Der schwierige Augenblick reiner Malerei

Gut ausgeschlafen und mit Bild im Kopf setze ich den guten Pinselhieb auf die Leinwand. Die Emulsion sitzt leicht transparent gleich Mayonnaise auf vielen ähnlichen Schichten darunter, die nun gemeinsam ein feuriges Tiefenlicht erzeugen. Die Stimmung ist gut, die Musik passt und so entwickelt sich langsam ein Gefüge, das mir sagt was zu tun ist. Pause - Trocknungszeiten einhalten - später entdecke ich eine schwache Stelle, korrigiere und dann plötzlich stimmt nichts mehr. Ich habe das Bild tot gemalt. Das passiert immer mal wieder.

Reine Malerei genügt sich selbst. Reine Malerei ist die ideale Verbindung von Material, Werkzeug und Verfahren: in einem glücklichen Augenblick erzeugt ein einziger Pinselstrich ein malerisches Element, das sich in ein Kontinuum einfügt und von dort, also aus diesem Gefüge heraus, dem Betrachter durch Andeutungen in Wahrnehmungswelten führt. Reine Malerei benutzt ein Bildmotiv und einen Inhalt als Vorwand, um sich selbst zu präsentieren. An der Figur, der menschlichen Gestalt etwa, die sich in unserer Wahrnehmung sehr differenziert eingeprägt hat, findet die reine Malerei die geeignete Grundlage, die ideale Spielwiese, um sich voll zu entfalten. Im fernöstlichen Kulturraum finden wir eine malerische Tradition, die aus der Kalligraphie geboren wurde. Das Motiv des im Wind bewegten Schilfrohrs ist ein besonders herausragendes Beispiel: jahrelanges Üben ging voraus, um eine perfekte virtuose Darstellung mit sehr wenigen Pinselhieben zu erzeugen. Diametral entgegengesetzt ist der heutige westliche Kunstbetrieb. Hier ist das Handwerkliche meist unangebracht - einzig die Konzeption zählt. Damit stehen wir immer noch oder wieder unter den Anwürfen Platons, der eben nicht die Eigenständigkeit der Malerei erkannt hat, die aus dem Zusammenspiel von Materiellem und Mentalem entsteht.

Wolfgang Blanke 2011


[Video: "Malerei mit Pigmenten"]