galerie Kulturhof Flachsgasse
Eintritt: 3,00 EUR


Thomas Brussig über "Kopfgefäße" - Interview: Frank Barsch, erschienen im Stadtmagazin MEIER

Die Last der Helme

Den Berliner Schriftsteller Thomas Brussig kennt man von seinen satirischen Wenderomanen "Helden wie wir" und "Am kürzeren Ende der Sonnenallee" und Monologen über Fußballtrainer und Schiedsrichter. Für "Kopfgefäße", ein Künstlerbuch von Harald-Alexander Klimek und Wilfried Menghin, hat er jetzt einen Essay über die Geschichte des kriegerischen Helms geschrieben und wird daraus am 08.04.08 in Speyer vorlesen.

MEIER: Das Buch und die Ausstellung "Kopfgefäße" beschäftigt sich mit der Geschichte und Darstellung des kriegerischen Helms. Was hat Sie an dem Thema interessiert?

Thomas Brussig: Harald-Alexander Klimek hat mir von dieser Ausstellung und diesem Katalog erzählt und mich um einen Beitrag gebeten. Ich mache das eigentlich sehr gerne, dass ich mich mit Dingen beschäftige, von denen ich nichts weiß oder zumindest wenig Vorwissen mitbringe. Das Thema kriegerische Kopfbedeckung war wirklich weit weg von dem, womit ich mich beschäftige, aber dadurch habe ich einmal intensiver über Kriege nachgedacht, wie sie geführt wurden und Kriege, wie sie heute geführt werden.

MEIER: Sie mussten in der DDR ihre Wehrpflicht ableisten. Was für persönliche Erfahrungen haben Sie dabei mit Helmen gemacht?

Brussig: Wie wenig zweckmäßig diese Helme waren. Dass sie vorsätzlich schwer gehalten wurden, was ich für ein Demütigungs- und Disziplinierungsmittel gegenüber den Soldaten halte. Es ging die Sage, dass Offiziere leichtere Helme hatten, Plastikhelme, die ungefähr die gleiche Stabilität hatten und ähnlichen Schutz boten. Dass es also mitnichten darum ging, den Soldaten die höchste Kampfkraft zu ermöglichen, sondern dass die Demütigung durch den Stahlhelm eine wichtige Rolle gespielt hat.

MEIER: In der Bundesrepublik hat man die Form des Wehrmachthelms weitergeführt. Die DDR hat ein Modell entwickelt, das ganz anders aussieht. War das ein Versuch, sich auch in punkto Helm vom Westen zu unterscheiden?

Brussig: Andererseits hatten die Uniformen der NVA Ähnlichkeiten mit der Uniform der Wehrmacht. Was die Form der Stahlhelme angeht, da glaube ich, dass da Zweckmäßigkeit keine Rolle gespielt hat, sonst hätten ja alle Armeen mit ungefähr dem gleichen Stahlhelm gekämpft. Vielleicht ging es eher um Erkennung, dass sich Freund und Feind unterscheiden können, was ja auch in einer früheren Phase der kriegerischen Kopfbedeckung wichtig gewesen ist. Aber wahrscheinlich sollte der NVA-Soldat nicht aussehen wie ein Wehrmachtssoldat und der Wehrmachtshelm war ja wirklich ein sehr markanter Helm.

MEIER: Sie haben in Ihrem Essay geschrieben, dass die Armee in der DDR eine Schule der Unterwerfung war. Was meinen Sie denn, wie die aktuellen Tendenzen in der Bundesrepublik aussehen?

Brussig: Ich glaube, dass es heute in der Armee nicht mehr darum geht, den Staatsbürger heranzuziehen und seinen Oppositionsgeist zu brechen, dass die Armee also nur noch bedingt ein Sozialisierungsinstrument ist. Damit können auch die Ausrüstungsgegenstände eher nach Zweckmäßigkeit ausgewählt werden. Erst recht, wenn die Armee kämpfen muss und die Bereitschaft zum Kampf in der Bevölkerung schwindet.

MEIER: In seinem "Anschwellenden Bocksgesang" hat Botho Strauß vor gut zehn Jahren die These aufgestellt, dass die Dekadenz unserer liberal-hedonistischen Gesellschaft einhergeht mit der Verhöhnung der Dienstbereitschaft, der Kirche und der Verhöhnung des Soldaten. Eine Renaissance von Glauben und Kirche erleben wir gerade. Sind wir mit dem Soldaten auch schon so weit?

Brussig: Gerade auf diesem Feld erleben wir wie auf keinem anderen eine Entkopplung von öffentlicher Meinung und dem, was die Politik tut. Es gibt, glaube ich, in der öffentlichen Meinung kaum ein Thema, bei dem eine so klare Ablehnung des Regierungskurses festzustellen ist. Wahrscheinlich hat die Ablehnung des Soldatentums in erster Linie nicht mit liberal und hedonistisch zu tun, sondern damit, dass man an den Kriegserfolg und damit an den Soldaten nicht mehr glaubt. Und das aus gutem Grund. George W. Bush hat schon 2003 den Irak-Krieg für beendet und den Irak als besiegt erklärt. Das ist so ein Sieg von der Sorte: noch so einen und wir sind verloren.



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Harald-Alexander Klimek
Harald-Alexander Klimek: "Sterbender Spartaner", 2006, Bleistiftzeichnung, Aquarell- und Gouachefarben auf Papier, auf Karton aufgezogen, 29 x 20,7 cm, Repro: Heinz Kraus (Ludwigshafen)
Korinthischer Helm
Korinthischer Helm, Staatl. Museen zu Berlin, Museum für Früh- und Vorgeschichte, Foto: Uli Staiger (Berlin 2006)
Harald-Alexander Klimek
Harald-Alexander Klimek: "Die Macht", 2007, Print, Mischtechnik und Öl auf Karton, 22,5 x 38 cm, Repro: Heinz Kraus (Ludwigshafen)