Schwere optisch aufgehoben
Zur Großplastik "Große Schleife" Düsseldorf von Franz Müller-Steinfurth
Der Begriff "Kunst im öffentlichen Raum" hat vor rund zwei Jahrzehnten den der "Kunst am Bau" abgelöst. Damit ist ein Programm ausgesprochen, das vor allem von ihrer nachträglichen Schmuckfunktion für ein Gebäude befreien sollte. Der Kunst sollte ihr eigener Stellenwert zugewiesen werden, auch dann, wenn sie sich auf ein Gebäude bezieht, besser: in einen Dialog mit ihm eintritt. Das kann in unterschiedlicher Weise erfolgen, sich auf den Ort und die vom Gebäude vorgegebene Anlage beziehen oder aber formale Elemente der Architektur aufnehmen. Mit seiner "Großen Schleife“ hat Franz Müller-Steinfurth den ersten Aspekt artikuliert, um den Ort im Vorfeld zum Gebäudeeingang zu akzentuieren. Das neue Verwaltungsgebäude der Firma Aristrain liegt an zwei Straßen. Im Winkel ihres Zusammentreffens ist nicht nur der Eingangsbereich, sondern ihm gegenüber steht auch die neue Großplastik von Müller-Steinfurth, als Zeichen gleichermaßen auf die Situation des Gebäudes wie auf die Straßenlage bezogen. Den Winkel von Gebäude und Straßen hat der Künstler in einen großen, nach oben schwingenden Bogen aus Doppel-T-Trägern umgeformt. Eine mächtige Schleife ist entstanden, die in ihrem oberen Teil ein Oval bildet, deren Enden sich aber unten in einem Winkel kreuzen, um dann nach rechts und links verschieden lang zu erneuten Bögen anzusetzen. Wegen ihrer Größe musste die Schleife aus sechs Bogensegmenten gefertigt werden, die mittels Maschinenschrauben millimetergenau zusammengehalten werden. Diese Schrauben wirken wie ein rhythmisierendes Element an der Seitenkante des Bogens, geben der fließenden Bewegung einen Takt, damit das Auge nicht widerstandslos entlang gleitet.
Eine senkrechte Stele ist der Schleife gegenüber gestellt. Sie ist in kleinem Abstand genau im unteren Schnittpunkt der Schleife fundamentiert und ragt als ein lang gedehntes Kreissegment 14 Meter hoch über den Bogen der Schleife hinweg in den Himmel. Denkt man sie weiter, so würde sie in einem riesigen Kreis über das Gebäude hinwegreichen und es mit einbegreifen.
Zwei gegenläufige Bewegungen also, die sich zu einem offenen Raumzeichen verbinden, der vollendete und der angesetzte Bogen aus kantigen Trägern geformt, weiche Rundung oben und dagegen ein Winkel unten - Gegensätze, die sich zu einem neuen Ganzen fügen, bestimmten schon immer die Sprache des Plastikers Müller-Steinfurth. Das gilt auch für Material und Erscheinung. Das Material Stahl hat auch inhaltlich etwas mit dem Verwaltungsgebäude zu tun, das einem spanischen Stahlkonzern gehört. Aber mit Stahl hat sich der Künstler schon in vielen anderen Skulpturen auseinandergesetzt - ein Material dessen Fähigkeiten in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts erst die Ingenieure in kühnen Architekturen wie dem Eiffelturm vorführten, ehe sich im 20. Jahrhundert die Künstler seiner annahmen.
Müller-Steinfurth geht es um die tatsächliche Schwere von Stahl und seine optische Aufhebung durch die enormen Spannungsbögen, die von stabilen Trägern gleichsam als Linien in den Umraum gezeichnet werden können. Der Architektur, die trotz aller Glasfronten dennoch ein geschlossenes, statisches Ganzes darstellt, steht ein großes, dynamisierendes Zeichen mit bewusst offene Enden gegenüber, das den Puls der Straße wie Energiestrahlen zu einer mächtigen schwungvollen Linie bündelt und in diese Dynamik über den durch die Stele angesetzten Riesenkreis auch das Gebäude mit einbezieht. Es gibt kein faktisches Auslaufen dieser Bewegungen, statt dessen eine denkbare unendliche Fortsetzung der Schleifen bzw. ein sie einbindender Kreislauf, die beide im fruchtbaren Moment ihrer Durchdringung sichtbar formuliert sind.
Lothar Romain
Der Autor, Prof. Lothar Romain war von 1996 - bis zu seinem Tode - 2005 Präsident der Universität der Künste, Berlin.